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Gottesfurcht und Kirchenzucht (5/5)
Wie Calvin Michel Servet auf den Scheiterhaufen schickte

Nach dem Tod seiner Frau fand Johannes Calvin Trost in der Arbeit. Dazu zählte für ihn vor allem die Durchsetzung seiner Lehre - zur Not mit Feuer. Unter anderem sein Kritiker Michel Servet landete durch Calvins Umtriebe auf dem Scheiterhaufen.

Von Rüdiger Achenbach |
    Eine Frau betrachtet am 10.05.2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) im Kurpfälzischen Museum in der Ausstellung "Macht des Glaubens" ein Ölgemälde, das den Reformator Johannes Calvin zeigt.
    Ein Ölgemälde des Reformators Calvins aus der Ausstellung "Macht des Glaubens". (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    "So furchtbar schwer mir auch der Tod meiner Frau war, so suche ich doch, so gut ich kann, meine Traurigkeit zu überwinden."
    Schreibt Johannes Calvin Ende März 1549, als gerade seine Frau gestorben war, an einen Freund. Als einziger naher Angehöriger blieb Calvin jetzt nur sein Bruder Antoine, der bei ihm im Haus wohnte.
    Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg: "Der Lebensstil des Genfer Kirchenoberhaupts änderte sich durch den tief betrauerten Verlust der Gattin nicht. Er blieb zurück, karg, ohne jede nach außen wirkende Form von Häuslichkeit. Gastmähler, Tischgespräche, Geselligkeit mit Musik und Privatissima des Hausherrn – all das gab es nicht. Der Kontrast zu Luther hätte kaum schroffer ausfallen können."
    Der Reformator fand Trost in der Arbeit. Wie gewöhnlich stürzte Calvin sich auch jetzt mit Selbstdisziplin in die Pflichterfüllung. So hatte er unter anderem inzwischen auch mit Zwinglis Nachfolger in Zürich, Heinrich Bullinger, Verhandlungen aufgenommen, um so etwas wie ein gemeinsames Basisbekenntnis zwischen Genf und Zürich zu formulieren.
    Der Consensus Tigurinus
    Noch im selben Jahr verständigte man sich auf den Consensus Tigurinus, die sogenannte "Zürcher Einigung". Zu deren Kernaussagen gehörte, dass die Formel "Hoc est corpus meum", also "dies ist mein Leib" als Gleichnis zu verstehen sei. Die Anwesenheit Christi beim Abendmahl wurde dabei als eine spirituelle Präsenz gedeutet. Willem Nijenhuis, Professor für evangelische Theologie an der Universität Groningen.
    "Von lutherischer Seite wurde der Consensus jedoch als das Bekenntnis einer subjektiven Sakramentsauffassung und als Ausdruck von Zwinglianismus und Schwärmerei verstanden. Indessen bleibt es die historische Bedeutung dieses Consensus zwischen den Kirchen von Genf und Zürich, dass er als Geburtsurkunde des reformierten Protestantismus, dessen Architekt Calvin war, bezeichnet werden kann."
    Schon bald schloss sich auch Bern diesem Consensus an, sodass es jetzt eine theologische Dreierachse Zürich-Genf-Bern gab. Das bedeutete aber keineswegs, dass nun unter den Schweizer Reformatoren alle Lehrunterschiede ausgeräumt gewesen wären. Calvins Verständnis der Kirchenzucht blieb auch weiterhin unter der Schweizer Theologen umstritten und besonders sein Verständnis der Prädestinationslehre führte immer wieder zu heftigen Diskussionen. Der evangelische Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt: "Was Paulus, Augustinus und Luther nicht gewagt hatten, glaubt Calvin aussprechen zu müssen: Er führt die Verwerfung der Menschen, die verloren gehen, auf einen unabänderlichen Ratschluss Gottes zurück."
    Für Calvin hatte Gott vor aller Zeit in einem ewigen Dekret beschlossen, eine bestimmte Anzahl von Menschen zum ewigen Leben zu erwählen. Die übrigen Menschen blieben der ewigen Verdammnis überlassen. Calvin betonte, dass es aber ein Geheimnis bleibe, wen Gott der Gnade teilhaftig werden lässt. Hoffen dürften auf das Heil aber grundsätzlich nur jene, die ihre Pflichten treu erfüllten, was für Calvin bedeutete, streng nach der Bibel zu leben.
