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Gottesbilder
Die weibliche Seite Gottes

Der Allerhöchste ist ein Mann - von dieser Vorstellung sind Judentum, Islam und Christentum geprägt. Dennoch hat das Weibliche einen festen Platz im Kult: Es gilt als weich, zugewandt und tröstlich. Eine Tagung in Frankfurt widmete sich Maria, der Schechina und ihren Schwestern.

Von Eva-Maria Götz-Laufenberg |
Eine Jungfrau Maria Statue hinter Glas, in dem sich der Himmel spiegelt.
In der Jungfrau Maria sind Erbstücke von Göttinnen aufbewahrt, sagt die Theologin Silke Petersen. (Getty/Asia Pac/Carl Court)
"Die Schechina ist eine sehr alte Vorstellung von der der Welt einwohnenden Präsenz Gottes, die zunächst einmal in der biblischen Literatur vorkommt", sagt Melissa Raphael, Professorin für religiöse, philosophische und historische Studien an der University of Gloucestershire. "Sie ist nicht wirklich als rein weiblich beschrieben, aber sie steht für die Anwesenheit Gottes im Tempel. Als der Tempel im Jahr 70 unserer Zeit zerstört wurde, begannen die Rabbiner die Vorstellung von der Schechina als einer trauernden Frau zu entwickeln, die das jüdische Volk ins Exil begleitet und ihnen als positive Figur in ihrem Leiden beisteht."
Christian Wiese, Inhaber des Martin-Buber-Lehrstuhls für jüdische Religionsphilosophie an der Uni Frankfurt, beschreibt das immer auch etwas ungreifbar bleibende Konzept der "Schechina" als Ausdruck für die weibliche Seite Gottes so:
"Also die Schechina in ihren vielen unterschiedlichen Gestalten ist der Kontaktpunkt des Göttlichen zur materiellen Welt. Und das wird weiblich gedacht. Das ist die Einwohnung Gottes in der Welt und dass das eine Frauenfigur ist, ist natürlich sehr spannend."
Unter Häresieverdacht
Der Begriff leitet sich her aus dem Hebräischen "schachran", das heißt wohnen oder zelten und "mischkan", das bezeichnete das Zelt, in dem Gott den Israeliten erschien und in dem die Bundeslade aufbewahrt wurde, das erste Heiligtum.
Schon früh gibt es die Vorstellung, dass sich in dieser Zugewandtheit, im Schutz-, Halt- oder Trostgebenden Gott als weiblich manifestiert hat. Und: Es gab ein Bedürfnis, diese weibliche Seite zu definieren.
"Das hängt damit zusammen, dass wir im Alten Orient Vorstellungen von einem Götterpaar auch haben, dass es einen männlichen Gott mit einer weiblichen Konsortin oder Gemahlin gab, und dann entwickeln sich diese verschiedenen Modelle: was ist mit dieser Göttin passiert?", erklärt Elke Morlok vom Seminar für Judaistik an der Uni Frankfurt.
Das Nachdenken über das Geschlecht Gottes, wie es dann vor allem in der jüdischen Mystik des Mittelalters geschah, war immer auch nicht ganz ungefährlich.
Elke Morlok: "Es ist dann natürlich immer die Frage nach der Einheit Gottes. Ist Gott einer, sind Gott zwei? Es wurde ja nach talmusischer Tradition als Häresie angesehen, wenn man sagt, es gibt zwei herrschende Autoritäten im Himmel."
Das Weibliche der Wunde Jesu
Dass auch im christlichen Glauben Geschlechtergrenzen nicht eindeutig sein müssen, erklärt Silke Petersen, außerplanmäßige Professorin für Neues Testament an der Universität Hamburg:
"Also die Seitenwunde Jesu kommt eigentlich aus dem Johannes-Evangelium, weil das das einzige Evangelium ist, wo bei der Kreuzigung erzählt wird, dass Jesus mit dem Speer an der Seite durchbohrt wird."
Die Darstellung der Seitenwunde Christi am Kreuz bekam in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ikonographie der Kreuzigungsszene dann eine besondere Bedeutung:
Silke Petersen: "Diese Wunde wird dann dargestellt in verschiedenen bildlichen Tradition als ein quasi nährendes weibliches Organ. Also das kann eine Brust sein, die das Blut gibt fürs Abendmahl, aber es hat auch so Milch-Konotationen wieder, aber es wird eben als "verrutschte Vulva" dargestellt, womit also Christus in diesen bildlichen Darstellungen also die weiblichen Attribute quasi organisch bekommt."
