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Goethe, Shakespeare, Schulze

Goethes "Wilhelm Meister" mit der Band Kante, Shakespeares "Romeo und Julia" als Martial-Arts-Produktion und Ingo Schulzes Roman "Adam und Evelyn" als Vertreibung aus dem Paradies - in Dresden gelingt einer neuen Generation der Spielzeitauftakt.

Von Hartmut Krug |
    Die neue Zeit am Staatsschauspiel Dresden begann mit einer Reverenz gegenüber der alten: Martin Heckmanns schrieb nach Gesprächen mit drei Schauspielerinnen, die seit fast 40 Jahren an diesem Hause engagiert sind, den Theaterprolog "Zukunft für immer." Der intelligente und pointierte Text, der das Schauspielerdasein in sich wandelnden Zeiten reflektiert, wurde, von Simone Blattner inszeniert, von den Schauspielerinnen Hannelore Koch, Regina Jeske und Ursula Werner mit Spielwitz und souveräner Zurückhaltung, im Rücken den Bühnenvorhang, direkt vor dem Publikum gespielt.

    Die drei Premieren an den folgenden Tagen gaben dann die Bühne frei für ein unterhaltsames Theater einer jungen, neuen Generation, die Prospekte wohl, aber nicht Video und nicht Maschinen, vor allem aber nicht Effekte aus der modernen Pop- und Medienwelt schonte.

    Mit dem Versuch, Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" auf die Bühne zu bringen, zielte man einerseits auf das ältere, kulturbewusste Dresdner Publikum. Diesen Text zu spielen, in dem Goethe darzulegen sucht, erst die Kunst entwickle den Menschen zum wahren Menschen, war eine thematisch wie programmatisch selbstbewusste Setzung. Regisseurin Friederike Heller aber schüttete über den Roman, wohl um ein junges Publikum anzuziehen, eine bunte Fülle von Regietheatereinfällen aus. Es gibt Puppen-, Masken- und Menschentheater, es wird flott gefochten und am Seil geschwebt, die Drehbühne und die Videoabteilungen zeigen, was sie können, eine mächtige Gestänge-Treppe dreht sich, und die Pop-Band Kante wandert mit ihrem schwiemeligen Sound über die Bühne. Unter all dem fantasievoll unterhaltsamen Spektakel verliert sich aber der philosophische Kern von Goethes Roman.

    Dann "Romeo und Julia", auch das ein Angebot für alle Generationen, vom Schüler bis zum Bildungsbürger. Hier trennen Bauzäune die verfeindeten Familien. Man rappt gegen den Zaun, klettert über ihn oder räumt ihn einfach beiseite. Geboten wird eine Kampfchoreografie mit enormem Wutpotenzial. Mit Degen, Stöcken, Karate oder Kickboxen fällt man übereinander her, und Shakespeares Stück wird zur wilden Fightnight. Nur Romeo und Julia sind anders, sie lesen. Die Bücher holen sie sich, jeder für sich, heimlich aus Pater Lorenzos abgeranzter, mit Blumenkästen geschmückter Arche, deren Fernsehantenne bei der Hochzeit von Romeo und Julia als Kreuz herhalten muss.

    Regisseur Simon Solberg hat Shakespeares zeitlose Geschichte radikal in unsere Zeit geholt. Viel cooler Alltagston bedrängt den Text von Shakespeare. Man versteckt sich hinter Kopien und Zitaten von Medien- und Popfiguren, spielt Heath Ledger als Joker und Mickey Rourke als Boxer, und beim Fest der Capulets werden Politikermasken getragen. Es geht um Geld und Macht. Der Chef der Capulets ist ein Geschäftemacher, der mit mehreren Handys hantiert und mit dem "Sexbomb"-Song von Tom Jones posiert, und der mit dem Montague konkurriert, indem er mit seinem Besitz protzt: er stellt eine Kirche gegen den Fernsehturm des anderen und einen riesigen Geländewagen gegen einen Panzer, - zum Schluss hängt der Himmel voller Raketen. Über allem dröhnt der Überwachungshubschrauber des Herzogs: es ist der Hubschrauber, nicht die Lerche, der das Paar weckt. Die tolle körpersprachliche Energie des Anfangs geht dem Abend allerdings verloren, weil die Figuren allzu äußerlich betrachtet werden. Wenn Shakespeares Texte mit innerer Leidenschaft gegeben werden sollen, verunglückt der Abend. Trotzdem: eine "Romeo und Julia"-Inszenierung mit so viel Energie und Spielwitz war lange nicht zu sehen.

    Im kleinen Haus komplettierte eine Uraufführung nach Ingo Schulzes Roman "Adam und Evelyn" den Premierenreigen. Es geht um ein Paar, das sich fast verliert in Vorwendetagen. Für den Maßschneider Adam war es wie im Paradies in der DDR: er lebte mit Evelyn und hatte Liebschaften mit seinen Kundinnen. Doch als Evelyn die Seitensprünge entdeckt, flieht sie mit dem Visum für den gemeinsamen Urlaub mit einer Freundin und deren Westcousin nach Ungarn an den Balaton, - und Adam fährt er ihr hinterher. Es ist der Sommer des Jahres 1989, die Grenze zwischen Ungarn und Österreich wird durchlässig. Die Dresdner Bühnenfassung von Ingo Schulzes Roman zeigt die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies als eine Geschichte vom Erwachsen werden. Die Szene ist ein hell ausgeschlagener Spielraum, der Urlaubsstrand, vor allem aber ein Denk- und Erinnerungsraum ist, - Realismus gibt es nicht. Die dreißigjährige Regisseurin Julia Hölscher inszeniert und choreografiert diese Geschichte vom Erwachsen werden als einen spielerischen Tanz der Körperlichkeiten und übersetzt Schulzes schlichte Parabel in eine wunderbar sinnliche Mehrdeutigkeit. Anfangs liegen die Menschen, kaum bekleidet, in Badesachen wie in Fötushaltung herum. Mit ihrer Kleidung entwerfen sie Bilder von den Menschen, die sie sein wollen. Man zieht sich an oder streift dem anderen seine eigenen Kleider über. Die Szenen fließen ineinander über und die Erinnerungen springen hin und her.

    Dann wird die Grenze offen, und während Adam das gewohnte Leben im Osten behalten will, möchte Evelyn ein neuer Mensch im Westen werden. Doch dort erleben sie kabarettistisch ausgestelle Freundlichkeit voll verstecktem Egoismus, und schwarz- oder weiß beflügelte Engel konfrontieren sie mit unterschiedlichen Verhaltensweisen. Wenn Evelyn schwanger ist, entscheiden Adam und Evelyn sich wieder füreinander. Nun sind sie wieder in ihrem Paradies, endgültig, und die Engel verschließen die Tür zur offenen Entwicklung.

    Dem neuen Intendanten Wilfried Schulz ist in Dresden ein wirklich starker Auftakt gelungen.