Elisabeth Knöps, orthodoxe Christin aus den Niederlanden, über ihre Freundin, die vor 15 Jahren an Kinderlähmung erkrankte:
"Sie erwartete damals gerade ihr achtes Kind! Sie musste ins Krankenhaus und sitzt seitdem im Rollstuhl. Aber sie hat noch vier Kinder gekriegt, und heute sind sie alle glücklich, Mutter, Vater und Kinder!""
und Emile van Rouveroy, ein Anthropologe mit Bauernhof und tief religiöser Nachbarschaft:
"Über die Katholiken sprechen die orthodoxen Calvinisten immer noch wie zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier im 16. Jahrhundert! Die Katholiken sind der Todfeind - und der Papst ist die Hure von Babylon!"
Gottesfurcht hinterm Deich: Gesichter Europas heute über die orthodoxen Calvinisten in den Niederlanden. Reporterin ist Kerstin Schweighöfer, und am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Schmidt-Mattern.
Die Deutschen fordern freie Fahrt für freie Bürger. Und die Niederländer: Freies Wort für freie Bürger. In einem Land, das aus den Glaubenskriegen der Reformation hervorgegangen ist, verwundert das eigentlich nicht. Religions- und Meinungsfreiheit zählen zu den nationalen Mythen. Gerade deswegen streitet derzeit kaum eine Nation in Europa so emotional über Islam und Integration wie die Holländer. Unantastbar sind dagegen die strenggläubigen Calvinisten des Landes.
Sie machen gut zwei Prozent der Bevölkerung aus und leben im niederländischen Bibelgürtel, der sich von Zeeland im Südwesten bis zum Ijsselmeer im Norden erstreckt. Die orthodoxen Christen finden Radiohören schädlich, Fernsehen erst recht, und sonntags darf weder Rasen gemäht noch das Auto gewaschen werden. Parteiämter für Frauen sind tabu, Glückspiel und Krematorien auch. Das streng calvinistische Städtchen Staphorst würden manche als fundamentalistisch bezeichnen. Die Einheimischen, so genannte Schwarzstrümpfler, sprechen lieber von Pflicht und Ordnung:
Ein Sonntagmorgen, kurz vor neun. Da, wo der Gemeindeweg die Kirchenallee kreuzt, ragt der Backsteinturm der Dorfkirche in den grauen Himmel, asketisch und schmucklos - so wie das Kirchengebäude selbst auch. Die Straßen sind wie ausgestorben.
Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Und ein vereinzeltes Auto fährt vorbei, aus dem Dorfzentrum Richtung Autobahnauffahrt.
Dann nähert sich von beiden Seiten auf einmal eine schwarz gekleidete Menschenmasse: Männer, Frauen und Kinder, alle dunkel gekleidet. Sie kommen zu Fuß oder auf dem Rad.
Die Frauen tragen Rock und Hut. Einige der jungen Mädchen haben ihn in einer Plastiktüte bei sich und setzen ihn erst kurz vor Betreten der Kirche auf. Die alten Frauen tragen die Staphorster Tracht aus schwarzem Rock mit blauer Schürze und gemustertem Schultertuch. Ihre Schuhe über den dicken schwarzen Strümpfen sind mit einer silbernen Schnalle verziert; silbern ist auch das Schloss an ihren Gebetsbüchern, die an silbernen Ketten an ihren Handgelenken baumeln.
Sogar die ganz alten Frauen kommen mit dem Rad zur Kirche, sie sind es so gewöhnt, jeden Sonntag, bei Wind und Wetter, morgens nach neun und dann ein zweites Mal, nachmittags um halb zwei. Das sieht man ihren gegerbten, verrunzelten Gesichtern an. Der Speichenschutz an ihren Rädern ist selbst gehäkelt, kunstvolle Spitzen und Rosetten in lila, blau, türkis und silbergrau.
Fremde und Schaulustige werden misstrauisch beäugt. "Fotografieren und Filmen strengstens verboten" steht in großen Lettern auf einem Schild außen an der Kirchenmauer. Ein Mann in einem schwarzen dreiteiligen Anzug hält inne. Er hält das Aufnahmegerät mit dem Mikrofon für einen Fotoapparat:
"Am Tag des Herrn ist es nicht erlaubt, zu fotografieren!" zischt er im Vorbeigehen und wirft noch einen bösen Blick über die Schulter, bevor auch er in der Kirche verschwindet.
Pünktlich um halb zehn beginnt Pfarrer Tjitze de Jong mit der Predigt. Der 66-Jährige ist der meistrespektierte Mann von Staphorst.
Auf dem Gemeindeweg nähert sich ein Vater mit seinem Sohn, sie kommen vom Hotel Waanders, das liegt einen Steinwurf entfernt, gleich neben der Autobahnzufahrt. Die beiden sind auf der Durchreise und müssen weiter in die Nachbarstadt Meppel, wo der Sohn an einem Tennisturnier teilnehmen soll. "Beim Frühstück sahen wir die Kirchgänger vor dem Hotel vorbeilaufen", erzählt Ger Kenter:
"Das wollte ich meinem Sohn nicht vorenthalten, deshalb sind wir noch schnell Richtung Kirche gelaufen, aber wir sind zu spät dran - sie sind alle schon drin! Was für ein Spektakel! Wenn der Pfarrer ihnen verbietet, Erbsen zu essen, essen sie auch keine Erbsen mehr! Die sind mit ihrem Glauben genauso extrem wie Al Qaida! Es heißt zwar immer, dass sie nicht gewalttätig sind, aber wenn sie Probleme kriegen, halte ich das nicht für ausgeschlossen!"
Sein Sohn Tim kommt aus dem Staunen nicht heraus. So etwas hat er noch nie gesehen. Unvorstellbar! Er wusste nicht, dass es solche Menschen gibt!
Sonntags dürften die überhaupt nichts tun, weder Tennisspielen noch Fußball. Und Fernsehen, das sei sowieso tabu.
Im Hotel Waanders ist das Frühstück noch in vollem Gange. Hinterm Tresen stehen zwei Bedienungen, beide tragen eine grüne Bluse, und beide heißen Hennie.
Sonntags ist in Staphorst alles geschlossen, erzählt eine von ihnen. "Nur wir haben auf. Und der Chinese um die Ecke":
Hennie wohnt in einem Neubauviertel am Stadtrand. Früher lebte sie mitten im Zentrum, aber da wurde sie dauernd kontrolliert und von den Schwarzstrümpflern im Auge behalten. Vor einigen Jahren noch konnte man sonntags in Staphorst noch nicht einmal Zigaretten aus dem Automaten ziehen; auch der Geldautomat der Bank war blockiert. So extrem sei es jetzt zum Glück nicht mehr.
Manchmal kommen die Schwarzstrümpfler auf eine Tasse Kaffee im Hotel Waanders vorbei oder zum Essen. Am Ostermontag. Am Neujahrstag oder dem zweiten Weihnachtsfeiertag. Natürlich nur, wenn die nicht auf einen Sonntag fallen, betont die zweite Hennie:
"Dann bedienen wir sie - zum Beispiel einen ganzen Samstagabend lang. Und sie sind freundlich zu uns. Aber wenn ich ihnen dann am Sonntagmorgen auf dem Weg zur Arbeit begegne, dann wenden sie den Kopf ab, dann kennen sich mich auf einmal nicht mehr. Weil ich sonntags arbeite!"
An der Rezeption, hinterm Computer, sitzt Hennies Chef Hendrik Waanders. Er ist milder und verständnisvoller. Man müsse versuchen, sich gegenseitig zu respektieren, meint der 37-Jährige. Leben und leben lassen. Unter diesem Motto könne man es auch in Staphorst gut aushalten:
"Man darf hier halt sein Auto am Sonntag nicht waschen, das weiß man, und dann tut man das auch nicht. Warum sollte man einen großen Teil der Bevölkerung vor den Kopf stoßen? Mit Provokationen erreicht man nichts!"
Hendrik ist in Staphorst aufgewachsen, heute wohnt er im Nachbarort. Sein Urgroßvater hat das Hotel 1901 gegründet. Dass sonntags nichts erlaubt ist, hat ihn schon als Kind nicht weiter gestört.
Er spielte dann einfach zuhause mit gleichgesinnten Kindern, erinnert sich Hendrik. Unter den Schwarzstrümpflern hat er nie Freunde gefunden:
Einen Steinwurf entfernt in der Dorfkirche hat Pfarrer de Jong nach zwei Stunden seine Predigt beendet.
Eine schwarze Masse quillt aus der Kirche und verteilt sich, wie sie gekommen ist, wieder nach rechts und links.
Nach wenigen Minuten verschwinden die letzten Kirchgänger als schwarze Punkte in der flachen Landschaft am Horizont. Nur noch das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Und ein vereinzeltes Auto auf dem Weg zur Autobahn.
Der Lebenswandel der strenggläubigen Calvinisten passt scheinbar gar nicht zum progressiven Ruf der Niederlande. Doch der Wunsch nach freier Religionsausübung ist so alt wie die Nation selbst. Ende des 16. Jahrhunderts spalteten sich die sieben freien Provinzen im Norden vom spanisch regierten und damit vom katholischen Süden ab; seither gelten die Niederlande als sicherer Hafen für Andersdenkende. Brüchig geworden ist diese Gewissheit erst in den letzten Jahren. Um Religion und Identität geht es auch in dem 2005 erschienenen Roman Im Garten des Vaters. Die deutsche Übersetzung ist im Arche Verlag erschienen. Der niederländische Autor Jan Siebelink schildert darin die Lebensgeschichte von Hans Sievez, einem Gärtnereibesitzer, dem der wirtschaftliche Erfolg jedoch versagt bleibt. Aufgewachsen unter den Schlägen eines strenggläubigen Vaters, gelingt es Hans nur scheinbar, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Seine von Gewalt geprägte Kindheit verfolgt ihn ein Leben lang.
"Der Lehrer schraubte seinen leuchtendroten Füller auf, schrieb etwas in sein Zensurenheft und begann mit dem Erdkundeunterricht. Hans hörte den Lehrer noch sagen, die Ziegeleien am Fluss lägen auf alluvialen Ablagerungen... Er konnte den Blick nicht vom Füllfederhalter abwenden, spürte seinen Magen.
Vor ein paar Monaten. Der Vater hatte gerade das Tischgebet gesprochen, tunkte Brot in einen Teller mit Suppe. Weil die Fenster so klein waren, lag nur ein Teil des Zimmers im Abendlicht. Der Vater trug ein kragenloses weißes Hemd, bis oben zugeknöpft. So fürchtete Hans sich noch mehr vor seinem Vater, wagte kaum, ihn anzuschauen. Als er sich auf seinem Stuhl bewegte, fiel der rote Füller des Lehrers aus seiner Tasche. "Wo hast Du den her?" Der Vater bückte sich und hob ihn auf. "Ich habe ihn nicht weggenommen." Die Narbe auf Vaters Mund schwoll an. "Lass uns erst zu Ende essen", sagte die Mutter.
Die Mahlzeit wurde unterbrochen. Hans ging zum Haus des Lehrers und brachte den Füllfederhalter zurück. Er war ihm nicht böse, nahm die Entschuldigung an. Danach setzten sie die Mahlzeit fort. Er bekam das kalte und fast schwarze Krickentenfleisch nicht herunter. Der Vater las eine Stelle aus den Sprüchen Salomos über Diebe und Unzüchtige. Nach dem Gebet stand er auf und bedeutete Hans mitzukommen. Nervös begann die Mutter, den geäderten Fuß der Petroleumlampe mit dem Schürzenzipfel zu polieren.
Er ging hinter seinem Vater her nach draußen, unters Vordach, wo die schweren Arbeitsstiefel standen, über eine knarrende Planke quer durch den kleinen Garten hinterm Haus. Die Mutter kam ihnen nach.
