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Gotteslästerung
"Blasphemie wirkt wie ein Identitäts-Generator"

Es ist reizvoll, das zu beleidigen, was anderen heilig ist. Und es ist riskant. Gotteslästerung wurde und wird hart bestraft. Der Dresdner Historiker Gerd Schwerhoff hat die Geschichte der Blasphemie aufgeschrieben. Sie ist noch lange nicht zu Ende.

Gerd Schwerhoff im Gespräch mit Christiane Florin |
Schild mit der Aufschrift "Jesus du Opfer" bei einer Demonstration gegen christlichen Fundamentalismus und für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in Berlin
"Blasphemie ist die andere Seite der bekannten Medaille des Glaubens", sagt der Historiker Gerd Schwerhoff (imago stock&people /imagebroker)
"Wer den Namen des Herrn lästert, der soll des Todes sterben, die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Ob Fremdling oder Einheimischer: Wer den Namen lästert, soll sterben."
So steht es im biblischen Buch Levitikus. Gotteslästerung ist da das schwerste Verbrechen, schlimmer als Mord. Dieser Befehl an Moses ist eine Urszene, der Beginn einer Geschichte, die bis heute nicht zu Ende erzählt ist. Der Historiker Gerd Schwerhoff hat diese Geschichte unter dem Titel "Verfluchte Götter" nun aufgeschrieben. Gerd Schwerhoff ist Professor mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit an der Universität Dresden, und er hat sich sehr genau angeschaut, wer wen beleidigt, schmäht, herabsetzt, verletzt. Und wer wie in Gottes Namen bestraft – von der Antike bis zur Gegenwart.

Christiane Florin: Ist Gotteslästerung so alt wie der Glaube an Gott?
Gerd Schwerhoff: Ja, definitiv. Blasphemie ist die andere Seite der bekannten Medaille des Glaubens, die andere Seite der Verehrung, des Gebetes. Vermutlich haben schon immer Menschen den eigenen Gott oder die Götter der anderen, aus welchen Motiven auch immer, verflucht und verspottet – aus Übermut, aus Skepsis, aus dem Bedürfnis, die andere Gemeinschaft zu treffen oder auch aus dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit oder Wut dem eigenen Gott gegenüber.

Treue gegenüber dem eigenen Gott

Florin: Vielleicht hätte ich auch fragen sollen: So alt wie der Glaube an den EINEN Gott? Denn das betonen Sie: den Zusammenhang zwischen Gotteslästerung und der Bestrafung von Gotteslästerung und den monotheistischen Religionen.
Schwerhoff: Das ist richtig. Es ist kein exklusives Merkmal der monotheistischen Religion, ich habe ja auch Beispiele von Kultvergehen im polytheistischen Kontext der Antike. Aber tatsächlich gewinnt die Blasphemie im Kontext monotheistischer Religionen und klassisch dann im Kontext des antiken Judentums ihre eigentliche Gestalt und Schärfe durch den unbedingten Wahrheits- und Treueanspruch gegenüber dem einen Gott. Unbedingt treu ist das Volk Israel, das hat zur Folge, dass die unbedingte Treue darin zum Ausdruck kommt, dass Gotteslästerer mit dem Tode bestraft werden sollen und dass andere Götter nicht nur abgelehnt werden, sondern auch herabgesetzt und bestraft werden sollen, verbal oder eben durch Bestrafung ihrer Kultbilder. Man könnte sagen: Gerade in diesen monotheistischen Kontexten wirkt Blasphemie als ein Identitäts-Generator der eigenen Religion, indem die anderen Religionen, indem andere Götter herabgesetzt werden und indem man besonders empfindlich auf die Herabsetzung des eigenen Gottes durch die anderen reagiert.
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Was tun mit problematischen Bildern? Diese Frage beschäftigt auch die Kirchen. Dort geht es vor allem um abwertende Darstellungen von Juden aus dem Mittelalter. Wie damit umzugehen sei, ist in manchen Fällen umstritten.

Blasphemie als Hassrede: "nicht vorschnell exotisieren"

