Ich sehe dieses Ding jeden Tag - also denke ich jeden Tag dran.
Wie ein Stachel im Fleisch - so kommt einem der zerklüftete Bergkamm aus Vulkangestein vor, unter dem der Strahlenmüll sämtlicher US-Atomkraftwerke verschwinden soll. Wenn das Endlager tatsächlich wie geplant kommt, so die düstre Prognose des Pistazienfarmers, dann könne er seine Plantage getrost vergessen: Denn Pistazien reichern sich mit Radioaktivität an - und welcher Kunde wolle schon Strahlennüsse knabbern. Ehefrau Debbie knallt demonstrativ eine Schale mit Pistazien auf den Küchentisch. Sonst sei sie ja sanft und lieb wie ein Lamm, sagt die blonde Mrs. McCracken und lächelt liebenswürdig - aber seit Präsident Bush Anfang des Jahres seine Zustimmung zum geplanten Atommüll-Endlager in Yucca Mountain gegeben hat, könne sie sich rund um die Uhr aufregen: 77.000 Tonnen hochradioaktiven Abfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zu Armagosa Valley: jener zerstreuten Siedlung in der Wüste, zu der auch die Farm der McCrackens zählt!? Nein danke
Hier leben 1.275 Menschen, wir haben ein Gemeindezentrum, eine gute Schule, ein Krankenhaus, eine Bücherei - wir haben Kirchen, und wir haben Bars. Das heißt: Wir sind eine richtige kleine Stadt. Aber die Regierung versucht unsere Anwesenheit hier zu leugnen: Gerade ist eine Landkarte erschienen, auf der Armagosa Valley einfach nicht eingezeichnet ist. Deshalb sieht es erst mal wie ein guter Standort aus - lebt doch eh keiner da draußen. Aber was hier passiert, könnte weltweit Auswirkungen auf die Umwelt haben!
Denn der Berg hält nicht dicht, warnen zahlreiche Wissenschaftler. Dr. Steve Frishman zum Beispiel, technischer Berater des Gouverneurs von Nevada, kennt Yucca Mountain in- und auswendig: Seit vor 15 Jahren im fernen Washington DC die Entscheidung für den Standort in der Wüste fiel - wie ein Damoklesschwert, knurrt der renommierte Geologe - hat er den Berg intensiv erforscht. Sein Befund: Yucca Mountain ist eine Zeitbombe. Gefahr Nummer eins: Erdbeben.
Allein zwischen 1976 und 96 gab es in einem 50-Meilen-Radius um Yucca Mountain 600 Erdbeben. Im Frühling dieses Jahres hat die Erde schon wieder gebebt. Doch die heftigsten Erschütterungen wurden 1992 gemessen: mit einer Stärke von 5,6 auf der Richterskala.
Dass dabei ausgerechnet die Außenstelle des US-Energieministeriums in Trümmer gelegt wurde, entbehre doch nicht der Ironie, kommentiert der Geologe mit einem etwas schiefen Grinsen. Mit seiner Gefahrenliste ist er noch lange nicht am Ende:
Wir fanden einen echten Beweis dafür, dass Wasser sehr schnell durch Gesteinsrisse sickert. Und der Beweis war, dass wir in einem der unterirdischen Test-Tunnel Spuren eines radioaktiven Chlor-Isotops fanden - das nur von atmosphärischen Waffentests im Südpazifikraum aus den 50er Jahren stammen konnte. Die Partikel sind also über die Luft ins Regenwasser und dann tief hinein in den Berg gelangt - genau dorthin, wo der Atommüll gelagert werden soll. Das heißt: Regenwasser und Wasser von der Schneeschmelze sickert recht schnell durch die Felsporen - und würde in weniger als 50 Jahren den Strahlenmüll erreichen.
Jetzt bastelt das Energieministerium an neuen Lösungen: Spezielle Metallcontainer wurden entwickelt, die die Brennelemente länger als 10.000 Jahre vor dem Wasser schützen sollen. Steve Frishman zündet sich schnell eine Zigarette an, bevor er weiterredet: Der 57-Jährige ist Kettenraucher, in der Brusttasche seines blauweißkarierten Flanellhemds steckt immer eine zerdrückte Packung Camel ohne Filter. Er trägt das grau melierte Haar in einem dünnen Pferdeschwanz und an den Füßen schiefgetretene Cowboystiefel aus Eidechsenleder. Also, diese neuartigen, angeblich unverwüstlichen Metallcontainer, sagt Steve, und pustet den Rauch in grauen Schwaden hinauf zur Zimmerdecke:
Unter ganz realistischen Bedingungen bringen wir das Metall in Laborexperimenten binnen weniger Monate zum Korrodieren - keine Rede von Jahrtausenden.
Und wenn die Container erst mal undicht würden, dann wären Plutoniumpartikel bald überall: Erst im Grundwasser, dann in der Luft, wenn das Wasser verdunstet. Kein Wunder, dass selbst die Regierungskommission für technische Sicherheit fast 300 Gefahrenpunkte aufgelistet hat, schimpft Debbie McCracken:
Dieser offizielle Bericht nennt die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der ganzen Regierungsforschung schwach bis mittelmäßig. Das Potential für eine Katastrophe sollten sie deshalb als groß bis riesengroß einstufen!
Auf der kleinen Farm mit Blick auf Yucca Mountain laufen viele Fäden der Anti-Endlager-Fraktion in Armagosa Valley zusammen. Hinter dem Haus aus weiß getünchten Pressspanplatten hat Ralph sein Ersatzteillager: dort ordnet und sortiert er täglich die rostigen Eingeweide landwirtschaftlicher Maschinen und schraubt sie zu neuen Geräten zusammen. Dabei komme er auf die besten Ideen - im Kampf gegen das Atommüll-Endlager, sagt er. Debbie nennt das mechanische Sammelsurium draußen "Schrotthalde" - sie zieht ihre Wohnzimmerecke vor, in der sie ihr Büro eingerichtet hat - neben Katzenkörben und einer Decke für den hinkenden Labradormischling surren zwei Computer vor sich hin. Über allem thront das gerade angeschaffte Kombigerät, das faxen, scannen, kopieren und drucken kann - und das unentwegt Zeitungsartikel über Yucca Mountain, Infobroschüren und Unterstützerpost ausspuckt. Debbie managt das private Aktionszentrum - Beschwerdetelefonate eingeschlossen - denn Yucca Mountain hat heikle Nachbarn: das riesige Waffentestgelände Nevada Test Site - und den Luftwaffenstützpunkt Nellis.
