Die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen bringen FDP und CDU in große Schwierigkeiten. Die FDP in Thüringen hätte sich verführen lassen. Diese Kandidatur hätte es normalerweise nicht geben müssen, sagte Alexander Graf Lambsdorff im Dlf. Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag wies aber darauf hin, dass es kein Weisungsrecht der Parteizentralen in Berlin in die verschiedenen Landeshauptstädte hinein gäbe. "Die Parteien entscheiden solche Dinge selbstständig."
Graf Lambsdorff machte deutlich, dass die einzige stabile Regierungsperspektive eine stillschweigende Koalition mit permanenter Zustimmung der AfD wäre. Doch solch eine mögliche stillschweigende Koalition werde es mit Christian Lindner jedenfalls nicht geben, sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen im Dlf.
Münchenberg: Herr Lambsdorff, wie glaubwürdig ist noch die FDP, die, wenn es um die Macht geht, offenbar doch wenig Hemmungen hat, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen?
Graf Lambsdorff: Nein. Die FDP als Gesamtpartei schaut auf die Vorgänge in Thüringen und ist ja überwiegend genauso erschrocken wie große Teile der Bevölkerung. Wir regieren in drei Bundesländern mit, in Schleswig-Holstein, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, und aus allen drei Landesverbänden kamen sehr klare Ansagen, dass das Vorgehen der Freunde in Thüringen falsch ist. Aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kamen auch sofortige Rücktrittsforderungen an Herrn Kemmerich, von Herrn Garg und von Herrn Dr. Stamp, unserem stellvertretenden Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen. Mit anderen Worten: Ja, Sie haben recht, Herr Münchenberg. Da ist Schaden entstanden. Aber ich glaube, es wäre falsch, jetzt die FDP insgesamt verhaften zu wollen für das, was da in Erfurt passiert ist.
Kandidatur von Kemmerich "hätte es nicht geben müssen"
Münchenberg: Noch mal, wenn ich es richtig verstanden habe: Die FDP in Thüringen ist nicht die Bundes-FDP?
Graf Lambsdorff: Genauso ist es. Ich glaube, dass man hier eine Sondersituation hat, dass wir einen Landtag haben, in dem niemand eine Mehrheit hat, wirklich niemand, und dass die Landes-FDP hier sich hat verführen lassen, einen Kandidaten aufzustellen, und dann die AfD etwas getan hat, was wirklich ungewöhnlich ist, trotz eines eigenen Kandidaten im Rennen alle Stimmen einem anderen Kandidaten zu geben. So etwas gibt es unter demokratischen Parteien eigentlich nicht. Sie hat eine große Verwirrung angerichtet, aber ich glaube, wir müssen das so schnell wie möglich wieder klären.
Münchenberg: Aber sollte man mit dem Finger jetzt nicht auf die AfD, sondern auf die FDP zeigen, die durch überhaupt erst ihren eigenen Kandidaten den Wahlausgang ermöglicht hat?
Graf Lambsdorff: Ich gebe Ihnen recht, Herr Münchenberg. Ich will hier nicht irgendwie etwas wegreden, was real ist. Es hätte diese Kandidatur normalerweise nicht geben müssen. Wir sind mit fünf Prozent erfolgreich in den Thüringer Landtag zurückgekehrt. Aber es ist ungewöhnlich, dass eine Partei mit fünf Prozent den Ministerpräsidenten stellt. Die Überlegung bei Thomas Kemmerich, den ich kenne und schätze, war, dass er sagt, wir können es ja nicht zulassen, dass nur die Linkspartei und die AfD, die beide jeweils für sich keine Mehrheit haben, Kandidaten aufstellen, ich präsentiere einen Kandidaten der demokratischen Mitte. Darauf ist ja auch die CDU in Thüringen eingestiegen und hat gesagt, okay, das ist ein Angebot, das wir unterstützen wollen. Und dass dann die AfD ein solches Spielchen spielt, zeigt, dass das Ganze einen Hintergedanken dort hatte, der zu der Lage geführt hat, in der wir jetzt sind.
Kein Weisungsrecht der Parteizentralen
Münchenberg: Jetzt wird immer darauf verwiesen, dass man auch einen gemäßigten Kandidaten präsentieren wollte. Auf der anderen Seite war ja immer das Risiko bekannt, dass die AfD so handeln könnte, wie sie dann auch gehandelt hat. Warum ist man dieses Risiko trotzdem bewusst eingegangen?