Florin: Diese Geschichte ist ja bis heute nicht zu Ende. Ihr Buch ist auch eine Geschichte der Hassrede, Hatespeech auf Neudeutsch. Steckt im Lästern, im Herabsetzen des Heiligen Hass auf Gott?
Schwerhoff: Manchmal vielleicht schon. Die Affekte, die damit mobilisiert werden, sind jedenfalls heftig. Die Affekte, die in der Lästerung selbst zum Ausdruck kommen, können sehr unterschiedliche Motive haben: zum einen Hoffnungslosigkeit in der eigenen Existenz, wo man nicht so geduldig und fromm reagiert wie der biblische Hiob gegenüber den Versuchungen und gegenüber den Schicksalsschlägen, sondern eben wütend ist auf das eigene Schicksal, auf den Gott, der die Kinder, die eigene Frau, den Besitz zerstört und getötet hat. Zum anderen Spott gegenüber anderen Göttern oder Spott gegenüber Religion insgesamt in der Moderne. Da gibt es vielfältige Motive.
Der Vergleich zu Hatespeech ist deswegen wichtig, um Blasphemie nicht vorschnell zu exotisieren. Wir neigen ja dazu, Hatespeech in der Moderne als etwas sehr Aktuelles anzusehen, während Blasphemie uns als etwas irgendwie Vormodernes, Abgelebtes lange erschienen ist. Aber Blasphemie ist eben ein Aspekt oder eine Erscheinungsform von Hassrede. Hassrede im modernen Kontext folgt ähnlichen Dynamiken. Von daher gewinnt Blasphemie auch in der Moderne eine erschreckende Aktualität.

"Das frühe Christentum war voller Aggressionen"

Florin: Das war der Aspekt "Hass auf Gott". Aber mindestens so einflussreich, so entnehme ich es Ihrem Buch, ist auch der Hass derjenigen, die ihren Gott gegen die Gotteslästerer verteidigen. Sie schreiben und Sie belegen es auch, dass das frühe Christentum voller Aggressionen war. Gegen wen richtete sich diese christliche Aggression?
Schwerhoff: Eigentlich gegen alle anderen. Sie diente dazu, erst mal das Andere so richtig dingfest zu machen, ihm Umrisse zu verleihen. Das ist wirklich dann auch eine Methode, um den eigenen rechten Glauben sozusagen mit seiner einzigartigen Aura zu versehen. Die anderen, das waren dann eben die Heiden, die Götzenbilder verehrten, das waren als die Anhänger anderer Religionen, das konnten die Manichäer sein, das konnten vor allen Dingen die Juden sein, von denen man sich ja sozusagen in der eigenen Geschichte erst abgetrennt hatte. Aber das konnten genauso gut die heterodoxen Anhänger des eigenen Gottes sein, also gerade innerhalb der verschiedenen Strömungen der christlichen Kirchen in der Frühzeit.
Aber das zieht sich im Grunde wie ein roter Faden über die Ketzerbewegung des Mittelalters bis hin in die konfessionelle Zeit der Frühen Neuzeit: Arianer, Monophysiten, Nestorianer wurden sozusagen immer wieder ausgegrenzt und geschmäht beziehungsweise schmähten auch die andere Partei, im Grunde auch als Heiden. Da machte man keinen so großen Unterschied. Im Grunde ist diese blasphemische Schmährede ein großer Identitäts-Generator für die Abgrenzung und für die einzelnen Gemeinschaften innerhalb des Christentums.

Gesetze gegen Läster-Schwüre, Flüche, Schmähreden

Florin: Das Wort Blasphemie ist jünger als das Phänomen, das es beschreibt. Es taucht 542 in einem Gesetzestext des Kaisers Justinian auf, in der Novelle 77. Wann wurde das "Verbrechen Blasphemie" erfunden?
Eine Zeichnung von Kaiser Justinian.
Das erste Gesetz gegen Blasphemie wurde unter Kaiser Justinian eingeführt (imago | imagebrocker)
Schwerhoff: Im engeren Sinn ist tatsächlich diese Novelle 77 sehr bedeutsam von Justinian, weil er sich gegen die Blasphemie, "blasphemare in deum", also das Schmähreden gegen Gott innerhalb der eigenen Religion, vor allen Dingen innerhalb der eigenen Stadt – da ging es vor allen Dingen um Phänomene in der Hauptstadt Konstantinopel – wendet. Diese Strafrechtsnovelle wurde dann zur Blaupause für die Gesetzgebung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gegen christliche Gotteslästerer.
Das ist eine Eigenheit dieses ersten Zeitalters der Gotteslästerung, dann im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, dass es eine sehr ausgefaltete Gesetzgebung gegen lästerliche Schwüre, Flüche, Lästerreden und lästerliche Taten innerhalb der eigenen Religion gibt. Dass man sich mit anderen Religionen streitet, die angeblich die eigene Religion schmähen, ob sie dem Islam oder im Judentum angehören, dass diese verfolgt werden, das ist eine ältere Tradition. Aber gerade diese Fixierung auf die Blasphemie im Inneren des Christentums ist etwas, was mit dieser justinianischen Novelle begründet und dann im Mittelalter und der frühen Neuzeit zum vollen Ausdruck kommt.