Ich muss regelmäßig bei der Air Force anrufen und mich über die Tiefflüge beschweren. Manchmal wissen die dort noch nicht mal Bescheid, weil die Kampfjets SO tief fliegen, dass sie vom eigenen Radar nicht entdeckt werden können. Vor ein paar Monaten ist einer abgestürzt - gerade mal 16 Meilen von Yucca Mountain entfernt.
Ach, wenn's doch wirklich nur ein schlechter Witz wäre, seufzt Debbie - und muss dann doch lachen. Einer ihrer engsten Verbündeten ist Ed Goedhart, der die größte Milchkuh-Farm der Region leitet. Täglich fährt Ed mit seinem schmutzverkrusteten Pickup Truck durch das Tal vor Yucca Mountain und organisiert den Widerstand. Das nationale Atommülllager direkt vor der Haustür wäre für alle eine ökologische und gesundheitliche Katastrophe, glaubt er - nicht nur, weil er dann sein Qualitätssiegel "Biomilch" vergessen könne.
Die Begriffe "radioaktiv" und "Öko" vertragen sich nicht. Wir haben wirklich Angst um unsere Zukunft, falls das Endlager kommt.
Die Melkmaschinen der Pondarosa Farm pumpen Milch für 30 Millionen Verbraucher aus den Eutern der schwarzbunten Kühe - wenn die verstrahlt wären, na dann gute Nacht, meint Ed. Er verweist auf die Erfahrungen vom nahegelegenen Nevada Test Site, wo die US-Regierung jahrzehntelang Nuklearwaffen erprobt hat - auch mit der Behauptung, alles sei vollkommen sicher und gefährlich.
Die Krebsrate unter denen, die auf dem Testgelände gearbeitet haben, ist immens hoch. Nur die Überlebenden behaupten, alles sei ganz ungefährlich - und das sind meistens die, die auch für das Yucca Mountain Projekt sind. Die Arbeiter, die an Leber- oder Lungenkrebs gestorben sind, können ihre Meinung nicht mehr sagen.
Mit solchen Kassandrarufen braucht Biobauer Ed seinem Nachbarn Ken Garey nicht zu kommen: Ken lebt seit Jahrzehnten in Armagosa Valley und hat früher auf dem Testgelände gearbeitet, als er noch jung und knackig war, wie er sagt - heute, mit Anfang 70, fühlt er sich immer noch flott und rüstig, wenn auch die dunkelblauen Jeans jetzt mehr am Bauch spannen und dafür am Hosenboden schlottern. Die Warnungen vor Gesundheitsgefahren schlägt der Nevada Test Site Veteran in den Wind:
Ich halte diese Gemeinde im Wortsinn für fremdenfeindlich - weil sie alles Neue, jeden Wandel ablehnt. Die Leute hier wollen erst wissen: nutzt oder schadet es ihnen - und wenn sie das nicht sofort erkennen können, sind sie dagegen. Es ist ja auch leichter, gegen etwas zu sein, als es zu erforschen und dann zu sagen: Es ist unproblematisch.
Ken ist seit Jahren im Ruhestand - bessert seine Rente aber mit einem Teilzeitjob auf: Im Auftrag der regionalen Umweltbehörde liest er täglich die Werte an den Mess-Stationen für Radioaktivität ab. Alles im grünen Bereich, sagt Ken und reckt seinen knochigen Daumen hoch: Hier in Armagosa Valley, nur wenige Meilen vom Testgelände entfernt, sei die Luft sauber und gesund - und das werde auch so bleiben, wenn erst mal der Atommüll der gesamten Nation in meilenlangen Tunneln, Hunderte Meter unter Yucca Mountain vergraben sei.
Unser Land wurde dank natürlicher Ressourcen aufgebaut. Und die werden nun immer weniger, und wenn wir nicht bald etwas unternehmen, wird aus Amerika eine Nation dritter Klasse. So einfach ist das. Bald wird Elektrizität ein so kostbares Gut sein, dass wir damit nur noch Kühlschränke betreiben, aber keine Golfplätze grün halten und Klimaanlagen mehr laufen lassen können, weil das zu teuer würde. Deshalb müssen wir billige Energie produzieren!
Atomkraft ist in den Augen Ken Gareys die amerikanische Antwort auf alle Energiefragen - und wer Abfall produziert, muss den Abfall auch entsorgen - so ist das eben, meint der Rentner, klettert in seinen weißen Pritschenwagen und rumpelt weiter auf der staubigen Wüstenpiste zur nächsten Messstation. Geologe Frishman weiß auch, dass für den landesweit produzierten Atommüll eine langfristige Lösung gefunden werden muss. Bislang lagern die über 100 Nuklearanlagen der USA ihre Brennstäbe meistens auf dem jeweils eigenen Gelände - auch nicht gerade eine sichere Alternative. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotzdem immer noch der beste Ansatz, glaubt Frishman:
Wir sollten die radioaktiven Brennelemente weiter dort aufbewahren, wo sie jetzt sind. Jede andere Lösung erhöht das Risiko - und wenn man auf Yucca Mountain beharrt, dann wissen wir, wird ein sehr langfristiges Risiko entstehen. Es klingt zwar nicht sehr fortschrittlich zu sagen: Lass den Strahlenmüll, wo er ist - aber es ist das Sicherste. Der Transport allein stellt ein höheres Risiko dar.
Frishman rät dazu abzuwarten: in ein paar Jahren sei die Wissenschaft sicher soweit, dass Strahlenmüll ganz und gar risikolos zu entsorgen sei - beispielsweise durch die so genannte Transmutation: das Unschädlichmachen von radioaktivem Material. Im Ex-Gouverneur von Nevada findet er mit solchen Überlegungen keinen Freund: Bob List hat sich nach seiner Abwahl vom Staatsposten als Sprachrohr der Atom-Industrie anheuern lassen und zählt deshalb zur Zeit zu den wohl umstrittensten Menschen in dem US-Bundesstaat, der den Atommüll vom Rest der Nation aufbewahren soll. Das Wort "Verräter" ist in der öffentlichen Diskussion wie ein zweiter Name für ihn geworden.
Ich bin Realist. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Endlager kommt - und dass es Nevada riesige wirtschaftliche Chancen eröffnet. Das zu vermitteln ist mein Job. Und wenn Leute mich deshalb beschimpfen, naja, ich habe mich dran gewöhnt, als ich noch Gouverneur war. Ich lasse die Worte an mir abperlen.
