Der Verband der Mediziner im öffentlichen Gesundheitsdienst plädiert für ein bundesweites Verbot von Präsenzgottesdiensten. Präses Manfred Rekowski, der oberste Chef für die evangelischen Kirchen im Rheinland, sagte im Deutschlandfunk, dass in den Gemeinden und Kirchen, in denen Präsensgottesdienste stattfänden, Hygienemaßnahmen peinlichst genau eingehalten würden. Für manche Menschen sei der Gottesdienst die einzige Begegnung an Weihnachten – das sei dann auch ein seelsorgliches Angebot.
Behördliche Vorgaben wären hilfreich gewesen. Die Kirchen seien stets kooperativ. Doch die Möglichkeit einer zentralen Vorgabe gebe es in seiner Kirche so nicht. "Wir überlassen das als Kirchenleitung den Menschen vor Ort, weil sie die Situation am besten kennen, die räumlichen Möglichkeiten".
Rekowski kritisierte auch den Eiertanz der Politik in NRW: Bilder vom Flughafen in Düsseldorf zeigten ein großes Gedränge, Menschen säßen "Po an Po". Er forderte mehr Konsequenz.
Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Rekowski, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat sich für eine Absage von Präsenzgottesdiensten ausgesprochen, aber es gibt keine klare staatliche Vorgabe für die Kirchen und die Gemeinden im Rheinland. Ist das eine gute Idee?
Manfred Rekowski: Es gibt natürlich sehr eingespielte, seit Monaten eingespielte Spielregeln für die Art, wie wir Gottesdienste feiern. Daran möchte ich zu Beginn noch mal erinnern. Wer das Bild vor Augen hat von normalen weihnachtlichen Situationen in Kirchengemeinden bei Gottesdiensten im letzten Jahr, der wird nichts davon in diesem Jahr nicht näherungsweise wiederfinden. Ich gehe erst mal generell davon aus, dass die Gemeinden einen Großteil, ich schätze rund 80 bis 90 Prozent der präsentischen Gottesdienste absagen werden. Und da, wo sie stattfinden, wird das wirklich sehr verantwortlich gemacht werden. Man wird nicht Menschenansammlungen wie am Flughafen oder wie in einem Supermarkt vorfinden. Ich selber werde zum Beispiel einen Gottesdienst halten am Heiligen Abend in einer Kirche mit tausend Plätzen. Da werden wir mit 50 Personen den Gottesdienst feiern. Das heißt, wir sind da sehr verantwortlich, und das sind Einladungen an die Menschen und keine Vorladungen. Das heißt, wir haben auch da, wo Präsenzgottesdienste angeboten werden, wo man sich anmelden konnte, eine deutliche Zurückhaltung der Menschen gespürt. Uns ist aber auch wichtig: Für manche ist der Gottesdienst der einzige Ort, wo sie an Weihnachten einen anderen Menschen treffen. Ein solches Angebot ist dann auch ein seelsorgliches Angebot, mit Abstand, ohne Gesang, mit Desinfektion und und und. Ich kann nur noch mal wiederholen: Das machen wir sehr verantwortlich. Das hat die Leopoldina uns auch bescheinigt.
Münchenberg: Herr Rekowski, nun ist es aber so: Wir haben in den letzten 24 Stunden die bislang höchste Todeszahl wegen Corona in Deutschland gehabt. Die meisten Experten, auch die Ärzte sagen, es ist besser, auf Gottesdienste zu verzichten. Wäre es da nicht trotzdem besser gewesen, wenn der Staat eine klare Vorgabe gemacht hätte, damit die Menschen zum Beispiel das Internet nutzen, um doch am Gottesdienst teilzunehmen?
Fantasievolle Angebote in der ersten Welle
Rekowski: Ich möchte noch mal an die Situation im Frühjahr, im März erinnern, an Ostern. Das Virus war völlig neu, unberechenbar und unklar. Da haben wir selbstverständlich aufgrund der staatlichen Vorgaben, wo gesagt wurde, es gibt den kompletten Lockdown, alle Gottesdienste an den hohen Feiertagen auch nicht präsentisch stattfinden lassen. Wir haben sie abgesagt. Es gab stattdessen Online-Gottesdienste, digitale Gottesdienste, weil man nicht wusste, wie kann man sich schützen. Es gab keine Masken und nichts und da wäre es völlig unverantwortlich gewesen, Gottesdienste anzubieten. Da haben wir selbstverständlich gemäß den staatlichen Vorgaben keine Gottesdienste angeboten, präsentisch, sondern nur Online-Angebote, Hausandachten und und und. Das war ja durchaus sehr fantasievoll.
Unser jetziger Stand – wir sind ja seit Monaten mit den Behörden in intensivem Kontakt und orientieren uns immer strikt an den Spielregeln. Am Anfang gab es noch ein paar Lockerungen. Da hieß es, man trägt die Maske nur, bis man seinen Platz gefunden hat. Dann wurde uns gesagt, die Maske wird während des ganzen Gottesdienstes getragen. Wenn es behördliche Vorgaben gibt, die klar sagen, an dieser Stelle ist es jetzt überhaupt nicht mehr zu verantworten, dann ist das für uns verbindlich.
Ich muss allerdings schon auch sagen: Mich wundert die Debatte in NRW ein bisschen. Man hat am letzten Samstag die Bilder vom Flughafen in Düsseldorf gesehen, ein riesen Gedränge, die Leute sitzen zwei bis drei Stunden im Flieger, Po an Po. Ich finde, da muss die Politik konsequent sein und für klare Verhältnisse sorgen. Die werden wir natürlich immer akzeptieren. Aber da erlebe ich auch einen nicht sehr hilfreichen Eiertanz, wenn ich das mal so sagen kann.
