Leibniz gehört zu den ganz Großen der Philosophiegeschichte. Das ist insofern erstaunlich, weil sein philosophisches Werk überschaubar ist und seine philosophischen Thesen weitgehend einen metaphysischen Charakter haben, der schon in seine Zeit und erst recht in die heutige kaum zu passen scheint.
Eine der berühmtesten, metaphysischen Thesen von Leibniz, die bestehende Welt ist die beste aller möglichen, die schon Voltaire in seinem Roman Candide persifliert, wird von Eike Christian Hirsch doppelt relativiert. Erstens würde sich Voltaire gar nicht auf Leibniz beziehen, zweitens bedeutet die Leibnizsche These ja nicht, dass die Welt die beste ist, sondern eben nur die bestmögliche, ist eine bessere dem Schöpfergott nicht möglich gewesen.
Denn Leibniz geht davon aus, dass Gott die Welt und ihre Naturgesetze geschaffen hat, in diese aber nicht mehr eingreift. Gott lenkt die Welt nicht mehr hintergründig, sodass die Menschheit für das Geschehen um sie herum selbst moralisch verantwortlich zeichnet. Daher gibt es nach Leibniz nicht nur ein natürliches Geschehen, das mechanistisch abläuft, sondern auch ein geistiges, das dem Menschen seine Freiheit wahrt. Leibniz schreibt:
"Die Materialisten oder diejenigen, welche sich einzig und allein der mechanischen Philosophie hingeben, tun Unrecht daran, alle metaphysischen Erwägungen zurückzuweisen und alles aus bloß sinnlichen Prinzipien erklären zu wollen. Ich schmeichle mir, in die Harmonie der verschiedenen Reiche eingedrungen zu sein und erkannt zu haben, dass beide Parteien Recht haben, vorausgesetzt, dass sie gegenseitig ihre Kreise nicht stören, dass also alles in den Naturerscheinungen gleichzeitig auf mechanische und auf metaphysische Weise geschieht, dass aber die Quelle der Mechanik in der Metaphysik liegt."
Leibniz ist Lutheraner, der sich aktiv um die Versöhnung sowohl mit der Römisch Katholischen Kirche als auch mit den Calvinisten bemüht. Zu den Atheisten zählt er nicht, was man im 17. und 18. Jahrhundert auch nirgends öffentlich bekunden darf. Andererseits ist er den neuen Naturwissenschaften zugetan und versucht, diese mit dem religiösen Glauben zu verbinden.
Ob bei Moses, Christus oder Mohammed liefern Religionen zunächst Welterklärungen, aus denen sich dann ethisch moralische Normen für die Gläubigen ableiten. Zwar erscheint das biblische Weltbild schon zu Zeiten von Leibniz als unglaubwürdig. Doch die naturwissenschaftlich kausal vollständig erklärte Welt lässt ihrerseits keinen Raum für Moral, weil sie den Menschen determiniert und ihm damit den freien Willen raubt, was bis heute diverse neurologische Forschungen zu bekräftigen versuchen.
Von der naturwissenschaftlich erklärten Welt unterscheidet Leibniz daher eine innere religiös metaphysische Welt, die von der äußeren unabhängig ist. Und daher die Freiheit des Willens wie die Moral ermöglicht. Damit beschränkt Leibniz die Naturwissenschaften auf das materielle Geschehen und den Glauben auf das Feld von Moral und Ethik.
Religion lenkt Menschen ethisch
So braucht eine religiöse Ethik vor allem kein Fundament in einer Welterklärung mehr, richtet sich die Religion stattdessen darauf aus, die Menschen ethisch zu lenken. Der Protestantismus fordert den Gläubigen sogar auf, die diesseitige Welt zu verbessern, während das jenseitige Seelenheil langsam an Attraktivität verliert. Hirsch schreibt:
"Moralische Vollendung statt jenseitiger Belohnung – Leibniz hat mit diesem Gedanken Schule gemacht, denn die folgenden Generationen in Deutschland bis hin zu Goethe und Hegel haben diesen Leitgedanken des allmählichen moralischen Aufstiegs der Menschheit zu einem Reich der Geister von Leibniz übernommen. Das ist das eine. Zum anderen hat seine Entscheidung fortgewirkt, keinerlei Offenbarungswahrheit anzugreifen. Man lässt den Frommen ihren Glauben und legt sich selbst die Überlieferung nur stillschweigend anders zurecht."
