Christoph Heinemann: Der 10. Mai 1933 war lediglich der Höhepunkt. Schon vorher und auch später loderten in Deutschland Bücherberge. Vernichtet wurde, was die Nationalsozialisten als undeutschen Geist bezeichneten: Werke, die heute selbstverständlich zum Kanon der deutschs¬prachigen Literatur und des Geisteslebens gehören, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Alfred Kerr, Emil Ludwig, Stefan Zweig, Magnus Hirschfeld oder Sigmund Freud. Viele mehr könnte man nennen, zum Beispiel Erich Kästner, der Autor von "Emil und die Detektive" befand sich am 10. Mai vor 80 Jahren auf dem Berliner Opernplatz, der heute nach August Bebel benannt ist, und schaute zu, wie auch seine Werke vom nationalsozialistisch studierenden Mob ins Feuer geworfen wurden.
Vielleicht hätten sich Goethe, Schiller und Lessing damals so verhalten wie Oskar Maria Graf, der die Nazis öffentlich aufforderte, seine Werke ebenfalls zu verbrennen, denn er wollte nicht, wie es Kurt Tucholsky formuliert hat, zu den kleinen Provinznutten der Literatur, also zu den systemkonformen Autoren, gezählt werden. 10. Mai 1933, vor dieser Sendung habe ich mit dem Historiker Dr. Werner Treß gesprochen, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, sowie dem Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Er hat über die Bücherverbrennung gearbeitet, und ich habe ihn gefragt, was sich die Nazis von einer so spektakulären Aktion versprachen.
Werner Treß: Also sie wollten natürlich die Machtkonsolidierung nach innen, da waren sie auch bereit, eben schlechte Presse im internationalen Kontext in Kauf zu nehmen, sie wollten die Gleichschaltung des Kulturlebens, sie wollten die verbliebene politische Opposition, die sich vor allem im publizistischen Kontext äußerte – ich erwähne nur die "Weltbühne", die eben zuvor noch von Ossietzky und Tucholsky herausgegeben war, die zu dem Zeitpunkt dann auch nicht mehr schreiben konnten –, also diese verbliebene politische Opposition sollte gebrochen werden und die kulturelle Vielfalt, die sich in den 20er-Jahren entwickelt hatte, all das sollte eben zerstört werden, und man wollte sozusagen diese Blut-und-Boden-Ideologie, der die Nationalsozialisten anhingen, dann überall durchsetzen.
Heinemann: Herr Treß, Sie sagten gerade, die Nazis hätten eine schlechte Presse in Kauf genommen. 1933 bereitete sich Deutschland ja bereits auf die Olympischen Spiele vor, und aus Goebbels‘ Tagebüchern geht hervor, dass er sehr genau auf das Deutschlandbild in der internationalen Presse achtete. Wieso riskierte das Regime, international an den Pranger gestellt zu werden?
Treß: Ja, also es gibt da ja verschiedene Phasen in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Es gibt Phasen, die eben von einer unheimlichen Brutalität und auch durch politischen Terror gekennzeichnet sind, durch rassistische, politische Maßnahmen gegen die jüdischen Mitbürger, und 1936, speziell dieses Jahr war eben eine Phase, in der das Ganze ein wenig abebbte, weil man eben auch vor dem Auge der Weltöffentlichkeit die olympischen Spiele störungsfrei durchführen wollte. Aber speziell in dieser Machtdurchsetzungsphase, wie ich sie auch genannt habe, 1933, wollte man nach außen hin auch diesen revolutionären Pathos des Nationalsozialismus verkörpern, und gaukelte ihm vor, dass es sich sozusagen um eine Art Revolution handelte, obwohl eben die Nationalsozialisten eben auf staatlicher Ebene schon alle Hebel in der Hand hatten. Und Goebbels, im Tagebucheintrag vom 11. Mai 1933 schreibt er zwei lapidare Sätze, dass er eben eine Rede auf dem Opernplatz gehalten habe bei der Bücherverbrennung vor dem Scheiterhaufen, der von Studenten entbrannt worden ist, und dann kommt noch der Satz: 'Ich bin in bester Form'. Und viel mehr hat er dazu nicht geschrieben.
Heinemann: Wobei er das fast jeden Tag schreibt in seinem Tagebuch, dass er in bester Form ist.
Treß: Ja.
Heinemann: Sie sprachen gerade eben vom revolutionären Pathos. Wofür stand das Feuer in der NS-Symbolik?
