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Datenkrake oder Visionär?

Zwei neue Bücher über Google - zwei Meinungen: In "Wie tickt Google" wird das Bild vom visionären Technologiekonzern gezeichnet. "Die Akte Google" hingegen wirft einen kritischen Blick auf den großen Einfluss des Unternehmens auf Wirtschaft und Politik. Beide machen klar: Googles Monopol-Macht und Anspruch sind immens.

Von Ulrike Westhoff |
    Google
    Google (dpa / picture alliance / Martin Gerten)
    Die Debatte um Googles Marktmacht hat gesellschaftliche wie politische Dimensionen. Der Konzern mit den lego-bunten Buchstaben streitet sich mit den EU-Wettbewerbshütern, einzelne Staaten fordern klare Spielregeln für Googles Geschäftspraktiken. Klar ist, es braucht Regeln für Internet-Konzerne, damit es einen gesellschaftlichen Konsens über die digitale Zukunft geben kann. Wenn über die enorme Macht von Google diskutiert wird, geht es auch um die Werte, an denen sich das Unternehmen orientiert - oder eben nicht. Genau diesen "Werten" folgen zwei spannende Bücher, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In "Wie tickt Google" macht Aufsichtsratschef Eric Schmidt mit seinem Co-Autor, Google-Manager Jonathan Rosenberg, eine klare Ansage:
    "Die Welt kann nur so und nicht mehr anders im Internet-Zeitalter funktionieren."
    Sprich: Wie uns Google das viel zitierte "Wissen der Welt" nach Algorithmen zur Verfügung stellt. Das andere Buch "Die Akte Google" sieht in genau diesen Algorithmen den Missbrauch. Die Autoren, der Journalist Thorsten Fricke und Kommunikationsberater Ulrich Novak, appellieren, Google verfassungsrechtlich wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu behandeln. Denn einem Massenkommunikationsmittel - und das sei Google heute - könne der Gesetzgeber auferlegen, freie Informationen bereitzustellen. Bevor es ans Eingemachte geht, beginnen beide Bücher mit einem Rückblick. Während Fricke und Novak mit einem Parforceritt durch den Wandel des Unternehmens von der Such- zur Geldmaschine starten, lässt Eric Schmidt sich von seinem Co-Autor vorstellen. Gleich auf der ersten Seite greift der auf die verheißungsvolle Welt vor, die sich auf den nächsten 350 Seiten in Googler und Noogler teilt. Noogler, so heißen die Frischlinge bei Google:
    "Als er sein Büro betrat, das für einen Spitzen-CEO ziemlich bescheiden war, stellte er fest, dass es bereits von mehreren Softwareentwicklern genutzt wurde. Anstatt sie hinauszuwerfen, zog Eric ins Büro nebenan, das mehr einer Besenkammer glich. Ganz offenbar ging es in dieser Welt nicht darum, die Bedeutung eines Mitarbeiters durch die Quadratmeterzahl seines Büros deutlich zu machen."
    Krisenmeeting? Nicht nötig bei Google
    Denn im Jahrhundert der technologischen Sprünge sei, laut Schmidt, die Zeit der Manager vorüber. Unausweichlich. Die smarten Kreativen übernehmen. Hochintelligente, junge Männer und Frauen: sehr technikorientiert, keine Fachkräfte, sondern die totalen Allrounder. Die nicht ans große Geld, sondern an große Lösungen denken. Menschen wie Steve Jobs, Google-Gründer Larry Page, selbst Michael Jackson muss als Vorbild herhalten. Sie alle bräuchten keine Marktforschung und Businesspläne. Dafür seien sie in Nichts aufzuhalten - "the next big thing", das nächste große Ding zu erfinden.
    "Egal was Du versuchst, Du kannst solchen Leute nicht vorschreiben, was sie denken sollen. Also musst Du lernen, das Umfeld zu managen, in dem sie denken. Und daraus einen Ort machen, den sie gerne aufsuchen."
    Gemeint ist damit die vordergründige Unternehmenskultur von Google: flache Hierarchien, eigenverantwortliche Planung, viel Zeit für die eigenen Ideen und Büros, die wie eine Mischung aus Abenteuerspielplatz und Yogaloft aussehen. Diese Haltung deutet zugleich darauf hin, dass es hier um "Persönlichkeiten" geht, die gerne ihre eigenen Regeln aufstellen. So selbstbewusst formulieren die Autoren auch die Kapitel-Überschriften:
    "Glaub an Deinen Slogan!" - "Seien Sie ein exzellenter Router!" - "Denken Sie das Undenkbare!"