Der joviale Politiker ist gehalten, ein Projekt anzupreisen, dass in Nevada viele Gegner hat - unter anderem die Regierung des Staates im Südwesten der USA, die Yucca Mountain als Standort kategorisch ablehnt.
Im Augenblick sind 1.300 Leute am Projekt beschäftigt. Wenn es erst mal richtig losgeht in Yucca Mountain, dann werden mehr Bauarbeiter angestellt, es gibt gute Jobs, gut bezahlt, und all das wird sich auch auf den Rest des Staats auswirken. Für das Endlager sind gut 50 Milliarden Dollar veranschlagt - das größte öffentliche Projekt der Welt!
Bob List hat sich die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt und schlürft verträumt Wasser aus der Plastikflasche, die ihm eine Sekretärin mit ballonartig auftoupierter Frisur hereingebracht hat. Durch die getönten Fensterscheiben kann er Touristen in Turnschuhen und Trainingsanzügen die Straße entlang hasten sehen - wenn er die Augen hebt, erkennt er am Horizont die rötlichen Bergrücken, die wie ein Bollwerk seine Stadt umgeben.
Las Vegas - die Unterhaltungsmetropole mitten in der Wüste, die Stadt der Millionen Lichter, der Spielhöllen und Varieteeshows liegt nur knappe 140 Kilometer südöstlich von Yucca Mountain.
Hier in Las Vegas regt sich ganz massiver Protest gegen das geplante Atommüll-Endlager. Unter anderem die einflussreiche Casino-Industrie macht mobil und hat eine beispiellose PR-Kampagne gegen das Yucca Mountain Projekt gestartet. In Nevada ist das Glücksspiel nicht nur legal, es ist allgegenwärtig: Jedes Hotel, jede Kneipe hat seine eigene, meist gigantisch große Spielhölle - und selbst in der abgelegensten Tankstelle irgendwo draußen in der Prärie grüßt den Kunden das Geklingel der Einarmigen Banditen.
Die Spielbranche befürchtet dramatische Umsatzeinbußen - wie nach den Terrorattacken des 11. September - wenn erst einmal das Strahlenmülllager die Touristen fernhält.
Die Ereignisse vom 11. September haben die wirtschaftliche Bedeutung der Spielindustrie für Nevada gezeigt. Wir sorgen für 50 Prozent der Staatseinnahmen: das geht los mit den Kasinosteuern, Verkaufssteuern, Grundstückssteuern bis hin zu anderen Abgaben, die wir zu zahlen haben. Nach dem 11. September mussten Tausende Casinoangestellte entlassen werden - alle anderen Wirtschaftszweige litten mit. Unser Ansatz ist: Was mit der Spielindustrie passiert, geschieht auch mit Nevada.
Das würde Arbeitslosigkeit und einen sinkenden Staatshaushalt bedeuten - genau das Gegenteil dessen, was ein Befürworter wie Bob List verspreche, argumentiert Leslie Pittman von der Kasino-Kette Station Casinos. Ihr Unternehmen hat eine stattliche Summe für den juristischen Kampf Nevadas gestiftet. Der Bundesstaat hat derzeit mehrere Klagen gegen die Regierung in Washington laufen und ist positiv gestimmt: Der angeheuerte Anwalt, ein Fachmann auf dem Gebiet Nuklearpolitik, ist sich seiner Sache sogar so sicher, dass er nur im Falle eines Sieges für Nevada sein Honorar einfordern will. Casino-Sprecherin Leslie Pittman:
Unsere Abgeordneten haben im vergangenen Jahr vier Millionen Dollar für den Kampf gegen den Standort Yucca Mountain bewilligt. Wir haben uns dem mit unserem Geldbeitrag angeschlossen: Wir alle wollen verhindern, dass der Strahlenmüll hierher kommt - und wir setzen auf eine US-weite PR-Kampagne.
TV-Spot: With over 50,000 trucks and trainloads moving through our streets even the government admits: nuclear accidents are inevitable and terrorist attacks will become harder than ever to prevent.
Die Anti-Yucca-Mountain-Fernsehspots laufen landesweit und schildern in düstren Farben die Transportgefahren: Mindestens 50.000 Lastwagen- und Eisenbahnladungen hochradioaktiven Mülls würden dicht an Städten und Siedlungen vorbeifahren; da müsse selbst die Regierung zugeben, dass Strahlenunfälle unvermeidlich - und Terroranschläge schwieriger denn je zu verhindern seien.
In diesem Land sind die Entfernungen riesig. Und Nevada liegt - im Verhältnis zu den meisten Atomkraftwerken - weit ab vom Schuss. Der Transport der Brennstäbe zu Yucca Mountain würde durch insgesamt 43 Staaten führen, und 50 Millionen Menschen leben nur eine halbe Meile von den Transportrouten entfernt...
...gibt Geologe Frishman zu bedenken, der auch sagt: Er sei nicht grundsätzlich gegen Atomkraft - nur sicher müsse sie doch sein - eine gefahrlose Entsorgung inbegriffen. Doch auch die Atomindustrie fährt an der PR-Front ihre Geschütze auf:
Granddad, you're an engineer. Is this plan to move waste from the nuclear power plants safe?? - Actually, we've been doing it for decades. Anyone get hurt? Nope, 3.000 shipments, no one harmed!
Opa, du bist doch Ingenieur, schmeichelt eine attraktive Blondine in einem weichgezeichneten Kulissen-Wohnzimmer und will wissen, ob der Transport von Atommüll eine sichere Angelegenheit sei. Worauf der Großvater antwortet: tja, dies geschehe doch schon seit Jahrzehnten - und bei 3.000 Einzeltransporten sei noch niemand verletzt worden. Diese Erklärung glättet in Sekundenschnelle die Sorgenfalten auf der Stirn der Fernsehenkelin. Eine solch beruhigende Erklärung könnte auch aus dem Mund von Ex-Gouverneur und Atomlobbyist Bob List zu hören sein. Wenn er mit Kritikern zusammentrifft - und das geschieht ständig - bemüht er gerne plastische - und drastische - Bilder und Vergleiche: Radioaktiver Müll falle in die gleiche Kategorie wie viele andere gefährliche Dinge auf der Welt.
I think that nuclear waste .... If one goes over and sticks one's finger ....the same thing is true with nuclear.
Wenn man seinen Finger in die Steckdose steckt, bekommt man einen Schlag. Und wenn man den Mast hochklettert und die Stromleitung anfasst, stirbt man. Alles eine Frage, wie man mit Elektrizität umgehe - und das gleiche gelte für Atommüll, belehrt Bob List einen skeptisch dreinblickenden Besucher in seinem Büro.
