Das Grand National ist das wohl berühmteste Pferderennen der Welt. Als freundliches Spektakel sieht das nicht jeder in England. Jedes Jahr wird das Jagdrennen in Aintree zum Zankapfel der Nation. Auch zum 170. Start prallen Fans und Gegner im Osten Liverpools auf einander. Faszination und Gänsehaut drinnen bei den 75.000. Abscheu und Empörung draußen bei den Tierschützern. Beide Parteien trennen nicht nur 30 mit Tannengrün verkleidete Hecken, sondern die eigene Weltanschauung. Entweder man liebt es oder man hasst es, das Grand National, dazwischen gibt es nichts.
Große Begeisterung bei den Sportlern
"Es ist ein einmaliges Rennen. Jeder Trainer, Besitzer und Jockey will es einmal im Leben gewinnen. Für mich ist es das größte Rennen auf der Welt, das Wichtigste. Es ist die Geschichte des Rennens. Das hier steht einfach für die Tradition schlechthin im Rennsport. Punkt!", sagt David Pipe, der das Rennen 2008 als Trainer gewinnen konnte.
Der Jubel - nirgendwo ist er lauter als in Aintree. Seit 1837 lockt das National tausende Zuschauer an. Auf kein Rennen im Königreich wird mehr gewettet. Seit 1973 wird das Rennen live in die ganze Welt übertragen. Das Grand National ist ein Jagdrennen (englisch Steeplechase) über feste Hindernisse verkleidet mit Zweigen. Auf 6,9 Kilometern müssen die Pferde 30 Hecken und Gräben überwinden. Kein Rennen ist länger, nirgendwo sind die Hürden höher.
Tierschützer empören sich
Jedes Jahr stürzen Pferde. Manche so schwer, dass nur noch der Gnadenschuss sie erlösen kann. 80 Pferde bezahlten bisher mit ihrem Leben. Was für die einen großer Sport ist, ist für die anderen Tierquälerei. "You bet, they die" oder "Is the party really worth it?", das sind die Slogans der Tierschützer von PETA und Animal Aid, die jedes Jahr vor der Rennbahn stehen.
Dene Stansall organisiert den Protest: "Für uns hat das nichts mit Tradition zu tun, die zur britischen Nation gehört, es ist doch nur ein Pferderennen. Es ist das tödlichste Rennen im britischen Rennkalender wir müssen es verbieten. Animal Aid hat im Parlament gesprochen, darüber was die Pferde ertragen müssen. Wir demonstrieren seit Jahren vor der Rennbahn, aber es ist schwer. Die Zuschauer können sehr aggressiv werden gegen uns."
Mindestens ein Pferd stirbt pro Rennen
Eine Haltung, die die Fans nicht verstehen können. Der Rennsport wirft den Tierschützern vor, keine Ahnung von Pferden zu haben. Einzelne brutal anmutende Unfälle würden medial ausgeschlachtet: Niemand wolle ein Pferd sterben sehen. Man tue alles, um den Kurs zu entschärfen, sagt Trainer David Pipe. "Es gab schon viele Entschärfungen: des Rennens als Ganzes, der Hindernisse, was man Pferden zumuten kann. Das Rennen ist jetzt sicherer als jemals zuvor. Beide Seiten haben zusammengearbeitet. Aber klar ist da immer ein Verletzungsrisiko. Klar, die Leute haben ihre Meinung. Und es ist leider so, ein paar wird man wohl nie ganz überzeugen können."
1990 wurde die Höhe der Hecken reduziert. Das führte aber erstmal dazu, dass die Jockeys noch schneller auf die Hindernisse ritten, was zu noch mehr Stürzen führte. Allein in den letzten 30 Jahren starben im Durchschnitt mehr als ein Pferd pro Rennen - doppelt so viel wie in den 150 Jahren zuvor. Bei den letzten vier Rennen gab es keine toten Tiere mehr. Grund: Inzwischen dürfen nur noch erfahrene Pferde an den Start.
Michael Zeitelhack, ein Tierarzt auf der Galopprennbahn München ist dennoch skeptisch: "Das verbessert das Ganze natürlich, vermindert die Unfallhäufigkeit. Aber wenn sie die Statistiken anschauen, dann ist es halt nach wie vor so, dass in den Hindernisrennen deutlich mehr Pferde tödlich verletzt werden, als in den Flachrennen. Das ist einfach heutzutage nicht mehr zeitgemäß und sollte in dieser Form auch nicht mehr stattfinden."
Eine Frage der Weltanschauung
Den ganzen Rennsport auf die Unfälle von Aintree zu reduzieren findet der Arzt falsch. Man dürfe nicht alles in eine Topf geben und umrühren. Im Pferdesport generell müsse man sich mit dem Tierschutz beschäftigen. "Die Grenze zwischen Sport und Spektakel, die muss natürlich irgendwo gezogen werden", sagt Zeitelhack.
Für Tierschützer Stansall sind die Grenzen klar. Er ist gegen Rennsport generell. Grand National Ja oder Nein ist auch in diesem ja wieder eine Frage der Weltanschauung. "Das ist eine Kulturfrage, wie wir unsere Tiere behandeln. Wir wollen sie domestizieren und kontrollieren. Pferde wollen aber nicht in der Box stehen, sie wollen draußen und frei sein. Pferde gibt es seit Millionen von Jahren, uns dienen sie erst seit ein paar Tausend Jahren."