Damit trifft Hirsch den Kern des philosophischen Erfolges von Leibniz. Er gehörte zu den ersten, die dem religiösen Glauben eine zeitgemäße Aufgabe stellen. Was sich bis heute nicht nur im Christentum weitgehend durchgesetzt hat, nämlich zur Moralisierung der Menschen beizutragen, die sich bereits in dieser und nicht erst in der jenseitigen Welt auswirkt: Auch Papst Franziskus predigt heute eine solche Perspektive. Daher darf man die Popularität von Leibniz eher in Kreisen aufgeklärter Gläubiger vermuten als in dem engeren Zirkel von Philosophen, die sich häufig wenig für religiöse Fragen interessieren – ein Sachverhalt, den Hirsch stillschweigend übergeht. Die Bedeutung Leibniz' in der Philosophie wird von Hirsch aus dieser protestantischen Perspektive denn auch etwas überzeichnet. Ansonsten lassen sich die Werturteile des Autors zumeist gut nachvollziehen.
Seine Zeitgenossen verblüffte Leibniz noch mit einer anderen berühmten These: Für ihn besteht die Welt aus Einzelwesen, aus sogenannten Monaden, die in sich abgeschlossen sind, somit mit ihrer Umwelt kaum oder gar nicht kommunizieren. Hirsch schreibt:
"Am bekanntest ist der Satz, den die Monadologie neu einführt: 'Monaden haben keine Fenster.' Seine Berühmtheit verdankt er gewiss nur der Tatsache, dass hier die Bildsprache so anschaulich ist. Man sieht ein fensterloses Haus vor sich, glaubt, sofort zu verstehen und sollte sich doch fragen, ob man nicht zu schnell und damit falsch verstanden hat."
Der heutige radikale Konstruktivismus, der aus der Biologie stammt, und in der Sozialwissenschaft fleißig rezipiert wird, geht von sich selbst steuernden biologischen oder sozialen Systemen aus, die sich nur beschränkt an ihrer Umgebung orientieren.
Nach Leibniz spiegeln diese Monaden aber das Universum insgesamt bzw. spiegelt sich in jeder Monade das Universum. Hirsch bemüht sich trotzdem darum, die Monade mit modernen Vorstellungen zu verbinden. Einerseits betrachtet die Physik Atome heute nicht mehr unbedingt als kleine feste Materiekügelchen, sondern als Energie, von der man gewisse Informationen gewinnt. Andererseits beziehen sich die Monaden auf das Universum, wenn sie es spiegeln. So vergleicht Hirsch Leibniz mit seinen intellektuellen Konkurrenten, zum Beispiel Isaac Newton:
"Ganz modern und gleichsam als Sieger erscheint Leibniz wiederum, wenn er die Einheit und Verbundenheit alles Geschaffenen behauptet. Er scheint der erste Denker gewesen zu sein, der den Kosmos als einen sich entwickelnden Prozess gesehen hat. Alles ist System und Wandel, so sah er es. Und so war seine Metaphysik angelegt. Als Logiker hat er den Satz aufgestellt, dass nichts ohne Grund geschehe, als Mathematiker den Begriff der Funktion eingeführt."
Mit Newton stritt er darum, wer als erster die Infinitesimalrechnung entwickelte. Hirsch zufolge geschah das parallel ohne allzu große gegenseitige Beeinflussung oder auch Spionage, achteten die Gelehrten des 17. Jahrhunderts geflissentlich darauf, dass sie ihr Wissen für sich behielten. Leibniz' Denken wirkt sich bis heute sicherlich stärker auf die Mathematik als auf die Philosophie, schreibt Hirsch:
"Schon in seinem ersten Aufsatz tauchte zum ersten Mal ein Symbol auf, das uns allen vertraut ist: Als Divisionszeichen wird, statt des bis dahin üblichen Bruchstrichs, der Doppelpunkt benutzt; auch eine Schreibweise, die Leibniz erfunden und durchgesetzt hat."
Leibniz entwickelte eine Rechenmaschine
Leibniz entwickelte eine Rechenmaschine, deren Prototyp zwar schon erstaunliche Rechnungen bewältigen konnte, die aber doch viel zu störanfällig war, um wirklich benutzt zu werden. Heutige Nachbauten gemäß seiner Vorgaben bestätigen aber ihre Funktionstüchtigkeit, verfügte man zu Zeiten von Leibniz nicht über die dazu nötige technische Präzision.