"Schließ ihn nicht im Stall ein. Diesmal nicht.""
Jean Cauvin wurde 1509 in Frankreich geboren, besser bekannt ist er heute als Johannes Calvin. Seine katholische Heimat musste der studierte Jurist 1533 verlassen, denn er hatte sich offen zu den Ideen der Reformation bekannt. Calvin ließ sich im Laufe seines Lebens in Genf und Straßburg nieder, sein berühmtestes Werk aber entstand 1536 in Basel. Es trägt den schlichten Titel Unterweisung in der christlichen Religion. Leitgedanke des Werkes ist die Prädestination, also die Vorherbestimmtheit des menschlichen Schicksals. Jeder Lebensweg beruht nach Auffassung der Calvinisten auf dem Willen Gottes, doch das entbindet nicht von Pflichten. Nüchternheit, Fleiß und ein sündenfreies Leben gelten als höchstes Gut. Erst die strenge Einhaltung aller Regeln zeigt dem Einzelnen, ob er von Gott auserwählt ist oder nicht. Die Lehre Calvins soll eines der Fundamente für das Gewinnstreben im späteren Kapitalismus gewesen sein – doch diese Annahme ist heute umstritten.
Ganz friedlich geht es auch im Bibelgürtel der Niederlande nicht zu – wehe dem, der sich nicht an die Regeln hält: Wer etwa dem Sohn die Homosexualität nicht austreibt oder sich mit Katholiken einlässt, hat schlechte Karten. Besuch in der Nähe von Staphorst, bei einem Professor und seiner Haushälterin:
Aufgeregt kommt Emile van Rouveroy in die Küche. Der Viehhändler steht bei ihm vor der Tür; er will Emile eine trächtige Kuh verkaufen, für 1.100 Euro, ein interessantes Angebot!
Aber Haushälterin Hilligje Kok ist entschieden anderer Meinung: Kommt nicht in Frage! Im Stall steht bereits eine Kuh, die demnächst kalben wird. Das wird viel zu viel Arbeit!
"Da behaupte einer, die Frauen in Staphorst seien unmündig!" lacht van Rouveroy, ein hochgewachsener, aristokratisch wirkender Mann mit Baskenmütze und grauen Bartstoppeln. Der 69-Jährige ist Filmemacher und Anthropologe. Er lebt auf einem Bauernhof, rund fünf Kilometer von Staphorst entfernt. "Ich bin ein Bauer mit Professorentitel oder ein Professor mit Bauernhof", pflegt er zu sagen. Hilligje Kok, eine mollige kleine Frau mit Knoten im Haar und langem Faltenrock, lacht sich darüber immer kaputt:
Hilligje ist die gute Seele des Hauses: Die 60-jährige Witwe macht sauber und erledigt die Einkäufe; sie kümmert sich um die drei Gästezimmer, die van Rouveroy vermietet, und sie sorgt auch für seine acht Kühe, die auf der Wiese ihres eigenen kleinen Bauernhofes in Staphorst stehen. "Wir teilen alles, bis auf das Bett!" witzelt der Wissenschaftler.
Hilligje errötet leicht, aber ihr gegenüber darf sich der Professor, den sie grenzenlos bewundert, solche Bemerkungen herausnehmen - dazu kennt man sich zu gut. Zwar ist auch Hilligje tiefgläubig, ihre Lebenskraft, so sagt sie, schöpft sie aus der Bibel.
Aber verglichen mit den meisten anderen Staphorstern ist Hilligje aufgeschlossen und geradezu liberal. Das macht sie im Dorf zur Abtrünnigen, zur Dissidentin.
"Ich lebe anno 2008, ich habe einen Fernseher, und ich bin krankenversichert. Der liebe Gott hat mich nicht im 17. oder 18. Jahrhundert zur Welt kommen lassen!"
Hilligje hat für handfeste Skandale gesorgt, weil sie es nicht schaffte, ihre fünf Kinder zu strenggläubigen Kirchgängern zu erziehen: Einer ihre Söhne ist schwul, eine Todsünde. Und - mindestens genauso schlimm: Ein zweiter Sohn hat eine Katholikin aus dem fernen Brasilien geheiratet. Er hätte genauso gut eine Muslimin heiraten können, meint van Rouveroy:
"Über die Katholiken sprechen die orthodoxen Calvinisten immer noch wie zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier im 16. Jahrhundert! Das grenzt an Rassismus! Die Katholiken sind der Todfeind - und der Papst ist die Hure von Babylon!"
Die letzten Sympathien verscherzte sich Hilligje, als der Professor sie überzeugen konnte, bei einem Dokumentarfilm mitzuwirken. Darin wollte er das Alltagsleben einer Staphorster Familie beschreiben - und das Spannungsfeld zwischen Glauben und Politik in dieser streng religiösen Gemeinschaft. Vier Jahre lang nahm er an den Sonntagspredigten von Pfarrer de Jong teil und besuchte auch alle Gemeinderatssitzungen.
Die sind öffentlich, deshalb durften ihm die Stadtväter das Recht zu drehen nicht verwehren. In der Kirche allerdings ist das strengstens verboten. Van Rouveroy musste sich vor dem Betreten auf versteckte Kameras und Mikrofone durchsuchen lassen. Seine Anwesenheit war alles andere als erwünscht, er bekam sogar Drohungen. Und Pfarrer de Jong ließ es sich nicht nehmen, ihn höchstpersönlich zu warnen:
"Er sagte: Sie wissen, ein Wort von mir auf der Kanzel reicht, und Sie sind erledigt!"
Pfarrer de Jong sei der mächtigste Mann von Staphorst, fast schon zu vergleichen mit einem absolutistischen Fürsten!
"Der König, das bin ich - oder, noch besser: Der Staat, das bin ich!"
Van Rouveroy hat im Gemeinderat miterlebt, wie es dem Pfarrer gelang, ein amtliches Fluchverbot über die Gemeinde zu verhängen. Denn der Pfarrer ist nicht nur Pfarrer, sondern auch Vorsitzender der größten Partei in Staphorst, der streng orthodoxen SGP. Und das ist nicht alles: Einer der SGP-Dezernenten im Rathaus ist ein Sohn des Pfarrers, und der Fraktionsvorsitzende sein Schwiegersohn. Von einer Trennung zwischen Kirche und Staat könne keine Rede mehr sein, stellte van Rouveroy fest. Das sei ein klarer Fall von religiöser Oligarchie:
"Für Toleranz ist in dieser Gemeinschaft kein Platz, gegenüber Katholiken oder sogar Moslems schon gar nicht. Der einzig wahre Glaube ist für die Staphorster ihr eigener."
"Die Islamisten in den Niederlanden haben sich politisch noch nicht organisiert, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit, und davor fürchten sich die orthodoxen Calvinisten. Denn was ist, wenn sich die Islamisten auch Vorrechte herausnehmen wollen? Wenn auch sie sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen? Das kann man ihnen nicht verweigern - und da werden die Calvinisten ganz schön schlucken müssen!"
Vergleiche mit islamistischen Fundamentalisten weisen die christlichen Orthodoxen ebenso bestürzt wie empört zurück. Immerhin würden sie im Gegensatz zu ihnen keine Gewalt anwenden! Aber, so stellt van Rouveroy klar, so groß sei der Unterschied nicht:
"Bei Gewalt denkt jeder sofort an physische Gewalt, aber die Schwarzstrümpfler wenden mentale Gewalt an, und die finde ich mindestens genauso bedrohlich! Pfarrer de Jong ist ein sehr intelligenter Mann, zuweilen sogar geistreich und unterhaltsam. Aber wenn er auf die Kanzel steigt, ist er nicht wiederzuerkennen, dann läuft es einem kalt den Rücken runter! Da wird mit der Hölle gedroht. Für mich ist das religiöser Terror!"
Wer ausschert, wird in dieser Gemeinschaft sofort zurückgepfiffen und in die Schranken gewiesen. Auch bei Hilligje Kok stand schon mehrmals der Kirchen-Ältestenrat vor der Tür:
"Dann wird ihr ins Gewissen geredet, dann heißt es: Hilligje, was tust du da? Wieso hast du deine Kinder nicht unter Kontrolle? Die Reihen müssen sich wieder schließen, denn auch Hilligje ist eine Bedrohung, sie könnte einen Dominoeffekt auslösen."
Oft fühlte sich die kleine Frau mit dem Rücken zur Wand und im Stich gelassen. Als ihr Sohn sich als schwul outete, fand sie niemanden, der bereit war, mit ihr darüber zu reden. Dabei hatte sie selbst die größte Mühe, dies mit ihrem Glauben zu vereinbaren.
Als ihre Familie dann auch noch in van Rouveroys Film mitwirkte, wandte sich selbst ihre beste Freundin von ihr ab. Aber gut, seufzt Hilligje: "Immerhin schauen mich die Leute auf der Straße noch an":
"Fragt sich nur wie, Hillegje!", kontert der Professor." Mit Argusaugen!"
Seufzend gibt sie ihm recht. Man sieht ihr an, sie will es lieber nicht wahrhaben. Aber nach und nach rückt sie mit der Sprache heraus:
"Manchmal habe ich mehr Angst vor den Leuten als vor Gott."
Aber warum bricht sie dann nicht aus? Warum zieht sie nicht um? Die Kinder sind groß, ihr Mann ist tot.
Wieder ringt die mollige kleine Frau mit den Worten. Auch das ist ein wunder Punkt, über den sie am liebsten nicht reden möchte.
Ja, gibt sie schließlich zu, ein paar Mal hat sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Aber alleine weggehen, das traut sie sich nicht. Außerdem: Sie ist in Staphorst geboren und aufgewachsen. Ein großer Teil ihrer Familie lebt hier. Und nicht zu vergessen, der Professor!
Abrupt lenkt sie vom Thema ab. Sie muss noch frische Blumen kaufen, heute Abend treffen Gäste ein! Das hätte sie fast vergessen. Auch das Zimmer muss noch fertig gemacht werden. Zum Kaffeetrinken und Reden jedenfalls hat sie jetzt keine Zeit mehr.
Jan Siebelinks Roman "Im Garten des Vaters" endet in den siebziger Jahren, lange bevor in den Niederlanden die Diskussion über Islam und Integration begann. Hans Sievez hat seine Jugendliebe geheiratet und zwei Söhne mit ihr bekommen. Die religiös motivierte Gewalt seines Vaters glaubt er, verarbeitet zu haben.
"Unter der Lampe betrachtete er das soeben erstandene Buch. Es war 1701 in Leiden veröffentlicht worden. Von der Nachfolge Christi.
Er verstaute es unter einem Zeitungsstapel. Den ersten Satz wollte er lesen, wenn er weniger aufgeregt war. Er versuchte noch ein wenig weiterzuarbeiten, doch er verspürte keine rechte Lust mehr. Das Buch verdiente einen anderen Platz. Er holte es heraus, begann, das erste Kapitel zu lesen, und wiederholte laut den zuletzt gelesenen Satz: "Also ist es Eitelkeit, sein Herz an das hängen, was so schnell und unaufhaltsam vorübergeht, und nicht dorthin eilen, wo ewige Freude wohnt."
Hans versteckte das Buch hinter der Dose Parathion mit dem Totenkopf und den zwei gekreuzten Knochen und schloss den Schrank wieder zu. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Packtisch, konnte von dort aus die Flammen hinter den Scheiben des Kanonenofens sehen, wiegte leicht den Kopf und sagte: "Von der Nachfolge Christi" und ging zum Treibhaus, um die Fenster zu schließen.
Bevor er Margje unter die Augen trat, musste er sich wieder in den Griff bekommen. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief, rang sich ein Lächeln ab, stellte sich vor, wie er mit diesem Lächeln auf den Lippen und einer interessierten Frage an Margje die Küche betrat. Er fühlte sich schuldig.
