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Glyphosat in Argentinien
"Heute bin ich ein Skelett"

Fabián Tomasi hat in Argentinien jahrelang ohne Schutzkleidung Sprühflugzeuge mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat befüllt. Heute ist er gesundheitlich schwer angeschlagen, wofür er das Pestizid verantwortlich macht. Auch Pablo Piovano sieht in Glyphosat eine Gefahr. In einem Bildband hat Fotojournalist die Folgen dokumentiert.

Von Anne Herrberg |
    Fabián Tomasi
    "Heute bin ich ein Skelett", sagt Fabián Tomasi. Er hat jahrelang ohne Schutzkleidung Sprühflugzeuge mit dem Totalherbizid Glyphosat befüllt (Kehrer Verlag / Pablo Piovano)
    Fabián Tomasi kennt dieses Geräusch nur zu gut. Es erinnert ihn daran, warum er heute nicht mehr alleine essen, nichts mehr fest greifen, ja oft auch nicht mehr atmen kann. Dieser knatternde Motor der Sprühflugzeuge, die ihre Kreise über die grüne Wüste ziehen. So nennt Tomasi die Sojaplantagen, die sein Heimatdorf Basavilbaso in der argentinischen Provinz Entre Rios einkesseln:
    "Ich war Farmarbeiter, derjenige, der die Flugzeuge mit dem Gift beladen musste. Wir schlossen einen Schlauch an den Tank und füllten ihn mit Gift, ohne irgendeine Schutzkleidung, immer in Eile, es musste ja schnell gehen, um keine Zeit zu verlieren. Heute bin ich ein Skelett, nichts kann ich mehr alleine machen."
    Fabián Tomasi ist Anfang 50, sein Brustkorb eingefallen, Rippen und Knochen ragen hervor, die dünnen Arme hängen kraftlos herab. Dafür verantwortlich macht er Substanzen wie Glyphosat, 2,4-D, Endosulfat, Acetochlor oder Atrazin, hergestellt von Unternehmen wie Monsanto, Bayer oder Dow Chemical, die Unkraut und Schädlinge abtöten und den Ertrag steigern sollen.
    "Sprühflugzeuge, die über Schulen hinwegfliegen"
    Ein Produkt, das hergestellt wurde, um zu töten, kann niemandem gut tun, sagt Pablo Piovano. Der argentinische Fotojournalist ist in den letzten Jahren durch die Anbauregionen seines Heimatlandes gereist, insgesamt 15.000 Kilometer:
    "Ich wollte in meiner Arbeit zeigen, welche Folgen der massive Einsatz von Agrargiften auf die Menschen hat, denn in den Medien wird darüber nicht berichtet. In der Kernzone der Anbaugebiete leben 13.000 Menschen und dort werden 300 Millionen Liter an Chemikalien verspritzt, das ist weltweit die höchste Quote an Pestiziden pro Person."
    Sprühflugzeuge, die über Schulen hinwegfliegen, Arbeiter, die ohne Schutzkleidung durch Plantagen ziehen, Kanister, deren Reste ins Grundwasser sickern. Kindern mit Reptilienhaut, Buckelrücken, Muskelschwund:
    "Oft heißt es ja, bei richtiger Anwendung seien diese Pestizide ungefährlich. Doch in der Realität funktioniert das gar nicht. Nicht in Länder wie Argentinien, wo auf gigantischen Plantagen Monokulturen flächendeckend besprüht werden. Wie sollen mit einem Flugzeug präzise Sicherheitsabstände eingehalten werden? Welcher Unternehmer kümmert die Gesundheit seiner Arbeiter? Nicht die Gesundheit sondern der Profit steht im Mittelpunkt dieses Agrarmodells."
    Genug Hinweise auf Schädlichkeit, aber Beweise?
    Mitte der 90er-Jahre begann in Argentinien der Soja-Boom, gestützt auf genmanipuliertes Saatgut und den dazugehörigen Unkrautvernichter Glyphosat, Markenname Roundup. Das Gutachten zur Zulassung hatte Hersteller Monsanto damals praktisch selbst verfasst – Soja hat Argentinien reicht gemacht, heute füttern die Exporte Mastvieh weltweit. Auf Kosten der Menschen, sagen Kritiker. Damian Verzeñassi ist einer ihrer Wortführer. Der Mediziner von der Universität Rosario leitet eine Forschungsgruppe, die vor zehn Jahren damit begann, einen Krankheitsatlas der Region zu erstellen:
    "Wir konnten zeigen, dass in den Dörfern, die von den Anbauflächen quasi umzingelt sind, die Krankheits- und Sterberaten sehr viel höher sind. Festgestellt haben wir sehr viel mehr Bluthochdruck oder Diabetes, aber auch Fehlfunktionen der Schilddrüse. Wir haben teils die zwei- oder dreimal so hohe Krebsraten wie im Rest des Landes, Fehlgeburten, Atemwegserkrankungen und einen Anstieg an Fettleibigkeit."
    Kind in Argentinien mit mutmaßlicher Glyphosatschädigung
    Ein Produkt, um zu töten, nennt der Fotojournalist Pablo Piovano den Unkrautvernichter Glyphosat und berichtet von Sprühflugzeugen, die über Schulen hinwegfliegen (Kehrer Verlag / Pablo Piovano)
    Immer wieder werden Mediziner wie Verzeñassi gefragt: Gibt es denn Beweise, die den genauen Zusammenhang zwischen den Agrochemikalien, ihren verschiedenen Inhaltsstoffen und den Krankheiten belegen? Das sei die falsche Frage, gibt Verzeñassi zurück, Studien, die darauf hinweisen, gibt es genug. Was es dagegen nicht gibt, ist ein klarer Beweis, dass die Produkte ungefährlich seien.
    "Diese Region ist Teil eines riesigen Feldversuchs"
    Und der Fotojournalist Pablo Piovano sagt: "Diese Region Südamerikas und ihre Bewohner sind Teil eines riesigen Feldversuches geworden. Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Folge all die Agrargifte noch haben, wir wissen ja nicht einmal mehr, was genau in unserem Essen ist. Was wir wissen, dass sich die Chemikalien nicht abbauen, sondern im Körper bleiben, ob du reich oder arm bist und wo du wohnst, das ist dem Gift egal."
    Pablo Piovanos Fotodokumentation ist bis 21. Januar 2018 unter dem Namen "Landwirtschaft der Gifte. Ihr Preis für den Menschen" im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen.