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Graphic Novel von Riad Sattouf
Außenseiterrolle und unbestechlicher Humor

Der Comic-Autor und Filmregisseur Riad Sattouf kam 1978 als Sohn eines Syrers und einer Französin zur Welt. Er verbrachte seine Kindheit in Libyen, Algerien und Syrien und kehrte erst mit zwölf Jahren nach Frankreich zurück. In dem auf drei Bände angelegten "Der Araber von morgen" arbeitet Sattouf nun seine Kindheit zwischen Frankreich und der arabischen Welt auf.

Von Christian Gasser |
    Titelblatt der "Charlie-Hebdo"-Ausgabe vom 25.02.2015
    Riad Sattoufs zeichnete unter anderem für das Satiremagazin Charlie-Hebdo. Sein erster eigener Band verkaufte sich in Frankreich über 150.000 Mal und wurde vor einem Monat am Comic-Festival von Angoulême zum Album des Jahres gekürt. (afp / Kenzo Tribouillard)
    Eng ist es in Riad Sattoufs Atelier im multikulturellen 20. Arrondissement, eng und vollgestopft:
    Sattouf, 37, eher schmächtig, mit sauber gestutztem Vollbart, sitzt am Zeichentisch, vor Papier, Zeichenstiften und Computer, in der Hand eine elektrische Zigarette – und erinnert sich an seine Kindheit:
    Er habe, sagt er, als kleiner Junge zehn Jahre in Syrien verbracht, ehe er nach der Scheidung seiner Eltern nach Frankreich zurückkehrte: "j'ai passe 10 ans en Syrie, quand j'etais petit, et apres je suis en fait je n'ai jamais reussi a m'adapter ni a l'une ni a l'autre."
    So habe er, sagt Sattouf, eine doppelte Perspektive auf die beiden sehr unterschiedlichen Kulturen – aber bis heute habe er es nicht geschafft, sich in der einen oder anderen zu integrieren.
    Unbestechlicher Humor
    Diese Außenseiterrolle schärft seinen Blick – und seinen Humor: Ob er Frankreich oder die Welt des Islam beobachtet – er tut es von außen, mit unbestechlichem Witz.
    Diese Unbestechlichkeit zeichnet auch seine neuste Graphic Novel aus, "Der Araber von morgen", die Geschichte seiner Kindheit in Libyen und Syrien.
    Nach seinem Studium an französischen Universitäten hatte Riad Sattoufs Vater Stellenangebote von zwei Universitäten: Oxford und Tripolis.
    Er entschied sich – sehr zum Leidwesen seiner französischen Gattin – für Libyen. Denn der idealistische Vater wollte seinen Beitrag zur Aufklärung und Modernisierung der arabischen Welt leisten.
    1980 landete die Familie Sattouf in Ghaddafis Libyen, in welchem die sozialistischen Visionen und die prekäre Realität kontrastreich aufeinander prallten.
    Ein paar Jahre später dann Syrien, die Heimat von Riads Vater, wo Präsident Hafez el-Assad mit eiserner Faust herrschte.
    Aus der Perspektive des blond gelockten Kinds, das er damals war, erinnert sich Sattouf an karge Wohnungen, Versorgungsengpässe, Prügeleien mit Gleichaltrigen, die ihn seiner hellen Haut wegen "Jude" schimpften, er erinnert sich auch an kulturelle Missverständnisse und andere Freuden und Dramen des kindlichen Daseins in einer fremden Welt.
    In Frankreich wird Riad Sattouf längst als großer Humorist gefeiert – in Deutschland bleibt er noch zu entdecken. Sein Humor ist alles andere als harmlos – und hat ihm auch schon juristische Probleme eingebracht:
    Kulturelle Mißverständnisse
    Für "Meine Beschneidung" – eine haarsträubend komische Abrechnung mit der autoritären Buben- und Männerwelt im ländlichen Syrien – wurde er vor die Justiz zitiert: Wegen seines angeblich zu negativen Vaterbilds. "ils trouvaient que je donnais une mauvaise image du pere d'aller a la Police."
    Eigentlich unglaublich, grinst Sattouf, dass man in Frankreich einem Buch diesen Vorwurf mache ...
    Diese Affäre habe aber auch ihr Gutes gehabt: Sie habe das Interesse von "Charlie Hebdo" an ihm geweckt –
    Zehn Jahre lang, bis zum letzten Oktober zeichnete Sattouf für die Satire-Zeitschrift "La vie secrète des jeunes", "das geheime Leben der Jugend", eine schonungslose, auf Beobachtetem und Belauschtem basierende Realsatire der französischen Jugend zwischen Nobelquartier und Ghetto.
    Der Tod seiner Freunde und Kollegen wird nichts an Riad Sattoufs Haltung ändern: Die Frage nach Kultur und Identität, die Begegnung von Okzident und Orient bleiben seine Themen –
    Allerdings reizt ihn nicht die direkte Auseinandersetzung mit Religionen und Propheten – da kenne er sich zu wenig aus. "je crois qu'en fait je ne parle pas de la religion en tant que telle être le probleme par rapport a ca."
    Ihn interessiere vielmehr, wie sich die Menschen der Religion gegenüber verhalten. Er verspotte nicht die Religion, er verspotte sehr wohl aber ihre Hüter und das sei wohl kein Problem.
    Diesen Themenkomplex umkreist auch "Der Araber von morgen" – und erneut steht die ambivalente Persönlichkeit seines Vaters im Mittelpunkt, des idealistischen Aufklärers im Dienst von Ghaddafi und Assad.
    Humorzeichner mit lockeren Strich
    Die Araber, sagt der Vater einmal, bräuchten die harte Hand von Diktatoren – nur diese könnten ihnen die Frömmelei austreiben und sie fit für einepan-arabische Zukunft machen.
    Gleichzeitig reagiert der atheistische Sunnit höchst aggressiv auf jede Verunglimpfung des sunnitischen Glaubens – offenbar steckt der Vater selber tiefer im islamischen Mittelalter, als er es sich eingesteht.
    Riad Sattouf karikiert seinen Vater als naiven und stets leicht überfordert wirkenden Mann.
    Ohnehin: Realismus ist Sattoufs Sache nicht – er ist ein Humorzeichner, sein Strich ist locker, skizzenhaft andeutend und karikaturistisch überzeichnend.
    So zelebriert er genüsslich persönliche Widersprüche und gesellschaftliche Abstrusitäten und entlarvt die Diskrepanzen zwischen Idealen und Realität, zwischen Politik, Religion und Alltag – ohne dabei aus der Rolle des Kinds zu fallen, das alles verwundert beobachtet, aber vieles nicht versteht.
    "Der Araber von morgen" ist hochkomisch – und weit mehr: Sattoufs Kindheitserinnerungen gewähren einen Einblick in autoritär beherrschte arabische Staaten um 1980, und das wiederum trägt zum besseren Verständnis der aktuellen Situation bei.
    Diese Aufarbeitung seiner arabischen Kindheit leistet Sattouf ohne Respekt vor Autoritätsfiguren aller Art, und dafür mit viel Humor – auch und gerade dort, wo Witz nicht angebracht wäre.
    Er dürfe das, betont Sattouf. Seine ganze Familie väterlicherseits sei muslimisch. "je sais que toute ma famille est musulmane, prendre de precautions par rapport a ca."
    Er kenne diese Welt von innen und brauche keine Rücksicht zu nehmen.
    RIAD SATTOUF "Der Araber von morgen" Eine Kindheit im Nahen Osten (1978-1984)" Aus dem Französischen von Andreas Platthaus, 160 Seiten, Knaus Verlag, München, 20 Euro