Aber gehörte ein so altes ehrwürdiges Buch wirklich in den Giftschrank, hinter eine rostige Dose Parathion? Er ging zurück, schloss den Schrank auf und stieg kurze Zeit später mit dem Buch die steile Leiter zum Heizungskeller hinab."
In den 90-er Jahren sahen die Bibeltreuen in den Niederlanden schlimme Zeiten aufziehen. Das politische und gesellschaftliche Klima war liberaler denn je, was vor allem dem damaligen Regierungschef Wim Kok, einem Sozialdemokraten, zugeschrieben wurde. Den Orthodoxen ist Kok bis heute ein Dorn im Auge: hat er doch in ihren Augen mit allem gebrochen, was christlich ist. Die Erlösung – wenn auch nur im übertragenen Sinne – nahte im Jahre 2002 mit dem Christdemokraten Jan Peter Balkenende. Der Ministerpräsident ist Spross einer streng reformatorischen Familie und im Bibelgürtel aufgewachsen. Direkt nach seinem Regierungsantritt vor sechs Jahren forderte Balkenende erst einmal eine neue Abtreibungs-Debatte. In seinen Reden spricht er immer wieder gerne über Normen und Werte, und so sind die strenggläubigen Calvinisten weitgehend einverstanden mit Balkenende, außer in der Ausländerpolitik. Da fordern sie einerseits barmherzige Asylgesetze, andererseits sind ihnen allzu viele Zugeständnisse an die Muslime im eigenen Land suspekt. Doch die Bibeltreuen wissen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen. Denn wie kann man von muslimischen Zuwanderern verlangen, sich anzupassen und liberale Werte zu akzeptieren, wenn doch für orthodoxe Christen all das nicht gelten soll?
Es ist so eine Sache mit der Religions- und Meinungsfreiheit, seit den Morden an dem Politiker Pim Fortuyn und dem Filmemacher Theo van Gogh erst recht. Der so genannte Bund gegen das Fluchen sagt dagegen ganz klar: Meinungsfreiheit ja, aber bitte mit Grenzen:
Ein modernes Bürogebäude im Industriegebiet von Veenendaal bei Utrecht. Gutgelaunt trifft Peter Smit an seinem Arbeitsplatz ein.
Der 26-Jährige mit dem braunen Lockenkopf ist beim Bund gegen das Fluchen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Es ist seine erste Stelle nach dem Studium – und, wie er sagt, nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Das ist dem engagierten jungen Mann anzusehen:
"Wir sind weltweit einzigartig, das gibt es nirgendwo sonst, dass sich jemand gegen den Missbrauch von Gottes Namen einsetzt und gleichzeitig auch noch ganz allgemein gegen Schimpfworte und ordinäre Sprache."
Peter bereitet Kampagnen vor und schreibt Protestbriefe, wenn in Zeitungen oder Fernsehsendungen zu sehr geflucht wird. Er betreut auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die sich in 30 Arbeitsgruppen über das ganze Land verteilt für den Bund einsetzen. Einmal im Jahr werden sie mit einem kleinen Geschenk belohnt. Dieses Mal sind es Kaffeebecher. Die ersten muss Peter heute noch verteilen, in Doetinchem an der deutschen Grenze:
Die Kaffeebecher stehen bereits in Taschen verpackt im Magazin.
In vollgepfropften Regalen liegen dort auch die Poster, Kugelschreiber und Aufkleber, die der Bund im Rahmen seiner Kampagnen verteilt oder aufhängt: "Wer flucht, entgleist!" prangt zum Beispiel auf großen Plakaten auf Bahnhöfen. Und in Fußballstadien: "Wer flucht, schießt immer daneben."
Neben den Posterrollen liegen blaue Aufkleber, sie sehen aus wie Schilder mit Verboten aus dem niederländischen Strafgesetzbuch. In diesem Falle heißt es: "Fluchen verboten, gemäß Artikel 3 des Strafgesetzbuches der zehn Gebote."
Damit sei natürlich das dritte Gebot gemeint: "Du sollst den Namen Deines Herrn nicht missbrauchen".
Es gibt auch Zahnbürsten mit der Aufschrift "Clean your speech – säubere deine Sprache".
Auf allen Artikeln prangt das Logo des Bundes, ein bunter Papagei:
"Papageien äffen alles nach, so ist es mit dem Fluchen auch: Kinder tun es, weil sie es von ihrer Umgebung hören. 'Sei kein Nachäffer!', lautet deshalb unser Motto."
Von den acht festen Mitarbeitern des Bundes wird erwartet, dass sie bekennende Christen sind und in die Kirche gehen. Wer nicht gläubig ist, kann hier nicht arbeiten, sagt Peter:
"Ich muss ja immer wieder erklären, warum unsere Existenz notwendig ist. Viele Leute halten uns für überflüssig, es gibt Wichtigeres auf der Welt, sagen sie. Ich antworte dann, dass ich es aus Liebe zu Gott tue, um seinen Namen ihn Ehren zu halten. Das macht diese Arbeit so schön und befriedigend."
Der Bund will nicht nur gängige Flüche und Kraftausdrücke bestreiten. Er ist auch dagegen, wenn jemand achtlos und unüberlegt sagt: "Jesses, was regnet es heute!" Denn das kommt von Jesus, das ist ein sogenannter "camouflierter Fluch".
Das Jahresbudget des Bundes beträgt 600.000 Euro. Es wird durch die Beiträge der 30.000 Mitglieder bestritten, die müssen mindestens 10 Euro im Jahr zahlen. Die meisten aber geben mehr.
Da die Zahl der Mitglieder in den letzten Jahren stagniert, wird aktiv um neue geworben. Deshalb wurde gerade ein Radiospot produziert:
Darin schlägt sich ein Mann mit dem Hammer auf den Daumen. Und was sollte man dann nicht tun?
Die SGP ist die so genannte Schwarzstrümpfler-Partei. 1918 gegründet, ist sie die älteste Partei der Niederlande, und seit jeher mit zwei oder drei Sitzen im Parlament vertreten – eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es nicht. Immer wieder mal gerät die orthodoxe SGP in die Schlagzeilen, zuletzt wegen einer Entscheidung des obersten niederländischen Gerichts. Demnach müssen der Partei auch künftig staatliche Zuschüsse ausgezahlt werden, obwohl die SGP Frauen diskriminiert. Sie dürfen kein Parteiamt annehmen und erst recht kein Abgeordneten-Mandat haben. Zahllose juristische Verfahren wurden angezettelt, um dieses Recht doch zu erkämpfen – bislang aber vergeblich. Um so erstaunlicher, dass ausgerechnet diese Partei keinerlei Nachwuchsprobleme hat. Führende SGP-Politiker wundert das nicht. Die Jugend, heißt es, habe keine Lust mehr auf Chaos und Anarchie, sie toleriere Sex vor der Ehe nicht mehr, und überhaupt werde der Ruf nach Vorbildern, Normen und Werten immer stärker. Und dann ist da noch die Europäische Union. Die Niederlande haben die alte EU-Verfassung 2005 in einem Referendum abgelehnt, auch mit den Stimmen der orthodoxen Calvinisten. Sie halten die EU für einen Hort des römischen Katholizismus, und den Euro für Teufelszeug.
Im Dorfzentrum von Ijsselmuiden, kurz vor Ladenschluss. Bei den ersten Geschäften werden bereits die Rolläden herabgelassen.
Auch Janneke vom Dorfbäcker am Marktplatz bereitet sich auf den Feierabend vor und macht die Regale sauber.
Die 50-Jährige ist ein bisschen misstrauisch, ihren Nachnamen will sie lieber nicht nennen. Doch dann taut sie immer mehr auf und wird richtig gesprächig.
Janneke lebt schon seit Jahren hier, und natürlich kennt sie auch die kleine Gemeinde von Pfarrer Taverne: rund 40 Gläubige, die Ijsselmuiden im ganzen Land bekannt gemacht haben, weil sie den Euro boykottieren. Schon seit mehr als sieben Jahren zahlen sie nur bargeldlos, denn das neue Geld fassen sie nicht an. Auch die Europazeichen auf den Nummernschildern ihrer Autos würden sie am liebsten loswerden: Sie haben sie mit Protestaufklebern überklebt. Das bringt ihnen zwar immer wieder Bußen ein – doch die zahlen sie nicht, schon seit Jahren prozessieren sie deswegen gegen den niederländischen Staat.
"Anfangs dachten wir, das halten die nicht lange durch! Aber sie geben nicht auf. Wie sie bargeldlos überleben können, ist mir ein Rätsel! Manchmal ist man doch auf Kleingeld angewiesen, zum Beispiel auf dem Markt! Warum die sich das Leben so schwer machen, kann ich Ihnen auch nicht erklären. Es hat irgendetwas mit der Bibel zu tun!"
Der Pfarrer dieser fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft spricht nur in Ausnahmefällen mit der Presse. Radio und Fernsehen sind für Gerrit Taverne tabu. Doch solange seine Worte nicht aufgenommen werden, ist der 63-Jährige zu Erklärungen bereit.
Schuld an allem sei das kreisförmige Europasymbol mit den 12 Sternen: Gemäß der Offenbarungen des Johannes erscheint dieser Sternenkranz als Zeichen am Himmel - und zwar direkt über dem Kopf einer hochschwangeren Frau. Der römisch-katholischen Kirche zufolge handelt es sich dabei um Maria. Die strenggläubigen Kalvinisten aus Ijsselmuiden sind sich deshalb ganz sicher: Es geht hier um ein katholisches Symbol, mit dem der Vatikan versucht, in ganz Europa die Macht zu ergreifen. Denn die Katholiken mit ihrem Papst sind für diese protestantischen Fundamentalisten immer noch der Erzfeind.
"Lächerlich!", finden viele ihrer Mitbürger. Tavernes pensionierter Kollege Hans van der Velde jedoch ist ein liberalerer Kirchenmann und milder in seinem Urteil: Diese Menschen hätten einfach Angst vor einem vereinten Europa:
"Es geht hier nicht um einen Haufen Verrückter, es sind ein paar Familien, die davon überzeugt sind, dass unser Land durch ein vereintes Europa seinen protestantischen Charakter verliert – so wie anderswo auch viele Menschen um ihre Identität bangen. In diesem Licht muss man das sehen, als eine Art biblischen Nationalismus."
Auf dem Markt oder beim Bäcker schreiben Tavernes Gläubige einfach an und lassen sich am Monatsende eine Rechnung schicken. In die Einkaufswagen im Supermarkt passt zum Glück noch ein altes Guldenstück. Auch sonntags nach dem Gottesdienst wird mit Gulden gespendet, denn wirklich wertlos wird das alte Geld erst im Jahre 2032.
Außerdem könne man inzwischen fast überall mit EC-Karte zahlen, auch die kleinsten Beträge, meint eine junge Verkäuferin im Supermarkt. Ihre Verwandten gehören zu Pfarrer Tavernes Gemeinschaft, erzählt sie etwas widerwillig – und zum großen Erstaunen ihrer Kolleginnen, die davon nichts wussten.
Selbst hat sie nichts gegen den Euro einzuwenden.
Aber verurteilen möchte sie ihre Verwandten deswegen nicht, jeder müsse selbst wissen, was er tue – sie jedenfalls will nun nach Hause zum Abendessen:
Doch selbst Gleichgesinnten geht Pfarrer Tavernes Gemeinde zu weit. Auch Martin und Gerda van der Spek können darüber nur den Kopf schütteln. Die beiden führen einen Steinwurf vom Marktplatz entfernt, gleich neben der Dorfkirche, einen Buch- und Schreibwarenladen. "De Pilgrim" heißt er, der Pilger.
Die van der Speks leben streng nach der Bibel; keines ihrer neun Kinder ist geimpft. "Sie sind von Gott geimpft, erklärt Mutter Gerda. In ihrem Drang, ihren Glauben zu verteidigen, ereifert sie sich mehr und mehr - und verurteilt die Ungläubigen:
"Gott sorgt für uns, dadurch sind wir frei und glücklich, ihr hingegen, ihr habt es schwer, ihr seid arm. Wenn ihr dem Tod ins Angesicht schaut, seid ihr allein, dann will Gott nichts von euch wissen. Ihr habt nix, arm seid ihr, furchtbar arm."
Gegen den Euro allerdings hat selbst diese Familie nichts einzuwenden. Als Geschäftsmann könne er sich einen solchen Boykott gar nicht leisten, da ist Martin van der Spek ganz realistisch. Und ob es Pfarrer Tavernes Gläubigen tatsächlich gelungen ist, in all den Jahren keinen einzigen Euro anzufassen, das bezweifelt er. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte:
"Dieser Boykott ist doch scheinheilig! Ob sie das Geld nun anfassen oder nicht - zahlen tun sie doch damit!"
""Hans, ich bitte Dich!" Er geriet ins Stocken, hörte auf zu lesen, schaute verstört zur Seite, von Margje zu seinem jüngeren Sohn neben ihr. Ruben war der einzige, der zur Freude seines Vaters aufmerksam zuhörte. Warum unterbrach Margje ihn wieder bei der Lektüre? Sie war dieser Predigt von Poort nicht würdig.
"Was ist?" fragte er, den Blick schon wieder auf den Text gerichtet. Natürlich wusste er, was los war. Er war zu laut.
"Na, Du schreist fast. Die ganze Nachbarschaft kann Dich hören!"
Die Pendeluhr schlug zwölf.
"Du bist jetzt seit zwei Stunden zugange. Denk doch an die Kinder."
Er starrte auf die Worte, dachte nach. Nein, so ging das nicht. Immer wieder herausgerissen zu werden. Es hatte keinen Sinn.
"Ist Papa uns böse?" fragte Tom in die Stille hinein.
"Unsinn", sagte Margje, "natürlich ist Papa uns nicht böse." Und, die Hand auf dem blonden Lockenkopf des Jungen: "Soll ich Kaffee kochen? Mir ist inzwischen danach, und die Kinder wollen auch etwas trinken." Ihr Ton war nicht feindselig, aber sie hatte einfach genug davon.
Noch schwieg er, zögerte, schob das Büchlein hin und her, sagte dann fest entschlossen: "Ich mache weiter. Eine Lesepredigt ist eine Lesepredigt. Man kann nicht einfach mittendrin aufhören."
Laut (aber leiser als zuvor) las er dort weiter, wo er aufgehört hatte, begriff die Dunkelheit der Sätze, die er aussprach. Seine Zunge wurde dick, sein Mund trocken, Schweißtropfen fielen von seinen Nasenflügeln auf die Seite. Er versank in Angst. Sinn der Sache war, das Wort Gottes in dieser Familie erklingen zu lassen, doch er spürte nur Abneigung, Gleichgültigkeit, Feindseligkeit."
Der Einfluss der orthodoxen Christen auf die modernen Niederlande ist bis heute größer als es zunächst den Anschein hat. Zu der von Jan Peter Balkenende geführten Großen Koalition gehört neben den Christ- und den Sozialdemokraten auch die CU – die Christenunion. Die Partei ist der kleinste Koalitionspartner, doch sie nimmt durchaus Einfluss. Abtreibung, Sterbehilfe, Schwulenehe, all diese Themen hat sie im Visier und stemmt sich, wenn es sein muss, gegen jeden Liberalisierungsversuch. Standhaftigkeit muss sein, zur Rettung der Moral. Nur hinter vorgehaltener Hand fällt bei den Orthodoxen ein offenes Wort: In manchen Familien herrsche Krieg, heißt es: Wegen Kindern, die nicht mehr in die Kirche wollen. Wegen Alkoholproblemen, wegen dem ein oder anderen Seitensprung. Auch bibeltreue Calvinisten sind nur Menschen. Zu den Eigenheiten ihrer Lebensführung gehört auch, dass sie Impfungen und Versicherungen ablehnen – beides widerspricht ihrem Glauben an ein vorherbestimmtes Schicksal. 30 tausend Bürger in den Niederlanden sind nicht geimpft; rund 11 tausend nicht versichert Diese Rechte haben sich die strenggläubigen Calvinisten 1953 erkämpft. Seitdem können sie sich aus Gewissensgründen von der Versicherungspflicht befreien lassen.
Familie Knöps hat gerade Abend gegessen – "allerdings nicht ohne vorher zu beten!" betont Mutter Elisabeth. Das braune Haar der 53-Jährigen ist ordentlich zurückgebunden und von unzähligen Silberstreifen durchzogen. Die kleine dünne Frau trägt ein Wolljäckchen und einen langen karierten Rock. Dass die Reporterin in Hosen erscheint, wird ihr verziehen. Gleich wird Vater Pieter aus der Bibel vorlesen. Das macht er jeden Abend.
Die Knöps haben fünf Kinder, das älteste ist 22, das jüngste neun. Die gesamte Familie ist weder geimpft noch krankenversichert. Pieter Knöps hat auch keine Autoversicherung abgeschlossen. "Aus Gewissensgründen", erklärt der 54-Jährige. Er trägt eine silberne Brille und hat graues Haar. Sein Auftreten ist streng und bestimmt.
"Wieso sollte ich mich gegen etwas versichern, ohne zu wissen, ob es eintritt? Impfungen und Versicherungen sind ein Zeichen dafür, dass man Gott misstraut. Wenn Gott mich krank macht, wird er dafür schon seinen guten Grund haben - und mich auch wieder gesund machen, wenn er will. Wir müssen Gott vertrauen, darum geht es!"
Medikamente und Arztbesuche hingegen sind kein Problem. Das gilt auch für Deiche und Flutwehre:
"Wenn Frost vorhergesagt wird, müssen wir unsere Kartoffeln über Nacht auch abdecken! Genauso ist es mit Arztbesuchen und Deichen. Wir müssen sorgsam sein, aber nicht besorgt!"
Wobei auch Medikamente und Deiche nichts nützten, wenn Gott es anders will. Bester Beweis: die letzte große Hochwasserkatastrophe der Niederlande 1953, 1.800 Menschen kamen ums Leben. Pieter Knöps verlor damals 13 Familienmitglieder, darunter seine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits:
"Diese Katastrophe war von Gott gewollt, er hat damit ein Urteil über uns gefällt, weil wir den Sonntag immer weniger heiligen und die zehn Gebote missachten."
"Es gibt Dinge, die gehen einfach über unseren Verstand, das müssen wir akzeptieren. Unser Verstand ist so groß wie ein Fingerhut, der von Gott aber wie ein Ozean! Wir KÖNNEN ihn nicht begreifen, dazu ist er viel zu groß und zu mächtig!"
Rund 30.000 Niederländer sind nicht geimpft. Deshalb brechen immer wieder Krankheiten aus. Beim letzten Ausbruch von Kinderlähmung 1993 erlitten 59 Menschen Lähmungen, darunter Elisabeth Knöps' beste Freundin:
"Sie erwartete damals gerade ihr achtes Kind! Sie musste ins Krankenhaus und sitzt seitdem im Rollstuhl. Aber sie hat noch vier Kinder gekriegt, und heute sind sie alle glücklich, Mutter, Vater und Kinder!"
Dass ihre Freundin nicht mehr laufen kann, sei nicht so schlimm – im Gegenteil: Sie wolle es gar nicht mehr anders:
"Es hat ihr gut getan, das hat sie gebraucht! Wenn es uns zu gut geht, vergessen wir den Herrn!"
Ihr Ehemann Pieter erkrankte als Kind an Kinderlähmung, aber er hatte Glück - er hinkt seitdem nur ein bisschen. Dass er jetzt seine eigenen Kinder ganz bewusst diesem Risiko aussetzt, nimmt die ganze Familie in Kauf. Wer älter ist als 16, hat in den Niederlanden zwar seit 1998 das Recht, sich auch gegen den Willen seiner Eltern impfen zu lassen. "Aber warum sollten wir?" fragt Cornelis, der zweitälteste Sohn. Er ist 19 und studiert Agrarwissenschaften:
"Gott bestimmt unser Leben. Wenn er uns an Kinderlähmung erkranken lässt, sollten wir das akzeptieren und uns besser fragen, warum - nämlich, um uns in unserem Glauben noch zu bestärken!"
Es ist Zeit zum Singen und Musizieren. So schließen die Knöps ihren Abend immer ab. Paul, der älteste, hat sich bereits an die Orgel gesetzt.
Pop- und Rockmusik sind bei den Knöps tabu. Das gilt auch für Fernsehen und Strand- oder Schwimmbadbesuche. Dort gehe es viel zu unsittlich zu, seufzt Mutter Elisabeth. Die Kinder hätten sich daran gewöhnt und solche Bedürfnisse gar nicht erst entwickelt. Alle fünf seien in der vorgeschriebenen Spur geblieben – etwas Schöneres könne man sich als Eltern gar nicht vorstellen.
Aber, so gibt die einzige Tochter, die 18-jährige Elsbeth, nach mehreren Nachfragen schließlich zu: leicht sei es nicht immer:
"Manchmal muss sie sich von den Mitschülern hänseln lassen. Und wenn die über Madonna oder Amy Winehouse sprechen, kann sie nicht mitreden. "Aber du findest diese Musik doch nicht schön?", fragt ihre Mutter besorgt."
""Neinnein", beeilt sich Elsbeth zu betonen."
In den Bücherregalen stehen Werke von Calvin und Luther. Nach gängigen Romanen oder zeitgenössischen niederländischen Autoren wie Jan Siebelink und Harry Mulisch hält man vergeblich Ausschau. So etwas kommt Elisabeth Knöps nicht ins Haus:
Das Leben ist teuer, wenn man nicht versichert ist. Auf vieles, wie etwa Urlaubsreisen, müssen die Knöps verzichten. Stattdessen werden Zahnspangen für die Kinder angeschafft, eine Behandlung kostet gut und gerne 4000 Euro. Aber das sei nichts verglichen mit den 20.000 Euro, die im September anfielen, als Elisabeths Vater krank wurde und starb. Noch teurer war die Behandlung ihres Schwiegervaters, die kostete mehr als 50.000 Euro. Doch in beiden Fällen konnte die Familie problemlos alle Rechnungen bezahlen:
"Auf wundersame Weise landeten Briefumschläge mit Bargeld in unserem Briefkasten, das ist in unseren Kreisen so üblich – ohne Absender."
Denn wenn es finanziell eng wird, helfen sich die strenggläubigen Calvinisten gegenseitig. Das sehen sie als ihre Pflicht an. In Bewegung allerdings komme diese wundersame Hilfe natürlich nur durch einen – Gott:
"Wie durch ein Wunder wurde uns immer geholfen. Egal, ob es Krankheiten waren, Verletzungen oder Unfälle – wir konnten immer ohne Versicherungen überleben. Was wir brauchen, bekommen wir. Dafür sorgt der Herr."
Gottesfurcht hinterm Deich: Das waren Gesichter Europas, heute über die strenggläubigen Calvinisten in den Niederlanden. Reporterin war Kerstin Schweighöfer, die Literaturpassagen wurden gelesen von Axel Gottschick. Die Redaktion hatte Thilo Kößler. Im Namen des gesamten Teams verabschiedet sich am Mikrofon Barbara Schmidt-Mattern.
Literatur:
Jan Siebelink, Im Garten des Vaters, Arche Literatur Verlag: Hamburg, 2007, Übersetzung: Bettina Bach, S. 19ff.