    Die Lektionen sind überaus flott geschrieben und angereichert mit Insider-Anekdoten; Larry Page etwa, der freitagabends wortlos die miesen Ergebnisse seiner Google-Suche ans Schwarze Brett pinnte. Montag früh um 5.05 Uhr hatten seine Programmierer das Verhältnis von Anfragen und Anzeigen optimiert. Krisenmeeting? Nicht nötig bei Google.
    Was sich zunächst als recht trivialer Ratgeber liest, entpuppt sich nach und nach als Mantra eines für die USA so typisch radikalen Laissez-faire-Kapitalismus, der sein Heilsversprechen in einer Welt ohne jegliche staatliche Regulierung sieht.
    Das ist das eigentlich Spannende an dem Buch. Das Heilsversprechen für das 21. Jahrhundert sehen die Autoren in der Plattform-Ökonomie, in der totalen Vernetzung frei verfügbarer Daten, für deren Fluss die Politik sorgen muss. Nichts, was man nicht lösen oder schaffen könnte, wenn die Welt über Googles Betriebssystem Android verknüpft wäre: fliegende Windturbinen, selbstfahrende Autos, Roboter, Kontaktlinsen, die über die Tränenflüssigkeit den Blutzuckerspiegel messen.
    "Wenn man auf diese Weise erhobene Daten mit einer Liste der Risiko-Faktoren, die durch eine genetische Analyse erzeugt wurde, kombiniert, haben wir nie da gewesene Möglichkeiten, Gesundheitsprobleme des einzelnen früher zu erkennen und zu behandeln."
    Google wie Rundfunk behandeln?
    Wie Google wirklich tickt: Nach den Ausführungen von Eric Schmidt ist es das nette "Don't be evil"-Unternehmen, das die Welt mit Hilfe der Technologie besser machen will. Das deckt sich natürlich nicht mit dem Bild eines Multimilliarden-Konzerns mit maßlosem Datenhunger, das andere zeichnen. Fakt ist: Google ist auf Werbeeinnahmen angewiesen - und damit auf die Auswertung von Kundendaten, um Werbeanzeigen effizienter zu platzieren. Thelma Arnold hatte beispielsweise exzessiv Krankheiten gegoogelt. Das Ergebnis von Googles Big Data: Angeblich sei die 62-Jährige manisch-depressiv und starke Raucherin. Stimmt aber nicht. Sie wollte sich für ihre Freunde informieren, die - im Gegensatz zu ihr - unter den gegoogelten Beschwerden litten. Was, wenn die Krankenversicherung an solche Fehlinformationen gelangt? Thorsten Fricke und Ulrich Nowak tragen in ihrem Buch mit diesen Beispielen zur Aufklärung bei:
    "Die Mahnung von Informatiker Jaron Lanier an uns alle ist eindeutig: Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne, Du bist Ihr Produkt."
    Ihr Buch, "Die Akte Google" hat, wie der Titel vermuten lässt, den Charakter eines Dossiers: Die Autoren haben aus Zeitungsartikeln, Blogs, behördlichen Akten und anderen öffentlichen Quellen akribisch Fakten geklaubt, sortiert und übersichtlich gebündelt. Viel Neues haben sie dabei nicht entdeckt. Dafür haben sie die Fülle der weit gestreuten Informationen über Google - Geschäftsfelder, alle 170 Firmenzukäufe seit 2001, unter anderem YouTube und Motorola, Skandale wie um Streetview, Steuertricks, die Zusammenarbeit mit der NSA - in neun Kapiteln vorbildlich aufbereitet. Bei der Lektüre wird deutlich, wie weit Google heute schon Einfluss auf die Spielregeln von Wirtschaft und Politik ausübt. Was aber dagegen tun? Eine von den Autoren vorgeschlagene Regulierung: das deutsche Rundfunkrecht, das Recht auf einen freien Zugang zu den Medien, auf das Internet auszudehnen.
    "Durch die Programmierung der Such-Algorithmen und die Einrichtung der "Auto-Complete"-Funktion besteht die begründete Gefahr, dass der Nutzer nicht mehr findet, was er sucht, sondern das, (...) was Google möchte."
    Doch wenn Artikel 5 GG greifen soll, müsste der Konzern zunächst als Massenmedium gelten und das ist umstritten. Hier hätte man sich von den Autoren gewünscht, die Debatte detaillierter einzuordnen statt seitenlang Medienrechtler Dieter Dörr zu zitieren. Denn Googles Monopol-Macht und Anspruch ist immens. Das machen beide Bücher eindrücklich klar, und sie sind allein deshalb lesenswert. Hilfreiche Aufklärungslektüre für eine dringende Debatte. Denn was technischer Fortschritt für uns bedeuten darf oder soll, das ist nicht nur Sache von Politik und Wirtschaft, das ist eine gesellschaftliche Entscheidung.