Es gibt dunkle und lichte Museen, aber selbst die lichten haben ihre dunklen Seiten. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, Museen hauptsächlich als überlebensgroße Markenzeichen berühmter Architekten wahrzunehmen: Während der Inhalt mehr oder weniger austauschbar geworden ist, hat das Äußere die Oberhand gewonnen. Moderne Museen schüchtern uns weniger durch ihren Inhalt, als durch ihr Fassade ein.
Zu den lichten Museen gehören jene, vor denen Julien Green – nicht ganz ernsthaft - in seinen Tagebüchern die Eltern kleiner Jungen warnte: jene, die die Schönheit des männlichen Körpers in Gestalt griechischer Statuen ausstellen. Nicht zuletzt sie – Glyptotheken voller muskulöser Götter und Helden – machte er dafür verantwortlich, dass er schon früh für die Frauen verloren war. So viel in Stein gehauene männliche Schönheit verlangte offenbar nach Fleischwerdung.
Doch es gibt auch andere: Halb vergessen, kalt und muffig fristen sie ihr Dasein im Schatten ihrer großen Brüder. So manche kleine Stadt beherbergt einen solchen Ort in ihren Mauern. Etruskische Funde hier, Pfeilspeere dort; und wo es keine Schätze sind, werden Stücke gezeigt, die den Besucher an Schlachten oder Berühmtheiten erinnern. All das und vieles mehr, worauf man einmal stolz war, muss heute lange auf den Interessierten warten, den oftmals weniger die Suche nach dem schönen Objekt als die nach einer Toilette hierher spült. Die Objekte verstauben und werden trüb, die Erklärungen in den Vitrinen vergilben und zerkrümeln, und die Wärter hätten vermutlich nichts dagegen, wenn – um etwas Leben in die Bude zu bringen - das eine oder andere alte Stück endlich geklaut würde.
Ausgangspunkt jeder der sechs Erzählungen in Susanne Röckels neuem Buch "Vergessene Museen" ist ein solcher Ort. Tatsächlich aber stehen nicht die Gebäude, sondern die Umgebung, in der sie stehen, im Mittelpunkt. Die Fremden, die zufällig hierher geraten sind oder eine Erklärung für etwas suchen, worauf sie zuhause gestoßen sind, wo sie keine Antwort fanden, kommen als Eindringlinge und werden von den misstrauischen Einheimischen auch als solche empfunden. Willkommen ist hier nur das Undurchschaubare.
Wer sich an diese Orte begibt, wird gewahr, dass logisches Denken hier nicht weiterhilft. Fasziniert und willenlos liefern sich die Protagonisten den unheimlichen und unberechenbaren Kräften aus, die an jenen öden Orten herrschen. Etwa jener Schiffbrüchige, dessen Briefe eines Tages - Jahrzehnte später - den Mittelpunkt eines Museums bilden werden, für das sich keiner interessiert. Außer der Autorin. Sie bringt die Briefe, die er an seine ferne Braut schrieb, ans trübe Tageslicht.
Wer liest, was unbeachtet in den Vitrinen eines Museums an der Loon Bay liegt, muss sich fragen, ob der einsame Briefschreiber, den es in diese arktische Gegend verschlug, nur einfach irre geworden ist an seiner Einsamkeit, oder ob die Dinge, die er sah und beschrieb, tatsächlich existierten: Ein Zauberer etwa, dessen Gesicht plötzlich in der Luft schwebte – oder sein eigenes Gesicht, dessen eine Hälfte sich plötzlich verflüchtigte. Gibt es den Riesen Amortork, der lebendig wird, oder ist er lediglich das Gestalt gewordene Sinnbild des im Frühling mächtig und laut brechenden Eises?
"Es ist die Kraft der Vorzeit, der Felsen, der Sterne und Riesen, die einst hier lebten, als es noch keine Menschen gab, als Kälte und Feuer regierten und die Erde Blut trank."
Komisch ist das alles nicht, und Susanne Röckel lässt dem Grauen, das sie sich allenthalten produzieren lässt, nicht den erlösenden Ausweg durch das Mittel der Ironie.