Treß: Ja, es steht ja traditionell vor allem eben für die Verjüngung, deswegen fanden ja auch viele Bücherverbrennungen ' 33 zum Beispiel im Kontext der sogenannten Sonnenwendfeiern um den 17., 18. Juni herum statt, die allesamt von der Hitlerjugend organisiert waren, und dieses Symbol der Verjüngung wurde eben hauptsächlich der jungen Generation zugeschrieben, weshalb man es auch eben in Gestalt der Studentenschaften und hauptsächlich der HJ-Verbände in dieser jungen Generation überließ, Bücherverbrennungen durchzuführen, wo ja dann wahrscheinlich auch viele Ältere gesagt haben, Na ja, das ist eben nicht die Art, in der wir das jetzt durchführen würden, aber bei der Jungen Generation sollte man dann eben auch entsprechend Nachsicht üben.
Heinemann: Gab es nennenswerten Widerstand?
Treß: Ja, ob der nun nennenswert ist, muss beurteilt werden, aber speziell an der Berliner Universität gab es im Kontext der Vorbereitung zur Bücherverbrennung verschiedene kritische Äußerungen. Das Ganze begann ja vier Wochen vor der Bücherverbrennung mit dem Anschlag der sogenannten zwölf Thesen wider den undeutschen Geist in allen Universitäten. Und in Berlin war es zunächst der Rektor Eduard Kohlrausch, der forderte, dass dieses Plakat, dass die These enthielt, der gefährlichste Widersacher ist der Jude, und wer dem hörig ist. Also das war ihm zu aggressiv, und er wollte, dass dieses Plakat wieder abgenommen wird. Weiterhin war es der Theaterwissenschaftler Max Hermann, jüdischer Herkunft, der auch forderte, dieses Plakat muss abgehängt werden, und solange dieses Plakat hängt, ist er nicht bereit, weiterhin seine Professur auszuüben, was dann dazu führte, dass er entlassen worden ist. Und es gab viele weitere anonyme Zuschriften, die sich sehr kritisch und auch polemisch gegen diese zwölf Thesen und gegen die weiteren Maßnahmen der deutschen Studentenschaft, zum Beispiel das Aufstellen von Schandpfählen auf den Campus der Universität und anderes mehr äußerten.
Heinemann: Auch bei der Einweihung dieser Schandpfähle haben Professoren mitgewirkt. Wieso haben die Eliten dermaßen versagt?
Treß: Es ist vielleicht insgesamt infrage zu stellen, dass sozusagen Bildung Menschen vor Inhumanität und menschenfeindlichen Handlungen schützt oder sie hinreichend reflektiert macht. Es war zumindest so, dass die Professorenschaft und auch das Bürgertum, das gebildete Bürgertum hauptsächlich noch dem wilhelminischen Gedankengut anhing. Man trauerte dem Kaiser hinterher, man hielt die Weimarer Republik nicht für hinreichend stabil, die republikanische und parlamentarische Regierungsform nicht für hinreichend handlungsfähig, weshalb man den Nationalsozialisten auch nicht hinreichend Widerstand entgegensetzte. Gleichwohl war das konservative oder das nationalkonservative Bürgertum nicht unbedingt pronationalsozialistisch. Häufig war das denen auch ein wenig zu vulgär, was die Nationalsozialisten taten. Es gab allerdings auch richtig veritable Nationalsozialisten unter den Professoren – in Berlin beispielsweise war es der Professor für politische Pädagogik und Philosophie, Alfred Baeumler, der ja auch eine Rede bei der Bücherverbrennung hält. In Göttingen war es der Germanist Gerhard Fricke, der eine Feuerrede hielt und dabei sinngemäß sagte, es mag ja sein, dass einige der Bücher, die jetzt verbrannt werden, Geist hatten, und dann hinzufügte: 'Umso schlimmer, wenn sie Geist hatten.' Was eben auch zeigte, dass diese Verbrennungsmaßnahmen, diese Vernichtungsmaßnahmen immer eine rein politische Motivation hatten und nicht darauf Rücksicht nahmen, ob die Literatur jetzt von hoher Qualität war oder eben nicht.
Heinemann: Nach welchen Kriterien haben die Nazis Literatur selektiert?
