Ein kräftiger Wind aus Süd-West peitscht die Wellen rau über den Indischen Ozean. Schäumend klatschen sie auf den feinen, weißen Sand vom Sanur-Beach. Hier, wo sich um diese Nachmittagszeit sonst scharenweise Touristen tummeln, sind die hellen Sonnenliegen menschenleer, die Restaurantbesitzer haben die Stühle hastig hinein geräumt. Gerade macht einer der letzten Bootsverleiher sein Dingi mit einem straffen Knoten am Ufer fest.
Es liegt etwas in der Luft. Die Sonne ist längst verschwunden. Und auch im Landesinneren hängen bedrohlich dunkle Wolken weithin sichtbar zwischen den massiven Vulkanen der Tropeninsel. Doch unbeeindruckt von dem herannahenden Unwetter flitzen Balinesen scharenweise am Strand auf und ab, ihre Augen fest gen Himmel gerichtet: Sie lachen, winken, rufen sich etwas zu, doch der Wind fegt ihre Worte einfach davon.
Ich stehe etwas abseits, geschützt unter den kräftigen Blättern einer großen Palme, lehne an deren massigen Stamm. Neben mir steht Wisnu Wardana. Die aufgeweckten dunklen Augen des Mitte-50- jährigen Balinesen funkeln. "Ihr müsst ihm viel mehr Leine geben", ruft Wisnu seinen Freunden ans Ufer zu. Doch die können ihn nicht hören. Weit über unseren Köpfen tanzen dreißig, vielleicht vierzig riesige Drachen. Größer als ich sie je zuvor gesehen habe. Manche von ihnen sind fast 100 Meter aufgestiegen. Und weil sie jetzt kaum mehr zu bändigen sind, hängen sich gleich mehrere Leute in die Leinen, ziehen und zerren, während die anderen mit ihren Armen Anweisungen und Steuerbefehle geben.
Vor dem satten fast schon schwarzen Himmel wirken die riesigen balinesischen Eigenkonstruktionen mit ihren leuchtenden Farben gerade so, als wollten sie mit dem drohenden Unwetter ringen, es aufhalten, gar vertreiben. Doch es geht hier um sehr viel mehr: Drachenfliegen ist auf Bali eine Lebensphilosophie, eine Weltanschauung, das Lebenselixier des vom Hinduismus geprägten Inselvolkes.
"Für uns Balinesen sind die Drachen kein Spielzeug, erklärt mir Wisnu. Für uns sind sie vielmehr Stellvertreter der Götter, Glücksbringer. Manche glauben, dass die Geräusche der Drachen wie Orchester von Engeln klingen. Und damit laden wir die Götter ein, uns zu sehen, zu uns zu kommen und uns zu segnen."
Es geht dabei um den ständigen Kampf zwischen Gut und Böse: Und der ist nirgendwo lebendiger als auf der indonesischen Tropeninsel Bali. Täglich bringen ihre Einwohner duftende Opfergaben und richten farbenfrohe Zeremonien aus. Nur so sind die beiden Mächte im Gleichgewicht zu halten.
Davon sind die Balinesen fest überzeugt.
Unter einem wackligen, breiten Bretterdach etwas abseits des Strandes, geschützt zwischen meterhohen Kokospalmen, herrscht eifriges Treiben: In einer improvisierten Drachenbau-Werkstatt haben sich zwanzig Männer versammelt. Sie kauern auf dem hellen Steinboden, vor ihnen ein etwa vier Meter langes und mehr als zwei Meter breites Gestell aus Bambusrohren. Während die Älteren reden und der eine den anderen scheinbar von etwas zu überzeugen versucht, schrauben und bohren, hämmern und knoten die Jungen.
Hier bin ich mit einem der Drachenflugpioniere Balis verabredet, dem heute über 70-jährigen Ida Bagus Rai. Der alte Mann trägt einen farbigen Sarong, einen für Bali typischen Wickelrock, dazu einen Destar, ein über der Stirn zusammengeknotetes handbreites Band, dessen beide kurze Enden nach oben zeigen. "Eine Art Antenne zu den Göttern", lacht mir Ida Bagus Rai zu und erzählt mir von einer viele Hundert Jahre alten Geschichte, aus einer Zeit, als es auf Bali noch einen König gab:
"Damals, so berichtet er, soll es einen Jungen namens Lubang Puri gegeben habe. Der sei bekannt dafür gewesen, dass er Zeichnungen von wunderschönen Frauen in den Sand vom Sanur-Beach gemalt habe. Eines Tages sei der König mit seiner Gefolgschaft vorbeigezogen und hätte sich in eine der Sandfrauen verliebt. Deshalb wies er Lubang Puri an, sie lebendig werden zu lassen. Und weil der nicht wusste, wie er das anstellen sollte, saß er tagelang verzweifelt am Ufer vor seinen Zeichnungen. Plötzlich sei dann ein starker Wind aufgezogen, die Sandfrau habe die Hand des Jungen genommen und beide hätten sich in den Himmel erhoben."
Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum die Konstruktion und das Fliegen der Drachen auf Bali bis heute fast ausschließlich Männersache ist: Der Mythos von der lebendig gewordenen Sandfrau hat eben nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Inzwischen nimmt die riesige Holzkonstruktion zu unseren Füßen immer mehr die Form eines Drachens an. Die Männer haben ihr einen großen, selbst geschnitzten Kopf aufgesetzt. Der Anblick erinnert an die Feuer speienden Ungeheuer aus Märchenbüchern, die laut brüllend ihr Maul aufreißen. Zwischen den kräftigen, spitzen Zähnen schnallt eine lange rote Zunge hervor, die tennisball- großen Augen wirken bedrohlich und Furcht einflößend. Ida Bagus Rai erklärt:
"Neben der typischen Drachenform (Janggan) gibt es auf Bali zwei weitere traditionelle Formen: den Fisch-Drachen (Bebean) und den Neumond-Drachen (Pecukan). Der ähnelt einem großen Palmenblatt. Dabei spielen die Farben eine wichtige Rolle, denn jede steht für eine der drei Hindu-Gottheiten: Rot für Brahma, Schwarz für Wisnu und Weiß für Schiva."
Obwohl auf Bali auch Drachen fix-und-fertig gebaut zu haben sind, kaum ein Inselbewohner würde je auf die Idee kommen, seinen Drachen im Laden zu kaufen, sagt Ida Bagus Rai. Die seien nur für Touristen bestimmt. Balinesen lieben es mit Freunden, der Familie, mit dem ganzen Dorf die Konstruktionspläne zu schmieden, bis hin zum Bemalen alles selbst zu übernehmen. Und so werden die Flugriesen auf der Insel bis heute noch aus selbst geschlagenem Bambusholz und Bananenblättern gebaut. "Ich erinnere mich noch, als ich Kind war", erzählt Ida Bagus Rai:
"Damals vor 60 Jahren haben wir die Halme verbaut, die nach der Reisernte übrig gebliebenen sind, haben daraus das Grundgerüst gemacht. Die Leine wurde aus Palmblättern gefertigt. Die Blätter haben wir dazu geteilt, in kleine Stücke zerlegt und miteinander verdreht. Das hielt sehr gut. Aber die ersten Drachen konnten bei Weitem nicht so weit aufsteigen wie heute, damals nur etwa 20 Meter, heute bis über 100 Meter."
Drachenfliegen hat auf der indonesischen Insel Bali eine lange Tradition. Forscher wollen sogar herausgefunden haben, dass sie mindestens genauso alt ist wie die in China, dem Land, dem bis heute die Erfindung der Drachen zugeschrieben wird. Auf Bali glauben die Menschen, dass ihre Drachen nur dann die schönsten Tänze im Winde aufführen, wenn Götter, Menschen und Natur in Harmonie und Ausgewogenheit miteinander vereint sind. Genau diese Balance ist es, die ihnen als Quelle eines glücklichen Lebens gilt. Jedes Jahr richten sie hier am Sanur Beach ein internationales Festival aus, zu dem Teams aus der ganzen Welt anreisen, um sich in der Kunst des Drachenfliegens zu messen, um Erfahrungen auszutauschen, um voneinander neue Tricks und Kniffe zu lernen.
Inzwischen ist auch Wisnu Wardana in die Drachenwerkstatt nachgekommen. Mit großen Augen bestaunt er die Holzkonstruktion am Boden, die inzwischen mit einem riesigen Tuch bespannt wurde. Auf den Außenseiten sind mächtige und starke Krallen aufgemalt. Weit ragen sie nach unten und erinnern an einen großen Greifvogel, der ansetzt, um sich majestätisch auf seine gehetzte Beute zu stürzen. Mit geübtem Griff prüft Wisnu hier und da die Verarbeitung und Festigkeit und nickt zustimmend. Dann heben 40 Arme den Flugriesen mit seiner Länge von vier Metern vom Boden. Drachenfliegen auf Bali ist eben absolute Teamarbeit, ruft mir Wisnu zu, während er peinlich genau darauf achtet, dass niemand mit den zwei Meter breiten Schwingen irgendwo anstößt.