Grauen zu erregen ist so alt wie das Geschichtenerzählen. Es bannt das Entsetzen, indem es davon erzählt, und beschwört es zugleich immer aufs Neue herauf. Indem man es vor allem den Filmemachern überließ, die immergleichen Geschichten fast immer gleich zu erzählen, ist dieses nützliche Genre in letzter Zeit so ziemlich auf den Hund gekommen. Dass man das Fürchten auch anders lernen kann, beweist Susanne Röckel, indem sie den Weg des Trivialen umgeht. Es ist ihr ernst damit, und dieser Ernst vermittelt sich durch nichts so sehr und wirkungsstark wie durch die Sorgfalt, mit der sie noch die kleinsten Details beschreibt und zu ihren Zeugen für das Ungewöhnliche macht.
Susanne Röckel sucht und findet das Grauen nicht im Alltag, nicht in Mord und Totschlag, Blut und Sperma, sondern in jenen verborgenen Regionen, von denen wir allenfalls noch träumen. Aus den Träumen erwacht, wollen wir nichts mehr davon wissen. Doch die Autorin geht in Begleitung ihrer Figuren, die stets von Neugier angestachelt werden, genau über diese Schwelle zurück. Sie erspart uns mit ihren Geschichten das Gruseln nicht, das wir verlernen wollten. Sie konfrontiert uns mit unseren Urängsten vor atavistischen Bedrohungen. Während sie in den Mythen primitiver Völker noch präsent sind, existieren sie bei uns nur noch am Rand der dunklen Märchenwälder unserer Kindheit, verdrängt oder vergessen.
Es sind sechs Erzählungen, die aber einen Boden haben, den der geheimen Ängste und den einer ebenso kühlen wie präzise bildhaften Sprache. So unterschiedlich die Orte, an denen diese Erzählungen spielen: Dieser Boden verbindet sie untergründig, und desto stärker, je mehr er unter dem Gewicht des Unwahrscheinlichen schwankt. Indem wir von einer Geschichte in die andere übergehen, verwischen die Übergänge. Um so klarer wird deren Aussage: Das Fürchten verlernt sich auch durch die Ratio nicht.
Susanne Röckel: "Vergessene Museen". Die Andere Bibliothek/Eichborn Verlag.
Zu den lichten Museen gehören jene, vor denen Julien Green – nicht ganz ernsthaft - in seinen Tagebüchern die Eltern kleiner Jungen warnte: jene, die die Schönheit des männlichen Körpers in Gestalt griechischer Statuen ausstellen. Nicht zuletzt sie – Glyptotheken voller muskulöser Götter und Helden – machte er dafür verantwortlich, dass er schon früh für die Frauen verloren war. So viel in Stein gehauene männliche Schönheit verlangte offenbar nach Fleischwerdung.
Doch es gibt auch andere: Halb vergessen, kalt und muffig fristen sie ihr Dasein im Schatten ihrer großen Brüder. So manche kleine Stadt beherbergt einen solchen Ort in ihren Mauern. Etruskische Funde hier, Pfeilspeere dort; und wo es keine Schätze sind, werden Stücke gezeigt, die den Besucher an Schlachten oder Berühmtheiten erinnern. All das und vieles mehr, worauf man einmal stolz war, muss heute lange auf den Interessierten warten, den oftmals weniger die Suche nach dem schönen Objekt als die nach einer Toilette hierher spült. Die Objekte verstauben und werden trüb, die Erklärungen in den Vitrinen vergilben und zerkrümeln, und die Wärter hätten vermutlich nichts dagegen, wenn – um etwas Leben in die Bude zu bringen - das eine oder andere alte Stück endlich geklaut würde.
Ausgangspunkt jeder der sechs Erzählungen in Susanne Röckels neuem Buch "Vergessene Museen" ist ein solcher Ort. Tatsächlich aber stehen nicht die Gebäude, sondern die Umgebung, in der sie stehen, im Mittelpunkt. Die Fremden, die zufällig hierher geraten sind oder eine Erklärung für etwas suchen, worauf sie zuhause gestoßen sind, wo sie keine Antwort fanden, kommen als Eindringlinge und werden von den misstrauischen Einheimischen auch als solche empfunden. Willkommen ist hier nur das Undurchschaubare.