Treß: Also entlang ihrer politischen Ressentiments, die sie schon in den ganzen Jahren zuvor nach außen skandiert hatten, hauptsächlich rassistischer Antisemitismus, radikaler Antimarxismus, der sich auch gegen die Sozialdemokratie richtete, Antipazifismus – die ganze Literatur, die sich kritisch mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigte, angefangen von Erich Maria Remarque bis hin zu so großartigen Tagebuchromanen wie Adrienne Thomas, "Die Katrin wird Soldat", also eine ganze Fülle an Literatur zum Ersten Weltkrieg –, dann die Literatur zu feministischen Themen, oder die sich sozusagen auch in moderner Weise auch mit der Rolle der Frau beschäftigten, moderne Literatur, die sich sozusagen auch mit dem Thema des Lebens in der Großstadt beschäftigte – am berühmtesten Alfred Döblin, "Berlin Alexanderplatz", das wurde als Asphaltliteratur bezeichnet und verbrannt –, und dann gab es natürlich noch diese Stoßrichtung Republik- und Demokratiefeindlichkeit, da könnte man auch die Sozialdemokratie dazurechnen, aber eben auch den politischen Liberalismus – die Wenigsten wissen, dass auch das Buch des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, "Hitlers Weg", dass er 1931, 32 veröffentlichte, mit auf den Scheiterhaufen landete.
Heinemann: Ein Einpeitscher des 10. Mai war der Leiter des sogenannten "Kampfausschuss wider den undeutschen Geist" an der Universität Kiel, Paul Karl Schmidt, der später dann in der NS-Hierarchie zum Pressechef unter Hitlers Außenminister Ribbentrop aufstieg. Was wurde nach 1945 aus diesem Organisator der Bücherverbrennung?
Treß: Ja, aus Paul Karl Schmidt, auch genannt Paul Carell, wurde ein sehr erfolgreicher Buchautor, der verschiedene Bücher veröffentlichte, die sich – kann man so sagen – verherrlichend auf den Zweiten Weltkrieg an der Ostfront bezogen, und er war bis zum Tod von Axel Springer dessen persönlicher Referent und Sicherheitsberater, einer wahrscheinlich sogar der engsten Vertrauten von Axel Springer. Und an diesem Beispiel Paul Karl Schmidt – er war ja nicht nur Organisator der Bücherverbrennung in Kiel, die er auch viel radikaler durchführte als in anderen Orten, sondern er war eben als Pressechef von Ribbentrop, muss man so sagen, ein veritabler Nazi und auch Kriegsverbrecher, der sich an der Organisation des Holocaust in der Slowakei und auch in Ungarn mitschuldig gemacht hat.
Heinemann: Der Historiker Werner Treß von der Humboldt-Universität Berlin, Herausgeber des Werkes "Verbrannte Bücher 1933 – mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes", 2009 erschienen.
Deutschlandradio Kultur sendet den ganzen Tag über die Porträts im NS verfemter Autoren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Vielleicht hätten sich Goethe, Schiller und Lessing damals so verhalten wie Oskar Maria Graf, der die Nazis öffentlich aufforderte, seine Werke ebenfalls zu verbrennen, denn er wollte nicht, wie es Kurt Tucholsky formuliert hat, zu den kleinen Provinznutten der Literatur, also zu den systemkonformen Autoren, gezählt werden. 10. Mai 1933, vor dieser Sendung habe ich mit dem Historiker Dr. Werner Treß gesprochen, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, sowie dem Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Er hat über die Bücherverbrennung gearbeitet, und ich habe ihn gefragt, was sich die Nazis von einer so spektakulären Aktion versprachen.
Werner Treß: Also sie wollten natürlich die Machtkonsolidierung nach innen, da waren sie auch bereit, eben schlechte Presse im internationalen Kontext in Kauf zu nehmen, sie wollten die Gleichschaltung des Kulturlebens, sie wollten die verbliebene politische Opposition, die sich vor allem im publizistischen Kontext äußerte – ich erwähne nur die "Weltbühne", die eben zuvor noch von Ossietzky und Tucholsky herausgegeben war, die zu dem Zeitpunkt dann auch nicht mehr schreiben konnten –, also diese verbliebene politische Opposition sollte gebrochen werden und die kulturelle Vielfalt, die sich in den 20er-Jahren entwickelt hatte, all das sollte eben zerstört werden, und man wollte sozusagen diese Blut-und-Boden-Ideologie, der die Nationalsozialisten anhingen, dann überall durchsetzen.
Heinemann: Herr Treß, Sie sagten gerade, die Nazis hätten eine schlechte Presse in Kauf genommen. 1933 bereitete sich Deutschland ja bereits auf die Olympischen Spiele vor, und aus Goebbels‘ Tagebüchern geht hervor, dass er sehr genau auf das Deutschlandbild in der internationalen Presse achtete. Wieso riskierte das Regime, international an den Pranger gestellt zu werden?
