Archiv

Graphic Novel "Piano Oriental"
Komposition über das verlorene Beirut

In ihrer neuen Graphic Novel erzählt die Libanesin Zeina Abirached von ihrem Großvater, dem Erfinder des Piano Oriental - ein Klavier, das Vierteltöne erzeugen kann. Gleichzeitig ist ihr Buch eine Hommage an das belebte, bunte Beirut Anfang der 60er-Jahre, das seit dem Bürgerkrieg verschwunden ist.

Von Kai Löffler |
    Die Comiczeichnerin Zeina Abirached
    Die Comiczeichnerin Zeina Abirached (Deutschlandradio / Kai Löffler )
    "Als ich klein war, hieß es 'Das ist das Klavier deines Urgroßvaters', aber ich wusste nicht, was daran besonders war. Bis ich mir vor ein paar Jahren die Zeit genommen habe, darauf zu spielen. Und dann entdeckte ich das magische Pedal."
    Dieses magische Pedal entlockte dem Klavier orientalische Klänge; Vierteltöne, die ein gewöhnliches Klavier sonst nicht erzeugen kann. Zeina Abiracheds nächstes Projekt sollte eigentlich ein Comic über Identität und Sprache werden. Das Piano Oriental inspirierte sie aber, eine Geschichte über ihren Urgroßvater zu schreiben.
    "Und als ich mit der Geschichte von Abdallah Kamanja und dem Piano Oriental anfing, ging es mir plötzlich auf: Er hatte ein bilinguales Klavier gebaut. Das war die Verbindung. Auch da ging es um zwei Muttersprachen und zwei Identitäten. Deshalb habe ich eine Brücke gebaut zwischen ihm und mir."
    "Abdallah verlor keine Zeit. Er setzte sich ans Klavier, und in Gedanken ganz bei seinem Heimatland - ein Land so klein, dass man es auf der Landkarte mit dem Finger verdecken kann - begann er zu spielen."
    Im Herzen des Comics steht die Frage nach Identität
    Abirached, die heute in Paris lebt, verzahnt ihre eigene Erfahrung mit zwei Muttersprachen und zwei Heimatländern mit Abdallahs Geschichte in den späten 50er-Jahren. Der ist Pianist und Klavierstimmer, der seine Tage auf den belebten Straßen Beiruts verbringt und dort mit den Händlern um Preise feilscht. Um seine Leidenschaft für sowohl orientalische Musik als auch das Klavier unter einen Hut zu bringen, erfindet und baut er kurzerhand ein neues Instrument. Nicht nur spielt die Geschichte lange vor der Geburt der Autorin, die Biographie des Urgroßvaters zu rekonstruieren war mühselige Arbeit.
    "Alle Archive wurden im Bürgerkrieg zerstört, und damit alle Spuren seines Lebens. Aber es gab immerhin noch mündliche Aufzeichnungen von Menschen, die ihn kannten."
    Im Herzen des Comics steht die Frage nach Identität, und die ist für Zeina Abirached selbst nicht leicht zu beantworten.
    "Ich glaube, dafür brauchen wir ein oder zwei Stunden. Ich bin im Beirut der 80er geboren, bin eine Frau, lebe in Paris. Ich habe zwei Muttersprachen. Außerdem bin ich Tagträumerin, ich liebe Filme und Musik. Ich denke, ich bin ein bisschen wie das "Piano Oriental". Zwischen zwei Welten, die wir für sehr verschieden halten - obwohl sie es nicht sind."
    "Piano Oriental" ist eine Komposition
    Wie in ihrem letzten Comic "Das Spiel der Schwalben" erzählt Zeina Abirached ihre Geschichte auf sorgsam gestalteten monochromen Seiten, auf denen sich Schwarz und Weiß die Balance halten; die kunstvollen Bildkompositionen sind oft an Muster wie etwa die Tastatur eines Klaviers angelehnt. Die Bildersprache mit ihren vereinfachten, piktogrammartigen Figuren und großflächigen Mustern, erinnert an Künstler wie David B. und Marjane Satrapi. "Piano Oriental" ist grafisch wie sprachlich wunderschön und scheint mehr komponiert als geschrieben zu sein.
    "Mich interessierte, wie man Musik zeichnet. Und durch diese Musik sollte der Leser Arabisch, Französisch und Klänge aus Orient und Okzident hören. Die Zeichnungen und Muster bilden ein neues Alphabet, eine Art Code. Ich wollte, dass die Comicseiten aussehen wie eine Partitur."
    Außerdem ist der Comic ein leidenschaftlicher Liebesbrief an eine Stadt, an ein verlorenes Beirut, das Abirached selbst nur aus Erzählungen kennt.
    Cover der Graphic Novel "Piano Oriental" von Zeina Abirached
    Cover der Graphic Novel "Piano Oriental" von Zeina Abirached (avant-Verlag / Zeina Abirached)
    "In dieser Zeit, vor dem Bürgerkrieg, war alles möglich. Die Leute erfanden Dinge, träumten von Dingen. Alles war so offen und so positiv."
    "Piano Oriental" ist gleichzeitig autobiografisch, biografisch und fiktional. Die zwei Geschichten bilden zusammen ein ambitionertes, poetisches und umfangreiches Ganzes. Eine Verbeugung vor der überwältigenden Schönheit der Sprache, der Musik und des Beiruts ihrer Eltern. Dem Urgroßvater blieb der Erfolg verwehrt. Sein Klavier fand keine Abnehmer und blieb ein Unikat; durch seinen frühen Tod am Vorabend des Bürgerkriegs versank er - wie sein Instrument - in Vergessenheit. Aus der hat Zeina Abirached ihn jetzt mit ihrem Comic gerettet.
    Zeina Abirached: "Piano Oriental"
    Text und Zeichnungen, avant-Verlag, 212 Seiten.