![Der US-Historiker Gordon A. Craig (gest. 30. Oktober 2005) auf einer Veranstaltung im Mainzer Landtag am 7. Mai 1995. Der US-Historiker Gordon A. Craig (gest. 30. Oktober 2005) auf einer Veranstaltung im Mainzer Landtag am 7. Mai 1995.](https://bilder.deutschlandfunk.de/FI/LE/_b/23/FILE_b23ae3bd793a950dabe278f5290ce13b/craig-jpg-100-768x432.jpg)
"Wenn etwas passiert in Deutschland und es gefällt uns nicht, dann sagen wir immer: ‚Ja, das ist das alte Deutschland, Hitler ist um die Ecke, Nationalsozialismus oder so etwas kommt zurück!’ Und das ist ganz unfair und unwissenschaftlich und hat keinen Sinn."
Der Historiker Gordon Alexander Craig, geboren am 26. November 1913 in Glasgow, aufgewachsen in Kanada und New Jersey. Ein gefragter Experte, der den Amerikanern die Geschichte dieses rätselhaften Landes in Europa erklärte - und den Nachkriegsdeutschen im Westen mehr Vertrauen in die demokratische Substanz ihrer Republik empfahl:
"Die Deutschen rechnen dauernd mit der ganz großen Katastrophe. … Und das Unsäglichste ist, dass sie diese Einstellung am hartnäckigsten gegenüber ihrem demokratischen System an den Tag legen, auf das sie mit jedem Recht stolz sein können."
Interessiert an deutscher Kultur und Geschichte war Gordon Craig schon als Student der Eliteuniversität Princeton. 1935 kam er mit einem Stipendium nach Deutschland, wo Hitler Triumphe feierte.
"Ich hatte gute Lehrer, und wir fingen an, Goethe und Lessing. Ich wurde fasziniert von dem Verhältnis zwischen diesem so geistig, wie sagt man, fortgeschrittenen Land und dieses Land, das so schlechte Politiker hatte."
Die Kluft zwischen dem humanistischen Erbe der Deutschen und der Barbarei der Nationalsozialisten hat den Historiker ein Leben lang beschäftigt. Nach einem Abstecher an die Universität Oxford und dem Militärdienst bei der Marineinfanterie ging Craig bei Kriegseintritt der USA als Deutschlandexperte zum Geheimdienst OSS - "Office of Strategic Studies". In der Abteilung "Research and Analysis" traf dieser junge amerikanische Intellektuelle auf die klügsten politischen Köpfe, die die USA damals aufzubieten hatten. Eine verschworene Wissens- und Wertegemeinschaft linksliberaler Prägung, die Gegnerforschung betrieb, um US-Armee und Regierung für den Kampf auf dem europäischen Kriegsschauplatz und das Besatzungsregime zu rüsten. Craigs grundlegende Studie über "Die preußisch-deutsche Armee 1640 - 1945" - Untertitel: "Staat im Staate" - hat hier ihre Wurzeln. Und auch das Differenzierungsvermögen, das diesen Historiker Pauschalurteile über "von Natur aus autoritätshörige, militaristische und aggressive" Deutsche stets zurückweisen ließ. - Gordon A. Craig:
Einem Volke Nationaleigentümlichkeiten zuzuschreiben, ist in jedem Fall eine gewagte Sache, und Schlussfolgerungen, die aus solcher Beimessung gezogen werden, können leicht in sich zusammenfallen.
Yale, Princeton und Stanford waren die Orte der akademischen Nachkriegskarriere Craigs. Dazu, ab den 1960er Jahren, die Freie Universität Berlin, deren rebellierenden Studenten der amerikanische Gastprofessor mit Sympathie begegnete. Er schrieb nicht nur eine materialgesättigte "Deutsche Geschichte von 1866 - 1945", sondern war auch ein Literaturkenner, der Theodor Fontane als großen Porträtisten der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zu würdigen wusste. Als 1990 die Wiedervereinigung anstand, gehörte Craig mit seinen Kollegen Fritz Stern und Timothy Garton Ash zum erlauchten Kreis der Experten, von denen die misstrauische Margret Thatcher sich auf ihrem Landsitz Chequers beraten ließ. Man hat den Doyen der amerikanischen Historiker gefragt, ob sich aus der Geschichte lernen ließe.
"Man lernt, dass in anderen Zeiten es gab sehr schwierige Probleme (...) Aber man muss immer versuchen - und (...) für das braucht man ein bisschen Mut. Und ohne Mut und ohne Geduld die Probleme werden zu stark und dann kommt der Krach."
Gordon Alexander Craig starb am 30. Oktober 2005 in Palo Alto in Kalifornien. Er wurde 91 Jahre alt.