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Goethe-Medaille
Vielfalt kultureller Möglichkeiten, Vielfalt von Sprachen

In Weimar ist die Goethe-Medaille verliehen worden. Das diesjährige Thema lautet "Migration der Kulturen - Kulturen der Migration". Einer der Preisträger stellt fest: "Migration ist so alt wie die menschliche Geschichte."

Von Henry Bernhard |
    Eine Goethe-Medaille liegt auf einem Tisch
    Die Goethe-Medaille (dpa-Zentralbild)
    "Ich habe vorhin erfahren, dass dieser Raum von Goethe selbst eingeweiht wurde. Und das gibt einem natürlich ein bisschen Gänsehaut über den Rücken", sagt Christina von Braun. Sie zeigte im Saal der Weimarer Musikschule die typische Ehrfurcht der Nicht-Einheimischen in Sachen Goethe. Alteingesessene Weimarer aber wissen: In so einer kleinen Stadt wie Weimar hat Goethe in seinen 56 Jahren Aufenthalt so ziemlich alles einmal berührt, besprochen, eingeweiht.
    Dem Weimarer gebricht es folglich an Ehrfurcht, mitunter aber auch an Weltoffenheit. Vielleicht war es deshalb ein listiger Plan des Goethe-Instituts, die Goethe-Medaille seit 1992 in Weimar zu verleihen. Schließlich werden mit ihr Menschen geehrt, die von weit her kommen und etwas erlebt haben.
    Preisträger stehen für das Thema der Verleihung
    "Diese drei Preisträger sind geradezu paradigmatisch für das Thema unserer diesjährigen Preisverleihung 'Migration der Kulturen - Kulturen der Migration'. Und jeder repräsentiert in seinem Werk die Vielfalt von kulturellen Möglichkeiten, aber auch die Vielfalt von Sprachen", sagt von Braun.
    Der Fotograf Akinbode Akinbiyi, in England und Nigeria aufgewachsen und in Berlin lebend; der ukrainische Intellektuelle, Autor und Übersetzer Juri Andruchowytsch und der Archäologe und Direktor des Georgischen Nationalmuseums David Lordkipanidze sind die diesjährigen Preisträger. Ihr hervorragendes Deutsch verhinderte allerdings nicht die Missverständnisse auf dem Podium, die sich gerade beim Thema Sprache auftaten.
    Ukraine praktisch zweisprachig
    Von Braun: "Die Ukraine hat eine Vielfalt von Kulturen, eine Vielfalt von Sprachen. Ist das jetzt ein Vorteil für die Ukraine, oder ist das ein Problem?"
    Juri Andruchowytsch: "Die Mehrsprachigkeit oder Vielsprachigkeit der Ukraine nach zwei Weltkriegen, nach diesem ganzen 20. Jahrhundert haben wir eigentlich was anderes. Wir haben ein definitiv zweisprachiges Land: Ukrainisch und Russisch." Außerdem gäbe es noch kleine Enklaven, in denen Ungarisch, Rumänisch, Bulgarisch oder Griechisch gesprochen wird, meinte Juri Andruchowytsch. "Also in diesem Sinne gibt es quasi diese Vielfalt; aber sie können das nicht hören. Sie spüren das nicht. Sie müssen irgendwie ein Museum besuchen oder einen Friedhof, und dann sehen sie auf dem Grabstein die Buchstaben aus anderer Kultur. Aber so im Alltag funktioniert das eigentlich nicht. Da gibt es nur zwei Sprachen.
    200 Sprachen in Nigeria
    Ganz anders in Nigeria: Der Fotograf Akinbode Akinbiyi berichtete von den etwa 200 Sprachen, die allein in seiner Heimat gesprochen werden, von dem stetigen Versuch, sich zu verstehen und zu verständigen. Dennoch sieht er in der Vielfalt der Sprachen nicht die Quelle des Missverständnisses, sondern eher in der mangelnden Zeit, sich mit einem Text, einem Bild auseinanderzusetzen.
    Akinbode Akinbiyi: "Das Leben ist eigentlich eine Erzählung oder eine Geschichte. Um an diese Geschichte näher ranzukommen gibt es unterschiedliche Ausdrucksweisen. Und es obliegt dann jedem Individuum, rauszufinden, welche Ausdrucksweise er am besten findet. Ob man das dann meinetwegen über Migration darüber schreibt oder Bilder zeigt oder ein Musikstück macht oder eine Performance, eine Installation."
    Migration schon vor Millionen Jahren
    David Lordkipanidze wurde weltweit durch die Funde 1,8 Millionen Jahre alter Skelettreste früher Hominiden in Georgien bekannt - diese Entdeckung revolutionierte das bisherige Wissen über die frühe menschliche Entwicklung und Expansion. Er sagt: "Migration ist so alt wie die menschliche Geschichte. Und was haben wir gefunden? Das ist der erste Mensch in Eurasien aus Afrika. Ich denke, das war immer die Frage: Warum passiert das? Und ich denke, es ist auch menschliche Kuriosität. Und das ist auch Progress!"
    Die Diskussion der drei Goethe-Medaillen-Träger mäanderte unter dem Übertitel "Migration der Kulturen - Kulturen der Migration" etwas ziellos durch den von Goethe geweihten Saal, bis sich sowohl David Lordkipanidze als auch Juri Andruchowytsch zu wirklich politischen Aussagen aufschwangen.
    David Lordkipanidze: "Ich habe vielmals die Frage, warum Georgien nach Europa will. Aber Georgien war schon da, seit dem Hellenismus! Wir waren schon ein europäisches Land." Juri Andruchowytsch: "Also ich habe so einen Eindruck, dass die EU heute schon ein einigermaßen geschlossenes Projekt ist." Gerade deswegen käme es nun darauf an, dass die EU die Visafreiheit für die Ukraine nicht immer weiter herauszögere. Juri Andruchowytsch: "Das kann auch absolut andere Qualität des europäischen Daseins bedeuten."