Sigrid Fischer: Das Architekturbüro Graft wird nächstes Jahr 20. Gegründet in Los Angeles, unterhält es mittlerweile auch Standorte in Berlin und Peking. In den Medien war der Name Graft eine Zeit lang untrennbar verbunden mit dem Namen Brad Pitt, für seine "Make It Right Foundation" hat das Büro am neuen New Orleans mitgebaut nach Hurrikan Katrina.
Zusammen mit der ehemaligen Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler wird das Büro den deutschen Pavillon bei der kommenden Architekturbiennale gestalten. Einen der drei Gründer, Lars Krückeberg, habe ich vor der Sendung in Berlin auf das Konzept dafür angesprochen."Unbuilding Walls", so ist der Titel, was ja nicht gerade im Trend liegt, weil das Gegenteil, nämlich Abgrenzung, gerade überall in der Welt passiert. Sichtbare und unsichtbare Mauern werden gerade überall errichtet. Wie will Graft denn dieser Tatsache begegnen in der Ausstellung?
Lars Krückeberg: Im Grund ist das mit der Anlass, diese Ausstellung zu machen. Der ursprüngliche Anlass ist eine Zeitengleiche: Am 5. Februar nächsten Jahres wird die Berliner und die Deutsche Mauer so lange weg sein, wie sie stand, 28 Jahre und knapp 3 Monate. Und wir nehmen diese Zeitengleiche zum Anlass, um zu gucken, was ist denn passiert in unserem Land. Was ist passiert in Berlin, in den Städteräumen? Wie hat man sich diesem ehemaligen Todesstreifen angenommen? Was waren die Lösungen? Ist das Land, ist die Stadt Berlin wieder zusammengewachsen?
Wo ist es gelungen und wo auch nicht? Und das Ganze hat natürlich eine internationale Aktualität. Sie sagen es zu Recht. Also wir glauben, es macht Sinn für uns Deutsche, zu gucken, was passiert ist und der Welt das zu zeigen - in einer Welt, die Mauern wieder aufbaut, wo also die populistische Stimme immer lauter wird nach Abgrenzung, nach Protektionismus in einer scheinbaren Lösung von Konflikten und von Problemen. Und deswegen macht es Sinn, einmal zu gucken, wie es einem Land ergangen ist, das lange eine Mauer hatte, sie sogar loswurde, aber wie ist man damit umgegangen in den letzten 28 Jahren.
Wir haben noch länger mit Lars Krückeberg gesprochen -
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Fischer: Da ist aber die spannende Frage: Kann Architektur auf diese Prozesse, die Sie da gerade beschreiben, die aktuell passieren in der Welt, kann Architektur darauf Einfluss nehmen? Genauso darauf, ob ein Ost und West wieder zusammenwächst? Wir haben ja gerade festgestellt oder stellen gerade fest, dass das noch nicht so zusammengewachsen ist.
"Mauern haben lange Schatten, selbst wenn sie nicht mehr existieren"
Krückeberg: Richtig. Vieles ist, glaube ich, erreicht worden. Einiges haben wir noch vor uns. Also solche Mauern, und das ist im Grunde eine der Erkenntnisse, haben lange Schatten, selbst wenn sie nicht mehr existieren. Diese Echo-Räume, die wollen wir natürlich schon so ein bisschen zeigen. Kann Architektur Dinge überwinden? Ich glaube schon. Ist es eine Allgemein-Heilung im Urbanismus? Nein, natürlich nicht. Eine Mauer ist in irgendeiner Weise natürlich auch immer physisch präsent. Es ist im Grunde ein Stück Architektur.
Fischer: Ja.
Krückeberg: Aber es geht mehr um die Prozesse. Und Sie sagen es ganz richtig: Eine Mauer, die teilt, ist nicht nur ein räumliches Phänomen, es hat natürlich immer eine gesellschaftspolitische Dimension. Deswegen, wenn wir uns heute, Deutschland angucken, die Karten nach der Wahl, Unterschiede in Bezahlung und so weiter, dann sieht man eigentlich, dass das Land leider in vielerlei Hinsicht immer noch geteilt ist.
Fischer: Wenn wir jetzt auch mal auf das abgelaufene Jahr gucken und auf das, was vielleicht auch noch Spuren ins nächste Jahr legen wird: Ein Thema war sicher in der Architektur Wohnmöglichkeiten, würdevolle, nachhaltige für Flüchtlinge zu entwickeln. Da haben Sie sich auch beteiligt mit dem Projekt "Heimat 2". Da haben Sie bauliche Konzepte entwickelt. Da waren Sie ja, wie gesagt, nicht die Einzigen. Was würden Sie sagen, wie weit sind wir da gekommen? Haben wir wirklich Ideen - oder Sie, Ihre Zunft - hat man viele Ideen realisieren können? Sind wir wirklich ein Stück vorangekommen in diesem Thema?
Krückeberg: Ich denke, wir sind ein Stück vorangekommen, aber das Thema ist größer. Es wird, im Grunde genommen, immer reduziert auf die Geflüchteten, die hierher gekommen sind. Die Anforderungen an bezahlbaren Wohnraum waren auch vor dem großen Wort "Wir schaffen das", wir nehmen Flüchtlinge auf, schon da. Wir haben ein Backlog an Wohnungen, die wir bauen müssen, das geht in die 400 000 Wohnungen, die fehlen für Leute, die ein bisschen weniger in der Tasche haben. Und die Flüchtlinge, die dazu kommen, sind vielleicht - weiß ich nicht - zehn bis zwanzig Prozent des Problems. Das heißt: Dieses Problem müssen wir anpacken. Natürlich gibt es Architekten, die sich dieser Sache stellen und es gibt auch Lösungsvorschläge dafür. Aber viel spricht dagegen.
