Christiane Kaess: Mitgehört hat Alexander Graf Lambsdorff. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag mit Zuständigkeitsbereich Außenpolitik. Davor war er lange Jahre EU-Parlamentarier. Guten Morgen!
Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Jetzt haben die USA, Kanada und mehrere südamerikanische Länder Juan Guaido als Übergangspräsidenten Venezuelas anerkannt. Ist das legitim, bei aller Sympathie für die Opposition Venezuelas aus westlicher Perspektive? Guaido ist ja nicht als Präsident gewählt.
Graf Lambsdorff: Nein. Guaido ist nicht als Präsident gewählt. Maduros Wahl war ja auch alles andere als legitim. Es gibt ja in Venezuela parallele Systeme. Es gibt das demokratisch gewählte Parlament, dessen Präsident Guaido ist, und es gibt eine, von Maduro Hals über Kopf installierte sogenannte verfassungsgebende Versammlung, deren Legitimität niemand anerkennt. Deswegen ist es von daher auch völlig in Ordnung zu sagen, man könnte Guaido anerkennen. Ich glaube, der Westen sollte das tun. Sie haben gerade schon gesagt, einige amerikanische Staaten haben das getan, und ich glaube, Europa sollte da nachziehen.
"Das Wort vom Staatsstreich ist hier völlig fehl am Platz"
Kaess: Über Europa können wir gleich noch genauer sprechen. Aber noch mal zu der Anerkennung. Es war gestern auch der Vergleich gefallen von einem Staatsstreich mit dem, was Guaido mit diesem Schritt gemacht hat, den er da gegangen ist. Auch in deutschen Medien ist dieses Wort benutzt worden. Würden die USA hier einen Staatsstreich unterstützen?
Graf Lambsdorff: Das Wort vom Staatsstreich ist hier völlig fehl am Platze. Im Grunde haben wir es dort mit einem, seit Jahren institutionalisierten Staatsstreich von Nicolas Maduro zu tun. Ich habe das ja eben gesagt: Der Aufbau eines illegitimen Parlaments, die Existenz eines illegitimen Verfassungsgerichts. Beide gibt es ja parallel. Die sind demokratisch legitimiert, sind aber von Maduro marginalisiert, an den Rand gedrängt worden. Ein Staatsstreich findet hier im Grunde durch den Staatschef Maduro selber statt. Guaido steht dem demokratisch gewählten Parlament vor und deswegen ist dieser Begriff fehl am Platze. Er kommt aus Deutschland auch, glaube ich, vornehmlich von Vertretern der Linkspartei, die sich ja schon mit dem Vorgänger von Maduro gemein gemacht haben, mit Hugo Chavez, und den Chavismo als eine Form der sozialistischen Politikgestaltung anerkannt haben, die vielleicht in der Linkspartei anerkannt ist, aber die nachweislich zur größten Wirtschaftskrise geführt haben, die es in der modernen Zeit gegeben hat.
Kaess: Aber was bringt dieser Schritt jetzt in der Praxis, wenn Maduro jetzt ankündigt, die Beziehungen zu den USA abzubrechen, und die Diplomaten aus dem Land werfen will?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, man muss klarmachen, dass das Maduro-Regime keine Zukunft hat. Man muss es international isolieren. Die Anerkennung eines Vorsitzenden des legitim gewählten Parlamentes als Präsident ist ja durch Demokratien erfolgt. Es gibt die Lima-Gruppe, die wird angeführt von Peru und Kanada. Die drängen darauf, dass man Guaido anerkennt. Kolumbien, wo mehr als eine Million Flüchtlinge aus Venezuela leben, die vor der entsetzlichen Wirtschaftslage in Venezuela geflohen sind, Kolumbien hat Guaido anerkannt. Ich glaube deswegen, es wäre richtig, ihn auch von Europa aus anzuerkennen und das Maduro-Regime endlich so zu isolieren, wie es das verdient hat.
Kaess: Aber Sie sagen jetzt, das Maduro-Regime ist mehr oder weniger am Ende. Das ist Ihre Einschätzung. Wir haben gerade die Einschätzung von Günther Maihold, dem Experten gehört. Der hat das anders gesehen.
Graf Lambsdorff: Meine Einschätzung hier ist eine staatsrechtliche, ist eine diplomatische. Ob es die faktische Möglichkeit gibt für Guaido, sich durchzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. Da haben Sie völlig recht, Frau Kaess. Das Militär hat sich ja nun hinter Maduro gestellt und es kann sein, dass diese sozialistische Diktatur sich jetzt weiterentwickelt zu einer sozialistischen Militärdiktatur. Das ist nicht auszuschließen. Aber ich glaube, die internationale Gemeinschaft sollte hier ein klares Signal senden, dass der legitime Präsident Guaido heißt und nicht Maduro.
