Glücksspielsucht nimmt zu
Ob arm oder reich – vor Spielsucht ist niemand sicher

Eine Gruppe internationaler Forscher warnt vor den Gefahren des Glückspiels. 450 Millionen Menschen weltweit seien von Schäden durch Spielsucht betroffen. Warum wächst das Problem auch in Entwicklungsländern so rasant und was kann dagegen getan werden?

    Zu sehen ist ein bunter Handybildschirm mit verschiedenen Symbolen. Ein Spieler, von dem nur dessen Daumen zu sehen ist, spielt via App ein Online-Glücksspiel in Bandung, Indonesien
    Jederzeit verfügbar: ein Spieler beim Online-Glücksspiel in Bandung, Indonesien (IMAGO / ZUMA Press Wire / Algi Febri Sugita)
    „Glückspiel ist eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit“ - so steht es in dem Bericht, den eine international besetzte Forschungsgruppe im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht hat. Die Experten aus den Bereichen Glücksspielforschung, öffentliche Gesundheit, globale Gesundheitspolitik, Risikokontrolle und Regulierungspolitik kommen zu dem Schluss, dass die Schäden durch Glückspiel weit größer sind als bisher bekannt. Die negativen Auswirkungen sind ein globales Problem.

    Inhalt

    Welche Schäden verursacht Glücksspielsucht?

    Die Forscher warnen in ihrem Bericht vor drastischen Folgen. „Glücksspielsucht kann zu physischen wie psychischen Schäden führen, Beziehungen und Familien zerstören, das Suizidrisiko steigern, zum finanziellen Ruin führen, Kriminalität sowie häusliche Gewalt fördern und für den Verlust des Arbeitsplatzes verantwortlich sein“, heißt es in dem Papier der Expertenkommission, die die globale Entwicklung des Glücksspiels in den Blick genommen hat.
    Befunde, die sich mit dem decken, was beispielsweise Forscher in Malawi - einem der ärmsten Länder der Welt - beobachtet haben. Selbstmorde und der Absturz in absolute Mittellosigkeit sind dort an der Tagesordnung, weil der Glücksspiel- und Wettmarkt nahezu unreguliert wächst. Für Sozialwissenschaftler Junious Mabu Sichali ist es deshalb ein Aspekt der öffentlichen Gesundheit, Gegenmaßnahmen zu treffen.

    Knapp eine halbe Milliarde Menschen betroffen

    Weil nicht nur die Spielsüchtigen selbst betroffen sind, sondern sich die negativen Folgen auch auf Familienangehörige, andere soziale Gemeinschaften oder Mitarbeitende auswirken, ist die Zahl der Betroffenen erschreckend hoch. In ihrem aktuellen Bericht geht die Forschungskommission weltweit von 450 Millionen Menschen aus, die durch mindestens ein Verhaltenssymptom oder einen persönlichen, sozialen oder gesundheitlichen Nachteil betroffen sind. 80 Millionen Menschen leiden unter einer Glücksspielstörung oder problematischem Glücksspiel.
    In Deutschland nehmen dem Glücksspielatlas Deutschland 2023 zufolge 30 Prozent der Menschen an Glücksspielen teil. Demnach haben etwa 1,3 Millionen Menschen eine Störung durch Glücksspiele, weitere drei Millionen Menschen haben ein problematisches Glücksspielverhalten. Etwa jeder 13. Glücksspieler entwickle durch Teilnahme an Automatenspielen, Sportwetten und anderen Glücksspielen gesundheitliche, finanzielle oder auch soziale Probleme, heißt es. In den letzten Jahren sei vor allem die Nachfrage von Online-Glücksspielenden nach ambulanten Hilfsangeboten stark gestiegen. Die Deutsche Automatenwirtschaft kritisiert die Zahlen aus dem Glücksspielatlas Deutschland 2023 als nicht belastbar, nennt allerdings keine eigenen Zahlen.

    Warum boomt Glücksspiel?

    „Jeder, der ein Mobiltelefon besitzt, hat heute 24 Stunden am Tag Zugang zu einem Casino in seiner Tasche“, bringt die Co-Vorsitzende der Kommission Heather Wardle die größte Gefahr – die Digitalisierung des Glücksspiels - auf den Punkt. Der Forscherin der Universität Glasgow zufolge wachsen die Bereiche Online-Sportwetten und Online-Casinos weltweit am schnellsten. „Ein ausgeklügeltes Marketing und eine ausgeklügelte Technologie machen es leichter, mit dem Glücksspiel zu beginnen, und schwerer, damit aufzuhören", erklärt Wardle.

