Als Teenager hat Salomea Genin gern Arbeiterkampflieder gesungen. Sie wurde 1931 in Berlin geboren, musste als Jüdin aber vor den Nazis fliehen. In Australien trat sie dem kommunistischen Jugendverband bei.
Heute ist Salomea Genin 84 und steht im Berliner Gorki-Theater auf der Bühne. Auf einem Podest, das zwischen zwei Zuschauertribünen steht, erzählt sie ihre Geschichte. Lola Arias führt Regie:
"Of course it's not a piece about communism in general, because they are not theoreticians. They are just common people, telling how they got involved in politics and why."
Das Stück soll nicht die Theorie des Kommunismus erklären, sagt die Regisseurin, sondern über ganz normale Leute erzählen. Salomea Genin wollte 1954 in die DDR übersiedeln, doch die ostdeutschen Behörden hielten sie für eine westliche Spionin. Erst nachdem sie begonnen hatte, für die Stasi zu arbeiten, durfte sie DDR-Bürgerin werden:
"Im Osten begann ich, für Radio Berlin International zu arbeiten und später dann für Intertext, eine Übersetzungsagentur, die der SED unterstand - Das ist ja ein Ding, damals habe ich auch bei Intertext gearbeitet! Hast du mir auch nachspioniert?"
Darstellerinnen erzählen aus ihrem Leben
Neben Salomea Genin stehen frühere Stasi-Opfer. Die Punk-Sängerin Jana Schlosser, musste wegen ihrer systemkritischen Texte ins Gefängnis, die Übersetzerin Monika Zimmering wurde von ihrer Nachbarin bespitzelt. Dabei war sie durchaus regimetreu:
"Ich habe auch damals gedacht: ein Land braucht natürlich auch Kundschafter. Aber mir wurde klar, als man mich fragte, ob ich bereit wäre zum Beispiel den Generaldirektor der Renault-Werke in Frankreich in mich verliebt zu machen, dass ich nie meine Gefühle vergewaltigen würde. Da habe ich sofort abgesagt und die brauchten dann nicht noch mal zu kommen, zu mir."
Konfliktfrei war das Leben in der DDR sicher nicht. Die Schauspielerin Ruth Reinecke berichtet von den Diskussionen nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann:
"Die dt. Einheit, wir dulden nicht./ Dass nur das schwarze Pack davon spricht./ Wir wollen die Freiheit. Die, die wir meinen./ So soll es sein. So soll es sein. So wird es sein."
Ruth Reinecke beschloss nach der Biermann-Ausbürgerung Mitglied der SED zu werden. Sie hoffte, die DDR-Staatspartei von innen erneuern zu können. Heute weiß sie, dass das naiv war. Der Biermann-Song wird auf der Bühne von Helena Simon gesungen. Sie ist 17 und hat vor diesem Stück kaum etwas über die DDR gewusst:
"… weil meine Mutter zwar da herkommt, wie ich am Anfang sage, aber nicht darüber redet. Ich habe in den letzten drei Monaten, in unserer Probephase, mehr gelernt, als … ich je wusste über die DDR", sagt Simon.
Und das ist das Konzept. Indem jede der Darstellerinnen aus ihrem Leben erzählt, wird Geschichte greifbar.
Wenn Jana Schlosser, noch einmal den Punksong ins Mikrofon schreit, für den sie zu DDR-Zeiten inhaftiert wird, singen alle mit. Nur Monika Zimmering steht etwas abseits. Der Text "Nazis raus aus Ost-Berlin" geht ihr gegen den Strich:
"Ich habe gesungen, Nazis raus aus Berlin. Wir hatten viel weniger Nazis in den achtziger Jahren als in der damaligen BRD gab", sagt Zimmering.
Verschiedene Meinungen krachen aufeinander
Dass in der Inszenierung Meinungen aufeinander krachen, ist einer der Punkte, die die Produktion interessant machen. DDR-Befürworter treffen auf DDR-Gegner, sehr junge, auf sehr alte Menschen. Mai-Phuong Kollath ist 53. Sie kam 1981 als vietnamesische Vertragsarbeiterin in die DDR. Tagsüber schuftete sie als Hilfskraft in einer Kantine, abends durfte sie ihr Wohnheim nicht verlassen:
"Das Beste, was mir passiert ist, ist die Wiedervereinigung Deutschlands. Weil: ab dem Moment konnte ich mich wirklich entfalten. Ich durfte studieren. Ich kann den Behörden auch mal sagen: Sie haben noch fünf Minuten, bis Schluss ist. Seien Sie mal freundlich zu mir. Das alles hätte ich in Vietnam nicht gekonnt."
Doch natürlich nimmt Mai-Phuong Kollath auch die wachsende Fremdenfeindlichkeit wahr. Auf der Bühne erinnert sie sich an die Ausschreitungen vorm Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen:
"Es sah aus wie damals im Krieg in Vietnam. Einige Tage später ging ich hinüber: Es war alles schwarz von dem Feuer und die Scheiben waren raus…"
"Wir haben dreimal schon Vorstellungen gehabt und jedes Mal bei der Szene Lichtenhagen habe ich immer geweint. Heute habe ich verstanden. Ich will, dass die Leute meine Geschichte hören …"
… gerade weil Fremdenfeindlichkeit auch heute wieder ein Thema ist. Der Abend reiht emotionale und ausgelassen fröhliche Szenen aneinander. So vermittelt sich ein facettenreiches Bild. Am Ende hängen sich die Darsteller Megafone um und verkünden ihr Fazit.
Eine klare Botschaft hat der Abend nicht. Vom Kommunismus scheint sich jeder ein anderes Bild zu machen. Nur in einem sind sich alle einig: in der real existierenden DDR gab es ihn nicht.