Graf Lambsdorff: Das war die Entscheidung des Landesverbandes Thüringen, und ich glaube, das ist eine Sache, die ist wirklich wichtig, dass die Hörerinnen und Hörer das auch verstehen. Die Landesverbände aller Parteien entscheiden solche Dinge selbständig, autonom. Es gibt kein Weisungsrecht der Parteizentralen in Berlin in die verschiedenen Landeshauptstädte hinein. Wir haben das ja gerade im Vorbericht auch gehört, dass auch die Bundes-CDU Herrn Mohring gebeten hat, anders sich zu verhalten. Herr Mohring hat sich trotzdem so entschieden, wie er sich entschieden hat. Bei uns ist es genau das gleiche. Es gab die Bitten an Thomas Kemmerich, nicht anzutreten, aber jeder Landesverband entscheidet solche Dinge alleine. Es ist nicht analog zu einem Unternehmen beispielsweise, wo der Chef sagt, so läuft es, und dann läuft es so, sondern es ist in der Demokratie so, dass von unten unsere Politik gestaltet wird und die Landesverbände das selbständig entscheiden dürfen. So haben die Thüringer Freunde sich entschieden und jetzt haben wir eine Situation, die sehr unerfreulich ist.
"Es hat keine Absprachen mit der AfD gegeben"
Münchenberg: Aber noch mal die Nachfrage, weil Sie ja sagen, das war so nicht zu erwarten, wie die AfD agieren würde. Manche sagen auch, es ist ein abgekartetes Spiel gewesen, und natürlich gab es vorher auch schon Kontakte zwischen FDP und AfD, genauso wie zwischen CDU und AfD.
Graf Lambsdorff: Herr Münchenberg, Sie behaupten da etwas, das Herr Kemmerich, das Herr Mohring und andere wirklich deutlich bestreiten, und ich habe keinen Anlass, an den Worten von Thomas Kemmerich zu zweifeln. Es hat keine Absprache mit der AfD gegeben. Die Partei hatte im dritten Wahlgang einen eigenen Kandidaten im Rennen. Sie hat sich dann auf wirklich besonders ungewöhnliche Art und Weise verhalten und jemanden gewählt, der nicht ihr eigener Kandidat war. Ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, was Herr Kemmerich sagt. Es hat keine Absprachen mit der AfD gegeben. Und ich glaube, auch das, was Christian Lindner in Berlin gestern gesagt hat, war ja völlig eindeutig. Er sagt ganz klar, er will und wird nicht Parteivorsitzender einer Partei sein, die Absprachen mit der AfD trifft. Ich glaube, das muss man hier noch mal unterstreichen, dass er sehr klar gesagt hat, Thüringen handelt hier eigenverantwortlich. Er wird nicht Vorsitzender einer FDP sein, die mit der AfD kooperiert, und er hält Neuwahlen für nötig, wenn es keine Perspektive für eine Regierungsarbeit gibt, und danach sieht es ja zurzeit aus.
Münchenberg: Aber, Herr Lambsdorff, so klar ist die Position in der FDP ja auch nicht. Zum Beispiel Wolfgang Kubicki hat ausdrücklich das Wahlergebnis begrüßt.
Graf Lambsdorff: Ja, da bin ich anderer Meinung als er. Das müssen wir aushalten.
Münchenberg: Trotzdem stellt sich die Frage ja schon jetzt: Wie zerrissen ist die Partei? Es gab, sagen Sie ja auch, die klare Bitte, auch von Seiten der Bundes-FDP, an die Kollegen in Thüringen. Die haben das ignoriert. Also ist schon die Frage, wie zerrissen ist jetzt die FDP.
Graf Lambsdorff: Na ja, aus unserer Sicht – und ich rede jetzt hier auch mal als der stellvertretende Vorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen – spielt sich das Ganze ja auf zwei Ebenen ab. Das eine ist die Wahl als solche. Das ist das, worüber wir jetzt hier gerade reden. Hier ist durch ein wirklich ungewöhnliches Vorgehen ein überraschendes Ergebnis zustande gekommen, bei dem die AfD nicht ihren eigenen Kandidaten unterstützt hat, sondern den einer anderen Partei, in dem Fall unseren. Das ist natürlich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, insbesondere auch der thüringischen Geschichte, ein Weckruf, ein Alarmsignal. Ich kann verstehen, dass die Aufregung groß ist.