"Sie erwartete damals gerade ihr achtes Kind! Sie musste ins Krankenhaus und sitzt seitdem im Rollstuhl. Aber sie hat noch vier Kinder gekriegt, und heute sind sie alle glücklich, Mutter, Vater und Kinder!""
und Emile van Rouveroy, ein Anthropologe mit Bauernhof und tief religiöser Nachbarschaft:
"Über die Katholiken sprechen die orthodoxen Calvinisten immer noch wie zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier im 16. Jahrhundert! Die Katholiken sind der Todfeind - und der Papst ist die Hure von Babylon!"
Gottesfurcht hinterm Deich: Gesichter Europas heute über die orthodoxen Calvinisten in den Niederlanden. Reporterin ist Kerstin Schweighöfer, und am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Schmidt-Mattern.
Die Deutschen fordern freie Fahrt für freie Bürger. Und die Niederländer: Freies Wort für freie Bürger. In einem Land, das aus den Glaubenskriegen der Reformation hervorgegangen ist, verwundert das eigentlich nicht. Religions- und Meinungsfreiheit zählen zu den nationalen Mythen. Gerade deswegen streitet derzeit kaum eine Nation in Europa so emotional über Islam und Integration wie die Holländer. Unantastbar sind dagegen die strenggläubigen Calvinisten des Landes.
Sie machen gut zwei Prozent der Bevölkerung aus und leben im niederländischen Bibelgürtel, der sich von Zeeland im Südwesten bis zum Ijsselmeer im Norden erstreckt. Die orthodoxen Christen finden Radiohören schädlich, Fernsehen erst recht, und sonntags darf weder Rasen gemäht noch das Auto gewaschen werden. Parteiämter für Frauen sind tabu, Glückspiel und Krematorien auch. Das streng calvinistische Städtchen Staphorst würden manche als fundamentalistisch bezeichnen. Die Einheimischen, so genannte Schwarzstrümpfler, sprechen lieber von Pflicht und Ordnung:
Ein Sonntagmorgen, kurz vor neun. Da, wo der Gemeindeweg die Kirchenallee kreuzt, ragt der Backsteinturm der Dorfkirche in den grauen Himmel, asketisch und schmucklos - so wie das Kirchengebäude selbst auch. Die Straßen sind wie ausgestorben.
Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Und ein vereinzeltes Auto fährt vorbei, aus dem Dorfzentrum Richtung Autobahnauffahrt.
Dann nähert sich von beiden Seiten auf einmal eine schwarz gekleidete Menschenmasse: Männer, Frauen und Kinder, alle dunkel gekleidet. Sie kommen zu Fuß oder auf dem Rad.
Die Frauen tragen Rock und Hut. Einige der jungen Mädchen haben ihn in einer Plastiktüte bei sich und setzen ihn erst kurz vor Betreten der Kirche auf. Die alten Frauen tragen die Staphorster Tracht aus schwarzem Rock mit blauer Schürze und gemustertem Schultertuch. Ihre Schuhe über den dicken schwarzen Strümpfen sind mit einer silbernen Schnalle verziert; silbern ist auch das Schloss an ihren Gebetsbüchern, die an silbernen Ketten an ihren Handgelenken baumeln.
Sogar die ganz alten Frauen kommen mit dem Rad zur Kirche, sie sind es so gewöhnt, jeden Sonntag, bei Wind und Wetter, morgens nach neun und dann ein zweites Mal, nachmittags um halb zwei. Das sieht man ihren gegerbten, verrunzelten Gesichtern an. Der Speichenschutz an ihren Rädern ist selbst gehäkelt, kunstvolle Spitzen und Rosetten in lila, blau, türkis und silbergrau.
Fremde und Schaulustige werden misstrauisch beäugt. "Fotografieren und Filmen strengstens verboten" steht in großen Lettern auf einem Schild außen an der Kirchenmauer. Ein Mann in einem schwarzen dreiteiligen Anzug hält inne. Er hält das Aufnahmegerät mit dem Mikrofon für einen Fotoapparat:
"Am Tag des Herrn ist es nicht erlaubt, zu fotografieren!" zischt er im Vorbeigehen und wirft noch einen bösen Blick über die Schulter, bevor auch er in der Kirche verschwindet.
Pünktlich um halb zehn beginnt Pfarrer Tjitze de Jong mit der Predigt. Der 66-Jährige ist der meistrespektierte Mann von Staphorst.
Auf dem Gemeindeweg nähert sich ein Vater mit seinem Sohn, sie kommen vom Hotel Waanders, das liegt einen Steinwurf entfernt, gleich neben der Autobahnzufahrt. Die beiden sind auf der Durchreise und müssen weiter in die Nachbarstadt Meppel, wo der Sohn an einem Tennisturnier teilnehmen soll. "Beim Frühstück sahen wir die Kirchgänger vor dem Hotel vorbeilaufen", erzählt Ger Kenter:
"Das wollte ich meinem Sohn nicht vorenthalten, deshalb sind wir noch schnell Richtung Kirche gelaufen, aber wir sind zu spät dran - sie sind alle schon drin! Was für ein Spektakel! Wenn der Pfarrer ihnen verbietet, Erbsen zu essen, essen sie auch keine Erbsen mehr! Die sind mit ihrem Glauben genauso extrem wie Al Qaida! Es heißt zwar immer, dass sie nicht gewalttätig sind, aber wenn sie Probleme kriegen, halte ich das nicht für ausgeschlossen!"
Sein Sohn Tim kommt aus dem Staunen nicht heraus. So etwas hat er noch nie gesehen. Unvorstellbar! Er wusste nicht, dass es solche Menschen gibt!
Sonntags dürften die überhaupt nichts tun, weder Tennisspielen noch Fußball. Und Fernsehen, das sei sowieso tabu.
Im Hotel Waanders ist das Frühstück noch in vollem Gange. Hinterm Tresen stehen zwei Bedienungen, beide tragen eine grüne Bluse, und beide heißen Hennie.
Sonntags ist in Staphorst alles geschlossen, erzählt eine von ihnen. "Nur wir haben auf. Und der Chinese um die Ecke":
Hennie wohnt in einem Neubauviertel am Stadtrand. Früher lebte sie mitten im Zentrum, aber da wurde sie dauernd kontrolliert und von den Schwarzstrümpflern im Auge behalten. Vor einigen Jahren noch konnte man sonntags in Staphorst noch nicht einmal Zigaretten aus dem Automaten ziehen; auch der Geldautomat der Bank war blockiert. So extrem sei es jetzt zum Glück nicht mehr.
Manchmal kommen die Schwarzstrümpfler auf eine Tasse Kaffee im Hotel Waanders vorbei oder zum Essen. Am Ostermontag. Am Neujahrstag oder dem zweiten Weihnachtsfeiertag. Natürlich nur, wenn die nicht auf einen Sonntag fallen, betont die zweite Hennie:
"Dann bedienen wir sie - zum Beispiel einen ganzen Samstagabend lang. Und sie sind freundlich zu uns. Aber wenn ich ihnen dann am Sonntagmorgen auf dem Weg zur Arbeit begegne, dann wenden sie den Kopf ab, dann kennen sich mich auf einmal nicht mehr. Weil ich sonntags arbeite!"
An der Rezeption, hinterm Computer, sitzt Hennies Chef Hendrik Waanders. Er ist milder und verständnisvoller. Man müsse versuchen, sich gegenseitig zu respektieren, meint der 37-Jährige. Leben und leben lassen. Unter diesem Motto könne man es auch in Staphorst gut aushalten:
"Man darf hier halt sein Auto am Sonntag nicht waschen, das weiß man, und dann tut man das auch nicht. Warum sollte man einen großen Teil der Bevölkerung vor den Kopf stoßen? Mit Provokationen erreicht man nichts!"
Hendrik ist in Staphorst aufgewachsen, heute wohnt er im Nachbarort. Sein Urgroßvater hat das Hotel 1901 gegründet. Dass sonntags nichts erlaubt ist, hat ihn schon als Kind nicht weiter gestört.
Er spielte dann einfach zuhause mit gleichgesinnten Kindern, erinnert sich Hendrik. Unter den Schwarzstrümpflern hat er nie Freunde gefunden:
Einen Steinwurf entfernt in der Dorfkirche hat Pfarrer de Jong nach zwei Stunden seine Predigt beendet.
Eine schwarze Masse quillt aus der Kirche und verteilt sich, wie sie gekommen ist, wieder nach rechts und links.
Nach wenigen Minuten verschwinden die letzten Kirchgänger als schwarze Punkte in der flachen Landschaft am Horizont. Nur noch das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Und ein vereinzeltes Auto auf dem Weg zur Autobahn.
Der Lebenswandel der strenggläubigen Calvinisten passt scheinbar gar nicht zum progressiven Ruf der Niederlande. Doch der Wunsch nach freier Religionsausübung ist so alt wie die Nation selbst. Ende des 16. Jahrhunderts spalteten sich die sieben freien Provinzen im Norden vom spanisch regierten und damit vom katholischen Süden ab; seither gelten die Niederlande als sicherer Hafen für Andersdenkende. Brüchig geworden ist diese Gewissheit erst in den letzten Jahren. Um Religion und Identität geht es auch in dem 2005 erschienenen Roman Im Garten des Vaters. Die deutsche Übersetzung ist im Arche Verlag erschienen. Der niederländische Autor Jan Siebelink schildert darin die Lebensgeschichte von Hans Sievez, einem Gärtnereibesitzer, dem der wirtschaftliche Erfolg jedoch versagt bleibt. Aufgewachsen unter den Schlägen eines strenggläubigen Vaters, gelingt es Hans nur scheinbar, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Seine von Gewalt geprägte Kindheit verfolgt ihn ein Leben lang.
"Der Lehrer schraubte seinen leuchtendroten Füller auf, schrieb etwas in sein Zensurenheft und begann mit dem Erdkundeunterricht. Hans hörte den Lehrer noch sagen, die Ziegeleien am Fluss lägen auf alluvialen Ablagerungen... Er konnte den Blick nicht vom Füllfederhalter abwenden, spürte seinen Magen.
Vor ein paar Monaten. Der Vater hatte gerade das Tischgebet gesprochen, tunkte Brot in einen Teller mit Suppe. Weil die Fenster so klein waren, lag nur ein Teil des Zimmers im Abendlicht. Der Vater trug ein kragenloses weißes Hemd, bis oben zugeknöpft. So fürchtete Hans sich noch mehr vor seinem Vater, wagte kaum, ihn anzuschauen. Als er sich auf seinem Stuhl bewegte, fiel der rote Füller des Lehrers aus seiner Tasche. "Wo hast Du den her?" Der Vater bückte sich und hob ihn auf. "Ich habe ihn nicht weggenommen." Die Narbe auf Vaters Mund schwoll an. "Lass uns erst zu Ende essen", sagte die Mutter.
Die Mahlzeit wurde unterbrochen. Hans ging zum Haus des Lehrers und brachte den Füllfederhalter zurück. Er war ihm nicht böse, nahm die Entschuldigung an. Danach setzten sie die Mahlzeit fort. Er bekam das kalte und fast schwarze Krickentenfleisch nicht herunter. Der Vater las eine Stelle aus den Sprüchen Salomos über Diebe und Unzüchtige. Nach dem Gebet stand er auf und bedeutete Hans mitzukommen. Nervös begann die Mutter, den geäderten Fuß der Petroleumlampe mit dem Schürzenzipfel zu polieren.
Er ging hinter seinem Vater her nach draußen, unters Vordach, wo die schweren Arbeitsstiefel standen, über eine knarrende Planke quer durch den kleinen Garten hinterm Haus. Die Mutter kam ihnen nach.