Treß: Ja, also es gibt da ja verschiedene Phasen in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Es gibt Phasen, die eben von einer unheimlichen Brutalität und auch durch politischen Terror gekennzeichnet sind, durch rassistische, politische Maßnahmen gegen die jüdischen Mitbürger, und 1936, speziell dieses Jahr war eben eine Phase, in der das Ganze ein wenig abebbte, weil man eben auch vor dem Auge der Weltöffentlichkeit die olympischen Spiele störungsfrei durchführen wollte. Aber speziell in dieser Machtdurchsetzungsphase, wie ich sie auch genannt habe, 1933, wollte man nach außen hin auch diesen revolutionären Pathos des Nationalsozialismus verkörpern, und gaukelte ihm vor, dass es sich sozusagen um eine Art Revolution handelte, obwohl eben die Nationalsozialisten eben auf staatlicher Ebene schon alle Hebel in der Hand hatten. Und Goebbels, im Tagebucheintrag vom 11. Mai 1933 schreibt er zwei lapidare Sätze, dass er eben eine Rede auf dem Opernplatz gehalten habe bei der Bücherverbrennung vor dem Scheiterhaufen, der von Studenten entbrannt worden ist, und dann kommt noch der Satz: 'Ich bin in bester Form'. Und viel mehr hat er dazu nicht geschrieben.
Heinemann: Wobei er das fast jeden Tag schreibt in seinem Tagebuch, dass er in bester Form ist.
Treß: Ja.
Heinemann: Sie sprachen gerade eben vom revolutionären Pathos. Wofür stand das Feuer in der NS-Symbolik?
Treß: Ja, es steht ja traditionell vor allem eben für die Verjüngung, deswegen fanden ja auch viele Bücherverbrennungen ' 33 zum Beispiel im Kontext der sogenannten Sonnenwendfeiern um den 17., 18. Juni herum statt, die allesamt von der Hitlerjugend organisiert waren, und dieses Symbol der Verjüngung wurde eben hauptsächlich der jungen Generation zugeschrieben, weshalb man es auch eben in Gestalt der Studentenschaften und hauptsächlich der HJ-Verbände in dieser jungen Generation überließ, Bücherverbrennungen durchzuführen, wo ja dann wahrscheinlich auch viele Ältere gesagt haben, Na ja, das ist eben nicht die Art, in der wir das jetzt durchführen würden, aber bei der Jungen Generation sollte man dann eben auch entsprechend Nachsicht üben.
Heinemann: Gab es nennenswerten Widerstand?
Treß: Ja, ob der nun nennenswert ist, muss beurteilt werden, aber speziell an der Berliner Universität gab es im Kontext der Vorbereitung zur Bücherverbrennung verschiedene kritische Äußerungen. Das Ganze begann ja vier Wochen vor der Bücherverbrennung mit dem Anschlag der sogenannten zwölf Thesen wider den undeutschen Geist in allen Universitäten. Und in Berlin war es zunächst der Rektor Eduard Kohlrausch, der forderte, dass dieses Plakat, dass die These enthielt, der gefährlichste Widersacher ist der Jude, und wer dem hörig ist. Also das war ihm zu aggressiv, und er wollte, dass dieses Plakat wieder abgenommen wird. Weiterhin war es der Theaterwissenschaftler Max Hermann, jüdischer Herkunft, der auch forderte, dieses Plakat muss abgehängt werden, und solange dieses Plakat hängt, ist er nicht bereit, weiterhin seine Professur auszuüben, was dann dazu führte, dass er entlassen worden ist. Und es gab viele weitere anonyme Zuschriften, die sich sehr kritisch und auch polemisch gegen diese zwölf Thesen und gegen die weiteren Maßnahmen der deutschen Studentenschaft, zum Beispiel das Aufstellen von Schandpfählen auf den Campus der Universität und anderes mehr äußerten.
Heinemann: Auch bei der Einweihung dieser Schandpfähle haben Professoren mitgewirkt. Wieso haben die Eliten dermaßen versagt?
