Gleich beginnt die Tagung "Jour fixe mit Luther". 500 Jahre nach der Reformation soll heute über deutsche Kultur- und Geistesgeschichte diskutiert werden. Menschen in dunklen Anzügen strömen durch die große Glastür der Bayrischen Vertretung in Berlin Mitte. Mittendrin Johanna Benz. Mit einem Stift und einem Block in der Hand, stellt sie hereinkommenden Gästen ihre Fragen: "Ich bin auf der Suche nach Statements zum Thema Luther: Wo sehen Sie Luther heute? Wohin würden Sie mit Ihm reisen?"
Johanna Benz will die Antworten der geladenen Vertreter von Vereinen, Museen und Kultureinrichtungen in Bildern festhalten. Das Thema: Martin Luther und das Reformationsjubiläum im Jahr 2017. "Wenn wir heute sagen, dass zur Integration gehört, dass man Deutsch lernt, dann können wir nur sagen, wir haben ein gemeinsames Deutsch, weil Luther die Bibel rausgebracht hat. Das ist der Kern unserer Kultur!" sagt Roland Thiele vom historischen Verein Neuburg an der Donau.
Johanna Benz schreibt mit. Nachdem sie einige Zitate in der Tasche hat, legt sie los. Ihr Arbeitsplatz ist im hinteren Teil des Saals an einem kleinen Tisch. Ein Skizzenblock und einige Stifte, mehr braucht sie nicht zum Arbeiten. Sie ist Graphic Recorderin und übersetzt wissenschaftliche Vorträge, Gesetzestexte und komplexe Gedanken in verständliche Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Schon nach einer halben Stunde hat sie sieben Handzeichnungen angefertigt und mit Klebeband an die Fensterscheiben gepinnt.
So wie eine Art Hofnarr
So entsteht im Laufe des Tages eine Art Wandzeitung als Kommentar auf die Aussagen der Besucher und die zahlreichen Vorträge, die mittlerweile in vollem Gange sind. Auch Roland Thieles Zitat kann als Bild bestaunt werden: "Da ist Luther in seinem Zimmerchen abgebildet, aber vielleicht ein bisschen in seiner Tiefphase, er sagt: Denk, Luther denk, es ist für einen guten Zweck. Es ist einfach die andere Seite dieses multipel arbeitenden Menschen. Das ist ein witziger Moment einfach, den es sicher auch gegeben hat."
In ihren Bildern geht es Johanna Benz nicht um Wahrheit oder historische Präzision: Sie zeichnet intuitiv, einmal hat sie einen Politiker als wildes Tier dargestellt oder einen Wissenschaftler enttarnt, der schlecht vorbereitet war. Und gerade wegen ihrer eigenen Sichtweise wird sie immer wieder gebucht: Von der Kulturstiftung des Bundes, vom Erzbistum in Hamburg, aber auch von Unternehmen, die neue Strategien erklären oder über Unternehmenskultur diskutieren. Denn Graphic Recording ist die Freiheit des Bildes jenseits des bedeutungsschweren Wortes, sagt die 29-Jährige. "Das ist eine visuelle Begleitung, das heißt, der künstlerische Filter, der mit einem Augenzwinkern auch kernige Themen darstellen kann. Mir nimmt das niemand krumm, wenn ich persönliche Fragen stelle. Ich hab wie so eine Hofnarrenposition."
Eine Art sinnliches Experiment
Vor zwei Jahren schloss Johanna Benz ihr Kunststudium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ab: Fachklasse Illustration. Zum Graphic Recording kam sie eher zufällig, seitdem wird sie durch Hörensagen weiterempfohlen – ein gutes Geschäftsfeld neben den Auftragsarbeiten für Magazine und Verlage. Denn immer mehr Firmen, aber auch Institutionen aus Kunst und Kultur nutzen diese Art des unkonventionellen Protokollierens.
Die Veranstalter der Luthertagung versprechen sich zudem mehr als eine bloße Dokumentation, sagt Markus Galle von der staatlichen Geschäftsstelle Luther 2017. "Wir möchten damit jüngere Leute ansprechen. Aber ich verspreche mir da durchaus auch Impulse für unsere weitere Arbeit. Es kann auch sein, dass wir Impulse in Veranstaltungen, in Projekte umsetzen. Man kann das schon als sinnliches Experiment bezeichnen."
Am Ende des Tages pinnen zwischen 80 und 100 Zeichnungen an den Wänden des Saales. Da sehen wir Luther im Bett liegend oder auf Computerbildschirmen sinnierend. Besucher bleiben interessiert stehen, viele sind begeistert, so wie Anne-Katrin Ziesak vom Deutschen Historischen Museum. "Ich finde es macht auf. Man schmunzelt auch oftmals so ein bisschen, was gut ist. Und zum anderen bringt es eine andere Sichtweise rein, die ein bisschen frech, manchmal auch unverschämt und auch historisch nicht super abgesichert ist. Eine richtig gute Idee, das so zu machen."