Billie Eilish ist die große Gewinnerin bei den diesjährigen Grammys. Das war zu erwarten, aber nicht unbedingt in diesem Ausmaß: sie hat sechs Preise erhalten, darunter vier in den wichtigsten Kategorien Album des Jahres, beste Newcomerin, bester Song und beste Aufnahme. Außerdem wurde ihr Bruder Finneas, mit dem sie ihre Lieder komponiert und produziert, als Produzent des Jahres ausgezeichnet.
Billie Eilish ist 18 Jahre alt und damit die jüngste Künstlerin, die jemals den Preis für das Album des Jahres erhalten hat. Ein Rekord, den bis dato Taylor Swift gehalten hat, sie war damals 20.
Ein Do-it-Youself-Werk
Vor allem aber ist Billie Eilish der erste Popstar an dieser Stelle, der seinen Weg zum Ruhm ohne die klassische Musikindustrie gemacht hat. Sie hat ihre Songs in ihrem Kinderzimmer aufgenommen und über Soundcloud in die Welt geschickt. Als sie ihren Plattenvertrag mit Universal unterzeichnete, war sie längst schon ein Star und auch die Lieder, die man jetzt auf dem fertigen Album hört, hat sie alleine mit ihrem Bruder aufgenommen. Es gibt keine teuren Produzenten, die das aufwerten sollen, oder Features von Gaststars, wie man das sonst so kennt. Es ist bis ins letzte Detail ein Do-It-Yourself-Werk, und das hat Finneas O'Connell auch noch einmal in seiner Dankesrede betont. Dass diese Preise auch ein Zeichen der Ermutigung sein sollen für all die Kids, die irgendwo da draußen in ihren Jugendzimmern sitzen und Musik machen.
Finneas O’Connell: "Macht einfach weiter, dann steht ihr hier auch irgendwann."
Billie Eilish verweigert sich allen Klischees von weiblichen Popstars
"When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" heißt das Album, und dafür, dass es derart erfolgreich ist, ist es auch bemerkenswert düster, wie Billies Bruder Finneas betonte. Es sei ein Album über Depressionen, Selbstmordgedanken, den Klimawandel und darüber, wie es ist, der bad guy zu sein. Billie Eilish verweigert sich allen Klischees, die sonst immer noch bei der Inszenierung von weiblichen Popstars gelten. Sie stellt ihren Körper nicht aus, sie tanzt und sie räkelt sich nicht auf der Bühne, sie trägt weit geschnittene, körperverhüllende Bekleidung. Das verbindet sie mit der anderen Newcomerin des Abends, mit Lizzo.
Das weiße Mädchen schlägt die schwarze Sängerin – ein unschöner Beigeschmack
Lizzo ist eine sehr dicke afroamerikanische Soulsängerin, die ganz konsequent und euphorisch und mit einer gewaltigen Stimme ihre Körperlichkeit und ihre Souveränität zelebriert. Im Grunde ist sie das genaue Gegenteil zu Billie Eilish, die ja eher so eine Ästhetik des Verschwindens pflegt. Auch ihre Darbietungen bei der Grammy Gala stehen in einem sehr schönen Kontrast. Aber natürlich widersetzt sich auch Lizzo ganz bewusst dem klassischen sexualisierten Rollenbild für Popsängerinnen, wie es bei den Grammys zum Beispiel nochmal ganz typisch von Ariana Grande vorgeführt wurde.
Lizzo hatte die meisten Nominierungen, nämlich acht, bekam dann aber nur drei Grammys in weniger wichtigen Kategorien. Dadurch kriegte der Triumph von Billie Eilish einen unschönen Beigeschmack, weil das weiße Mädchen die vorher genauso hoch gehandelte schwarze Sängerin so deutlich geschlagen hat.
Wer schwarz ist, ist nicht Pop
Schwarze Künstler und Künstlerinnen haben es bei den Grammys schwerer. Gerade Musikerinnen und Musiker aus dem HipHop haben deswegen ihre Teilnahme oft verweigert. In diesem Jahr meldete sich Tyler, the Creator, zu diesem Thema zu Wort. Er erhielt den Preis für das beste Rap Album. Nach der Verleihung sagte er der Presse, dass er sich natürlich sehr freue, aber dass es ebenso natürlich ein Problem sei, dass Leute, die so aussehen wie er, automatisch in den Kategorien Rap oder Urban nominiert würde – egal, welche Art von Musik sie machen, und egal wie grenzüberschreitend ihr Pop-Ansatz ist. Wenn man schwarz ist, sei man nicht Pop, sondern Rap oder Urban. Insofern sei der Rap-Grammy für ihn immer auch ein vergiftetes Geschenk. Er verglich dies Praxis mit dem Gebrauch des N-Worts.
Politische Zurückhaltung nach dem Rauswurf von Dugan
Die Shows der letzten Jahren waren zum Teil sehr politisch, besonders, was die #metoo-Debatte betrifft. Dieses Jahr haben sich alle sehr zurückgehalten und das obwohl – oder vielleicht gerade weil – es einen konkreten Anlass gegeben hätte: Gerade mal zehn Tage vor der Show war die Grammy-Chefin Deborah Dugan von der verleihenden Akademie der US-amerikanischen Musikindustrie suspendiert worden - nach gerade fünf Monaten im Amt! Deborah Dugan hatte den Posten bekommen, nachdem der letzte Grammy-Chef Neil Portnow sich bei der Verleihung 2019 mit abfälligen Bemerkungen über Künstlerinnen, die weniger über Diskriminierung jammern und stattdessen fleißiger arbeiten sollten, unmöglich gemacht hatte.
Eine hässliche Geschichte, die bei der Show unter den Teppich gekehrt wurde
Mit Dugan sollten die Grammys jetzt in eine neue Zeit aufbrechen, aber nach fünf Monaten war eben schon wieder Schluss. Als Grund dafür nannte sie ihr Vorhaben, prominente Akademie-Mitglieder, darunter auch Neil Portnow, wegen sexueller Belästigung anzuzeigen. Sie selbst sei auch sexuell belästigt worden. Die Akademie tat dies als Quatsch ab. Dugan sei als Führungspersönlichkeit schlicht unfähig gewesen und habe die Arbeitsatmosphäre vergiftet. Eine hässliche Geschichte, die bei der Show aber komplett unter den Teppich gekehrt wurde. Nur die Moderatorin des Abends, Alicia Keys, machte ein paar Anspielungen darauf. Es läge eine schreckliche Woche hinter allen, sagte sie, es sei nun ein neues Jahrzehnt, eine Zeit für Erneuerung, und alle wollten in ihrer Verschiedenheit Respekt und Sicherheit.
Kobe Bryant-Tribute von Alicia Keys und Boyz II Men
Ansonsten gehörten die meisten Redebeiträge dem Gedenken an Kobe Bryant, dem ehemaligen Basketball-Star der Los Angeles Lakers, der am Sonntag kurz vor der Grammy-Verleihung bei einem Hubschrauberabsturz gemeinsam mit seiner 13-jährigen Tochter ums Leben gekommen ist. Er hatte seine großen Erfolge mit den Lakers im Staple Center gefeiert, also genau dort, wo jetzt auch die Preise verliehen wurden. Am Anfang widmete Alicia Keys ihm zusammen mit der R’n’B-Gruppe Boyz II Men ein spontan improvisiertes Lied – ein rührender Moment.
Ansonsten eine Grammy-Verleihung, von der wenig hängen bleiben wird, außer dass die meisten Preise der Musikindustrie mit Billie Eilish eben an eine Künstlerin gingen, die zeigt, dass man die Musikindustrie gar nicht mehr braucht.