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    Stefan Gutwinski, Suchtexperte und Psychiater an der Berliner Charité hat das bei seinen eigenen Studien im Bereich der Sportwetten beobachtet: „Durch diese Online-Wettspiele und diese wirklich sehr schlau gemachten App-Anwendungen gehen viele Personen gar nicht mehr ins klassische Wettbüro, sondern spielen online.“ Weil das schlechter zu erfassen sei, würde es an soliden Daten für risikobehaftetes Spielen und Spielsüchtigen mangeln.

    Marketing auf allen Plattformen – auch für Kinder und Jugendliche

    Ein weiterer Punkt ist das aggressive Marketing der Glücksspiel- und Wettanbieter - am augenfälligsten im Sport. Kaum eine Fußballübertragung kommt ohne die Erwähnung oder Präsenz eines Glücksspielanbieters aus. Sogar für illegale Angebote wird im Netz prominent und flächendeckend geworben. Das zu unterbinden, ist für die Behörden schwierig. Vor allem die Bereitschaft der großen Tech-Giganten wie beispielsweise dem Google-Konzern Alphabet ließe noch zu wünschen übrig, berichtet Ronald Benter von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder. „Da würden wir uns mehr Engagement wünschen.“
    Auch Kinder und Jugendliche werden routinemäßig mit Werbung für Glücksspielprodukte konfrontiert vermerkt der Bericht der Expertenkommission. Darüber hinaus sei Glücksspiel oft in Videospiele eingebettet. „Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für die Verlockungen des leichten Geldes und die spielerische Gestaltung von Onlinespielen“, erläutert Co-Autorin Kristiana Siste von der Universität Indonesia. In der Werbung würde die Industrie Glücksspiel grundsätzlich als harmlose Unterhaltung anpreisen.

    Warum ist Spielsucht unter Sportinteressierten verbreitet?

    In den westlichen Industrieländern sind zwei bis drei Prozent der Bevölkerung von Spielsucht betroffen. Im Sport sind es deutlich mehr, sagt Tobias Hayer, Psychologe und Glücksspielforscher der Universität Bremen. „Wenn ich alle Studien zusammenfasse, dann kann man sehen, dass etwa acht bis zehn Prozent aller Mitglieder von Sportvereinen von glücksspielbezogenen Problemen betroffen sind.“
    Zu den Gründen zählt er die Allgegenwärtigkeit der Werbung für Wettanbieter, vor allem im Fußball. Sportlerinnen und Sportler hätten außerdem eine Affinität zum Wettbewerb und zur Quantifizierung von Leistungen. Die Begeisterung und Kenntnis in der entsprechenden Sportart führten zur Illusion, mit der durchaus vorhandenen Expertise ganz leicht viel Geld machen zu können.
    Auch Langeweile, vor allem bei Profifußballern mit viel Freizeit und nur einem Training pro Tag, kann den Einstieg in die Sucht bedeuten.

    Was fordern die Forscher, um Glücksspielsucht einzudämmen?

    Glücksspiel müsse als Problem der öffentlichen Gesundheit angesehen werden. Das ist die zentrale Botschaft der Forscher und Fazit ihrer Meta-Studie. Co-Autor Malcolm Sparrow von der Harvard Kennedy School in den USA fordert, Glücksspiel ebenso zu behandeln wie andere süchtig machende und ungesunde Waren wie Alkohol und Tabak.
    Da die Glücksspielindustrie innovative digitale Marketingansätze nutze, um ihre Produkte zu fördern und ihre Interessen zu schützen, fordert die Kommission ein effektives und gut ausgestattetes Regulierungssystem sowie internationale Zusammenarbeit und Führung, um die Folgen des kommerziellen Glücksspiels für die öffentliche Gesundheit zu verringern. Dies sei in allen Ländern nötig - unabhängig davon, ob Glücksspiel dort legal ist oder nicht. 
    Konkret sollten Glücksspiele in Zukunft weniger verfügbar sein. Zudem sollten gefährdete Gruppen der Gefahr weniger ausgesetzt sein. Außerdem fordert die Kommission mehr Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten für Süchtige sowie Aufklärungskampagnen zu den Schäden von Glücksspiel.

    jk