"Schließ ihn nicht im Stall ein. Diesmal nicht.""
Jean Cauvin wurde 1509 in Frankreich geboren, besser bekannt ist er heute als Johannes Calvin. Seine katholische Heimat musste der studierte Jurist 1533 verlassen, denn er hatte sich offen zu den Ideen der Reformation bekannt. Calvin ließ sich im Laufe seines Lebens in Genf und Straßburg nieder, sein berühmtestes Werk aber entstand 1536 in Basel. Es trägt den schlichten Titel Unterweisung in der christlichen Religion. Leitgedanke des Werkes ist die Prädestination, also die Vorherbestimmtheit des menschlichen Schicksals. Jeder Lebensweg beruht nach Auffassung der Calvinisten auf dem Willen Gottes, doch das entbindet nicht von Pflichten. Nüchternheit, Fleiß und ein sündenfreies Leben gelten als höchstes Gut. Erst die strenge Einhaltung aller Regeln zeigt dem Einzelnen, ob er von Gott auserwählt ist oder nicht. Die Lehre Calvins soll eines der Fundamente für das Gewinnstreben im späteren Kapitalismus gewesen sein – doch diese Annahme ist heute umstritten.
Ganz friedlich geht es auch im Bibelgürtel der Niederlande nicht zu – wehe dem, der sich nicht an die Regeln hält: Wer etwa dem Sohn die Homosexualität nicht austreibt oder sich mit Katholiken einlässt, hat schlechte Karten. Besuch in der Nähe von Staphorst, bei einem Professor und seiner Haushälterin:
Aufgeregt kommt Emile van Rouveroy in die Küche. Der Viehhändler steht bei ihm vor der Tür; er will Emile eine trächtige Kuh verkaufen, für 1.100 Euro, ein interessantes Angebot!
Aber Haushälterin Hilligje Kok ist entschieden anderer Meinung: Kommt nicht in Frage! Im Stall steht bereits eine Kuh, die demnächst kalben wird. Das wird viel zu viel Arbeit!
"Da behaupte einer, die Frauen in Staphorst seien unmündig!" lacht van Rouveroy, ein hochgewachsener, aristokratisch wirkender Mann mit Baskenmütze und grauen Bartstoppeln. Der 69-Jährige ist Filmemacher und Anthropologe. Er lebt auf einem Bauernhof, rund fünf Kilometer von Staphorst entfernt. "Ich bin ein Bauer mit Professorentitel oder ein Professor mit Bauernhof", pflegt er zu sagen. Hilligje Kok, eine mollige kleine Frau mit Knoten im Haar und langem Faltenrock, lacht sich darüber immer kaputt:
Hilligje ist die gute Seele des Hauses: Die 60-jährige Witwe macht sauber und erledigt die Einkäufe; sie kümmert sich um die drei Gästezimmer, die van Rouveroy vermietet, und sie sorgt auch für seine acht Kühe, die auf der Wiese ihres eigenen kleinen Bauernhofes in Staphorst stehen. "Wir teilen alles, bis auf das Bett!" witzelt der Wissenschaftler.
Hilligje errötet leicht, aber ihr gegenüber darf sich der Professor, den sie grenzenlos bewundert, solche Bemerkungen herausnehmen - dazu kennt man sich zu gut. Zwar ist auch Hilligje tiefgläubig, ihre Lebenskraft, so sagt sie, schöpft sie aus der Bibel.
Aber verglichen mit den meisten anderen Staphorstern ist Hilligje aufgeschlossen und geradezu liberal. Das macht sie im Dorf zur Abtrünnigen, zur Dissidentin.
"Ich lebe anno 2008, ich habe einen Fernseher, und ich bin krankenversichert. Der liebe Gott hat mich nicht im 17. oder 18. Jahrhundert zur Welt kommen lassen!"
Hilligje hat für handfeste Skandale gesorgt, weil sie es nicht schaffte, ihre fünf Kinder zu strenggläubigen Kirchgängern zu erziehen: Einer ihre Söhne ist schwul, eine Todsünde. Und - mindestens genauso schlimm: Ein zweiter Sohn hat eine Katholikin aus dem fernen Brasilien geheiratet. Er hätte genauso gut eine Muslimin heiraten können, meint van Rouveroy:
"Über die Katholiken sprechen die orthodoxen Calvinisten immer noch wie zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier im 16. Jahrhundert! Das grenzt an Rassismus! Die Katholiken sind der Todfeind - und der Papst ist die Hure von Babylon!"
Die letzten Sympathien verscherzte sich Hilligje, als der Professor sie überzeugen konnte, bei einem Dokumentarfilm mitzuwirken. Darin wollte er das Alltagsleben einer Staphorster Familie beschreiben - und das Spannungsfeld zwischen Glauben und Politik in dieser streng religiösen Gemeinschaft. Vier Jahre lang nahm er an den Sonntagspredigten von Pfarrer de Jong teil und besuchte auch alle Gemeinderatssitzungen.
Die sind öffentlich, deshalb durften ihm die Stadtväter das Recht zu drehen nicht verwehren. In der Kirche allerdings ist das strengstens verboten. Van Rouveroy musste sich vor dem Betreten auf versteckte Kameras und Mikrofone durchsuchen lassen. Seine Anwesenheit war alles andere als erwünscht, er bekam sogar Drohungen. Und Pfarrer de Jong ließ es sich nicht nehmen, ihn höchstpersönlich zu warnen:
"Er sagte: Sie wissen, ein Wort von mir auf der Kanzel reicht, und Sie sind erledigt!"
Pfarrer de Jong sei der mächtigste Mann von Staphorst, fast schon zu vergleichen mit einem absolutistischen Fürsten!
"Der König, das bin ich - oder, noch besser: Der Staat, das bin ich!"
Van Rouveroy hat im Gemeinderat miterlebt, wie es dem Pfarrer gelang, ein amtliches Fluchverbot über die Gemeinde zu verhängen. Denn der Pfarrer ist nicht nur Pfarrer, sondern auch Vorsitzender der größten Partei in Staphorst, der streng orthodoxen SGP. Und das ist nicht alles: Einer der SGP-Dezernenten im Rathaus ist ein Sohn des Pfarrers, und der Fraktionsvorsitzende sein Schwiegersohn. Von einer Trennung zwischen Kirche und Staat könne keine Rede mehr sein, stellte van Rouveroy fest. Das sei ein klarer Fall von religiöser Oligarchie:
"Für Toleranz ist in dieser Gemeinschaft kein Platz, gegenüber Katholiken oder sogar Moslems schon gar nicht. Der einzig wahre Glaube ist für die Staphorster ihr eigener."
"Die Islamisten in den Niederlanden haben sich politisch noch nicht organisiert, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit, und davor fürchten sich die orthodoxen Calvinisten. Denn was ist, wenn sich die Islamisten auch Vorrechte herausnehmen wollen? Wenn auch sie sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen? Das kann man ihnen nicht verweigern - und da werden die Calvinisten ganz schön schlucken müssen!"
Vergleiche mit islamistischen Fundamentalisten weisen die christlichen Orthodoxen ebenso bestürzt wie empört zurück. Immerhin würden sie im Gegensatz zu ihnen keine Gewalt anwenden! Aber, so stellt van Rouveroy klar, so groß sei der Unterschied nicht:
"Bei Gewalt denkt jeder sofort an physische Gewalt, aber die Schwarzstrümpfler wenden mentale Gewalt an, und die finde ich mindestens genauso bedrohlich! Pfarrer de Jong ist ein sehr intelligenter Mann, zuweilen sogar geistreich und unterhaltsam. Aber wenn er auf die Kanzel steigt, ist er nicht wiederzuerkennen, dann läuft es einem kalt den Rücken runter! Da wird mit der Hölle gedroht. Für mich ist das religiöser Terror!"
Wer ausschert, wird in dieser Gemeinschaft sofort zurückgepfiffen und in die Schranken gewiesen. Auch bei Hilligje Kok stand schon mehrmals der Kirchen-Ältestenrat vor der Tür:
"Dann wird ihr ins Gewissen geredet, dann heißt es: Hilligje, was tust du da? Wieso hast du deine Kinder nicht unter Kontrolle? Die Reihen müssen sich wieder schließen, denn auch Hilligje ist eine Bedrohung, sie könnte einen Dominoeffekt auslösen."
Oft fühlte sich die kleine Frau mit dem Rücken zur Wand und im Stich gelassen. Als ihr Sohn sich als schwul outete, fand sie niemanden, der bereit war, mit ihr darüber zu reden. Dabei hatte sie selbst die größte Mühe, dies mit ihrem Glauben zu vereinbaren.
Als ihre Familie dann auch noch in van Rouveroys Film mitwirkte, wandte sich selbst ihre beste Freundin von ihr ab. Aber gut, seufzt Hilligje: "Immerhin schauen mich die Leute auf der Straße noch an":
"Fragt sich nur wie, Hillegje!", kontert der Professor." Mit Argusaugen!"
Seufzend gibt sie ihm recht. Man sieht ihr an, sie will es lieber nicht wahrhaben. Aber nach und nach rückt sie mit der Sprache heraus:
"Manchmal habe ich mehr Angst vor den Leuten als vor Gott."
Aber warum bricht sie dann nicht aus? Warum zieht sie nicht um? Die Kinder sind groß, ihr Mann ist tot.
Wieder ringt die mollige kleine Frau mit den Worten. Auch das ist ein wunder Punkt, über den sie am liebsten nicht reden möchte.
Ja, gibt sie schließlich zu, ein paar Mal hat sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Aber alleine weggehen, das traut sie sich nicht. Außerdem: Sie ist in Staphorst geboren und aufgewachsen. Ein großer Teil ihrer Familie lebt hier. Und nicht zu vergessen, der Professor!
Abrupt lenkt sie vom Thema ab. Sie muss noch frische Blumen kaufen, heute Abend treffen Gäste ein! Das hätte sie fast vergessen. Auch das Zimmer muss noch fertig gemacht werden. Zum Kaffeetrinken und Reden jedenfalls hat sie jetzt keine Zeit mehr.
Jan Siebelinks Roman "Im Garten des Vaters" endet in den siebziger Jahren, lange bevor in den Niederlanden die Diskussion über Islam und Integration begann. Hans Sievez hat seine Jugendliebe geheiratet und zwei Söhne mit ihr bekommen. Die religiös motivierte Gewalt seines Vaters glaubt er, verarbeitet zu haben.
"Unter der Lampe betrachtete er das soeben erstandene Buch. Es war 1701 in Leiden veröffentlicht worden. Von der Nachfolge Christi.
Er verstaute es unter einem Zeitungsstapel. Den ersten Satz wollte er lesen, wenn er weniger aufgeregt war. Er versuchte noch ein wenig weiterzuarbeiten, doch er verspürte keine rechte Lust mehr. Das Buch verdiente einen anderen Platz. Er holte es heraus, begann, das erste Kapitel zu lesen, und wiederholte laut den zuletzt gelesenen Satz: "Also ist es Eitelkeit, sein Herz an das hängen, was so schnell und unaufhaltsam vorübergeht, und nicht dorthin eilen, wo ewige Freude wohnt."
Hans versteckte das Buch hinter der Dose Parathion mit dem Totenkopf und den zwei gekreuzten Knochen und schloss den Schrank wieder zu. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Packtisch, konnte von dort aus die Flammen hinter den Scheiben des Kanonenofens sehen, wiegte leicht den Kopf und sagte: "Von der Nachfolge Christi" und ging zum Treibhaus, um die Fenster zu schließen.
Bevor er Margje unter die Augen trat, musste er sich wieder in den Griff bekommen. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief, rang sich ein Lächeln ab, stellte sich vor, wie er mit diesem Lächeln auf den Lippen und einer interessierten Frage an Margje die Küche betrat. Er fühlte sich schuldig.