Mehr als skeptisch, nämlich leidenschaftlich gegen das Yucca Mountain Projekt ist Bürgerrechtlerin Kalynda Tilges von der Organisation Citizen Alert: Sie schmiedet bereits jetzt wilde Pläne für den Widerstand.
Kalynda arbeitet für die Bürgerrechts-Organisation Citizen Alert - nicht des Geldes wegen, sagt sie, sondern weil sie an das glaube, was sie tut. Und wer würde an ihrer Entschlossenheit zweifeln, wer sie einmal in Aktion erlebt: sie manövriert ihren zerbeulten Kleinwagen durch den ewigen Stau auf dem Strip von Las Vegas - das Handy am Ohr, delegierend, organisierend - die andere Hand kritzelt Stichworte auf einen zerfledderten Block - das Lenkrad klemmt zwischen den stämmigen Knien. Die Frau ist gerade mal 1 Meter 50 groß und zählt zu jenen Leuten, die man mit einem Kugelblitz vergleicht: ungefähr so breit wie hoch - und geladen mit ungestümer Energie.
Ein Grossteil meiner Inspiration kommt von den Anti-Atomwaffen-Protesten - aber auch die Demonstranten von Gorleben haben mich beeinflusst.
Kalynda weiß genau, was in Deutschland los ist, wenn Atomtransporte rollen - und sie hofft auf die Unterstützung der erfahrenen deutschen Freunde. Hier in Nevada kämpft sie Seite an Seite mit Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden und Umweltgruppen. Judy Treichel von der Nevada Nuclear Waste Task Force ist eine alte Verbündete, die schon gegen den Standort Yucca Mountain zu Felde gezogen ist, als der heutige Präsident Bush religiös noch unbekehrt war, Alkohol trank und in Texas Ölgeschäfte machte, spöttelt sie. Judy Treichel schwankt zwischen Kampfeslust und Galgenhumor - lege die Bush-Regierung nicht besonderen Wert auf Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung!?
Wir machen schon einen Witz darüber: Wenn Sie ein Terrorist wären, der an radioaktives Material ran will: Würden Sie versuchen, in ein extrem gut bewachtes Kraftwerk einzubrechen - oder würden Sie sich einfach an die Bahngleise oder Highways setzen und darauf warten, dass es Ihnen frei Haus geliefert wird?!
Die Chancen, dass das Endlager kommt, stünden leider gut - dank des Energieplans der Bush-Regierung, der auf den Bau weiterer Atomkraftwerke setzt, sagt Kalynda:
Bushs und Cheneys Energiepolitik beruht auf Atomkraft, Kohle und Öl. Nichts anderes wird berücksichtigt. Präsident Bush ist durch die Hilfe der Atomindustrie ins Amt gekommen und hat im Gegenzug Versprechen gegeben, die offenbar nicht dieselben waren, die er den Menschen hier im Land gab. Jetzt wissen wir also, wo seine wahren Interessen liegen.
Eines ärgert die robuste Bürgerrechtlerin mit den wilden dunklen Locken und einer heimlichen Liebe für Punkmusik ganz besonders: Dass Bush seine Wahl zum Präsidenten nicht nur der pingeligen Wahlscheinauszählung in Florida zu verdanken hatte - sondern auch den zwei Wahlmännerstimmen, den electoral votes, von Nevada: Die habe er nur bekommen, weil er während des Wahlkampf hoch und heilig schwor, seine Entscheidung für oder gegen Yucca Mountain von wissenschaftlichen Argumenten abhängig zu machen. Nun sei ja wohl klar, empört sich Kalynda, dass er sich keineswegs an der Sicherheit des Standorts orientiert habe:
Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es kein sicherer Ort ist. Deshalb hat die Politik im Nachhinein einfach die Regeln geändert - so dass Yucca Mountain nach den neuen Richtlinien sicher aussieht. Das ganze ist zu einer Polit-Schlacht ausgeartet. Nicht nur, dass die gesamte Regierungsforschung zu Yucca Mountain armselig und manipuliert ist - die öffentliche Meinung wurde auch völlig ignoriert - wegen der Wahlversprechen an die Wirtschaft.
Kalynda tingelt von einer Bürgerversammlung zur nächsten, um den Einwohnern Nevadas Dampf zu machen, sagt sie. Ihr Tag beginnt morgens um acht - mit Kontrollanrufen bei Abgeordneten und dem Entwerfen von Infobroschüren - und endet meist spät abends in irgendeinem Gemeindezentrum, irgendeinem Hinterzimmer einer Kneipe, in irgendeinem kleinen Nest in der Weite Nevadas. Dass das Yucca Mountain Projekt möglicherweise doch noch gekippt werden könnte - diese Hoffnung will die Aktivistin nicht aufgeben. Auch wenn der Kongress in Washington das Projekt bereits abgesegnet hat und im nächsten Jahr auf Wunsch des Präsidenten 593 Millionen Dollar für das Yucca Mountain Projekt gewähren soll - Kalynda hat noch ein juristisches As im Ärmel: Das Land, auf dem das Endlager entstehen soll, gehöre nämlich gar nicht der US-Regierung:
Das Land gehört den Schoschonen: Dieser Indianerstamm hat alle möglichen Verträge mit den USA abgeschlossen - aber er hat nie den Besitz an diesem Teil des Landes, auf dem Yucca Mountain liegt, abgetreten. Die USA haben schon versucht, den Schoschonen das Gebiet abzukaufen oder es ihnen mit windigen juristischen Verfahren abzuluchsen - aber bislang ohne Erfolg. Die Schoschonen werden das Land nicht verkaufen. Wenn das Atommüll-Projekt in die nächste Phase geht, das heißt: wenn die technischen Lizenzen beantragt werden, dann muss das Energieministerium Beweise bringen, dass das Land in Bundesbesitz ist. Und das wird ihm nicht gelingen!
Allerdings, das muss Kalynda auch zugeben, habe die US-Regierung eine imposante Mannschaft versierter Juristen aufzubieten, die Yucca Mountain doch noch in Bundesbesitz bringen - oder zumindest als Besitz interpretieren dürften. Wenn das Atommüll-Endlager Realität würde, so ihr letzter Gedanke, dann könnte der Name der nahegelegenen Wüstenregion bald erst recht wörtliche Bedeutung annehmen: Yucca Mountain grenzt an Death Valley: das Tal des Todes.