Europa muss das richtige Signal senden
Kaess: Es kommt ja auch tatsächlich Unterstützung aus Brüssel. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat gesagt, die Europäische Union ruft mit Nachdruck zum Beginn eines sofortigen politischen Prozesses auf, der zu freien und glaubwürdigen Wahlen führt, im Einklang mit der Verfassung. Sie haben gerade schon gesagt, die EU sollte Guaido auch anerkennen. Warum ist man, glauben Sie, da in Brüssel zurückhaltender?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass Federica Mogherini als Außenbeauftragte zunächst einmal abwarten will, wie sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union insgesamt aufstellen, um dann für alle geschlossen reden zu können. Das ist auch eine Zeitfrage. Die Ereignisse – das haben wir von Herrn Maihold eben gehört – haben sich ja überstürzt. Hier eine gemeinsame Position zu formulieren, dauert ein wenig. Ich fand es eigentlich schon sehr klar, was sie gesagt hat: Anerkennung des legitimen Parlaments, Anerkennung des Parlamentspräsidenten Guaido, Aufsetzen eines politischen Prozesses. Ich bin nicht optimistisch, dass das gelingt. Das sehe ich genau wie Herr Maihold. Aber ich glaube, das geht in die richtige Richtung, dass wir gemeinsam mit Kanada, Kolumbien und anderen Demokratien hier das richtige Signal senden.
Kaess: Etwas forscher von Seiten der EU ist da Ratspräsident Donald Tusk. Der hat auf Twitter geschrieben, im Gegensatz zu Maduro verfügt das Parlament, Juan Guaido eingeschlossen, über ein demokratisches Mandat der venezolanischen Bürger. Dieses Argument haben Sie jetzt gerade auch schon angeführt. Aber ist das tatsächlich auch richtig, so eindeutig Position zu beziehen? Denn man muss ja auch sehen, dass Maduro doch auch noch einigen Rückhalt in der Bevölkerung hat.
Graf Lambsdorff: Es ist ganz bezeichnend, dass Donald Tusk aus unserem Nachbarland Polen das so sieht. Er weiß ja, was es heißt, in einer sozialistischen Diktatur zu leben, und was es für eine Anstrengung kostet, so eine sozialistische Diktatur auch zu überwinden. Ich glaube, dass seine Haltung da in die richtige Richtung geht.
Wir haben 20 Jahre jetzt in Venezuela die Diktatur des Chavismo und es ist eine Situation eingetreten, in der, wenn Sie sich Videos aus dem Land angucken, praktisch jeder, der dort gefilmt wird, das Wort Hunger im Munde führt. Das heißt, die Bevölkerung hungert. Die wirtschaftliche Lage ist umgeschlagen in eine schwere humanitäre Krise, und ich glaube, dass deswegen es richtig ist, jetzt auch deutlich zu machen, dass dieses Regime keine Zukunft hat. Ich bin da voll auf der Seite von Donald Tusk.
"Die USA sind hier einmal nicht isoliert"
Kaess: Schauen wir noch kurz auf die internationale Bedeutung, denn Venezuela ist ja strategisch nicht ganz unbedeutend wegen seines Erdöls. Es heißt, dass vor allem Russland und China Maduro an der Macht halten würden. Wenn die USA jetzt offensiv Guaido unterstützt, heißt das auch, Washington zeigt wieder mehr Interesse an Venezuela?
Graf Lambsdorff: Es gibt in den USA natürlich immer ein großes Interesse an Lateinamerika. Das ist ausgeprägter als bei uns in Europa. Es ist bemerkenswert, dass der Vizepräsident der USA, Mike Pence, sofort einen Namensartikel veröffentlicht hat im "Wall Street Journal", in dem er ganz klar gesagt hat, dass die amerikanische Regierung Guaido unterstützen würde und sich gegen Maduro wenden. Es liegt auch daran, dass die Organisation Amerikanischer Staaten insgesamt, zu der ja die USA, Kanada, alle anderen gehören, auch sich unterstützend geäußert hat. Das heißt, die USA sind hier einmal nicht irgendwo isoliert oder allein unterwegs, sondern im Gegenteil: Sie repräsentieren einen breiten Konsens in der westlichen Hemisphäre. Die Länder, die da rausfallen, sind Kuba, Bolivien und Nikaragua. Das sind alles drei Diktaturen, die sich auf die Seite von Maduro gestellt haben.
Kaess: Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Herr Lambsdorff, vielen Dank für das Interview.
Graf Lambsdorff: Danke Ihnen, Frau Kaess!
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