Das Zweite ist aber die Regierungsperspektive und die fehlt eben auch, denn wenn CDU und FDP gemeinsam miteinander regieren wollten in Thüringen, dann haben sie 26 Stimmen im Landtag von 90. Das reicht beim besten Willen nicht aus. Die einzige stabile Regierungsperspektive wäre, wenn man den Wahlvorgang in einer Art stillschweigenden Koalition fortsetzt und auf die permanente Zustimmung der AfD zählt, und genau das kann es und darf es nicht geben, und deswegen sind die Rufe aus dem Westen auch so klar, dass Herr Kemmerich doch sein Amt niederlegen und den Weg für Neuwahlen freimachen möge.
Münchenberg: Wir müssen natürlich auch über den FDP-Chef reden, Christian Lindner. Der war ja gestern, trotz dem Auftritt, wenn man ihn auch vergleicht mit den Äußerungen von Seiten der CDU, doch deutlich verhaltener. Er hat sich ja nur indirekt für Neuwahlen ausgesprochen. Ist das klug, so mit der Äußerung nach außen zu gehen und zu sagen, jetzt muss der Landesverband das Problem lösen?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass es weiter Gespräche geben wird. Ich glaube, Herr Lindner fährt heute auch nach Erfurt, um dort mit den Parteifreunden zu reden. Ich bin an dieser Stelle übrigens anderer Meinung als manche, die seine Worte hier interpretieren. Ich habe den Text mir noch mal durchgelesen, nachdem ich Herrn Lindner auch zugehört habe, wie sich das gehört, und in dem Text steht ganz klar das, was ich gerade gesagt habe. Es ist ein Landesverband, der eigenverantwortlich handelt. Es ist nicht die Politik der Bundes-FDP, schon gar nicht die der FDP in den westlichen Bundesländern. Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben mit ihm als Person und auch mit der Partei insgesamt. Und Neuwahlen sind höchst wahrscheinlich. Ich finde, daraus kann man sehr deutlich eine Distanzierung und auch schon einen zukünftigen Kurs ablesen.
CDU-Politiker Mike Mohring "hat das Ergebnis mit herbeigeführt"
Münchenberg: Dann muss man aber schon ein bisschen interpretieren. Noch mal: Die Aussage von der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ist da viel eindeutiger. Die sagt, das ist ein schwarzer Tag und eigentlich muss es jetzt Neuwahlen geben.
Graf Lambsdorff: Nun, Frau Kramp-Karrenbauer kann in ihren Landesverband in Thüringen genauso wenig hineinregieren, wie Herr Lindner oder irgendwelche anderen Parteivorsitzenden, und ich kann nur feststellen, dass Mike Mohring, der CDU-Vorsitzende in Thüringen, ja dieses Ergebnis mit herbeigeführt hat. Mit anderen Worten: Die Situation für Frau Kramp-Karrenbauer und für Herrn Lindner ist vergleichbar und beide werden damit auf ihre Art und Weise umgehen. Ich lese die Äußerung von Christian Lindner jedenfalls so, dass er einen klaren Kurs hat, der nicht auf Zusammenarbeit mit der AfD setzt, sogar sein persönliches Schicksal damit verbindet. Er hat deutlich gesagt, ich persönlich kann nicht Vorsitzender und werde nicht Vorsitzender einer Partei sein, die eine Zusammenarbeit mit der AfD entweder anstrebt oder auch nur toleriert. Mit anderen Worten: Auch das, was ich gerade skizziert habe, eine mögliche stillschweigende Koalition, wird es mit Christian Lindner jedenfalls nicht geben, und ich finde, das ist sehr deutlich.
Münchenberg: Trotzdem hat Christian Lindner noch mal an anderer Stelle – da ging es damals um Jamaika – den ja sehr deutlichen Satz gesagt, nachdem man die Gespräche hat platzen lassen, besser nicht regieren als falsch regieren. So deutlich war das gestern nicht.
Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass dieser Satz Bestand hat, dass die Äußerungen aus den anderen Teilen der FDP – ich sage es noch mal -, aus Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und hier bei uns aus Nordrhein-Westfalen sehr eindeutig sind. Es handelt sich hier um eine Situation, in der der Versuch gemacht wird, falsch zu regieren, und die FDP lehnt das in der Breite, glaube ich, sehr deutlich ab.
FDP lehnt "stillschweigende Koalition ab"
Münchenberg: Trotzdem. Wenn man Ihnen jetzt zuhört und auch anderen FDP-Bundestagsabgeordneten, dann ist die Kritik an den Vorgängen in Thüringen viel deutlicher. Insofern stellt sich ja schon die Frage, so wie Christian Lindner gestern aufgetreten ist: Agiert so ein starker Parteichef?
Graf Lambsdorff: Christian Lindner ist völlig unangefochten in der FDP die Nummer eins. Er hat als Bundesvorsitzender die Aufgabe, unsere 16 Landesverbände beisammen zu halten. Er hat, wie ich finde, sich deutlich und klar geäußert. Er wird die Gespräche fortsetzen. Noch mal: Es gibt kein Weisungsrecht in die Landesverbände. Und insofern: Aus seiner Position als Bundesvorsitzender heraus wird er nach Erfurt fahren, dort das Gespräch suchen. Aber am Ende des Tages ist es Sache des Landesverbandes Thüringen, wie auch aller anderen Landesverbände, eigenverantwortlich zu entscheiden. Ich finde es, glaube ich, auch ganz interessant, mal darauf zu schauen, in welchen Regierungsbündnissen wir sind. Wir haben eine Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz, eine Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein und eine schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen. Das heißt, die Landesverbände entscheiden vor Ort jeweils, wie die Koalitionen aussehen. Das, was sich in Thüringen abzeichnet, eine stillschweigende Koalition, das lehnen wir ab, und ich glaube, diese Gespräche werden jetzt geführt. Ich bin auch optimistisch, dass es da zu einem guten Ergebnis kommt.
Münchenberg: Das heißt, Sie rechnen kurzfristig oder mittelfristig auf jeden Fall mit Neuwahlen?
Graf Lambsdorff: Ja! Ich rechne damit, dass Thomas Kemmerich sein Amt zurückgibt in nicht allzu ferner Zukunft und dass es dann Neuwahlen gibt nach den Vorgaben der thüringischen Landesverfassung.
"Es wird keine Zusammenarbeit oder Tolerierung mit der AfD geben"
Münchenberg: Herr Lambsdorff, nun wird ja in ein paar Wochen in Hamburg gewählt. Wie groß wird der Schaden jetzt trotzdem für die Gesamt-FDP sein? Man kann das ja nicht nur alles nach Thüringen schieben.
Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass die Situation heute für uns natürlich extrem unerfreulich ist, aber auch zurecht. Ich kann das nachvollziehen. Dass hier ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wird, ist eine Premiere. So was hat es noch nicht gegeben. Dementsprechend wird es auch breit diskutiert. Ich glaube, dass unsere Hamburger FDP glasklar aufgestellt ist. Die Landesvorsitzende Katja Suding hat gestern den sofortigen Rücktritt von Herrn Kemmerich gefordert und Neuwahlen. Ich hoffe, dass die Hamburgerinnen und Hamburger das auch zu würdigen wissen. Es wird aus der FDP heraus keine Zusammenarbeit oder Tolerierung mit der AfD geben. Das ist die ganz klare Position der weit überwiegenden Zahl der Mitglieder und der Mandats- und Funktionsträger der Freien Demokraten. Sie dürfen eines nicht vergessen: Wir sind eine Partei, die den Liberalismus als Grundlage, als Philosophie hat, und wir machen Politik vom einzelnen Menschen her. Das ist das Kernelement des Liberalismus, während die AfD ein völkisches Menschenbild hat. Das heißt, sie kommt von einem Gruppen-, von einem kollektivistischen Ansatz her und ist zudem auch noch geschichtsvergessen, ja geschichtsrevisionistisch. All das wird es mit der FDP nicht geben. Und ich glaube, in Hamburg ist die FDP glasklar aufgestellt. Sie können die Äußerungen von Frau Suding ja auf Twitter und auf Facebook auch nachlesen.
Münchenberg: Was das dann alles für die Wahlergebnisse für Auswirkungen hat, das werden wir bald wissen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.