Radsport Gravel-WM
Kasia Niewiadoma: Der Radsport-Star, der auf seinen Körper hört

Kasia Niewiadoma, ist der neue Star im Frauenradsport. Im Sommer gewann die Polin, die für das Leipziger Team Canyon SRAM Racing fährt, in einem Herzschlagfinale die Tour de France Femmes. Die Gravel-WM lässt sie aber aus.

Von Tom Mustroph |
Die Gesamtsiegerin der Tour de France 2024 Femmes, Niewiadoma Katarzyna, jubelt im Gelben Trikot und hält ihr Rad in die Luft.
Bei der Tour de France 2024 Femmes gewann Niewiadoma Katarzyna in der Schlusswertung mit vier Sekunden Vorsprung. (dpa / picture alliance / Roth)
Es rattert und rumpelt in der Entwicklungsabteilung von Canyon. Rahmen und Gabeln werden auf Belastung geprüft, Zyklen von mehr als 100.000 Schlägen muss das Karbongestänge hier aushalten. Die Tests sorgen dafür, dass die Räder auch den Kräften standhalten können, mit denen Profiradsportler ihre Arbeitsgeräte traktieren.
Kasia Niewiadoma gewann im Sommer auf einem hier in Koblenz entwickelten Rad die Tour de France Femmes. Das ist das wichtigste Rennen im Frauenradsport. Zum Saisonabschluss besuchte sie die Fabrik.
„Es ist sehr wichtig für mich und das Team. Wir alle arbeiten für dieselben Ziele, tun unser Bestes, um die Besten zu sein. Während der Saison haben wir ja nur mit dem Material zu tun, und nicht mit den Menschen, die viel Zeit und Mühe aufwenden, um die Räder schnell zu machen. Und daher ist es wertvoll, sich zu treffen.“

Für Frauen sind schnelle Räder wichtig

Das Aeroad von Canyon gilt als das derzeit schnellste Rad im Peloton. Im Showroom in Koblenz stehen daher neben Niewiadomas gelb lackiertem Siegerrad von der Tour auch die Räder, auf denen im Frühjahr Mathieu van der Poel den Kopfsteinpflasterklassiker Paris – Roubaix und Laura Philipp jüngst den WM-Titel im Triathlon gewannen.
Für Frauen sind schnelle Räder sogar noch ein bisschen wichtiger als für Männer, erklärt Entwicklungsingenieur Lukas Birr.
„Gerade bei Frauen ist grundsätzlich der Size-Split kleiner. Das heißt, Frauen sind, wenn du es über den Durchschnitt bildest, leichter. Das heißt, das Rad entscheidet viel mehr als bei einem Mann. Das heißt aber auch, dass gerade auch für Frauen das Rad so gut wie möglich sein muss, was Aerodynamik und Gewicht angeht.“

Die Belastung in diesem Jahr war hoch

Niewiadoma wird in diesem Jahr nicht mehr bei Wettkämpfen starten. Selbst die Titelverteidigung bei der Gravel-WM am Wochenende lässt sie aus.
Die polinische Radfahrerin Kasia Niewiadoma passiert beim Straßenradrennen bei den Olympischen Spielen die Basilika Sacré Cœur im Künstlerviertel Montmartre
Bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 startete Kasia Niewiadoma für Polen beim Straßenradrennen. Die Tour de Femmes-Gewinnerin zählte zu den Favoritinnen. Am Ende wurde sie Achte. (IMAGO / SW Pix / IMAGO / Zac Williams / SWpix.com)
„Leider findet die diesjährige Ausgabe in Belgien vor allem im Flachen statt, und das ist dann nicht so superunterhaltsam, um daran teilzunehmen."
Ein weiterer Faktor für die Absage ist die hohe Belastung im Laufe der Saison. Und auch der Trainingsausfall durch eine Covid-Infektion, die sich Niewiadoma nach der Tour holte, spielt eine Rolle.
„Dieses Jahr war superintensiv, allein der Sommer mit Olympia und der Tour. Ich habe viele Opfer gebracht, nicht nur ich, sondern auch mein Mann. Und nachdem ich zuvor jedes Quentchen herausgequetscht habe, ist es jetzt eine schöne Option, die Saison nicht noch weiter zu verlängern.“
Das ist Belastungssteuerung zugunsten des Athletinnenkörpers.

Sieg bei der Gravel-WM 2023 hat alles verändert

Allerdings blickt Niewiadoma auch mit etwas Wehmut auf die Gravel-WM. Denn ihr Erfolg dabei im letzten Jahr hat sie als Persönlichkeit verändert.
„Nach dem Sieg bei der Gravel-WM hatte ich das Gefühl, dass ich alles richtig gemacht habe. Zuvor hatte ich immer wieder mangelndes Selbstbewusstsein oder schlechtes Timing. Zu Beginn der Saison 2024 wusste ich genau, was ich erreichen wollte und dass ich auch nicht in alte Muster zurückfallen wollte wie zu lange warten oder die Konkurrenz zu fürchten.“
Niewiadoma orientiert sich wieder stärker an den alten Tugenden des Radsports, hört mehr auf ihren Instinkt und schaut weniger auf die Daten. So siegte sie dann auch bei der Tour:
„Ihr Fahrstil ist sehr aggressiv und instinktiv. Und es sehr unterhaltsam, das anzuschauen. Ich glaube, sie ist so etwas wie die Meisterin der Herzen, weil sie immer mit vorn dabei ist, aber so selten gewinnt. Deshalb war das ein sehr emotionaler Tag für viele“, blickt Taylor Phinney auf die entscheidende Etappe der Tour zurück.

Zeitfahren und Explosivität stehen im Fokus

Der Ex-Profi ist natürlich parteiisch. Er ist mit Kasia Niewiadoma verheiratet. Im gemeinsamen Training wird er inzwischen von ihr abgehängt, gibt der frühere Vizeweltmeister im Zeitfahren offen zu. Gerade in seiner Paradedisziplin hat Kasia noch Verbesserungsbedarf:
„Sie fragt um Rat, aber sie hört nicht immer darauf. Aber ja, wir arbeiten an der Zeitfahrkomponente.“
Im Winter will Niewiadoma außerdem an ihrer Explosivität feilen.
„Ich will schneller im Sprint werden. Oft komme ich allein weg, werde von diesem Frauenpeloton mit vielen starken Teams aber zurückgeholt. Sehr selten hat man die Chance, allein zur Ziellinie zu kommen. Deshalb will ich mich auf diesem Terrain verbessern.“
Kasia Niewiadoma hat große Ziele. Die für den Leipziger Rennstall Canyon SRAM Racing fahrende Athletin will im nächsten Jahr nicht nur erneut die Tour gewinnen, sondern auch Straßenweltmeisterin werden.