    Keine Lust auf theologischen Streit
    Dass Gott beschlossen hatte, nur wenigen Menschen das ewige Leben zu schenken, während er die meisten Menschen der ewigen Verdammnis überließ, war für viele eine schreckliche Vorstellung. Jérome Bolsec aus Genf warf Calvin deshalb vor, aus Gott einen Tyrannen zu machen. Wegen dieser Angriffe auf den Reformator wurde er in die Verbannung geschickt. Man wollte keine theologischen Streitigkeiten in der Stadt haben. Richard Stauffer, Kirchenhistoriker an der Sorbonne in Paris:
    "Man täusche sich nicht, auch wenn Genf für die Papisten und einige Lutheraner die Hölle war, so war die Stadt für Tausende doch das neue Jerusalem, in dem sie leben und sterben wollten. Die Stadt war bei Flüchtlingen sehr beliebt. Wenn Calvin seinen Gegnern als hochmütiger Doktrinär und unausstehlicher Tyrann galt, war er für seine Anhänger ein von Gott berufener Lehrer."
    Die Zahl der Glaubensflüchtlinge, die vor allem aus Frankreich und Italien nach Genf kamen, wuchs ständig an. Zwischen 1549 und 1555 wurden fast 1300 als Fremde mit Aufenthaltsbewilligung registriert. Unter den alten Genfer Bürgerfamilien breitete sich deshalb die Angst vor Überfremdung aus. Diese feindliche Stimmung gegen über den Zuwanderern führte sogar zur Bildung einer eigenen politischen Gruppierung. Volker Reinhardt.
    "Dass sie sich den Parteinamen 'Enfants de Genève' zulegten, war ein geschickter Schachzug. Unter dieser Bezeichnung hatten ihre Vorväter für die Freiheit gegen Bischof und Herzog gestritten. Jetzt aber gewann 'Kinder von Genf' eine neue, aggressive Bedeutung: wir gegen die Eindringlinge!"
    Calvin, der selbst zu den Flüchtlingen aus Frankreich gehörte, ließ sich von solchen Parolen aber nicht beeindrucken. Er war fest davon überzeugt, dass er in Genf einen besonderen göttlichen Auftrag zu erfüllen hätte. Dazu Volker Reinhardt.
    "Die Stadt an der Rhone war reformiert worden, um die Welt zur Wahrheit zu bekehren. Jetzt stehenzubleiben, würde heißen, Gott zu beleidigen. Der Herr wollt sein Werk durch die Genfer vollendet sehen. Sie müssen also die ihnen aufgetragene Mission erfüllen – der Welt ein Licht zu sein."
    Gefährliche Freigeister
    Und bei diesem Auftrag wollte sich Calvin von niemandem stören lassen. Vor allem nicht von denen, die die gottgewollte Ordnung in Gefahr brachten, indem sie die Dogmen der Kirche leugneten. Einer der gefährlichsten dieser Freigeister war für Calvin ein spanischer Arzt, wie er in einem Brief an Farel deutlich macht.
    "Servet hat mir vor Kurzem geschrieben und seinem Brief einen dicken Band seiner wahnwitzigen Lehren beigefügt – mit der aufgeblasenen Prahlerei, ich würde darin Dinge zum Staunen, ja Unerhörtes zu entdecken haben. Wenn es mir zusage, will er nach Genf kommen. Doch ich garantiere für nichts. Denn kommt er wirklich hierher, so lasse ich ihn, wenn mein Einfluss etwas bewirkt, nicht wieder lebendig fortziehen."
    Michel Servet hatte in seiner Schrift "Wiederherstellung des Christentums" die Vorstellung von der Trinität als unbiblisch abgelehnt. Servet wollte zur Religion Jesu zurück, der ebenso wie seine Jünger niemals vom strengen Monotheismus des Judentums abgewichen sei. In der Lehre von der Trinität sah Servet deshalb einen radikalen Bruch mit der wahren Religion Jesu.
    Kaum war Servets Buch veröffentlicht, wurde er auch schon in Vienne bei Lyon, wo er als Arzt praktizierte, verhaftet und von der Inquisition in den Kerker geworfen. Willem Nijenhuis: "Bei der Verhaftung Servets in Vienne spielte Calvin eine dubiose Rolle: Er versorgte die Inquisition mit belastenden Manuskripten und konnte so sicher sein, dass der in seinen Augen gefährliche Ketzer zum Tode verurteilt werden würde."
    Doch Servet floh aus dem Kerker und tauchte im August 1553 ausgerechnet in Genf auf, ohne zu ahnen, dass Calvin einer seiner schlimmsten Verfolger war. Natürlich wurde er sofort festgenommen und man klagte in als Ketzer an.
    Am 27. Oktober wurde Michel Servet zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Urteil wurde am selben Tag vollstreckt. Die Rechtslage war eindeutig. Das Reichsrecht sah für die Leugnung der Trinitätslehre die Todesstrafe vor. Willem Nijenhuis:
    "Auch die anderen Schweizer Kirchen erklärten sich mit dem Todesurteil einverstanden. Doch lässt sich das ebenso wenig zur Entschuldung Calvins geltend machen, wie sein Versuch für Servet die Enthauptung zu erwirken, um ihm den Feuertod zu ersparen."