"In Europa zum Beispiel fliegt ein Drachenflieger zur selben Zeit oft mehrere Drachen. Ganz anders hier auf Bali. Hier fliegen bis zu 25 Leute zur selben Zeit einen Drachen. Das heißt, in westlichen Ländern ist das Drachenfliegen eher eine private, individuelle Sache. Hier auf Bali geht das nur gemeinsam mit vielen anderen. Wir brauchen einfach viel mehr Leute, um unsere Drachen fliegen zu lassen. Oft ist das gesamte Dorf dabei. Dieser Unterschied hat mich in Übersee ganz schön erstaunt."
Begleitet von neugierigen Kinderaugen und einigen Passanten erreicht unsere Drachen-Crew das Ufer vom Sanur Beach. Die dicken Wolken sind abgezogen, schon wieder schaut die Sonne etwas heraus. Zwei junge Männer spulen eine Leine, so dick wie ein Gartenschlauch, mit einer Kurbel von einer kleinen, hölzernen Aufhängung. Dann befestigen sie die Leine etwas unterhalb des mächtigen Drachenkopfes. Zwei andere knoten dem Flugriesen eine 1 Meter breite Stoffbahn ans Hinterteil, die noch zusammengeschlagen dahinter im Sand liegt.
Dann das Startsignal: Unter dem Getöse der ganzen Crew flitzen die Seilmänner nach vorn, gerade so als wollten sie einem Ungeheuer entkommen. 5 Meter, 10 Meter: Dann erhebt sich ihr Drachen, etwas raubeinig und murrend noch, zum ersten Mal in den Himmel. Ein großer Schatten fällt über unsere Köpfe und die breite Stoffbahn, der riesige Schwanz, entrollt seine ganze Länge von 100 Metern und saust flatternd hinterher. Während der Drachen Meter um Meter an Höhe gewinnt, stimmt Flugpionier Ida Bagus Rai eines der traditionellen Lieder Balis an: Es soll den Männern am Boden Kraft geben und Glück bringen, Glück, um den Einklang mit der Natur und dem Willen der Götter zu finden. Denn auch auf Bali gilt: wie im Himmel so auf Erden.
Es liegt etwas in der Luft. Die Sonne ist längst verschwunden. Und auch im Landesinneren hängen bedrohlich dunkle Wolken weithin sichtbar zwischen den massiven Vulkanen der Tropeninsel. Doch unbeeindruckt von dem herannahenden Unwetter flitzen Balinesen scharenweise am Strand auf und ab, ihre Augen fest gen Himmel gerichtet: Sie lachen, winken, rufen sich etwas zu, doch der Wind fegt ihre Worte einfach davon.
Ich stehe etwas abseits, geschützt unter den kräftigen Blättern einer großen Palme, lehne an deren massigen Stamm. Neben mir steht Wisnu Wardana. Die aufgeweckten dunklen Augen des Mitte-50- jährigen Balinesen funkeln. "Ihr müsst ihm viel mehr Leine geben", ruft Wisnu seinen Freunden ans Ufer zu. Doch die können ihn nicht hören. Weit über unseren Köpfen tanzen dreißig, vielleicht vierzig riesige Drachen. Größer als ich sie je zuvor gesehen habe. Manche von ihnen sind fast 100 Meter aufgestiegen. Und weil sie jetzt kaum mehr zu bändigen sind, hängen sich gleich mehrere Leute in die Leinen, ziehen und zerren, während die anderen mit ihren Armen Anweisungen und Steuerbefehle geben.
Vor dem satten fast schon schwarzen Himmel wirken die riesigen balinesischen Eigenkonstruktionen mit ihren leuchtenden Farben gerade so, als wollten sie mit dem drohenden Unwetter ringen, es aufhalten, gar vertreiben. Doch es geht hier um sehr viel mehr: Drachenfliegen ist auf Bali eine Lebensphilosophie, eine Weltanschauung, das Lebenselixier des vom Hinduismus geprägten Inselvolkes.