"Der Architekt wird immer angeguckt, aber im Grude genommen ist es ein gesellschaftlicher Auftrag und der fängt bei der Politik an"
Es spricht dagegen, dass unsere Städte immer teurer werden, Bodenpreise immer teurer werden. Es spricht dagegen, dass wir inzwischen sehr, sehr nachhaltig bauen, auch gefordert sind, nachhaltig zu bauen, weil die Anforderungen immer höher werden für die Abnahme. Gleichzeitig verschlingt das nachher unglaublich viel Geld. Das heißt: Die Preisexplosion beim Bauen, wir reden hier von dreißig Prozent in den letzten Jahren, wirkt einer Lösung entgegen, die da heißt: Wir müssen effizient, aber noch sparsamer bauen, um Wohnraum zu schaffen. Und das ist nicht ganz einfach. Und da sind alle Kommunen, alle Städte aufgefordert, denn es fängt mit dem Grundstück im Grunde genommen mit dem Grundstück an. Das heißt, der Architekt kann Lösungen bieten: modulares Bauen, Bauen, das sich nachher wandeln kann - wenn es Studenten sind oder möglicherweise Geflüchtete wird es nachher umbaubar zur Familienwohnung, zu anderen Gemeinschaften. Das geht aber nur, wenn alle an einem Strang ziehen und der Architekt kann nur die bauliche Lösung bieten. Er kann weder das Grundstück billig machen, noch die Finanzierung stemmen und so weiter. Das heißt: Der Architekt wird immer angeguckt, wenn er etwas falsch macht oder wenn er keine Lösung bringt. Aber im Grude genommen ist es ein gesellschaftlicher Auftrag und der fängt bei der Politik an.
Fischer: Das heißt aber auch: Architektur als soziale Aufgabe verstehen, als politische Aufgabe verstehen. Ist es aber nicht auch so, dass man sich in Ihrer Zunft gerne - oder viele Kollegen - sich vielleicht lieber mit Renommier-Bauten schmücken: Opernhäuser, Elbphilharmonien, tolle Hotels, Villen und so weiter. Also: Wie verbreitet ist eigentlich dieses soziale Denken in der Branche?
Krückeberg: Es ist schon da. Ob es verbreitet ist, weiß ich nicht. Es ist einfach unglaublich schwer. Denn entweder ist überhaupt kein Geld da - wenn man zweimal nachdenkt, hat man als Architekt schon Geld verloren, weil die Honorare natürlich auch sehr knapp sind. Das heißt: Sich dieser Sache zu stellen, braucht unglaublich viel Kraft. Und natürlich sind die meisten der Kollegen, wie auch wir, natürlich Schönheitsgetriebene. Natürlich: Wenn man die Chance hat, ein Opernhaus zu bauen, dann will man das auch tun. Es gibt interessanterweise nicht so viele Architekten und Kollegen, die versuchen, beides zu tun. Für uns ist das kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Also wir wollen Opernhäuser bauen, aber wir glauben, dass man als Architekt in der Lage ist, komplexe Probleme zu begreifen und auch Lösungen zu erfinden, weil man in Schnittpunkten agiert. Beim Fußball würde man sagen: Zwischenspieler. Und als solcher kann man Dinge verknüpfen. Und für uns ist es kein Widerspruch in Afrika Business-Konzepte zu bauen mit Energielösung und gleichzeitig ein wunderschönes Vier-Sterne-plus-Hotel, möglicherweise in Süddeutschland.
"Da hätte ich mir gewünscht, wir hätten mehr Mut bewiesen"
Fischer: Gibt es eine große Bausünde, die Sie beobachtet haben, dieses Jahr vielleicht oder die gerade entsteht, wo Sie sagen würden: Oh Gott, wie kann man nur? Gibt es so etwas? Irgendwo in der Welt, meine ich.
Krückeberg: (lacht) Ach, das gibt es schon. Aber i Kollegen-Bashing ist nicht unbedingt so unseres. So etwas ist sehr subjektiv. Also wenn Sie mich persönlich fragen, hätte ich mir gewünscht, dass wir so in Berlin, dem Nabel der Republik, etwas Neues, etwas Zukunftsförderndes machen und nicht ein altes Schloss wieder aufzubauen, das man schon in der Weimarer Republik nicht mehr so richtig füllen konnte, und viele ja auch heute damit hadern: Was soll da eigentlich stattfinden? Also der Inhalt einfach fehlt. Da hätte ich mir gewünscht, wir hätten mehr Mut bewiesen, als Deutsche nach vorne zu denken. Das ist keine Sünde. Das ist einfach meine persönliche Meinung.
Fischer: Gut. Da streiten ja viele drüber, ob man so etwas machen soll oder nicht.
Krückeberg: Natürlich.
Fischer: Lars Krückeberg, Mitbegründer vom Architekturbüro Graft. Wir werden noch viel hören von Ihnen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem deutschen Pavillon der Architekturbiennale. Dann wünsche ich Ihnen ganz viel Erfolg und einen guten Jahreswechsel.
Krückeberg: Das wünsche ich Ihnen auch.
Fischer: Danke.
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