"Leute, das war eine der besten Tourneen unseres Lebens, wirklich. Von allen Shows wird uns diese besonders lange in Erinnerung bleiben, denn …"
Das Buch beginnt mit einem Cliffhanger. David Bowie steht auf der Bühne. Enge dunkle Hose, transparentes Oberteil, feuerrot gefärbte Haare.
Was dieses Londoner Konzert am 3. Juli 1973 so besonders macht, werden wir erst im Laufe der nächsten 160 Seiten erfahren. Erstmal springen wir zurück. In die 60er Jahre.
Viel Namedropping, wenig Hintergründe
Der junge David sitzt vor einem Café in London. Mit zwei Freunden schmiedet er große Pläne. Sein Kumpel Steve Marriott will eine Band gründen und sie "Small Faces" nennen, der dritte, Marc Bolan, ist sich sicher, sie stehen alle kurz vor dem Durchbruch. Die Jugendlichen lachen.
Und damit zeigt sich schon eines der großen Probleme dieses Buchs: Das ewige Namedropping. Wer nämlich nicht weiß, dass Steve Marriott einmal tatsächlich als Frontman seiner Band Small Faces berühmt werden wird, und dass Marc Bolan als Erfinder des Glam Rock gilt, an dem oder der geht der Inhalt dieser Szene vollkommen vorbei.
Alle, die nicht ohnehin tief in der Bowie-Materie stecken, werden wohl oder übel googeln müssen beim Lesen. Ohne die vielen Namen von Musikern und Produzenten zu kennen, die im Comic auftreten, dürfte es nämlich etwas schwierig sein, der Geschichte zu folgen.
Ein Comic voller junger weißer Männer
Die Charaktere sehen sich alle ziemlich ähnlich. Was nicht daran liegt, dass sie schlecht gezeichnet wären - im Gegenteil - sondern daran, dass es fast ausschließlich junge bis mittelalte weiße Männer sind. So als hätte es People of colour und Frauen in Bowies frühen Jahren nicht gegeben. Wenn Frauen vorkommen, dann fast nur als Groupies oder als "Freundin von". Aus heutiger Perspektive eine vertane Chance, das Narrativ zu erweitern.
Angie Bowie etwa, Davids erste Frau, hat seine Bühnen-Kostüme mitgestaltet. Im Comic hält sie ihren Mann knutschend von der Arbeit ab: "Während der Aufnahmen des nächsten Albums in den Trident Studios wird Angie immer mehr zur Ablenkung."
So bleibt das Buch auf der reinen Storyebene eine Nacherzählung von Namen, Daten und Anekdoten, wie man sie in jeder Bowie-Biografie nachlesen kann.
Starke, detailreiche Bilder
Zum Glück hat der Comic aber optisch einiges zu bieten. Er lohnt sich allein für die Bilder. Die Szenen sind detailreich gezeichnet, einige absurd komisch. Ohne zu viel zu verraten: Es kommen mehrere Badewannen vor, eine Schlange und unzählige Ganzkörperanzüge. Auch Teile eines frühen Bowie-Films sind zu sehen, in dem er gleichzeitig die Charaktere "Ground Control" und "Major Tom" spielt.
Am auffälligsten sind aber die ganzseitigen Zeichnungen zwischen den einzelnen Anekdoten. Die Seiten stehen mal für eine Tour, mal für ein Album oder auch für einzelne Etappen in Bowies Verwandlung in Ziggy Stardust, sein außerirdisches Alter Ego.
Der Weg von David zu Ziggy
Ein junger David Bowie steht vor einem Schaufenster, in dem immer wieder er selbst zu sehen ist - in all den Persönlichkeiten, die er in den nächsten Jahrzehnten annehmen wird. Er blickt nachdenklich:
"Kann man sich dem, was kommt, voller Zuversicht stellen? Sich den wundersamen Wandel klar vor Augen halten?"
Auf einer anderen Seite sieht man Bowies Gesicht, in mehrere Comickacheln geteilt. Die Hälfte der Kacheln zeigt noch seine langen, blonden Haare, in der anderen Hälfte sind sie rot gefärbt und kurz. Sein Mund ist leicht geöffnet, Bowies verschiedenfarbige Augen blicken einen herausfordernd an.
"David Bowies größte Veränderung blitzte am Horizont. Die Aufnahmen fürs nächste Album haben bereits begonnen: 'Ziggy Stardust and the Spiders from Mars'."
Spannend nacherzählte Konzerte
Ein paar Seiten weiter beobachten wir schließlich, wie Bowie Ziggy Stardust zum ersten Mal begegnet: "Ich glaube, ich verstehe."
Bowie und Ziggy schweben im Weltall vor einem Netz aus Neuronen. Aus der Entfernung ist die Erde zu sehen. "Ich kam zur Erde, um sie zu retten." Sie reichen sich die Hände, wie in Michelangelos "Erschaffung Adams". Aus Ziggys Stirn strahlt ein Licht in Bowies Richtung.
Ab hier werden die Kostüme immer verrückter. Glitzer, Federn, Plateauschuhe, nackte Oberkörper und hautenge Overalls. Auch der berühmte Blitz im Gesicht, der auf dem Cover des Albums "Aladdin Sane" zu sehen ist, taucht zum ersten Mal auf. Lippenstift, wie wir erfahren.
Auf anderen Seiten werden ganze Touren zusammengefasst. Eine davon in Form eines Panini-Albums. Für jeden Auftritt ein Sticker.
Das Ende des Außerirdischen
Und sogar einzelne Konzerte schafft es das Buch spannend nachzuerzählen als wären sie ein Sportereignis. Man fiebert mit, welches unerwartete Stück die Band als nächstes spielen wird.
Bowies Zeit mit Ziggy Stardust ist aber begrenzt. Der Bowie aus der Eingangsszene wird ihn im Juli 1973 auf der Bühne beerdigen. Der Comic lässt sich Zeit dafür, verteilt die Szene über viele Seiten, Bowie taucht immer mal wieder auf, noch immer das schmale Mikrofon in der Hand, und spricht jedes Mal nur einige Worte. Bis er seinen Satz schließlich beendet hat: "Es ist nicht nur die letzte Show. Es ist die allerletzte."
Das Londoner Konzert 1973 ist bei weitem nicht die letzte David-Bowie-Show, aber mit dem Außerirdischen Ziggy Stardust ist es Anfang der 70er Jahre vorerst vorbei. Bowie erfindet sich neu. Wieder und wieder. Wird zum Thin White Duke, zum Goblin King, zum Blind Prophet. "Aber das ist eine andere Geschichte…"
Laura Allred, Michael Allred und Steve Horton: "Bowie - Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume"
Cross Cult Verlag Ludwigsburg, 2020. 160 Seiten, 35 Euro.
Cross Cult Verlag Ludwigsburg, 2020. 160 Seiten, 35 Euro.