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Glücksuche und Selbsterfahrung

Platel begeistert mit großartigem und berührenden Tanztheater, während Richter in "My secret Garden" an der eigenen Person aufzeigt, wie der globale Finanzkapitalismus in unser Leben, unsere Körperwahrnehmung und Gefühlswelt eingreift.

Von Eberhard Spreng |
    Irgendwo hinter dem Regenbogen muss das Glück wohnen, in einem Land, auf das man mit knallbunten Kostümen und opulenten Perücken, mit der Ästhetik des Paradiesvogels nur hinweisen, das man aber doch nie erreichen kann. Und das ist Grund zur Trauer: Eine ungeheure Wehmut liegt über Alain Platels und Frank Van Laeckes Aufführung, in der sich sieben Männer im Alter zwischen 50 und Mitte 60 von unscheinbaren Herren in grauen Anzügen in Greta Garbo, Marlene Dietrich, Liza Minelli und andere Traumfiguren verwandeln; sie sind Drag Queens im fortgeschrittenen Alter. Der Film "Yo soy asi" über die Schließung der "Bodega Bohemia", eines Drag-Queen-Cabarets in Barcelona, hat das belgischen Regie-Duo zu einer Arbeit inspiriert, die auf einem nüchternen leicht ansteigenden Bühnenkarree beginnt, an dessen Rändern ein paar Stühle postiert sind: Spielführerin Vanessa Van Durme, die sich in den 1970er-Jahren zu einer Geschlechtsumwandlung entschlossen hatte, stellt das Ensemble vor, mit etwas derben sexuellen Hinweisen.

    "Elle a un cul comme la Gard du Nord, ouvert 24 heures sur 24. Le monde entier y passe. La voluptueuse Gina del Rio!"

    Langsam legen die Herren ihre Anzüge ab, Damenwäsche und Kleidung wird erkennbar, dann wird ein kleiner Schminktisch hereingebracht und in einer Serie von Gruppenbildern eine langsame Verwandlung vorgeführt: Fragmente des Make-ups, Teile eines Outfits, Bilder von Zwittern zwischen den Geschlechtern. Dann aber beginnt zum Crescendo des Ravelschen Bolero ein berauschendes Defilee der ersten Ergebnisse: Die eben noch grauen Herren in der Welt der großen Posen, des breiten Lachens, der Verve des Showbiz. Es gehört zu den klugen Regieentscheidungen in diesem berührenden Tanztheater, dass mit Griet Debacker eine veritable junge Frau auf der Bühne steht, womit der Blick des Zuschauers auf die Posen des Femininen immer wieder überprüft werden kann. Außerdem tanzt im Kontrast zu den älteren Herren der junge Russe Timur Magomedgadzhiev ein Solo zum Chanson "Comme ils disent" von Charles Aznavour über die Einsamkeit eines Transsexuellen. Und dann zeigt er in einem Duo mit Griet Debacker den Ursprung seines Leidens in Bildern des Liebeskampfes mit einer Frau, Abstoßung und Umarmungskrampf in der Mutterbeziehung. Plötzlich werden die reifen Drag-Queens zu Zuschauern einer Tragödie: Fragen werden auf Französisch gestellt und bleiben im hingeschluchzten Russisch des jungen Akteurs für die meisten Zuschauer ohne Antwort, aber Platels großartiges und berührendes Tanztheater hat mit seinen einfachen Bildern und starken Akteuren jedes Verständnis der Sprache für das Spüren der Gefühle längst überflüssig gemacht.

    Genau umgekehrt ist die Aufgabe für den Zuschauer in Falk Richters "My secret Garden": Hier geht es fernab des großes Gefühls darum, aus den Worten, der Eloquenz des Autors das individuelle Gefühl, sein persönliches Erleben zu rekonstruieren. Klug hat Falk Richter, der Autobiografisches hier in der sogenannten "Auto-Fiktion" nicht als authentische Erinnerung sondern als literarisches Material benutzt, einen Bogen zwischen Selbsterfahrung und Welterfahrung gespannt. Die übergriffige Mutter, der Vater, der als jugendlicher Soldat noch die letzten Kriegstage erlebt hatte, das Leben im Musterhaus in einem Buchholz in der Nordheide, dem man nur entfliehen will, die Vision von einem Frankreich der Freiheit, von all dem berichtet in einem von etwas altbackener Gestik begleiteten Monolog Stanislas Nordey, der sich als Alter Ego und Bruder im Geiste des deutschen Autors und Regisseurs versteht und in den letzten Jahren fleißig Richter-Texte inszeniert hat. Aber dann kommen mit Laurent Sauvage und Anne Tismer zwei weitere Akteure auf die Bühne. Letztere gibt zwei umwerfend komische Möglichkeiten, mit der Wut in den globalisierten Zwangsverhältnissen umzugehen: Als Porno-Anarchistin fantasiert sie davon, wie sie ein Finanzmanager in den Beischlaf-Herzinfarkt treiben will, als verhaltenstherapeutische Trainerin zeigt sie, wie man eine Mauer zwischen sich und seiner Wut errichtet.

    "Quand vous êtes en colère, vous prenez cette colère et vous la regardez tranquillement. Tracer une frontière entre vous et votre colère."

    Längst sind wir wieder in Falk Richters System gelandet, in dem es für Menschen mit traditionellen Gefühlen kaum Überlebenschancen gibt. Wie der globale Finanzkapitalismus in unser Leben, unsere Körperwahrnehmung und Gefühlswelt eingreift, das hat Falk Richter immer schon interessiert. Es an der eigenen Person zu zeigen und die diversen autobiografischen Notizen in einen Theatertext zu verwandeln, davor hat der Autor in Deutschland immer zurückgeschreckt. Seine französische Uraufführung bedient so ein altes Klischee: Das von der Befreiung des deutschen Autors im Land der Revolution.