Andererseits war er vermutlich auch der erste, der allein mit Null und Eins rechnete, also digital, was Hirsch indes relativiert,
"liegt der Reiz der Idee darin, dass heute jeder Computer nach dem System der beiden Ziffern funktioniert, weil der elektrische Strom nur zwei Zustände kennt. Auch, wenn man Leibniz deswegen nicht als den Vater des Computers bezeichnen darf, so hat er doch immerhin selbst schon die Dyadik für ein maschinelles Rechnen verwenden wollen."
Leibniz gehört zu den Gelehrtentypen des 17. Jahrhunderts, die sich längst nicht nur theoretisch oder philosophisch engagierten, die sich vielmehr um die praktische Anwendung ihrer Erkenntnisse bemühten, Leibniz sogar in vielen, sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern. Im Harz versuchte er – wenn auch vergebens – den Bergbau zu verbessern. Er ließ eine horizontale Windmühle bauen, die kläglich scheiterte, wie man heute weiß, scheitern musste. Er machte Pläne für Festungsanlagen und dachte sich ein Gewehr aus, mit dem man schnell hintereinander mehrere Schüsse abgeben könnte, also eine Vorform des Maschinengewehrs. Seine Zeit war nun mal begeistert von den neuen Wissenschaften und versuchte sie umgehend auch in die Tat umzusetzen. So bemerkt Hirsch:
"Nach der rationalistischen Auffassung der Zeit war für Leibniz die Idee alles und die mechanische Ausführung fast selbstverständlich. Einen Widerstand der Materie, also der Praxis, kann es eben, wenn alles logisch erdacht ist, kaum geben."
Für sich selbst entwickelte Leibniz einen gefederten Sitz, auf dem er in seiner Kutsche bei seinen unzähligen Reisen als Pendler zwischen Paris, London, Hannover, Berlin, Wien etc. etwas bequemer sitzen konnte, war Reisen im 17. Jahrhundert auch für Privilegierte eigentlich kein Vergnügen. Hirsch schreibt:
"Auch auf dem besten Pflaster wurden die Knochen der Passagiere durchgerüttelt, denn die Karosse saß damals immer starr auf der Achse auf, nur das Sitzpolster gab etwas Federung. Waren die Straßen ganz schlecht, so geriet das Reisen zwischen den schweren eisenbereiften Rädern zur Tortur. Wenigstens war der Wagen von Hofrat Leibniz bis auf die Fensteröffnungen geschlossen, vor Regen und Schnee konnten die Reisenden, in Pelzdecken gehüllt, also einigermaßen sicher sein, nur der Kutscher nicht."
Auch ökonomische Betätigung
Insgesamt erfolgreicher war Leibniz weniger in technischen Bereichen, als in ökonomischen. Nach langen Bemühungen gelang es ihm, in Berlin eine Akademie der Wissenschaften zu gründen. Angesichts notorisch klammer Staatskassen musste sie sich aber selber finanzieren, unter anderem damit, dass sie – eine Idee von Leibniz – das Monopol für die Produktion von Kalendern erhielt, was in der Tat Geld in die Akademiekasse brachte, obgleich die Konkurrenz von staatlicher Seite nicht ausgeschaltet wurde. Er dachte sich auch eine Feuer- und Hochwasserversicherung aus. Hirsch:
"Wenn er auch die Gründung einer öffentlichen Anstalt nicht durchsetzen konnte, so hat er doch als Mathematiker Grundlagen des Versicherungswesens und der Betriebswirtschaft - etwa der heutigen Investitionstheorie - formuliert. Obwohl er leider nicht alles veröffentlicht hat, muss man ihn zu den bahnbrechenden Pionieren auch der Wirtschaftswissenschaft zählen."
Innovativ wirkte Leibniz auch in den noch nicht existierenden Geschichtswissenschaften. Er sammelte in ganz Europa in Archiven Urkunden und Dokumente und gab sie heraus. Vor allem aber arbeitete er jahrzehntelang an einer Geschichte des alten Adelsgeschlechtes der Welfen, zu der ihn die Fürsten von Hannover beauftragt hatten – die Hauptaufgabe in seiner dortigen Stelle als Hofrat, von der er sein Leben lang lebte.
Er wendete dabei Methoden der Quellenforschung an, wie sie erst im 20. Jahrhundert in den Geschichtswissenschaften jenseits von Leibniz' Arbeiten Einzug halten werden. Allerdings brachte ihm die Welfengeschichte auch jede Menge Ärger ein, benutzte er diese Arbeit häufig als Ausrede, um auf Reisen zu sein. Natürlich musste er die Dokumente aus vielen Archiven zusammentragen. Dass er lange Jahre nichts Vorzeigbares vorlegen konnte, ja, dass er sie nie vollenden wird, lag allerdings auch daran, dass er sich um andere Angelegenheiten kümmerte. So schreibt Hirsch:
"Die Welfengeschichte war trotzdem weitgehend fertig, als er sich zum Sterben legte. Es fehlte nur manches am wissenschaftlichen Apparat. Erstaunlich, wie knapp er auch dieses Lebensziel verfehlte, es ist fast wie bei der Rechenmaschine. Alle Arbeit war damit vergeblich."