Wie ein Stachel im Fleisch - so kommt einem der zerklüftete Bergkamm aus Vulkangestein vor, unter dem der Strahlenmüll sämtlicher US-Atomkraftwerke verschwinden soll. Wenn das Endlager tatsächlich wie geplant kommt, so die düstre Prognose des Pistazienfarmers, dann könne er seine Plantage getrost vergessen: Denn Pistazien reichern sich mit Radioaktivität an - und welcher Kunde wolle schon Strahlennüsse knabbern. Ehefrau Debbie knallt demonstrativ eine Schale mit Pistazien auf den Küchentisch. Sonst sei sie ja sanft und lieb wie ein Lamm, sagt die blonde Mrs. McCracken und lächelt liebenswürdig - aber seit Präsident Bush Anfang des Jahres seine Zustimmung zum geplanten Atommüll-Endlager in Yucca Mountain gegeben hat, könne sie sich rund um die Uhr aufregen: 77.000 Tonnen hochradioaktiven Abfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zu Armagosa Valley: jener zerstreuten Siedlung in der Wüste, zu der auch die Farm der McCrackens zählt!? Nein danke
Hier leben 1.275 Menschen, wir haben ein Gemeindezentrum, eine gute Schule, ein Krankenhaus, eine Bücherei - wir haben Kirchen, und wir haben Bars. Das heißt: Wir sind eine richtige kleine Stadt. Aber die Regierung versucht unsere Anwesenheit hier zu leugnen: Gerade ist eine Landkarte erschienen, auf der Armagosa Valley einfach nicht eingezeichnet ist. Deshalb sieht es erst mal wie ein guter Standort aus - lebt doch eh keiner da draußen. Aber was hier passiert, könnte weltweit Auswirkungen auf die Umwelt haben!
Denn der Berg hält nicht dicht, warnen zahlreiche Wissenschaftler. Dr. Steve Frishman zum Beispiel, technischer Berater des Gouverneurs von Nevada, kennt Yucca Mountain in- und auswendig: Seit vor 15 Jahren im fernen Washington DC die Entscheidung für den Standort in der Wüste fiel - wie ein Damoklesschwert, knurrt der renommierte Geologe - hat er den Berg intensiv erforscht. Sein Befund: Yucca Mountain ist eine Zeitbombe. Gefahr Nummer eins: Erdbeben.
Allein zwischen 1976 und 96 gab es in einem 50-Meilen-Radius um Yucca Mountain 600 Erdbeben. Im Frühling dieses Jahres hat die Erde schon wieder gebebt. Doch die heftigsten Erschütterungen wurden 1992 gemessen: mit einer Stärke von 5,6 auf der Richterskala.
Dass dabei ausgerechnet die Außenstelle des US-Energieministeriums in Trümmer gelegt wurde, entbehre doch nicht der Ironie, kommentiert der Geologe mit einem etwas schiefen Grinsen. Mit seiner Gefahrenliste ist er noch lange nicht am Ende:
Wir fanden einen echten Beweis dafür, dass Wasser sehr schnell durch Gesteinsrisse sickert. Und der Beweis war, dass wir in einem der unterirdischen Test-Tunnel Spuren eines radioaktiven Chlor-Isotops fanden - das nur von atmosphärischen Waffentests im Südpazifikraum aus den 50er Jahren stammen konnte. Die Partikel sind also über die Luft ins Regenwasser und dann tief hinein in den Berg gelangt - genau dorthin, wo der Atommüll gelagert werden soll. Das heißt: Regenwasser und Wasser von der Schneeschmelze sickert recht schnell durch die Felsporen - und würde in weniger als 50 Jahren den Strahlenmüll erreichen.
Jetzt bastelt das Energieministerium an neuen Lösungen: Spezielle Metallcontainer wurden entwickelt, die die Brennelemente länger als 10.000 Jahre vor dem Wasser schützen sollen. Steve Frishman zündet sich schnell eine Zigarette an, bevor er weiterredet: Der 57-Jährige ist Kettenraucher, in der Brusttasche seines blauweißkarierten Flanellhemds steckt immer eine zerdrückte Packung Camel ohne Filter. Er trägt das grau melierte Haar in einem dünnen Pferdeschwanz und an den Füßen schiefgetretene Cowboystiefel aus Eidechsenleder. Also, diese neuartigen, angeblich unverwüstlichen Metallcontainer, sagt Steve, und pustet den Rauch in grauen Schwaden hinauf zur Zimmerdecke:
Unter ganz realistischen Bedingungen bringen wir das Metall in Laborexperimenten binnen weniger Monate zum Korrodieren - keine Rede von Jahrtausenden.
Und wenn die Container erst mal undicht würden, dann wären Plutoniumpartikel bald überall: Erst im Grundwasser, dann in der Luft, wenn das Wasser verdunstet. Kein Wunder, dass selbst die Regierungskommission für technische Sicherheit fast 300 Gefahrenpunkte aufgelistet hat, schimpft Debbie McCracken:
Dieser offizielle Bericht nennt die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der ganzen Regierungsforschung schwach bis mittelmäßig. Das Potential für eine Katastrophe sollten sie deshalb als groß bis riesengroß einstufen!
Auf der kleinen Farm mit Blick auf Yucca Mountain laufen viele Fäden der Anti-Endlager-Fraktion in Armagosa Valley zusammen. Hinter dem Haus aus weiß getünchten Pressspanplatten hat Ralph sein Ersatzteillager: dort ordnet und sortiert er täglich die rostigen Eingeweide landwirtschaftlicher Maschinen und schraubt sie zu neuen Geräten zusammen. Dabei komme er auf die besten Ideen - im Kampf gegen das Atommüll-Endlager, sagt er. Debbie nennt das mechanische Sammelsurium draußen "Schrotthalde" - sie zieht ihre Wohnzimmerecke vor, in der sie ihr Büro eingerichtet hat - neben Katzenkörben und einer Decke für den hinkenden Labradormischling surren zwei Computer vor sich hin. Über allem thront das gerade angeschaffte Kombigerät, das faxen, scannen, kopieren und drucken kann - und das unentwegt Zeitungsartikel über Yucca Mountain, Infobroschüren und Unterstützerpost ausspuckt. Debbie managt das private Aktionszentrum - Beschwerdetelefonate eingeschlossen - denn Yucca Mountain hat heikle Nachbarn: das riesige Waffentestgelände Nevada Test Site - und den Luftwaffenstützpunkt Nellis.
