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Graues statt Goldenes Zeitalter
Niederländische Museen setzen sich mit Kolonialzeit auseinander

Das Amsterdamer Geschichtsmuseum verwendet nicht länger den Begriff "Goldenes Zeitalter" für das 17. Jahrhundert. Denn der damalige Reichtum der Niederlande sei ohne Sklaven nicht möglich gewesen. Die Entscheidung des Museums hat eine Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit ausgelöst.

Von Kerstin Schweighöfer |
Das Rijksmuseum in Amsterdam
Im Amsterdamer Rijksmuseum findet im nächsten Herbst eine große Ausstellung über die Sklavenzeit statt (dpa /picture alliance /ANP /Robin Van Lonkhuijsen)
Wie viele niederländische Städte hat auch Utrecht eine J. P. Coenstraat, benannt nach dem Generalgouverneur der Vereinten Ostindischen Handelskompagnie VOC. Er starb 1629 in Batavia, dem heutigen Jakarta. In der Utrechter J. P. Coenstraat thront sogar eine Büste von ihm: "Da oben!" sagt Rens Bleijenberg und weist auf eine Nische im Giebel eines Backsteinhauses.
Der Utrechter Kulturhistoriker ist ein Stadtführer ganz besonderer Art: Er lädt Neugieriege zu Aufklärungsspaziergängen ein, die den Niederländern die Schattenseiten ihres Goldenen 17. Jahrhunderts bewusst machen sollen.
Auch in anderen Städten finden solche Führungen inzwischen statt. Denn viele Straßen sind nach Herrschern und Eroberern benannt, die als nationale Helden verehrt werden, aber nach heutigen Maßstäben vor ein Kriegsverbrechertribunal gehören würden. Zu denen zählt auch J. P. Coen – einer der mächtigsten Männer der Kolonialzeit. Und einer der grausamsten:
"J. P. Coen hat auf den indonesischen Banda-Inseln mehr als zehntausend Menschen ermorden lassen, um der Vereinten Ostinidischen Handelskompagnie das Gewürzmonopol zu sichern. Aber das wusste bis vor kurzem kaum jemand."
Schluss mit dem "Goldenen Zeitalter"
Inzwischen aber wird in vielen Städten darüber diskutiert, umstrittene Helden von ihren Sockeln zu holen und Straßen andere Namen zu geben. In Amsterdam hat sich eine J. P. Coen-Schule umbenannt – sie wollte nicht länger den Namen eines Massenmörders tragen. In Rotterdam sucht das Witte de With Zentrum für zeitgenössische Kunst nach einem neuen Namen, da auch Witte de With ein umstrittener Held der Kolonialgeschichte ist. Und in diesem Herbst sorgte das Amsterdam Museum, wie sich das Geschichtsmuseum von Amsterdam nennt, für Schlagzeilen: Dort wird der Begriff "Goldenes Zeitalter" nicht länger verwendet. Weil er viel zu einseitig sei. Weil der unglaubliche Reichtum, den der Gewürzhandel der jungen Republik damals bescherte, ohne Sklaven nicht möglich gewesen wäre – und damit auf viel Leid, Elend und Unrecht beruhe, so Konservator Tom van der Molen:
"Wir bezeichnen das Goldene Jahrhundert nicht mehr als golden, weil es um weitaus mehr geht als um Macht, Reichtum und Ruhm. Die Geschichte lässt sich nicht verändern – aber die Perspektive, aus der wir sie betrachten."
Dennoch brach nach der Ankündigung des Museums ein Sturm der Entrüstung los. Am lautesten schimpften erwartungsgemäß die Rechtspopulisten. Thierry Baudet vom Forum für Demokratie, der als intellektuelle Ausgabe von Geert Wilders gilt und gerne mit seiner Bildung prunkt, sprach von "Oikophobie", also von Ablehnung der eigenen Kultur:
"Alles, was zu uns gehört, soll uns genommen werden!" so Baudet. "Wir müssen stolz sein auf diese Zeit - auf Künstler wie Rembrandt, auf unsere Handelsschiffe, die alle Weltmeere befahren haben. Davon dürfen wir uns nicht distanzieren, im Gegenteil: Das müssen wir weitervermitteln!"
Auch die rechtsliberale Regierungspartei VVD von Premierminister Mark Rutte zeigte sich erschüttert: "Erst die Straßen, dann die Denkmäler - und nun ein ganzes Jahrhundert", empörte sich ein VVD-Abgeordneter. "Was für ein Unsinn", befand selbst Premierminister Rutte und rang sichtlich um Worte.
Kritische Auseinandersetzung
Schule macht die Entscheidung des Amsterdam Museums vorerst aber nicht: Andere Museen belassen es bei einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, ohne gleich den Begriff "Goldenes Zeitalter" aus dem Wortschatz zu verbannen. In der Nieuwe Kerk in Amsterdam läuft derzeit eine Ausstellung über die frühere Kolonie Surinam – eine Präsentation auf Augenhöhe, loben die Kritiker, ohne belehrenden oder herablassenden Ton. Das Museum Loon, ebenfalls in Amsterdam, sucht den Dialog: Nachfahren von Sklaven sprechen mit Nachfahren von Sklavenhaltern.
Und auch im Amsterdamer Reichsmuseum findet im nächsten Herbst eine große Ausstellung über die Sklavenzeit statt. Natürlich habe das Goldene Jahrhundert seine Schattenseiten, so Direktor Taco Dibbets. Aber deshalb müsse ja nicht gleich der Begriff aus den Geschichtsbüchern verschwinden. Kein Zweifel - das Thema wird die Niederländer weiterhin beschäftigen. Und der Begriff "Goldenes Zeitalter" zumindest nicht mehr so unbefangen und gedankenlos wie bisher benutzt werden.