Traum, Berater der Mächtigen zu sein
Das gilt insbesondere für seine politischen Tätigkeiten. Von Jugend an nach seiner rechtswissenschaftlichen Promotion an der Nürnberger Universität im nahegelegenen Altdorf träumte er davon, Berater von Fürsten, Königen und Kaisern zu werden.
Zunächst ließ er sich an den Hof des Kurfürsten von Mainz vermitteln, schreibt eine Denkschrift, in der er vorschlägt, den französischen König davon abzubringen, die Niederlande anzugreifen und das deutsche Reich zu bedrohen, indem man Ludwig XIV. nahelegt, in Ägypten das osmanische Reich, das gerade Wien bedroht, in einen Krieg zu verwickeln.
Noch Napoleon wird bei seinem Ägypten-Feldzug daran erinnern. So gelangte er nach Paris, wo ihm aber nach einiger Zeit das Geld ausging, sodass er die Stelle des Hofrats am Hof von Hannover annehmen musste, um die er sich erfolgreich beworben hatte, die er aber unbedingt vermeiden wollte. Hirsch schreibt:
"Die Fürsten zu lenken, das war allerdings das Ideal vieler theoretischer Köpfe. Denn in der Figur des Beraters verbindet sich beides, der Rationalismus der Zeit mit den Vorstellungen von der absoluten Macht des Herrschers."
Doch die Macht der Herrscher war gar nicht so wirksam. Deren Zusagen wurden häufig von der Bürokratie einfach nicht ausgeführt. Um von Hannover wegzukommen, bemühte sich Leibniz unter anderem um Anstellungen am Hof des brandenburgischen Kurfürsten, der sich 1701 zu König von Preußen krönen lässt, und in Wien am Hof des Kaisers.
"Die Bedingungen seiner gesicherten Existenz am herzoglichen Hof zu Hannover wären für ein stilles und konzentriertes wissenschaftliches Arbeiten ideal gewesen, hatte er doch ungewöhnlich viele Freiheiten. Aber er wollte auch bei Debatten mitreden. Und dazu war Hannover gewiss kein geeigneter Ort."
Zwar kennt Leibniz die meisten großen Gelehrten seiner Zeit, sein Hauptaugenmerk bleibt auf die Politik gerichtet. Er begegnete dem Zaren Peter dem Großen und schrieb zahlreiche Denkschriften mit Vorschlägen zur Entwicklung Russlands.
Diese beachtete man indes so wenig, wie Leibniz zwar formell angestellt und die von ihm vorgeschlagene Gründung einer russischen Akademie der Wissenschaften angenommen wurde. Doch nichts setzte man in die Tat um, nie erhielt er das verabredete Salär.
Sogar Kontaktversuch zum chinesischen Kaiser
Sogar mit dem chinesischen Kaiser versuchte er, Kontakt aufzunehmen. Seine Schreiben blieben indes unbeantwortet. Obgleich der Stil der Biografie stellenweise ein wenig gekünstelt wirkt, beschreibt Hirsch vor einem knapp, aber ausreichend dargestellten Hintergrund der historischen Entwicklung sehr lebendig das Leben an den Höfen, baut er gelegentlich auch Spannung auf, sodass man einen inspirierenden Einblick in die damaligen politischen Verhältnisse gewinnt. Hirsch stellt fest:
"Paris, London und Wien – die hektische Suche nach Anstellungen und Einfluss nahm in Leibniz' letzten Jahren noch zu. Sprunghaft und unstet wirkt es, wenn er immer neue Vorsätze fasst. Und es zeugt von Selbstüberschätzung, wenn er sich vorzumachen scheint, all die erstrebten Ehrungen und Ämter könne er zugleich ausfüllen: wirklicher Reichshofrat, persönlicher Berater des Kaisers, Pendeldiplomat zwischen den Höfen Englands und des Reiches, britischer Hofhistoriograf und Berater des Zaren. Nebenbei will er noch die Hausgeschichte der Welfen zu Ende bringen und seine Rechenmaschine vollenden, sogar die wissenschaftliche Korrespondenz und die Reisen gehen fast unvermindert weiter. Wir sehen einen Menschen vor uns, der orientierungslos wirkt, der getrieben wird von der Hoffnung auf Wirksamkeit und Einkünfte und der von einer unstillbaren Sehnsucht nach Anerkennung erfüllt ist, ohne dass wir sehen können, woran ihm wirklich liegt."