Ich muss regelmäßig bei der Air Force anrufen und mich über die Tiefflüge beschweren. Manchmal wissen die dort noch nicht mal Bescheid, weil die Kampfjets SO tief fliegen, dass sie vom eigenen Radar nicht entdeckt werden können. Vor ein paar Monaten ist einer abgestürzt - gerade mal 16 Meilen von Yucca Mountain entfernt.
Ach, wenn's doch wirklich nur ein schlechter Witz wäre, seufzt Debbie - und muss dann doch lachen. Einer ihrer engsten Verbündeten ist Ed Goedhart, der die größte Milchkuh-Farm der Region leitet. Täglich fährt Ed mit seinem schmutzverkrusteten Pickup Truck durch das Tal vor Yucca Mountain und organisiert den Widerstand. Das nationale Atommülllager direkt vor der Haustür wäre für alle eine ökologische und gesundheitliche Katastrophe, glaubt er - nicht nur, weil er dann sein Qualitätssiegel "Biomilch" vergessen könne.
Die Begriffe "radioaktiv" und "Öko" vertragen sich nicht. Wir haben wirklich Angst um unsere Zukunft, falls das Endlager kommt.
Die Melkmaschinen der Pondarosa Farm pumpen Milch für 30 Millionen Verbraucher aus den Eutern der schwarzbunten Kühe - wenn die verstrahlt wären, na dann gute Nacht, meint Ed. Er verweist auf die Erfahrungen vom nahegelegenen Nevada Test Site, wo die US-Regierung jahrzehntelang Nuklearwaffen erprobt hat - auch mit der Behauptung, alles sei vollkommen sicher und gefährlich.
Die Krebsrate unter denen, die auf dem Testgelände gearbeitet haben, ist immens hoch. Nur die Überlebenden behaupten, alles sei ganz ungefährlich - und das sind meistens die, die auch für das Yucca Mountain Projekt sind. Die Arbeiter, die an Leber- oder Lungenkrebs gestorben sind, können ihre Meinung nicht mehr sagen.
Mit solchen Kassandrarufen braucht Biobauer Ed seinem Nachbarn Ken Garey nicht zu kommen: Ken lebt seit Jahrzehnten in Armagosa Valley und hat früher auf dem Testgelände gearbeitet, als er noch jung und knackig war, wie er sagt - heute, mit Anfang 70, fühlt er sich immer noch flott und rüstig, wenn auch die dunkelblauen Jeans jetzt mehr am Bauch spannen und dafür am Hosenboden schlottern. Die Warnungen vor Gesundheitsgefahren schlägt der Nevada Test Site Veteran in den Wind:
Ich halte diese Gemeinde im Wortsinn für fremdenfeindlich - weil sie alles Neue, jeden Wandel ablehnt. Die Leute hier wollen erst wissen: nutzt oder schadet es ihnen - und wenn sie das nicht sofort erkennen können, sind sie dagegen. Es ist ja auch leichter, gegen etwas zu sein, als es zu erforschen und dann zu sagen: Es ist unproblematisch.
Ken ist seit Jahren im Ruhestand - bessert seine Rente aber mit einem Teilzeitjob auf: Im Auftrag der regionalen Umweltbehörde liest er täglich die Werte an den Mess-Stationen für Radioaktivität ab. Alles im grünen Bereich, sagt Ken und reckt seinen knochigen Daumen hoch: Hier in Armagosa Valley, nur wenige Meilen vom Testgelände entfernt, sei die Luft sauber und gesund - und das werde auch so bleiben, wenn erst mal der Atommüll der gesamten Nation in meilenlangen Tunneln, Hunderte Meter unter Yucca Mountain vergraben sei.
Unser Land wurde dank natürlicher Ressourcen aufgebaut. Und die werden nun immer weniger, und wenn wir nicht bald etwas unternehmen, wird aus Amerika eine Nation dritter Klasse. So einfach ist das. Bald wird Elektrizität ein so kostbares Gut sein, dass wir damit nur noch Kühlschränke betreiben, aber keine Golfplätze grün halten und Klimaanlagen mehr laufen lassen können, weil das zu teuer würde. Deshalb müssen wir billige Energie produzieren!
Atomkraft ist in den Augen Ken Gareys die amerikanische Antwort auf alle Energiefragen - und wer Abfall produziert, muss den Abfall auch entsorgen - so ist das eben, meint der Rentner, klettert in seinen weißen Pritschenwagen und rumpelt weiter auf der staubigen Wüstenpiste zur nächsten Messstation. Geologe Frishman weiß auch, dass für den landesweit produzierten Atommüll eine langfristige Lösung gefunden werden muss. Bislang lagern die über 100 Nuklearanlagen der USA ihre Brennstäbe meistens auf dem jeweils eigenen Gelände - auch nicht gerade eine sichere Alternative. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotzdem immer noch der beste Ansatz, glaubt Frishman:
Wir sollten die radioaktiven Brennelemente weiter dort aufbewahren, wo sie jetzt sind. Jede andere Lösung erhöht das Risiko - und wenn man auf Yucca Mountain beharrt, dann wissen wir, wird ein sehr langfristiges Risiko entstehen. Es klingt zwar nicht sehr fortschrittlich zu sagen: Lass den Strahlenmüll, wo er ist - aber es ist das Sicherste. Der Transport allein stellt ein höheres Risiko dar.
Frishman rät dazu abzuwarten: in ein paar Jahren sei die Wissenschaft sicher soweit, dass Strahlenmüll ganz und gar risikolos zu entsorgen sei - beispielsweise durch die so genannte Transmutation: das Unschädlichmachen von radioaktivem Material. Im Ex-Gouverneur von Nevada findet er mit solchen Überlegungen keinen Freund: Bob List hat sich nach seiner Abwahl vom Staatsposten als Sprachrohr der Atom-Industrie anheuern lassen und zählt deshalb zur Zeit zu den wohl umstrittensten Menschen in dem US-Bundesstaat, der den Atommüll vom Rest der Nation aufbewahren soll. Das Wort "Verräter" ist in der öffentlichen Diskussion wie ein zweiter Name für ihn geworden.
Ich bin Realist. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Endlager kommt - und dass es Nevada riesige wirtschaftliche Chancen eröffnet. Das zu vermitteln ist mein Job. Und wenn Leute mich deshalb beschimpfen, naja, ich habe mich dran gewöhnt, als ich noch Gouverneur war. Ich lasse die Worte an mir abperlen.