Aber gehörte ein so altes ehrwürdiges Buch wirklich in den Giftschrank, hinter eine rostige Dose Parathion? Er ging zurück, schloss den Schrank auf und stieg kurze Zeit später mit dem Buch die steile Leiter zum Heizungskeller hinab."
In den 90-er Jahren sahen die Bibeltreuen in den Niederlanden schlimme Zeiten aufziehen. Das politische und gesellschaftliche Klima war liberaler denn je, was vor allem dem damaligen Regierungschef Wim Kok, einem Sozialdemokraten, zugeschrieben wurde. Den Orthodoxen ist Kok bis heute ein Dorn im Auge: hat er doch in ihren Augen mit allem gebrochen, was christlich ist. Die Erlösung – wenn auch nur im übertragenen Sinne – nahte im Jahre 2002 mit dem Christdemokraten Jan Peter Balkenende. Der Ministerpräsident ist Spross einer streng reformatorischen Familie und im Bibelgürtel aufgewachsen. Direkt nach seinem Regierungsantritt vor sechs Jahren forderte Balkenende erst einmal eine neue Abtreibungs-Debatte. In seinen Reden spricht er immer wieder gerne über Normen und Werte, und so sind die strenggläubigen Calvinisten weitgehend einverstanden mit Balkenende, außer in der Ausländerpolitik. Da fordern sie einerseits barmherzige Asylgesetze, andererseits sind ihnen allzu viele Zugeständnisse an die Muslime im eigenen Land suspekt. Doch die Bibeltreuen wissen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen. Denn wie kann man von muslimischen Zuwanderern verlangen, sich anzupassen und liberale Werte zu akzeptieren, wenn doch für orthodoxe Christen all das nicht gelten soll?
Es ist so eine Sache mit der Religions- und Meinungsfreiheit, seit den Morden an dem Politiker Pim Fortuyn und dem Filmemacher Theo van Gogh erst recht. Der so genannte Bund gegen das Fluchen sagt dagegen ganz klar: Meinungsfreiheit ja, aber bitte mit Grenzen:
Ein modernes Bürogebäude im Industriegebiet von Veenendaal bei Utrecht. Gutgelaunt trifft Peter Smit an seinem Arbeitsplatz ein.
Der 26-Jährige mit dem braunen Lockenkopf ist beim Bund gegen das Fluchen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Es ist seine erste Stelle nach dem Studium – und, wie er sagt, nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Das ist dem engagierten jungen Mann anzusehen:
"Wir sind weltweit einzigartig, das gibt es nirgendwo sonst, dass sich jemand gegen den Missbrauch von Gottes Namen einsetzt und gleichzeitig auch noch ganz allgemein gegen Schimpfworte und ordinäre Sprache."
Peter bereitet Kampagnen vor und schreibt Protestbriefe, wenn in Zeitungen oder Fernsehsendungen zu sehr geflucht wird. Er betreut auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die sich in 30 Arbeitsgruppen über das ganze Land verteilt für den Bund einsetzen. Einmal im Jahr werden sie mit einem kleinen Geschenk belohnt. Dieses Mal sind es Kaffeebecher. Die ersten muss Peter heute noch verteilen, in Doetinchem an der deutschen Grenze:
Die Kaffeebecher stehen bereits in Taschen verpackt im Magazin.
In vollgepfropften Regalen liegen dort auch die Poster, Kugelschreiber und Aufkleber, die der Bund im Rahmen seiner Kampagnen verteilt oder aufhängt: "Wer flucht, entgleist!" prangt zum Beispiel auf großen Plakaten auf Bahnhöfen. Und in Fußballstadien: "Wer flucht, schießt immer daneben."
Neben den Posterrollen liegen blaue Aufkleber, sie sehen aus wie Schilder mit Verboten aus dem niederländischen Strafgesetzbuch. In diesem Falle heißt es: "Fluchen verboten, gemäß Artikel 3 des Strafgesetzbuches der zehn Gebote."
Damit sei natürlich das dritte Gebot gemeint: "Du sollst den Namen Deines Herrn nicht missbrauchen".
Es gibt auch Zahnbürsten mit der Aufschrift "Clean your speech – säubere deine Sprache".
Auf allen Artikeln prangt das Logo des Bundes, ein bunter Papagei:
"Papageien äffen alles nach, so ist es mit dem Fluchen auch: Kinder tun es, weil sie es von ihrer Umgebung hören. 'Sei kein Nachäffer!', lautet deshalb unser Motto."
Von den acht festen Mitarbeitern des Bundes wird erwartet, dass sie bekennende Christen sind und in die Kirche gehen. Wer nicht gläubig ist, kann hier nicht arbeiten, sagt Peter:
"Ich muss ja immer wieder erklären, warum unsere Existenz notwendig ist. Viele Leute halten uns für überflüssig, es gibt Wichtigeres auf der Welt, sagen sie. Ich antworte dann, dass ich es aus Liebe zu Gott tue, um seinen Namen ihn Ehren zu halten. Das macht diese Arbeit so schön und befriedigend."
Der Bund will nicht nur gängige Flüche und Kraftausdrücke bestreiten. Er ist auch dagegen, wenn jemand achtlos und unüberlegt sagt: "Jesses, was regnet es heute!" Denn das kommt von Jesus, das ist ein sogenannter "camouflierter Fluch".
Das Jahresbudget des Bundes beträgt 600.000 Euro. Es wird durch die Beiträge der 30.000 Mitglieder bestritten, die müssen mindestens 10 Euro im Jahr zahlen. Die meisten aber geben mehr.
Da die Zahl der Mitglieder in den letzten Jahren stagniert, wird aktiv um neue geworben. Deshalb wurde gerade ein Radiospot produziert:
Darin schlägt sich ein Mann mit dem Hammer auf den Daumen. Und was sollte man dann nicht tun?
Die SGP ist die so genannte Schwarzstrümpfler-Partei. 1918 gegründet, ist sie die älteste Partei der Niederlande, und seit jeher mit zwei oder drei Sitzen im Parlament vertreten – eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es nicht. Immer wieder mal gerät die orthodoxe SGP in die Schlagzeilen, zuletzt wegen einer Entscheidung des obersten niederländischen Gerichts. Demnach müssen der Partei auch künftig staatliche Zuschüsse ausgezahlt werden, obwohl die SGP Frauen diskriminiert. Sie dürfen kein Parteiamt annehmen und erst recht kein Abgeordneten-Mandat haben. Zahllose juristische Verfahren wurden angezettelt, um dieses Recht doch zu erkämpfen – bislang aber vergeblich. Um so erstaunlicher, dass ausgerechnet diese Partei keinerlei Nachwuchsprobleme hat. Führende SGP-Politiker wundert das nicht. Die Jugend, heißt es, habe keine Lust mehr auf Chaos und Anarchie, sie toleriere Sex vor der Ehe nicht mehr, und überhaupt werde der Ruf nach Vorbildern, Normen und Werten immer stärker. Und dann ist da noch die Europäische Union. Die Niederlande haben die alte EU-Verfassung 2005 in einem Referendum abgelehnt, auch mit den Stimmen der orthodoxen Calvinisten. Sie halten die EU für einen Hort des römischen Katholizismus, und den Euro für Teufelszeug.
Im Dorfzentrum von Ijsselmuiden, kurz vor Ladenschluss. Bei den ersten Geschäften werden bereits die Rolläden herabgelassen.
Auch Janneke vom Dorfbäcker am Marktplatz bereitet sich auf den Feierabend vor und macht die Regale sauber.
Die 50-Jährige ist ein bisschen misstrauisch, ihren Nachnamen will sie lieber nicht nennen. Doch dann taut sie immer mehr auf und wird richtig gesprächig.
Janneke lebt schon seit Jahren hier, und natürlich kennt sie auch die kleine Gemeinde von Pfarrer Taverne: rund 40 Gläubige, die Ijsselmuiden im ganzen Land bekannt gemacht haben, weil sie den Euro boykottieren. Schon seit mehr als sieben Jahren zahlen sie nur bargeldlos, denn das neue Geld fassen sie nicht an. Auch die Europazeichen auf den Nummernschildern ihrer Autos würden sie am liebsten loswerden: Sie haben sie mit Protestaufklebern überklebt. Das bringt ihnen zwar immer wieder Bußen ein – doch die zahlen sie nicht, schon seit Jahren prozessieren sie deswegen gegen den niederländischen Staat.
"Anfangs dachten wir, das halten die nicht lange durch! Aber sie geben nicht auf. Wie sie bargeldlos überleben können, ist mir ein Rätsel! Manchmal ist man doch auf Kleingeld angewiesen, zum Beispiel auf dem Markt! Warum die sich das Leben so schwer machen, kann ich Ihnen auch nicht erklären. Es hat irgendetwas mit der Bibel zu tun!"
Der Pfarrer dieser fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft spricht nur in Ausnahmefällen mit der Presse. Radio und Fernsehen sind für Gerrit Taverne tabu. Doch solange seine Worte nicht aufgenommen werden, ist der 63-Jährige zu Erklärungen bereit.
Schuld an allem sei das kreisförmige Europasymbol mit den 12 Sternen: Gemäß der Offenbarungen des Johannes erscheint dieser Sternenkranz als Zeichen am Himmel - und zwar direkt über dem Kopf einer hochschwangeren Frau. Der römisch-katholischen Kirche zufolge handelt es sich dabei um Maria. Die strenggläubigen Kalvinisten aus Ijsselmuiden sind sich deshalb ganz sicher: Es geht hier um ein katholisches Symbol, mit dem der Vatikan versucht, in ganz Europa die Macht zu ergreifen. Denn die Katholiken mit ihrem Papst sind für diese protestantischen Fundamentalisten immer noch der Erzfeind.
"Lächerlich!", finden viele ihrer Mitbürger. Tavernes pensionierter Kollege Hans van der Velde jedoch ist ein liberalerer Kirchenmann und milder in seinem Urteil: Diese Menschen hätten einfach Angst vor einem vereinten Europa:
"Es geht hier nicht um einen Haufen Verrückter, es sind ein paar Familien, die davon überzeugt sind, dass unser Land durch ein vereintes Europa seinen protestantischen Charakter verliert – so wie anderswo auch viele Menschen um ihre Identität bangen. In diesem Licht muss man das sehen, als eine Art biblischen Nationalismus."
Auf dem Markt oder beim Bäcker schreiben Tavernes Gläubige einfach an und lassen sich am Monatsende eine Rechnung schicken. In die Einkaufswagen im Supermarkt passt zum Glück noch ein altes Guldenstück. Auch sonntags nach dem Gottesdienst wird mit Gulden gespendet, denn wirklich wertlos wird das alte Geld erst im Jahre 2032.
Außerdem könne man inzwischen fast überall mit EC-Karte zahlen, auch die kleinsten Beträge, meint eine junge Verkäuferin im Supermarkt. Ihre Verwandten gehören zu Pfarrer Tavernes Gemeinschaft, erzählt sie etwas widerwillig – und zum großen Erstaunen ihrer Kolleginnen, die davon nichts wussten.
Selbst hat sie nichts gegen den Euro einzuwenden.
Aber verurteilen möchte sie ihre Verwandten deswegen nicht, jeder müsse selbst wissen, was er tue – sie jedenfalls will nun nach Hause zum Abendessen:
Doch selbst Gleichgesinnten geht Pfarrer Tavernes Gemeinde zu weit. Auch Martin und Gerda van der Spek können darüber nur den Kopf schütteln. Die beiden führen einen Steinwurf vom Marktplatz entfernt, gleich neben der Dorfkirche, einen Buch- und Schreibwarenladen. "De Pilgrim" heißt er, der Pilger.
