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Glücksspiel und "Bild"
Wo endet Berichterstattung, wo beginnt Werbung?

Die "Bild"-Zeitung berichte "gezielt verharmlosend" über Sportwetten - mit dieser Kritik hat sich Bremens Innensenator Ulrich Mäurer an den Presserat gewandt. Der Zeitpunkt für das Schreiben ist wohl kein Zufall: Der neue Glücksspielstaatsvertrag wirft Fragen auf zum Umgang der Medien mit dem Thema.

Von Michael Borgers |
Ein Mann steht vor einem Bildschirm mit einer Seite eines Anbieters für Sportwetten
Früher am Schalter, heute im Internet: Faszination Sportwetten - und seit Jahren Wachstumsmarkt (picture alliance/dpa | Carsten Rehder)
Die Fußball-Europameisterschaft ist vorüber und damit auch "Wett-Insider", ein Podcast der "Bild"-Zeitung, der über sieben Folgen lang lief und vom Sportwetten-Portal BildBet präsentiert wurde.
In Teil sechs der Reihe, sprechen zwei Moderatoren mit Jan Maack, der sich selbst "Quotenwilly" nennt. Über ihn hat "Bild" erstmalig vor knapp zwei Jahren berichtet, unter der Überschrift: "Er verdient mit Sport-Wetten 20.000 Euro im Monat". Seitdem finden sich im Redaktionsarchiv 53 weitere Einträge alleine mit ihm.
In der Podcast-Folge geht es um die EM, ihre Spiele und die Aussichten für bestimmte Tipps auf den Ausgang. Und später um die Frage, wie viel Startkapital es brauche, um mit Sportwetten seinen Lebensunterhalt zu verdienen:
Moderator: "100.00?"
"Quotenwilly": "Ja, das kann schon mal nicht schaden, ja."
Moderator: "Okay."
Eine gute halbe Stunde geht das so, zum Schluss der einzelnen Folgen heißt es dann: "Glücksspiel kann süchtig machen. Spiele verantwortungsbewusst, mehr Informationen und Direkthilfe findest Du bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZGA."

Presserat will über Kritik an "Bild" beraten

"Das ist irgendwie ne klassische Ausrede. Das machen die ja auch nur, weil sie dazu verpflichtet sind", findet Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Verbands Glücksspielsucht. Für sie ist das, was "Bild" macht, keine Berichterstattung, sondern Werbung für das eigene Produkt BildBet.
Füchtenschnieder begrüßt deshalb auch den Vorstoß des Bremer Innensenators Ulrich Mäurer, über den der NDR zuerst berichtet hat. Der SPD-Politiker hat sich an den Presserat gewandt. In einem Schreiben wirft Mäurer "Bild" eine "besorgniserregende, da gezielt verharmlosende" Berichterstattung über Sportwetten vor.
Paradies für Glücksspielanbieter
Online-Glücksspiele sind in Deutschland verboten, dennoch wächst der Markt rasant. Die Bundesländer streiten seit Jahren über eine Regulierung. Davon profitieren die Anbieter von Sportwetten oder Online-Casinos – und die organisierte Kriminalität.
Gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigte der Presserat, dieses Schreiben erhalten zu haben. Es handle sich "nicht um eine Beschwerde", unterstreicht das Selbstkontrollgremium der deutschen Presse. Man werde sich aber dennoch mit dem Thema befassen. Aktuell lägen auch sonst keine Beschwerden nach Ziffer 7 des Pressekodex vor, der die Trennung von Werbung und Redaktion regelt.
Gegenüber dem Deutschlandfunk wies ein Sprecher von Axel Springer, dem Verlag der "Bild", die Vorwürfe zurück. Die Zeitung weise "in den redaktionellen Beiträgen explizit auf die Risiken im Zusammenhang mit Glücksspiel hin". Damit sei etwa beim Podcast der Hinweis am Ende gemeint.

Forderung nach Werbeverbot

"30 Minuten Bericht und dann so ein kurzer Abbinder, das steht ja in keinem Verhältnis. Es müsste eine Verpflichtung geben, in gleichem Maße zu berichten", fordert Ilona Füchtenschnieder. "Es wird nur über die Vorzüge berichtet, und die erheblichen Nachteile, die mit dem Glücksspielen verbunden sind, die finden in der medialen Berichterstattung, zumindest in diesen Werbeblocks, nicht statt."
Ihr Verband sei außerdem für ein Werbeverbot für Glücksspiele in deutschen Medien. "Glücksspiele sind riskante Güter, da verspielt man Haus und Hof, man ruiniert sich, und manche verlieren auch ihr Leben. Und das ist anscheinend in der Politik in dieser ganzen Schärfe noch nicht angekommen."

Liberales neues Gesetz

Füchtenschnieder meint den Glücksspielstaatsvertrag, der seit Juli 2021 in Kraft ist. Auch andere Experten finden die neuen Regeln problematisch, auch mit Blick auf die Werbung, wo Glücksspiel eine immer größere Rolle spielt. Beispielsweise in der ARD- "Sportschau", die bald von der Glücksspielfirma Tipico gesponsert wird.
Neuer Glücksspielstaatsvertrag
Was auf dem deutschen Glücksspielmarkt legal ist und was nicht, dafür fehlten bislang klare Regeln. Nun haben sich die Bundesländer nach langem Hin und Her auf eine Neuauflage des Glücksspielstaatsvertrages geeinigt. Doch Spielsucht-Experten üben Kritik.
Das neue Gesetz sei liberaler, erklärt Markus Ruttig, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt auf Glücksspielrecht. Es sei nun ausdrücklich vorgesehen, dass auch durch Werbung auf legale Spielmöglichkeiten aufmerksam gemacht wird. "Aber gleichwohl muss man aufpassen, dass das Ganze nicht aus der Balance gerät. Denn auch das neue Recht sieht vor, dass die Werbung nicht übermäßig sein darf."
Bei "Bild" dürften nur Wettanbieter werben, die, so wörtlich, "den hohen Anforderungen in Sachen Spielerschutz" des Glücksspielstaatsvertrags unterlägen, betont Springer gegenüber dem Deutschlandfunk. Redaktion und Vermarktung seien "strikt voneinander getrennt" – also auch beim Podcast, wo es heißt: "Tipp, tipp, hurra, ciao."
"Bild" berichte "schon immer über Themen aus den Bereichen Sportwetten und Lotto", so ein Sprecher, weil es die Leser interessiere.