Treß: Es ist vielleicht insgesamt infrage zu stellen, dass sozusagen Bildung Menschen vor Inhumanität und menschenfeindlichen Handlungen schützt oder sie hinreichend reflektiert macht. Es war zumindest so, dass die Professorenschaft und auch das Bürgertum, das gebildete Bürgertum hauptsächlich noch dem wilhelminischen Gedankengut anhing. Man trauerte dem Kaiser hinterher, man hielt die Weimarer Republik nicht für hinreichend stabil, die republikanische und parlamentarische Regierungsform nicht für hinreichend handlungsfähig, weshalb man den Nationalsozialisten auch nicht hinreichend Widerstand entgegensetzte. Gleichwohl war das konservative oder das nationalkonservative Bürgertum nicht unbedingt pronationalsozialistisch. Häufig war das denen auch ein wenig zu vulgär, was die Nationalsozialisten taten. Es gab allerdings auch richtig veritable Nationalsozialisten unter den Professoren – in Berlin beispielsweise war es der Professor für politische Pädagogik und Philosophie, Alfred Baeumler, der ja auch eine Rede bei der Bücherverbrennung hält. In Göttingen war es der Germanist Gerhard Fricke, der eine Feuerrede hielt und dabei sinngemäß sagte, es mag ja sein, dass einige der Bücher, die jetzt verbrannt werden, Geist hatten, und dann hinzufügte: 'Umso schlimmer, wenn sie Geist hatten.' Was eben auch zeigte, dass diese Verbrennungsmaßnahmen, diese Vernichtungsmaßnahmen immer eine rein politische Motivation hatten und nicht darauf Rücksicht nahmen, ob die Literatur jetzt von hoher Qualität war oder eben nicht.
Heinemann: Nach welchen Kriterien haben die Nazis Literatur selektiert?
Treß: Also entlang ihrer politischen Ressentiments, die sie schon in den ganzen Jahren zuvor nach außen skandiert hatten, hauptsächlich rassistischer Antisemitismus, radikaler Antimarxismus, der sich auch gegen die Sozialdemokratie richtete, Antipazifismus – die ganze Literatur, die sich kritisch mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigte, angefangen von Erich Maria Remarque bis hin zu so großartigen Tagebuchromanen wie Adrienne Thomas, "Die Katrin wird Soldat", also eine ganze Fülle an Literatur zum Ersten Weltkrieg –, dann die Literatur zu feministischen Themen, oder die sich sozusagen auch in moderner Weise auch mit der Rolle der Frau beschäftigten, moderne Literatur, die sich sozusagen auch mit dem Thema des Lebens in der Großstadt beschäftigte – am berühmtesten Alfred Döblin, "Berlin Alexanderplatz", das wurde als Asphaltliteratur bezeichnet und verbrannt –, und dann gab es natürlich noch diese Stoßrichtung Republik- und Demokratiefeindlichkeit, da könnte man auch die Sozialdemokratie dazurechnen, aber eben auch den politischen Liberalismus – die Wenigsten wissen, dass auch das Buch des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, "Hitlers Weg", dass er 1931, 32 veröffentlichte, mit auf den Scheiterhaufen landete.
Heinemann: Ein Einpeitscher des 10. Mai war der Leiter des sogenannten "Kampfausschuss wider den undeutschen Geist" an der Universität Kiel, Paul Karl Schmidt, der später dann in der NS-Hierarchie zum Pressechef unter Hitlers Außenminister Ribbentrop aufstieg. Was wurde nach 1945 aus diesem Organisator der Bücherverbrennung?
Treß: Ja, aus Paul Karl Schmidt, auch genannt Paul Carell, wurde ein sehr erfolgreicher Buchautor, der verschiedene Bücher veröffentlichte, die sich – kann man so sagen – verherrlichend auf den Zweiten Weltkrieg an der Ostfront bezogen, und er war bis zum Tod von Axel Springer dessen persönlicher Referent und Sicherheitsberater, einer wahrscheinlich sogar der engsten Vertrauten von Axel Springer. Und an diesem Beispiel Paul Karl Schmidt – er war ja nicht nur Organisator der Bücherverbrennung in Kiel, die er auch viel radikaler durchführte als in anderen Orten, sondern er war eben als Pressechef von Ribbentrop, muss man so sagen, ein veritabler Nazi und auch Kriegsverbrecher, der sich an der Organisation des Holocaust in der Slowakei und auch in Ungarn mitschuldig gemacht hat.
Heinemann: Der Historiker Werner Treß von der Humboldt-Universität Berlin, Herausgeber des Werkes "Verbrannte Bücher 1933 – mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes", 2009 erschienen.
Deutschlandradio Kultur sendet den ganzen Tag über die Porträts im NS verfemter Autoren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.