    Auch Philipp Melanchthon spendet Calvin Beifall: "Lieber Bruder, die Kirche sagt dir Dank und wird Dir in Zukunft Dank sagen. Eure Amtspersonen haben recht gehandelt, als sie diesen Gotteslästerer zum Tode verurteilten."
    Aber es gab auch Protest. Die schärfste öffentliche Kritik kam von Sebastian Castellio, den Calvin einst aus der Stadt getrieben hatte. Er lehrte inzwischen an der Universität in Basel Griechisch. Er schrieb jetzt an Calvin: "Einen Menschen zu töten, heißt 'nicht', eine Lehre zu verteidigen, sondern einen Menschen zu töten."
    Christliches Henkersamt
    Castellio warf Calvin vor, das christliche Lehramt zu einem Henkersamt gemacht zu haben. Einen Christen erkenne man daran, dass er Menschen mit einer anderen Meinung nicht verachte, geschweige denn töte. Daran ändere auch nichts, dass man sich auf die Zustimmung der breiten Masse berufen könne. Das Urteil der Menge richte sich all zu gern nach dem, was man ihr einrede. Alle Urteile gegen Ketzer zeigten, dass es dabei stets nur darum ging, Menschen zu beseitigen, weil sie sich nicht dem Glaubens- und Gewissenzwang beugen wollten. Sebastian Castellio trat als Erster im 16. Jahrhundert für die Freiheit des Gewissens und religiöse Toleranz ein.
    Calvin hingegen blieb bei seinem Standpunkt, dass gegen Ketzer mit aller Härte vorgegangen werden müsse, zumal auch die Reformation immer noch in Gefahr sei. Christoph Strohm: "Darum muss die Klarheit und Einheit der rechten Lehre mit allen Mitteln gewährleistet werden. Für Pluralität und individuelle Religiosität ist angesichts des Überlebenskampfes der wahren Kirche kein Spielraum."
    Da sich Calvin bei der Hinrichtung Servets auf die Verteidigung des Wortes Gottes berief, fragte Castellio zurück: "Wenn Christus dir diese Dinge angeblich befiehlt, was hast du denn dann dem Teufel noch zu tun übriggelassen?"
    Bei der Verteidigung seiner Reformationspläne konnte Calvin sich zunehmend auf die Unterstützung durch die Flüchtlinge verlassen, die inzwischen das Bürgerrecht erhalten hatten. Da sich viele Genfer Bürger durch den Einfluss der Franzosen bevormundet fühlten, kam es im Mai 1555 zu einer nächtlichen Demonstration einer Gruppe von Randalieren, die durch die Stadt zogen und forderten, den ehemaligen Flüchtlingen das Bürgerrecht wieder abzuerkennen. Die Pastoren sahen darin auch einen Angriff auf ihre Arbeit und erwirkten beim Magistrat, dass dieser nächtliche Protest als Versuch eines Staatsstreichs geahndet wurde. Volker Reinhardt:
    "Von einer solchen Nacht der langen Messer mögen die Oppositionellen in der Tat geträumt haben. Darauf, dass wirklich ein Umsturz mit nachfolgendem Massaker geplant war, deutet jedoch nichts hin. Durch Rumoren auf nächtlichen Straßen ist noch nie eine Regierung gestürzt worden. Wie die siegreiche Partei daraus eine akute Staatsgefährdung machte, zeugt von subtilster Staatsräson. Und die rücksichtslose Härte, mit der sie gegen die unterlegenen Gegner vorging, als sich der Zeitpunkt günstig zeigte, offenbart eine beträchtliche Skrupellosigkeit."
    23 Todesurteile
    Gegen 60 Personen wurde gerichtlich vorgegangen, insgesamt gab es 23 Todesurteile, die übrigen Verurteilten wurden in die Verbannung geschickt. Mit einem Schlag war jetzt die Opposition gegen Calvin und die Pastoren aus dem Weg geräumt. Die Schlüsselpositionen in Genf nahmen jetzt Anhänger Calvins ein.
    Nun begann die große Zeit Calvins, in der er alle seine Pläne in Genf ungehindert verwirklichen konnte. Durch seine umfangreiche Korrespondenz und durch die Genfer Akademie zur Ausbildung der reformierten Theologen hat er auch auf viele evangelische Kirchen in Europa eingewirkt. Als Johannes Calvin am Abend des 27. Mai 1564 starb, notierte sein Freund und Nachfolger, Theodor Beza, der an seinem Totenbett gestanden hatte:
    "So wurde im selben Augenblick, als die Sonne unterging, das hellste Licht, das zur Leitung der Kirche Gottes auf Erden gewesen war, zum Himmel emporgehoben. Wir aber dürfen wohl sagen, dass es Gott in Gestalt dieses einzigen Mannes gefallen hatte, in unserer Zeit den richtigen Weg zu leben und zu sterben zu lehren."