In den letzten Jahren kämpfte er zumeist vergeblich um durchaus zugesagte Einkünfte und zwar so penetrant, dass ihn der Kaiser in Wien gar nicht mehr empfing, hatte dieser ihn eine Weile durchaus geschätzt. Dabei handelte es sich bei Leibniz um keinen Armen.
"Allein die Nebeneinnahmen eines hohen Beamten wie Leibniz betrugen in zwei oder drei Jahren mehr als das Grundgehalt des kleinen Beamten während seines ganzen 40-jährigen Berufslebens zusammen."
Das zeigt sich auch in einer mutmaßlichen Affäre, die der alternde Leibniz hatte, darf man wahrscheinlich homophile Neigungen nachsagen. Hirsch schreibt:
"In Wien, wo er das Liebespaar Prinz Eugen und Bonneval erlebte, hat er wohl eine heftige Sympathie für John Ker of Kersland gefühlt, der 40 Jahre alt, also 27 Jahre jünger als Leibniz war. Als beide Männer voneinander Abschied nahmen, so formulierte es der schottische Edelmann später diskret in seinen Memoiren, habe er bei Leibniz deutliche Zeichen der Zuneigung und der Wertschätzung gespürt. Und später habe er festgestellt, dass Leibniz heimlich seine Wiener Schulden beglichen hatte."
Dabei handelt es sich um einen Betrag, der heute circa 50.000 Euro entspricht. Liebesbeziehungen zu Frauen sind nicht bekannt. Doch er war enger persönlicher Berater der Kurfürstenwitwe Sophie in Hannover und der brandenburgischen Kurfürstin Charlotte Sophie, der späteren preußischen Königin, die er häufig in ihrem Schloss im heutigen Charlottenburg bei Berlin aufsuchte. Von dort berichtet Leibniz an Sophie in Hannover:
"'Da man in Lietzenburg normalerweise erst um ein oder zwei Uhr in der Nacht zu Bett geht, habe ich seit vier oder fünf Tagen nur jeweils vier Stunden geschlafen.' Aber die Gelegenheit, die Kurfürstin zu sehen, meinte er, lohne jede Unbequemlichkeit."
Gewisser Erfolg bei der Heiratsvermittlung
Einen gewissen Erfolg kann man ihm auch bei der Vermittlung von Hochzeiten im Hochadel zuschreiben und vielleicht auch daran, dass der Kurfürst von Hannover englischer König wurde. Doch seine Bemühungen wirkten dabei häufig dilettantisch, voreilig und waren manchmal kontraproduktiv. Als seine verehrte Kurfürstin Sophie zunächst noch englische Thronanwärterin war, preschte er dort mehrfach mit Initiativen vor, die der Popularität der Welfin in England schadeten. So kommt Hirsch zum Resümee:
"Sein Stern leuchtete unter den Gelehrten, nicht in der hannoverschen Regierung, wo er es bloß zum Referenten und Gutachter gebracht hatte. Und nicht bei Hofe, wo er ein Außenseiter geblieben war, einer mit falschem Adelstitel, isoliert und mit beunruhigendem Tatendrang, beargwöhnt von seinem Fürsten, beschützt nur von der alten Kurfürstin Sophie, am Ende allein. Für die meisten Menschen war er ein fast weltfremder Gelehrter, den man an seiner dunklen, zu langen Perücke erkannte und an der bestickten Kleidung, die ihm nicht stand."
Hirsch schildert in seiner sehr empfehlenswerten Biografie Leibniz' Leben und Werk ausführlich und ins Detail verliebt, theoretisch aber nicht zu anspruchsvoll, sodass sie für den Laien gut nachvollziehbar bleibt.
Buchinfos:
Eike Christian Hirsch: "Der berühmte Herr Leibniz – Eine Biografie", mit 60 farbigen Abbildungen, überarbeitete Neuauflage, C.H. Beck, München 2016, gebunden, 659 Seiten, Preis: 29,95 Euro
Eike Christian Hirsch: "Der berühmte Herr Leibniz – Eine Biografie", mit 60 farbigen Abbildungen, überarbeitete Neuauflage, C.H. Beck, München 2016, gebunden, 659 Seiten, Preis: 29,95 Euro