Gott schützen, die öffentliche Ordnung sichern

Florin: Es ging nicht allein um die Schmähung Gottes, sondern es ging auch um Flüche, in denen die Gottesmutter Maria vorkam. Es schien im Mittelalter ziemlich verbreitet zu sein, falsch zu schwören oder zu fluchen. Was wurde eigentlich geschützt durch das Blasphemie-Verbot: Gott, das Heilige, die öffentliche Ordnung oder der Herrscher?
Schwerhoff: Im Mittelalter war tatsächlich die Blasphemie-Definition diejenige, dass man Gott vor einer Vermenschlichung oder vor einer Ehrverletzung durch die Menschen schützen wollte. Das war ganz persönlich. Das schloss die Gottesmutter Maria und auch die Heiligen ein. Vor der Profanierung des Heiligen, aber insbesondere eben vor der Ehrverletzung gegen Gott wurde geschützt. Erst im Verlauf der frühen Neuzeit trat dann mehr und mehr dieser Aspekt der öffentlichen Ordnung in den Vordergrund. Als diese anthropomorphe Vorstellung von Gott als einem Wesen, was auch sehr zornig und mit Kollektivstrafen auf menschliche Herabwürdigung reagiert, mehr und mehr obsolet wurde, trat dieser Öffentlichkeitsschutz in den Vordergrund, also die Vorstellung, dass mit Blasphemie-Verbot eben auch die Kirche und der Staat in ihren Grundfesten geschützt werden. Als solche hat die Blasphemie dann eine weitere Geschichte, auch jenseits der Aufklärung und jenseits dieses anthropomorphen Gottesbildes bis ins 19. und 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart.

Mohammed-Karikaturen und Meinungsfreiheit

Florin: Bis zur Gegenwart müssen wir einen ganz großen Sprung machen. Da reden wir weniger über den christlichen Gott, der gelästert und geschützt wird, uns beschäftigen vielmehr Mohammed-Karikaturen, der Anschlag auf "Charlie Hebdo", bis hin zur Ermordung des Lehrers Samuel Paty in Frankreich.
Charlie-Hebdo-Prozess: "Blasphemie ist in vielen Ländern immer noch ein Problem"
Wer sich kritisch zu Religion äußert, muss in vielen Ländern nach wie vor mit Strafen rechnen, sagte Michael Bauer von der Humanistischen Vereinigung im Dlf. In Deutschland verursache Gotteslästerung allerdings kaum noch Aufregung, weil Religion keine große Rolle mehr spiele.
Sie schreiben: "Schmähung und Gegenschmähung, Empörung und das Gefühl der Verletzung, Anklage und Gegenaktion. All das stellt eine Grenzziehung zwischen dem Wir und dem Sie her." Der Blasphemie-Diskurs produziere jene Wirklichkeit, die er widerzuspiegeln vorgebe. Die einen beschwören die Meinungsfreiheit, in der man alles sagen darf, auch schärfste Religionskritik, und die anderen sagen: Ihr schmäht das, was uns heilig ist. Was ist zu tun?

Interkulturell: Religionskritik wird anders verstanden

Schwerhoff: Es ist immer noch nicht so ganz einfach, den Historiker nach Rezepten zu fragen. Was folgt aus meinen Beobachtungen? Da kann ich mich sozusagen als Bürger, als wacher Zeitgenosse äußern. Im Zweifelsfall würde ich natürlich die Meinungsfreiheit gegen Tabuisierungen verteidigen. Aber wir können aus dieser geschichtlichen Betrachtung unter anderem lernen, dass wir innerhalb des Christentums immer noch in einer Frontlinie stehen, wo wir die Schmähung von Religion vorwiegend als eine Form von Herrschaftskritik verstehen, als eine Form von Schmähungen von unten nach oben, wo der einfache Spötter, der Literat oder der Journalist die Mächtigen, den Papst, die Kirchenoberen, die mit dem Staat im Bunde sind, schmähen.
Seit 1989, seit der Affäre um Salman Rushdie und Ajatollah Chomeini hat sich diese Frontlinie erweitert. Natürlich ist dieser herrschaftskritische Aspekt auch und gerade in der Moderne auch wichtig. Aber die interkulturelle Dimension ist sehr stark im Vordergrund. Wir müssen eben erst mal verstehen, dass sich viele Andersgläubige, insbesondere viele muslimische Gemeinschaften als muslimische Gemeinschaft durch diese Schmähung getroffen fühlen und herabgesetzt fühlen. Welche Konsequenzen wir daraus ziehen, ob wir dann etwas zurückhaltender sind trotz Meinungsfreiheit, das ist zu diskutieren. Aber wir müssen erst mal diese neue Frontlinie realisieren.
Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie.
S. Fischer 2021, 528 Seiten, 29 Euro.