"Für uns Balinesen sind die Drachen kein Spielzeug, erklärt mir Wisnu. Für uns sind sie vielmehr Stellvertreter der Götter, Glücksbringer. Manche glauben, dass die Geräusche der Drachen wie Orchester von Engeln klingen. Und damit laden wir die Götter ein, uns zu sehen, zu uns zu kommen und uns zu segnen."
Es geht dabei um den ständigen Kampf zwischen Gut und Böse: Und der ist nirgendwo lebendiger als auf der indonesischen Tropeninsel Bali. Täglich bringen ihre Einwohner duftende Opfergaben und richten farbenfrohe Zeremonien aus. Nur so sind die beiden Mächte im Gleichgewicht zu halten.
Davon sind die Balinesen fest überzeugt.
Unter einem wackligen, breiten Bretterdach etwas abseits des Strandes, geschützt zwischen meterhohen Kokospalmen, herrscht eifriges Treiben: In einer improvisierten Drachenbau-Werkstatt haben sich zwanzig Männer versammelt. Sie kauern auf dem hellen Steinboden, vor ihnen ein etwa vier Meter langes und mehr als zwei Meter breites Gestell aus Bambusrohren. Während die Älteren reden und der eine den anderen scheinbar von etwas zu überzeugen versucht, schrauben und bohren, hämmern und knoten die Jungen.
Hier bin ich mit einem der Drachenflugpioniere Balis verabredet, dem heute über 70-jährigen Ida Bagus Rai. Der alte Mann trägt einen farbigen Sarong, einen für Bali typischen Wickelrock, dazu einen Destar, ein über der Stirn zusammengeknotetes handbreites Band, dessen beide kurze Enden nach oben zeigen. "Eine Art Antenne zu den Göttern", lacht mir Ida Bagus Rai zu und erzählt mir von einer viele Hundert Jahre alten Geschichte, aus einer Zeit, als es auf Bali noch einen König gab:
"Damals, so berichtet er, soll es einen Jungen namens Lubang Puri gegeben habe. Der sei bekannt dafür gewesen, dass er Zeichnungen von wunderschönen Frauen in den Sand vom Sanur-Beach gemalt habe. Eines Tages sei der König mit seiner Gefolgschaft vorbeigezogen und hätte sich in eine der Sandfrauen verliebt. Deshalb wies er Lubang Puri an, sie lebendig werden zu lassen. Und weil der nicht wusste, wie er das anstellen sollte, saß er tagelang verzweifelt am Ufer vor seinen Zeichnungen. Plötzlich sei dann ein starker Wind aufgezogen, die Sandfrau habe die Hand des Jungen genommen und beide hätten sich in den Himmel erhoben."
Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum die Konstruktion und das Fliegen der Drachen auf Bali bis heute fast ausschließlich Männersache ist: Der Mythos von der lebendig gewordenen Sandfrau hat eben nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Inzwischen nimmt die riesige Holzkonstruktion zu unseren Füßen immer mehr die Form eines Drachens an. Die Männer haben ihr einen großen, selbst geschnitzten Kopf aufgesetzt. Der Anblick erinnert an die Feuer speienden Ungeheuer aus Märchenbüchern, die laut brüllend ihr Maul aufreißen. Zwischen den kräftigen, spitzen Zähnen schnallt eine lange rote Zunge hervor, die tennisball- großen Augen wirken bedrohlich und Furcht einflößend. Ida Bagus Rai erklärt:
"Neben der typischen Drachenform (Janggan) gibt es auf Bali zwei weitere traditionelle Formen: den Fisch-Drachen (Bebean) und den Neumond-Drachen (Pecukan). Der ähnelt einem großen Palmenblatt. Dabei spielen die Farben eine wichtige Rolle, denn jede steht für eine der drei Hindu-Gottheiten: Rot für Brahma, Schwarz für Wisnu und Weiß für Schiva."
Obwohl auf Bali auch Drachen fix-und-fertig gebaut zu haben sind, kaum ein Inselbewohner würde je auf die Idee kommen, seinen Drachen im Laden zu kaufen, sagt Ida Bagus Rai. Die seien nur für Touristen bestimmt. Balinesen lieben es mit Freunden, der Familie, mit dem ganzen Dorf die Konstruktionspläne zu schmieden, bis hin zum Bemalen alles selbst zu übernehmen. Und so werden die Flugriesen auf der Insel bis heute noch aus selbst geschlagenem Bambusholz und Bananenblättern gebaut. "Ich erinnere mich noch, als ich Kind war", erzählt Ida Bagus Rai:
"Damals vor 60 Jahren haben wir die Halme verbaut, die nach der Reisernte übrig gebliebenen sind, haben daraus das Grundgerüst gemacht. Die Leine wurde aus Palmblättern gefertigt. Die Blätter haben wir dazu geteilt, in kleine Stücke zerlegt und miteinander verdreht. Das hielt sehr gut. Aber die ersten Drachen konnten bei Weitem nicht so weit aufsteigen wie heute, damals nur etwa 20 Meter, heute bis über 100 Meter."