Der joviale Politiker ist gehalten, ein Projekt anzupreisen, dass in Nevada viele Gegner hat - unter anderem die Regierung des Staates im Südwesten der USA, die Yucca Mountain als Standort kategorisch ablehnt.
Im Augenblick sind 1.300 Leute am Projekt beschäftigt. Wenn es erst mal richtig losgeht in Yucca Mountain, dann werden mehr Bauarbeiter angestellt, es gibt gute Jobs, gut bezahlt, und all das wird sich auch auf den Rest des Staats auswirken. Für das Endlager sind gut 50 Milliarden Dollar veranschlagt - das größte öffentliche Projekt der Welt!
Bob List hat sich die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt und schlürft verträumt Wasser aus der Plastikflasche, die ihm eine Sekretärin mit ballonartig auftoupierter Frisur hereingebracht hat. Durch die getönten Fensterscheiben kann er Touristen in Turnschuhen und Trainingsanzügen die Straße entlang hasten sehen - wenn er die Augen hebt, erkennt er am Horizont die rötlichen Bergrücken, die wie ein Bollwerk seine Stadt umgeben.
Las Vegas - die Unterhaltungsmetropole mitten in der Wüste, die Stadt der Millionen Lichter, der Spielhöllen und Varieteeshows liegt nur knappe 140 Kilometer südöstlich von Yucca Mountain.
Hier in Las Vegas regt sich ganz massiver Protest gegen das geplante Atommüll-Endlager. Unter anderem die einflussreiche Casino-Industrie macht mobil und hat eine beispiellose PR-Kampagne gegen das Yucca Mountain Projekt gestartet. In Nevada ist das Glücksspiel nicht nur legal, es ist allgegenwärtig: Jedes Hotel, jede Kneipe hat seine eigene, meist gigantisch große Spielhölle - und selbst in der abgelegensten Tankstelle irgendwo draußen in der Prärie grüßt den Kunden das Geklingel der Einarmigen Banditen.
Die Spielbranche befürchtet dramatische Umsatzeinbußen - wie nach den Terrorattacken des 11. September - wenn erst einmal das Strahlenmülllager die Touristen fernhält.
Die Ereignisse vom 11. September haben die wirtschaftliche Bedeutung der Spielindustrie für Nevada gezeigt. Wir sorgen für 50 Prozent der Staatseinnahmen: das geht los mit den Kasinosteuern, Verkaufssteuern, Grundstückssteuern bis hin zu anderen Abgaben, die wir zu zahlen haben. Nach dem 11. September mussten Tausende Casinoangestellte entlassen werden - alle anderen Wirtschaftszweige litten mit. Unser Ansatz ist: Was mit der Spielindustrie passiert, geschieht auch mit Nevada.
Das würde Arbeitslosigkeit und einen sinkenden Staatshaushalt bedeuten - genau das Gegenteil dessen, was ein Befürworter wie Bob List verspreche, argumentiert Leslie Pittman von der Kasino-Kette Station Casinos. Ihr Unternehmen hat eine stattliche Summe für den juristischen Kampf Nevadas gestiftet. Der Bundesstaat hat derzeit mehrere Klagen gegen die Regierung in Washington laufen und ist positiv gestimmt: Der angeheuerte Anwalt, ein Fachmann auf dem Gebiet Nuklearpolitik, ist sich seiner Sache sogar so sicher, dass er nur im Falle eines Sieges für Nevada sein Honorar einfordern will. Casino-Sprecherin Leslie Pittman:
Unsere Abgeordneten haben im vergangenen Jahr vier Millionen Dollar für den Kampf gegen den Standort Yucca Mountain bewilligt. Wir haben uns dem mit unserem Geldbeitrag angeschlossen: Wir alle wollen verhindern, dass der Strahlenmüll hierher kommt - und wir setzen auf eine US-weite PR-Kampagne.
TV-Spot: With over 50,000 trucks and trainloads moving through our streets even the government admits: nuclear accidents are inevitable and terrorist attacks will become harder than ever to prevent.
Die Anti-Yucca-Mountain-Fernsehspots laufen landesweit und schildern in düstren Farben die Transportgefahren: Mindestens 50.000 Lastwagen- und Eisenbahnladungen hochradioaktiven Mülls würden dicht an Städten und Siedlungen vorbeifahren; da müsse selbst die Regierung zugeben, dass Strahlenunfälle unvermeidlich - und Terroranschläge schwieriger denn je zu verhindern seien.
In diesem Land sind die Entfernungen riesig. Und Nevada liegt - im Verhältnis zu den meisten Atomkraftwerken - weit ab vom Schuss. Der Transport der Brennstäbe zu Yucca Mountain würde durch insgesamt 43 Staaten führen, und 50 Millionen Menschen leben nur eine halbe Meile von den Transportrouten entfernt...
...gibt Geologe Frishman zu bedenken, der auch sagt: Er sei nicht grundsätzlich gegen Atomkraft - nur sicher müsse sie doch sein - eine gefahrlose Entsorgung inbegriffen. Doch auch die Atomindustrie fährt an der PR-Front ihre Geschütze auf:
Granddad, you're an engineer. Is this plan to move waste from the nuclear power plants safe?? - Actually, we've been doing it for decades. Anyone get hurt? Nope, 3.000 shipments, no one harmed!
Opa, du bist doch Ingenieur, schmeichelt eine attraktive Blondine in einem weichgezeichneten Kulissen-Wohnzimmer und will wissen, ob der Transport von Atommüll eine sichere Angelegenheit sei. Worauf der Großvater antwortet: tja, dies geschehe doch schon seit Jahrzehnten - und bei 3.000 Einzeltransporten sei noch niemand verletzt worden. Diese Erklärung glättet in Sekundenschnelle die Sorgenfalten auf der Stirn der Fernsehenkelin. Eine solch beruhigende Erklärung könnte auch aus dem Mund von Ex-Gouverneur und Atomlobbyist Bob List zu hören sein. Wenn er mit Kritikern zusammentrifft - und das geschieht ständig - bemüht er gerne plastische - und drastische - Bilder und Vergleiche: Radioaktiver Müll falle in die gleiche Kategorie wie viele andere gefährliche Dinge auf der Welt.
I think that nuclear waste .... If one goes over and sticks one's finger ....the same thing is true with nuclear.
Wenn man seinen Finger in die Steckdose steckt, bekommt man einen Schlag. Und wenn man den Mast hochklettert und die Stromleitung anfasst, stirbt man. Alles eine Frage, wie man mit Elektrizität umgehe - und das gleiche gelte für Atommüll, belehrt Bob List einen skeptisch dreinblickenden Besucher in seinem Büro.