Das sind nicht die einzigen Beispiele dafür, dass gerade Christus männliche und weibliche Anteile in sich vereint. Besonders in den frühen apokryphen Texten, die nicht in den offiziellen neutestamentlichen Kanon aufgenommen wurde, finden sich noch mehr Stellen:
Silke Petersen: "Es wird in einem Text zum Beispiel einfach gesagt, dass er in Gestalt einer Frau erscheint, so ganz konkret. Und in einem anderen Text kann man sehen, dass er bei seiner Erscheinung sagt: "Ich bin der Vater, ich bin die Mutter, ich bin der Sohn", also da ist die weibliche Seite über die Mutter-Metaphorik quasi drin."
Maria im Koran
Am eindeutigsten aber manifestiert sich die weibliche Seite des christlichen Gottes in der Person seiner Mutter Maria. Silke Petersen:
"Natürlich ist das so, wenn man sich die katholische Marienverehrung anguckt, dass man das sehen kann, dass da ganz viele Erbstücke von Göttinnen aufbewahrt sind."
Das zeigt sich auch in der bildlichen Darstellung, meinte Jochen Sander, Kunsthistoriker an der Uni Frankfurt und am Städel Museum. Die entwickelte sich von der nährenden Mutter in frühchristlicher Zeit zu einer strahlenden Frau im Sternenkranz, gekleidet in roten Samt und als "Schutzmantelmadonna" angebetet und verehrt. Der Marienkult des Christentums hatte wiederum wahrscheinlich nicht nur Einfluss auf das Schechina-Konzept der mittelalterlichen, jüdischen Kabbalah. Auch im muslimischen Glauben spielt Maria eine wichtige Rolle.
"Maria hat eine sehr besondere Bedeutung im Koran, einfach weil sie die einzige Frau ist, die namentlich genannt wird", meint dazu Dr. Dina El Omari vom Zentrum für islamische Theologie der Universität Münster. In Sure 19 etwa werden die Verkündigung, die Schwangerschaft Marias und die Niederkunft genau erzählt und auch die Schwierigkeiten, die Maria als ledige Schwangere mit der Gesellschaft hatte:
"Das ist eines der Narrative, die am exzessivsten erzählt werden, am breitesten ausgeführt werden und Maria ist deshalb besonders, weil sie so eine direkte Verbindung mit Gott hat. Also Gott beauftragt sie, das Jesuskind auszutragen, er begleitet sie dabei, er tröstet sie, er versorgt sie, er hat auch eine sehr enge Bindung zu dieser werdenden Mutter auch."
Gott - ein schwarzes Loch
Auch im Islam ist die weibliche Seite Gottes ein Thema und wird als die dem Menschen zugewandte, barmherzige Seite beschrieben:
Dina El Omari: "Die weibliche Seite Gottes kann man sehr schön daraus ableiten, dass eben der Begriff Rahman, also dieser Barmherzigkeitsbegriff, sich ableitet von dem Begriff "R`achem", das ist der Begriff für Mutterleib. Und dass das Verhältnis Mutter-Kind beschrieben wird und auch dieses Liebesverhältnis und es ist eben auffällig, dass Gott sich hier mit einem Attribut bezeichnet, was diese Konnotation trägt, also diese mütterliche, liebevolle Zugewandtheit sozusagen."
Auch hier findet sich also wieder die Idee der "Schechina" aus dem frühen Judentum, die in letzter Zeit auch in der feministischen Theologie starke Beachtung findet, wenn es um Gendergerechtigkeit im religiösen Diskurs geht.
Ist es überhaupt wichtig, ob und dass Gott eine männliche oder weibliche Seite hat?, fragte dagegen Shoshana Ronen, Professorin für hebräische Studien an der Universität Warschau. Da man grade in den Konzentrationslagern gesehen habe, wie grausam sich Wärterinnen benommen hätten, sei es viel zu kurz gedacht, die Begriffe Gott - Barmherzigkeit und Weiblichkeit gleichzusetzen. Shoshana Ronen:
"Für mich ist Gott ein schwarzes Loch. Ich brauche kein Gesicht, für mich sollte das alles komplett undefiniert sein. Auch wenn daraus eine Religion wird. Es gibt keinen jüdischen oder christlichen Gott, es geht darüber hinaus. Jüdisch, christlich, männlich, weiblich, das sind doch nur menschliche Zuschreibungen, aber sie sind nicht relevant für das Konzept Gottes. Das sind menschliche Eigenschaften."