Drachenfliegen hat auf der indonesischen Insel Bali eine lange Tradition. Forscher wollen sogar herausgefunden haben, dass sie mindestens genauso alt ist wie die in China, dem Land, dem bis heute die Erfindung der Drachen zugeschrieben wird. Auf Bali glauben die Menschen, dass ihre Drachen nur dann die schönsten Tänze im Winde aufführen, wenn Götter, Menschen und Natur in Harmonie und Ausgewogenheit miteinander vereint sind. Genau diese Balance ist es, die ihnen als Quelle eines glücklichen Lebens gilt. Jedes Jahr richten sie hier am Sanur Beach ein internationales Festival aus, zu dem Teams aus der ganzen Welt anreisen, um sich in der Kunst des Drachenfliegens zu messen, um Erfahrungen auszutauschen, um voneinander neue Tricks und Kniffe zu lernen.
Inzwischen ist auch Wisnu Wardana in die Drachenwerkstatt nachgekommen. Mit großen Augen bestaunt er die Holzkonstruktion am Boden, die inzwischen mit einem riesigen Tuch bespannt wurde. Auf den Außenseiten sind mächtige und starke Krallen aufgemalt. Weit ragen sie nach unten und erinnern an einen großen Greifvogel, der ansetzt, um sich majestätisch auf seine gehetzte Beute zu stürzen. Mit geübtem Griff prüft Wisnu hier und da die Verarbeitung und Festigkeit und nickt zustimmend. Dann heben 40 Arme den Flugriesen mit seiner Länge von vier Metern vom Boden. Drachenfliegen auf Bali ist eben absolute Teamarbeit, ruft mir Wisnu zu, während er peinlich genau darauf achtet, dass niemand mit den zwei Meter breiten Schwingen irgendwo anstößt.
"In Europa zum Beispiel fliegt ein Drachenflieger zur selben Zeit oft mehrere Drachen. Ganz anders hier auf Bali. Hier fliegen bis zu 25 Leute zur selben Zeit einen Drachen. Das heißt, in westlichen Ländern ist das Drachenfliegen eher eine private, individuelle Sache. Hier auf Bali geht das nur gemeinsam mit vielen anderen. Wir brauchen einfach viel mehr Leute, um unsere Drachen fliegen zu lassen. Oft ist das gesamte Dorf dabei. Dieser Unterschied hat mich in Übersee ganz schön erstaunt."
Begleitet von neugierigen Kinderaugen und einigen Passanten erreicht unsere Drachen-Crew das Ufer vom Sanur Beach. Die dicken Wolken sind abgezogen, schon wieder schaut die Sonne etwas heraus. Zwei junge Männer spulen eine Leine, so dick wie ein Gartenschlauch, mit einer Kurbel von einer kleinen, hölzernen Aufhängung. Dann befestigen sie die Leine etwas unterhalb des mächtigen Drachenkopfes. Zwei andere knoten dem Flugriesen eine 1 Meter breite Stoffbahn ans Hinterteil, die noch zusammengeschlagen dahinter im Sand liegt.
Dann das Startsignal: Unter dem Getöse der ganzen Crew flitzen die Seilmänner nach vorn, gerade so als wollten sie einem Ungeheuer entkommen. 5 Meter, 10 Meter: Dann erhebt sich ihr Drachen, etwas raubeinig und murrend noch, zum ersten Mal in den Himmel. Ein großer Schatten fällt über unsere Köpfe und die breite Stoffbahn, der riesige Schwanz, entrollt seine ganze Länge von 100 Metern und saust flatternd hinterher. Während der Drachen Meter um Meter an Höhe gewinnt, stimmt Flugpionier Ida Bagus Rai eines der traditionellen Lieder Balis an: Es soll den Männern am Boden Kraft geben und Glück bringen, Glück, um den Einklang mit der Natur und dem Willen der Götter zu finden. Denn auch auf Bali gilt: wie im Himmel so auf Erden.