Mehr als skeptisch, nämlich leidenschaftlich gegen das Yucca Mountain Projekt ist Bürgerrechtlerin Kalynda Tilges von der Organisation Citizen Alert: Sie schmiedet bereits jetzt wilde Pläne für den Widerstand.
Kalynda arbeitet für die Bürgerrechts-Organisation Citizen Alert - nicht des Geldes wegen, sagt sie, sondern weil sie an das glaube, was sie tut. Und wer würde an ihrer Entschlossenheit zweifeln, wer sie einmal in Aktion erlebt: sie manövriert ihren zerbeulten Kleinwagen durch den ewigen Stau auf dem Strip von Las Vegas - das Handy am Ohr, delegierend, organisierend - die andere Hand kritzelt Stichworte auf einen zerfledderten Block - das Lenkrad klemmt zwischen den stämmigen Knien. Die Frau ist gerade mal 1 Meter 50 groß und zählt zu jenen Leuten, die man mit einem Kugelblitz vergleicht: ungefähr so breit wie hoch - und geladen mit ungestümer Energie.
Ein Grossteil meiner Inspiration kommt von den Anti-Atomwaffen-Protesten - aber auch die Demonstranten von Gorleben haben mich beeinflusst.
Kalynda weiß genau, was in Deutschland los ist, wenn Atomtransporte rollen - und sie hofft auf die Unterstützung der erfahrenen deutschen Freunde. Hier in Nevada kämpft sie Seite an Seite mit Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden und Umweltgruppen. Judy Treichel von der Nevada Nuclear Waste Task Force ist eine alte Verbündete, die schon gegen den Standort Yucca Mountain zu Felde gezogen ist, als der heutige Präsident Bush religiös noch unbekehrt war, Alkohol trank und in Texas Ölgeschäfte machte, spöttelt sie. Judy Treichel schwankt zwischen Kampfeslust und Galgenhumor - lege die Bush-Regierung nicht besonderen Wert auf Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung!?
Wir machen schon einen Witz darüber: Wenn Sie ein Terrorist wären, der an radioaktives Material ran will: Würden Sie versuchen, in ein extrem gut bewachtes Kraftwerk einzubrechen - oder würden Sie sich einfach an die Bahngleise oder Highways setzen und darauf warten, dass es Ihnen frei Haus geliefert wird?!
Die Chancen, dass das Endlager kommt, stünden leider gut - dank des Energieplans der Bush-Regierung, der auf den Bau weiterer Atomkraftwerke setzt, sagt Kalynda:
Bushs und Cheneys Energiepolitik beruht auf Atomkraft, Kohle und Öl. Nichts anderes wird berücksichtigt. Präsident Bush ist durch die Hilfe der Atomindustrie ins Amt gekommen und hat im Gegenzug Versprechen gegeben, die offenbar nicht dieselben waren, die er den Menschen hier im Land gab. Jetzt wissen wir also, wo seine wahren Interessen liegen.
Eines ärgert die robuste Bürgerrechtlerin mit den wilden dunklen Locken und einer heimlichen Liebe für Punkmusik ganz besonders: Dass Bush seine Wahl zum Präsidenten nicht nur der pingeligen Wahlscheinauszählung in Florida zu verdanken hatte - sondern auch den zwei Wahlmännerstimmen, den electoral votes, von Nevada: Die habe er nur bekommen, weil er während des Wahlkampf hoch und heilig schwor, seine Entscheidung für oder gegen Yucca Mountain von wissenschaftlichen Argumenten abhängig zu machen. Nun sei ja wohl klar, empört sich Kalynda, dass er sich keineswegs an der Sicherheit des Standorts orientiert habe:
Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es kein sicherer Ort ist. Deshalb hat die Politik im Nachhinein einfach die Regeln geändert - so dass Yucca Mountain nach den neuen Richtlinien sicher aussieht. Das ganze ist zu einer Polit-Schlacht ausgeartet. Nicht nur, dass die gesamte Regierungsforschung zu Yucca Mountain armselig und manipuliert ist - die öffentliche Meinung wurde auch völlig ignoriert - wegen der Wahlversprechen an die Wirtschaft.
Kalynda tingelt von einer Bürgerversammlung zur nächsten, um den Einwohnern Nevadas Dampf zu machen, sagt sie. Ihr Tag beginnt morgens um acht - mit Kontrollanrufen bei Abgeordneten und dem Entwerfen von Infobroschüren - und endet meist spät abends in irgendeinem Gemeindezentrum, irgendeinem Hinterzimmer einer Kneipe, in irgendeinem kleinen Nest in der Weite Nevadas. Dass das Yucca Mountain Projekt möglicherweise doch noch gekippt werden könnte - diese Hoffnung will die Aktivistin nicht aufgeben. Auch wenn der Kongress in Washington das Projekt bereits abgesegnet hat und im nächsten Jahr auf Wunsch des Präsidenten 593 Millionen Dollar für das Yucca Mountain Projekt gewähren soll - Kalynda hat noch ein juristisches As im Ärmel: Das Land, auf dem das Endlager entstehen soll, gehöre nämlich gar nicht der US-Regierung:
Das Land gehört den Schoschonen: Dieser Indianerstamm hat alle möglichen Verträge mit den USA abgeschlossen - aber er hat nie den Besitz an diesem Teil des Landes, auf dem Yucca Mountain liegt, abgetreten. Die USA haben schon versucht, den Schoschonen das Gebiet abzukaufen oder es ihnen mit windigen juristischen Verfahren abzuluchsen - aber bislang ohne Erfolg. Die Schoschonen werden das Land nicht verkaufen. Wenn das Atommüll-Projekt in die nächste Phase geht, das heißt: wenn die technischen Lizenzen beantragt werden, dann muss das Energieministerium Beweise bringen, dass das Land in Bundesbesitz ist. Und das wird ihm nicht gelingen!
Allerdings, das muss Kalynda auch zugeben, habe die US-Regierung eine imposante Mannschaft versierter Juristen aufzubieten, die Yucca Mountain doch noch in Bundesbesitz bringen - oder zumindest als Besitz interpretieren dürften. Wenn das Atommüll-Endlager Realität würde, so ihr letzter Gedanke, dann könnte der Name der nahegelegenen Wüstenregion bald erst recht wörtliche Bedeutung annehmen: Yucca Mountain grenzt an Death Valley: das Tal des Todes.