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Graffiti in New York
Von der Schmiererei zur begehrten Street Art

Im Gegensatz zu den 70er- und 80er-Jahren ist die New Yorker U-Bahn heute Graffiti-frei. Aber die Sprayer-Szene lebt, jetzt oft ganz legal. Viele Künstler verkaufen ihre Werke in schicken Galerien.

Von Claudia Sarre |
    In den 80er-Jahren fuhr in New York nicht eine Subway, die nicht von oben bis unten mit Graffiti bemalt war. Überall, auf Fenstern und im Zuginneren, hinterließen die Sprayer-Gangs ihre Namenszüge - sogenannte Tags, Throw-Ups, Bubbles oder Pieces - wie die unterschiedlichen Schriftzeichen im Szene-Jargon genannt werden. Graffiti sei untrennbar mit Hip Hop verbunden, erzählt der Künstler Sen2. Alles habe damals in der South Bronx angefangen.
    "Die 80er waren verrückt: da gab es hier Bandenkriege, brennende Häuser und Drogendealereien. Im Tunnel musste man aufpassen, dass einem die Spraydosen nicht geklaut wurden. Ich bin erst später dazu gekommen, dann sind ich und meine Crew nachts losgezogen und haben uns die S-Bahn vorgeknöpft. Immer mit diesem Druck im Bauch, dass gleich die Bullen auftauchen."
    Heute - 30 Jahre später - hat Sen2 ein eigenes Atelier in der South Bronx. Der 44jährige sprüht jetzt nicht mehr im Untergrund, sondern auf Leinwände und extra für Graffiti vorgesehene Hauswände. Der Kick damals war, erzählt der Puerto Ricaner, das eigene Namenslogo möglichst prominent auf den Bahn-Waggons zu platzieren.
    "Wenn man mal einen Tag keinen Zug angemalt hatte, hatte man schon ein Problem. Es herrschte große Rivalität in der Crew. Wer hatte es am besten drauf, welcher name tag war am häufigsten, darum ging es beim Graffiti. Wenn man einen Zug sah mit dem eigenen Namenszug drauf, war man superhappy."
    Sen2 ist nur einer von unzähligen illegalen Graffiti-Sprayern, die im damaligen Sündenpfuhl New York ihr subversives Unwesen trieben. Ende 90er schließlich griff die Polizei hart durch gegen die jugendlichen Sprayer. Mit dem Ergebnis, dass heute alle Bahnen sauber und Graffiti-frei sind. Ins Gefängnis kam jedoch keiner, erklärt der New Yorker Staatsanwalt Dan Ollen.
    "Meistens wurden sie zur Strafe zu gemeinnützigen Arbeiten verurteilt. Zum Beispiel wurden sie in die U-Bahn geschickt, um das Graffiti zu übermalen - das war natürlich sehr demütigend für diese Kerle."
    Lee Quinones, MICO oder Taki183, viele Sprayer wurden berühmt. Ihre zum Teil sehr aufwändigen Kalligrafien in Galerien für viel Geld verkauft. Sogar das renommierte Museum of Modern Art zeigt Graffiti-Kunst.
    Auch Sen2 hat demnächst eine Galerie-Ausstellung in Paris. Er designt und druckt T-Shirts und gestaltet - meist im Auftrag von Firmen - große Wandflächen. So ein "mural" - Wandbild - sei nicht für die Ewigkeit gedacht, sagt er.
    "Graffiti ist so. Man malt das Bild für drei oder vier Monate, und dann kommt was Neues. Viele denken, Graffiti-Kunst muss erhalten werden. Nein. Unsere Wände in der Bronx, in Queens und Brooklyn verändern sich ständig."
    Sen2 vermisst die alten Zeiten. Manchmal würde er heute noch gerne nachts losziehen, um die eine oder andere S-Bahn bunter zu machen.