Die van der Speks leben streng nach der Bibel; keines ihrer neun Kinder ist geimpft. "Sie sind von Gott geimpft, erklärt Mutter Gerda. In ihrem Drang, ihren Glauben zu verteidigen, ereifert sie sich mehr und mehr - und verurteilt die Ungläubigen:
"Gott sorgt für uns, dadurch sind wir frei und glücklich, ihr hingegen, ihr habt es schwer, ihr seid arm. Wenn ihr dem Tod ins Angesicht schaut, seid ihr allein, dann will Gott nichts von euch wissen. Ihr habt nix, arm seid ihr, furchtbar arm."
Gegen den Euro allerdings hat selbst diese Familie nichts einzuwenden. Als Geschäftsmann könne er sich einen solchen Boykott gar nicht leisten, da ist Martin van der Spek ganz realistisch. Und ob es Pfarrer Tavernes Gläubigen tatsächlich gelungen ist, in all den Jahren keinen einzigen Euro anzufassen, das bezweifelt er. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte:
"Dieser Boykott ist doch scheinheilig! Ob sie das Geld nun anfassen oder nicht - zahlen tun sie doch damit!"
""Hans, ich bitte Dich!" Er geriet ins Stocken, hörte auf zu lesen, schaute verstört zur Seite, von Margje zu seinem jüngeren Sohn neben ihr. Ruben war der einzige, der zur Freude seines Vaters aufmerksam zuhörte. Warum unterbrach Margje ihn wieder bei der Lektüre? Sie war dieser Predigt von Poort nicht würdig.
"Was ist?" fragte er, den Blick schon wieder auf den Text gerichtet. Natürlich wusste er, was los war. Er war zu laut.
"Na, Du schreist fast. Die ganze Nachbarschaft kann Dich hören!"
Die Pendeluhr schlug zwölf.
"Du bist jetzt seit zwei Stunden zugange. Denk doch an die Kinder."
Er starrte auf die Worte, dachte nach. Nein, so ging das nicht. Immer wieder herausgerissen zu werden. Es hatte keinen Sinn.
"Ist Papa uns böse?" fragte Tom in die Stille hinein.
"Unsinn", sagte Margje, "natürlich ist Papa uns nicht böse." Und, die Hand auf dem blonden Lockenkopf des Jungen: "Soll ich Kaffee kochen? Mir ist inzwischen danach, und die Kinder wollen auch etwas trinken." Ihr Ton war nicht feindselig, aber sie hatte einfach genug davon.
Noch schwieg er, zögerte, schob das Büchlein hin und her, sagte dann fest entschlossen: "Ich mache weiter. Eine Lesepredigt ist eine Lesepredigt. Man kann nicht einfach mittendrin aufhören."
Laut (aber leiser als zuvor) las er dort weiter, wo er aufgehört hatte, begriff die Dunkelheit der Sätze, die er aussprach. Seine Zunge wurde dick, sein Mund trocken, Schweißtropfen fielen von seinen Nasenflügeln auf die Seite. Er versank in Angst. Sinn der Sache war, das Wort Gottes in dieser Familie erklingen zu lassen, doch er spürte nur Abneigung, Gleichgültigkeit, Feindseligkeit."
Der Einfluss der orthodoxen Christen auf die modernen Niederlande ist bis heute größer als es zunächst den Anschein hat. Zu der von Jan Peter Balkenende geführten Großen Koalition gehört neben den Christ- und den Sozialdemokraten auch die CU – die Christenunion. Die Partei ist der kleinste Koalitionspartner, doch sie nimmt durchaus Einfluss. Abtreibung, Sterbehilfe, Schwulenehe, all diese Themen hat sie im Visier und stemmt sich, wenn es sein muss, gegen jeden Liberalisierungsversuch. Standhaftigkeit muss sein, zur Rettung der Moral. Nur hinter vorgehaltener Hand fällt bei den Orthodoxen ein offenes Wort: In manchen Familien herrsche Krieg, heißt es: Wegen Kindern, die nicht mehr in die Kirche wollen. Wegen Alkoholproblemen, wegen dem ein oder anderen Seitensprung. Auch bibeltreue Calvinisten sind nur Menschen. Zu den Eigenheiten ihrer Lebensführung gehört auch, dass sie Impfungen und Versicherungen ablehnen – beides widerspricht ihrem Glauben an ein vorherbestimmtes Schicksal. 30 tausend Bürger in den Niederlanden sind nicht geimpft; rund 11 tausend nicht versichert Diese Rechte haben sich die strenggläubigen Calvinisten 1953 erkämpft. Seitdem können sie sich aus Gewissensgründen von der Versicherungspflicht befreien lassen.
Familie Knöps hat gerade Abend gegessen – "allerdings nicht ohne vorher zu beten!" betont Mutter Elisabeth. Das braune Haar der 53-Jährigen ist ordentlich zurückgebunden und von unzähligen Silberstreifen durchzogen. Die kleine dünne Frau trägt ein Wolljäckchen und einen langen karierten Rock. Dass die Reporterin in Hosen erscheint, wird ihr verziehen. Gleich wird Vater Pieter aus der Bibel vorlesen. Das macht er jeden Abend.
Die Knöps haben fünf Kinder, das älteste ist 22, das jüngste neun. Die gesamte Familie ist weder geimpft noch krankenversichert. Pieter Knöps hat auch keine Autoversicherung abgeschlossen. "Aus Gewissensgründen", erklärt der 54-Jährige. Er trägt eine silberne Brille und hat graues Haar. Sein Auftreten ist streng und bestimmt.
"Wieso sollte ich mich gegen etwas versichern, ohne zu wissen, ob es eintritt? Impfungen und Versicherungen sind ein Zeichen dafür, dass man Gott misstraut. Wenn Gott mich krank macht, wird er dafür schon seinen guten Grund haben - und mich auch wieder gesund machen, wenn er will. Wir müssen Gott vertrauen, darum geht es!"
Medikamente und Arztbesuche hingegen sind kein Problem. Das gilt auch für Deiche und Flutwehre:
"Wenn Frost vorhergesagt wird, müssen wir unsere Kartoffeln über Nacht auch abdecken! Genauso ist es mit Arztbesuchen und Deichen. Wir müssen sorgsam sein, aber nicht besorgt!"
Wobei auch Medikamente und Deiche nichts nützten, wenn Gott es anders will. Bester Beweis: die letzte große Hochwasserkatastrophe der Niederlande 1953, 1.800 Menschen kamen ums Leben. Pieter Knöps verlor damals 13 Familienmitglieder, darunter seine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits:
"Diese Katastrophe war von Gott gewollt, er hat damit ein Urteil über uns gefällt, weil wir den Sonntag immer weniger heiligen und die zehn Gebote missachten."
"Es gibt Dinge, die gehen einfach über unseren Verstand, das müssen wir akzeptieren. Unser Verstand ist so groß wie ein Fingerhut, der von Gott aber wie ein Ozean! Wir KÖNNEN ihn nicht begreifen, dazu ist er viel zu groß und zu mächtig!"
Rund 30.000 Niederländer sind nicht geimpft. Deshalb brechen immer wieder Krankheiten aus. Beim letzten Ausbruch von Kinderlähmung 1993 erlitten 59 Menschen Lähmungen, darunter Elisabeth Knöps' beste Freundin:
"Sie erwartete damals gerade ihr achtes Kind! Sie musste ins Krankenhaus und sitzt seitdem im Rollstuhl. Aber sie hat noch vier Kinder gekriegt, und heute sind sie alle glücklich, Mutter, Vater und Kinder!"
Dass ihre Freundin nicht mehr laufen kann, sei nicht so schlimm – im Gegenteil: Sie wolle es gar nicht mehr anders:
"Es hat ihr gut getan, das hat sie gebraucht! Wenn es uns zu gut geht, vergessen wir den Herrn!"
Ihr Ehemann Pieter erkrankte als Kind an Kinderlähmung, aber er hatte Glück - er hinkt seitdem nur ein bisschen. Dass er jetzt seine eigenen Kinder ganz bewusst diesem Risiko aussetzt, nimmt die ganze Familie in Kauf. Wer älter ist als 16, hat in den Niederlanden zwar seit 1998 das Recht, sich auch gegen den Willen seiner Eltern impfen zu lassen. "Aber warum sollten wir?" fragt Cornelis, der zweitälteste Sohn. Er ist 19 und studiert Agrarwissenschaften:
"Gott bestimmt unser Leben. Wenn er uns an Kinderlähmung erkranken lässt, sollten wir das akzeptieren und uns besser fragen, warum - nämlich, um uns in unserem Glauben noch zu bestärken!"
Es ist Zeit zum Singen und Musizieren. So schließen die Knöps ihren Abend immer ab. Paul, der älteste, hat sich bereits an die Orgel gesetzt.
Pop- und Rockmusik sind bei den Knöps tabu. Das gilt auch für Fernsehen und Strand- oder Schwimmbadbesuche. Dort gehe es viel zu unsittlich zu, seufzt Mutter Elisabeth. Die Kinder hätten sich daran gewöhnt und solche Bedürfnisse gar nicht erst entwickelt. Alle fünf seien in der vorgeschriebenen Spur geblieben – etwas Schöneres könne man sich als Eltern gar nicht vorstellen.
Aber, so gibt die einzige Tochter, die 18-jährige Elsbeth, nach mehreren Nachfragen schließlich zu: leicht sei es nicht immer:
"Manchmal muss sie sich von den Mitschülern hänseln lassen. Und wenn die über Madonna oder Amy Winehouse sprechen, kann sie nicht mitreden. "Aber du findest diese Musik doch nicht schön?", fragt ihre Mutter besorgt."
""Neinnein", beeilt sich Elsbeth zu betonen."
In den Bücherregalen stehen Werke von Calvin und Luther. Nach gängigen Romanen oder zeitgenössischen niederländischen Autoren wie Jan Siebelink und Harry Mulisch hält man vergeblich Ausschau. So etwas kommt Elisabeth Knöps nicht ins Haus:
Das Leben ist teuer, wenn man nicht versichert ist. Auf vieles, wie etwa Urlaubsreisen, müssen die Knöps verzichten. Stattdessen werden Zahnspangen für die Kinder angeschafft, eine Behandlung kostet gut und gerne 4000 Euro. Aber das sei nichts verglichen mit den 20.000 Euro, die im September anfielen, als Elisabeths Vater krank wurde und starb. Noch teurer war die Behandlung ihres Schwiegervaters, die kostete mehr als 50.000 Euro. Doch in beiden Fällen konnte die Familie problemlos alle Rechnungen bezahlen:
"Auf wundersame Weise landeten Briefumschläge mit Bargeld in unserem Briefkasten, das ist in unseren Kreisen so üblich – ohne Absender."
Denn wenn es finanziell eng wird, helfen sich die strenggläubigen Calvinisten gegenseitig. Das sehen sie als ihre Pflicht an. In Bewegung allerdings komme diese wundersame Hilfe natürlich nur durch einen – Gott:
"Wie durch ein Wunder wurde uns immer geholfen. Egal, ob es Krankheiten waren, Verletzungen oder Unfälle – wir konnten immer ohne Versicherungen überleben. Was wir brauchen, bekommen wir. Dafür sorgt der Herr."
Gottesfurcht hinterm Deich: Das waren Gesichter Europas, heute über die strenggläubigen Calvinisten in den Niederlanden. Reporterin war Kerstin Schweighöfer, die Literaturpassagen wurden gelesen von Axel Gottschick. Die Redaktion hatte Thilo Kößler. Im Namen des gesamten Teams verabschiedet sich am Mikrofon Barbara Schmidt-Mattern.
Literatur:
Jan Siebelink, Im Garten des Vaters, Arche Literatur Verlag: Hamburg, 2007, Übersetzung: Bettina Bach, S. 19ff.