"Die Kirchenvorstände machen das sehr verantwortlich"
Münchenberg: Dann will ich vielleicht noch ein anderes Argument ins Feld führen. Viele Menschen haben ja in diesem Jahr auf sehr viel verzichtet, gerade um Alte und Kranke zu schützen, und da ist ja schon die Frage, weil das natürlich potenziell die Risikogruppen sind, vielleicht auch die Menschen, die in die Kirche gehen, ob da nicht gerade die Kirche ein Zeichen setzen sollte und auf Gottesdienste, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten.
Rekowski: Ich habe vorhin ein Beispiel genannt, wie ich präsentisch Heiligabend Gottesdienst feiern werde. An einer anderen Stelle ist der Gottesdienst auch durch den Kirchenvorstand abgesagt worden. Ich habe ein gottesdienstliches Angebot am Heiligen Abend für Menschen gemacht, die im letzten Jahr einen Angehörigen verloren haben. Da haben sich auch nur 19 Menschen angemeldet, also sehr übersichtlich. Aber da hat die Gemeinde gesagt, die räumlichen Situationen sind so, dass das eigentlich nicht gut geht, und dann haben wir den präsentischen Gottesdienst abgesagt. Aber ich werde ein seelsorgliches Alternativangebot machen, biete an, mit den Menschen zum Grab zu gehen. Wir sind da durchaus sehr fantasievoll. Aber noch mal: Die Presbyterien, die Kirchenvorstände machen das sehr, sehr verantwortlich und es finden eigentlich auch bis in die letzten Tage hinein noch mal Korrekturen des Hygienekonzeptes und auch vor allen Dingen weitere Absagen statt.
"Deutlich reduziertes Programm an Weihnachten"
Münchenberg: Sie haben den seelsorgerischen Aspekt betont. Ich will noch mal einen anderen Anlauf nehmen. Es sind nun mal besondere Zeiten und die Frage ist schon, ob man in diesen besonderen Zeiten nicht auf vieles verzichten muss. Da gehört in dem Fall, genauso wie sich die Bewohner in Altenheimen auf ganz schwierige Umstände einstellen mussten, dazu, dass sich auch die Kirche entsprechend anders aufstellt.
Rekowski: Das teile ich ja grundsätzlich auch und ich habe das vorhin schon angesprochen. Das was mir vertraut ist an Weihnachten, eine gut gefüllte Kirche und man schmettert gemeinsam "Oh Du Fröhliche", all diese Dinge wird es nicht geben. Da wird es ein deutlich reduziertes Programm geben. Aber ich würde auch noch mal sagen: Das, was ich so kenne, wie die Planungen sind, dass man sich mit Blick auf die Zuwegungen und Rückwege Gedanken macht, das passiert eigentlich sehr verantwortlich. Und noch mal: Mündige Menschen entscheiden selber, welches will ich. Frei von Risiken ist im Leben wirklich nichts. Menschen entscheiden dann, welches Risiko gehe ich ein, auch das beschränkte Risiko eines solchen Gottesdienstes. Risikofrei würde ich niemals sagen. Das ist klar. Aber wir tun nach menschlichem Ermessen alles, dass es möglichst risikofrei ist.
"Eine behördlich konsequente Linie wäre natürlich hilfreich in dieser Situation"
Münchenberg: Herr Rekowski, noch eine Frage. Sie haben vorhin auch von einem Eiertanz der Politik gesprochen. Hätten Sie sich vielleicht ein Stück weit doch lieber klare Regeln gewünscht, auch für die Kirchen? Wenn es diese klare Vorgabe gegeben hätte, dann hätten die Kirchen ja auch gewusst, was möglich ist und was nicht. So bleibt das ja letztlich jeder Gemeinde selbst überlassen.
Rekowski: Eine behördlich konsequente Linie – und da will ich dann auch noch mal durchaus den Kreis wieder etwas größer ziehen –, da würde für mich genauso das Reiseverhalten der Menschen dazugehören. Eine behördlich konsequente Linie wäre natürlich hilfreich in dieser Situation. Wir als Kirchen waren und sind immer kooperativ an der Stelle. Wenn es eine Situation gibt, die besondere Maßnahmen erfordert, werden wir jederzeit auch unsere eigenen Maßnahmen noch mal neu überdenken, anpassen und verändern.
Münchenberg: Aber dass die Gemeinden auf die Gottesdienste letztlich verzichten sollten, die Präsenzgottesdienste, diesen Appell sagen Sie nicht?
Rekowski: Die Ordnung in unserer Kirche ist so, dass es keine zentralen Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Im Kirchenkreis Duisburg zum Beispiel fallen alle präsentischen Gottesdienste aus und in den anderen ist es wie gesagt so, dass 80 bis 90 Prozent der Präsenzgottesdienste ausfallen. Das heißt, das ist schon ein sehr eingeschränktes Programm. Wir überlassen das als Kirchenleitung den Menschen vor Ort, weil sie die Situation am besten kennen, die räumlichen Möglichkeiten. Ich habe von einem Pfarrer aus dem Saarland vorhin noch gehört, der sagte, ich mache acht Gottesdienste in sehr, sehr kleiner Besetzung, ich wechsle jeweils die Kirchen, damit zwischendrin eine Stunde lang gelüftet werden kann. Das sind dann so verantwortliche Konzepte, wo ich auch hier nicht zentral aus Düsseldorf sage, ich weiß das besser, dass das nicht geht. Insofern haben wir bei uns keine Möglichkeit, zentrale Vorgaben zu machen. Aber noch mal: Staatliche Vorgaben wären für uns schon sehr orientierend gewesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.