Aufreizend lächelnd rekelt sich der nackte Junge auf einem weißen Laken. Die Beine weit gespreizt, kokett reckt er dem Betrachter sein noch unbehaartes Genital entgegen. Eindeutig ein posierendes Nacktbild eines Minderjährigen, homoerotisch aufgeladen. Das Bild entstammt nicht einer schlüpfrigen Kinderporno-Website im Internet, sondern ist das Meisterwerk des italienischen Barockmalers Michelangelo Merisi da Caravaggio: "Amor als Sieger". Es hängt in der Berliner Gemäldegalerie und ist eins der Hauptausstellungsstücke des Museums. Direktor Bernd Wolfgang Lindemann:
"Ein Werk, das zweifellos erotisches Potenzial hat, das aber sich offenkundig im Laufe der Jahrhunderte stärker entfaltete, als es im 17. Jahrhundert gesehen wurde. Es gibt die hübsche Geschichte, dass Joachim von Sandrart, ein deutscher Maler, der in Italien gelebt hat, den Vorschlag machte, das Bild durch einen Vorhang zu verhüllen. Die Begründung ist höchst kurios: Er schreibt nicht etwa, dass es verhüllt werden soll wegen des Sujets oder wegen der Darstellung, sondern er sagt, weil es ein so unglaublich schönes Bild ist, dass es alle Bilder metaphorisch verdunkelt, die im selben Raum sind."
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat nach der Edathy-Affäre angekündigt, die Vorschriften zur Kinderpornografie verschärfen zu wollen. Doch welche Auswirkungen hätte ein solches Verbot für Museen, Galerien und Buchverlage?
Zu allen Zeiten bezogen sich Künstler auf die antike Mythologie, die voll ist von Vergewaltigungen junger Nymphen durch Götter und anderen sexuellen Übergriffen auf Minderjährige, erläutert Lindemann:
"Kunst und ich glaube menschliche Fantasie lebt von Tabubrüchen. Die wunderbare Geschichte von Amor und Psyche zum Beispiel wird auch so geschildert, dass sie unter sehr jungen Menschen sich abspielt. Glückliche Ehepaare abzubilden ist offenkundig für die Kunst langweilig, und von glücklichen Ehepaaren zu erzählen bringt auch für die Literatur nicht so wahnsinnig viel."
Die Berufsverbände der Fotografen unterstützen die Pläne der Politik. Man sehe darin keine Beeinträchtigung der künstlerischen Freiheit der Fotografen, ließen die Verbände wissen. "Niemand kann Posing-Bilder als Kunst bezeichnen", sagte einer ihrer Rechtsberater. Für Werner Schaub, Präsident des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler, ist diese Grenze nicht so leicht zu ziehen.
"Ich wär schon froh, wenn ich das formulieren könnte, das ist sicher nicht möglich, so wie es auch nicht möglich ist, genau zu definieren, was Kunst ist und was nicht. Man muss da sicher immer abwägen. So ein generelles Verbot könnte dazu führen, dass die Künstler schon von Anfang an eine Schere im Kopf haben müssten, darf ich das jetzt überhaupt noch machen?"
Das Essener Folkwang-Museum geriet Ende letzten Jahres in die Kritik, weil es eine Ausstellung von Polaroids des vor 13 Jahren verstorbenen Malers Balthus zeigen wollte - eindeutig begehrende Fotos eines pubertierenden Mädchens mit gespreizten Schenkeln, die den Blick auf ihre strahlend weiße Unterwäsche oder die nackten Brüste freigeben. Pädophilie oder Kunst? In England wurde im vergangenen Jahr der Maler Graham Ovenden wegen sexuellen Missbrauchs an mehreren Mädchen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Werk, das fast durchgehend nackte Kinder in erotischen Posen darstellt, ist international anerkannt, seine Bilder gehören zum Bestand der Tate Gallery und des New Yorker Museum of Modern Art. Nach dem Urteil entfernte das MoMa seine Bilder von der Museumswebsite. Dieselben Werke: erst museale Kunst, von den Feuilletons gefeiert, dann No-Gos des Kunstbetriebs. Kein Zweifel, das Wissen um die pädophile Täterschaft des Malers verändert auch den Blick auf seine Bilder. Das allerdings müsste möglicherweise auch für Caravaggio gelten. Denn der war ein stadtbekannter Raufbold und Lüstling. Lindemann:
"Er war an Frauen offenkundig nicht übermäßig interessiert. Aber wieweit sein Interesse ging und vor allem unter dem Gesichtspunkt von Handlungen, Umsetzung in sexuelle Aktivitäten, davon wissen wir nichts. Auf der anderen Seite kennen wir, zumindest mal so formuliert, Caravaggio als Extremrowdy, als Hooligan würde man heute sagen."
Ein Gesetzestext, das ist jetzt schon klar, birgt viele Tücken. Justizminister Maas will den "gewerbsmäßigen Handel" mit Nacktbildern verbieten, doch viele Internet-Pornografie-Börsen tauschen ihre Bilder untereinander. Das Verbot auf Fotos zu beschränken, hilft auch nicht weiter – detailgetreue Zeichnungen können genauso anrüchig sein und Kinder, die dafür Modell standen, missbrauchen.
Die Grüne Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, glaubt, dass der Kinderpornografie eher über eine Stärkung der Persönlichkeitsrechte des Kindes beizukommen wäre.
"Dann könnte man nämlich viel eher eine Feststellung machen, dass man sagt, Nacktfotos von Kindern dürfen nicht gehandelt werden. Und Eltern können da auch nicht einwilligen. Die Kinder sowieso nicht und Eltern auch nicht, das wäre sittenwidrig und entspricht nicht der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Und wir sollten natürlich dabei das kleine Problem am Rande mitgelöst haben, nämlich dass am Ende nicht der Handel mit Abbildungen von Putten in der Sixtinischen Kapelle strafbar wird."
Heißt das aber, dass zeitgenössische Maler keine jugendlichen Akte mehr malen dürfen, weil Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten, selbst wenn die Eltern oder das Modell ihre Zustimmung geben? Eins ist klar: Viele großartige Werke der Kunstgeschichte wären gar nicht erst entstanden. Bernd Lindemann befürchtet nicht, dass er seinen Caravaggio abhängen muss. Aber für die Plakate, mit denen die Berliner Gemäldegalerie wirbt, hat er doch lieber einen unverfänglichen Ausschnitt des "Amor" gewählt.