Wer sich an diese Orte begibt, wird gewahr, dass logisches Denken hier nicht weiterhilft. Fasziniert und willenlos liefern sich die Protagonisten den unheimlichen und unberechenbaren Kräften aus, die an jenen öden Orten herrschen. Etwa jener Schiffbrüchige, dessen Briefe eines Tages - Jahrzehnte später - den Mittelpunkt eines Museums bilden werden, für das sich keiner interessiert. Außer der Autorin. Sie bringt die Briefe, die er an seine ferne Braut schrieb, ans trübe Tageslicht.
Wer liest, was unbeachtet in den Vitrinen eines Museums an der Loon Bay liegt, muss sich fragen, ob der einsame Briefschreiber, den es in diese arktische Gegend verschlug, nur einfach irre geworden ist an seiner Einsamkeit, oder ob die Dinge, die er sah und beschrieb, tatsächlich existierten: Ein Zauberer etwa, dessen Gesicht plötzlich in der Luft schwebte – oder sein eigenes Gesicht, dessen eine Hälfte sich plötzlich verflüchtigte. Gibt es den Riesen Amortork, der lebendig wird, oder ist er lediglich das Gestalt gewordene Sinnbild des im Frühling mächtig und laut brechenden Eises?
"Es ist die Kraft der Vorzeit, der Felsen, der Sterne und Riesen, die einst hier lebten, als es noch keine Menschen gab, als Kälte und Feuer regierten und die Erde Blut trank."
Komisch ist das alles nicht, und Susanne Röckel lässt dem Grauen, das sie sich allenthalten produzieren lässt, nicht den erlösenden Ausweg durch das Mittel der Ironie.
Grauen zu erregen ist so alt wie das Geschichtenerzählen. Es bannt das Entsetzen, indem es davon erzählt, und beschwört es zugleich immer aufs Neue herauf. Indem man es vor allem den Filmemachern überließ, die immergleichen Geschichten fast immer gleich zu erzählen, ist dieses nützliche Genre in letzter Zeit so ziemlich auf den Hund gekommen. Dass man das Fürchten auch anders lernen kann, beweist Susanne Röckel, indem sie den Weg des Trivialen umgeht. Es ist ihr ernst damit, und dieser Ernst vermittelt sich durch nichts so sehr und wirkungsstark wie durch die Sorgfalt, mit der sie noch die kleinsten Details beschreibt und zu ihren Zeugen für das Ungewöhnliche macht.
Susanne Röckel sucht und findet das Grauen nicht im Alltag, nicht in Mord und Totschlag, Blut und Sperma, sondern in jenen verborgenen Regionen, von denen wir allenfalls noch träumen. Aus den Träumen erwacht, wollen wir nichts mehr davon wissen. Doch die Autorin geht in Begleitung ihrer Figuren, die stets von Neugier angestachelt werden, genau über diese Schwelle zurück. Sie erspart uns mit ihren Geschichten das Gruseln nicht, das wir verlernen wollten. Sie konfrontiert uns mit unseren Urängsten vor atavistischen Bedrohungen. Während sie in den Mythen primitiver Völker noch präsent sind, existieren sie bei uns nur noch am Rand der dunklen Märchenwälder unserer Kindheit, verdrängt oder vergessen.
Es sind sechs Erzählungen, die aber einen Boden haben, den der geheimen Ängste und den einer ebenso kühlen wie präzise bildhaften Sprache. So unterschiedlich die Orte, an denen diese Erzählungen spielen: Dieser Boden verbindet sie untergründig, und desto stärker, je mehr er unter dem Gewicht des Unwahrscheinlichen schwankt. Indem wir von einer Geschichte in die andere übergehen, verwischen die Übergänge. Um so klarer wird deren Aussage: Das Fürchten verlernt sich auch durch die Ratio nicht.
Susanne Röckel: "Vergessene Museen". Die Andere Bibliothek/Eichborn Verlag.