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Graffiti-Szene
Street-Art in Zeiten des Shutdowns

Während die meisten Museen auf unbestimmte Zeit zu sind, hat dieses Museum immer auf: die Straße. Viele Menschen bleiben beim Spazieren vor Graffiti stehen und setzen sich mit ihnen vor Ort und im Netz auseinander – wie an der Kölner „Hall“. Zeit für eine Neubewertung zeitgenössischer Street-Art.

Von Peter Backof |
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Auf dieser Mauer - beziehungsweise "Hall" - in Köln ist es legal, zu sprayen (Peter Backof)
Eine 300 Meter lange Betonmauer am Nordrand der Kölner City. Ein- und Ausfahrtschneisen, Autobahnzubringer in drei Etagen. Fast ein Klischeebild: Ohne Graffiti sähe hier alles noch menschenfeindlicher aus. Ein Dutzend Sprayerinnen und Sprayer werkelt vor sich hin, auf Abstand – nicht erst wegen des Corona-Virus', sondern weil jedes Graffito nun einmal seinen Platz braucht.
Spaziergänger suchen das Gespräch
Der Sprayer Momo ist fast täglich vor Ort: "Grundsätzlich: Jedes Graffiti, das ich an die Straße oder irgendwo male, gebe ich halt der Gesellschaft", sagt er. "Das ist zwar in erster Linie eine Raumaneignung, die meine Persönlichkeit betrifft, aber wenn es dann weitergeht, schenke ich der Gesellschaft ja natürlich auch meine Kreativität und meine Kunst!"
Seit Corona ist man nicht mehr nur unter sich in der Graffiti-Szene; auch Spaziergänger bleiben stehen und suchen das Gespräch, berichtet Sprayer Turbo: "Reaktionen der Leute, die hier vorbei laufen - von kleinen Kindern bis hin zu irgendwelchen Rentnern, die sich darüber freuen, dass man sich hier so viel Mühe für so ein Bild gibt."
Street-Art vs. Graffiti
Momos und Turbos Werke sind klassische Buchstaben-Graffiti mit einem Drall zum Action Painting. Der abstrakte Expressionist Jackson Pollock ist Vorbild.
Und diese Mauer – oder im Szenejargon Hall – ist seit eineinhalb Jahren legalisiert. Jeder und jede könnte hier loslegen, oder nicht? Darüber scheiden sich die Geister: "Nur zu!", sagen die einen. "Eine legale Hall taugt doch nur zum Üben", die anderen.
Alle hier geben Interviews nur unter ihren Pseudonymen, denn was sie möglicherweise illegal treiben auf Zügen oder mit spektakulären Abseil-Aktionen, um Fame (also Ruhm) einzuheimsen: Da lässt sich niemand über die Schulter blicken.
Ein weiteres Spannungsverhältnis für Momo ist Graffiti versus Street-Art à la Banksy: "Graffiti ist halt wirklich eine Straßenkunstform und Street-Art ist eine Weiterentwicklung, die..."
"Waaas?", fällt Sprayer Alpha Momo ins Wort. "Also sorry, Street-Art ist definitiv nicht die Weiterentwicklung von Graffiti! Also wenn überhaupt, ist Graffiti aus dem Bus ausgestiegen und Street-Art ist dem hinterhergelaufen. Street-Art'ler, die suchen sich doch nur Stellen aus, wo auch jeder Ottonormalverbraucher sagt: 'Ja, das ist schon okay, wenn sich jetzt einer ein bisschen künstlerisch ausgelebt hat.' Und bei Street-Art'lern: Sie wollen am Ende eigentlich eine Ausstellung haben, ganz viele Instagram-Follower, Geld verdienen", rümpft Alpha die Nase, während Skla (Kurz für: Ist klar!) gerade einen Papagei fertiggestellt hat. Es gehe darum, den eigenen Style weiterzuentwickeln, sagt sie.
Alle Witze schon gemacht
"Das ist ja in der Kunst, glaube ich, ganz oft so", sagt Skla, "dass das, was jetzt gerade irgendwie viral geht, natürlich auch aufgeschnappt wird. Ach, das ist cool: Nimmt man sich Viren, nimmt man sich eine Klopapierrolle, und schon hast du dein Bild irgendwie fertig konfusioniert. Diese Corona-Klopapier-Viren, die siehst du jetzt überall. Aber eigentlich ist es dann gar nicht mehr so." Gar nicht mehr so "ruhmreich"? Was sie sagt, geht in einem Lachen unter.
Beim Scrollen durch Instagram stellt man jedenfalls fest: Alle Witze sind bereits gemacht, das Trittbrett voll besetzt. Graffiti, meint Skla, tue gut daran, sich Renitenz und Eigendynamik zu bewahren. Vor Ort ergibt sich ein anderes Problem: Die Hall ist ja andauernd vollgesprayt.
Mehr Raum = bessere Graffitis?
Alpha tunkt eine Rolle in einen Farbeimer und schwärzt ein Teilstück. Eine legale Hall ist wie eine Litfaßsäule; nichts, um sich zu verewigen! Skla arbeitet an einer Grundschule und hat Berufsjugendlichkeit und Koketterie mit dem Illegalen längst nicht mehr nötig. Muss es überhaupt illegal sein, um Graffiti zu sein? Sprayer Turbo wüsste vielleicht einen Ausweg aus dem ewigen Dilemma "Geschmiere versus Kunst":
"Insbesondere, weil ich in Bogotá, Kolumbien, öfter war. Da gibt es ein viel entkriminalisierteres Umfeld. Die Leute können kilometerlange Strecken in Bogotá bemalen. Dadurch, dass es so viel Raum gibt, entstehen total tolle Sachen."
Mehr Raum bedeutet: bessere Graffiti? Könnte sein. Man mag es sich gar nicht ausdenken, aber bei einem längerem Shutdown der Kunsthäuser würde es akut. Um die Ecke haben Kinder Regenbogen gemalt und als Sticker an Bäume gepinnt. Für die Haltung "Unser Dorf soll schöner werden" tun sich ebenso wie für die politische Tat, in den öffentlichen Raum zu gehen, aktuell neue Chancen auf. Da heißt es, genauer hinzusehen: "Was gibt es da draußen" und – das macht ja Kunst aus – "Was sagt es mir?"