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Gravitationswellen-Astronomie
Schwarzes Loch schluckt Neutronenstern

Zum ersten Mal ist es gelungen, die Kollision eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern nachzuweisen. Zwei Gravitationswellen verfingen sich im Ligo-Detektor in den USA. "Das gibt uns Aufschluss über die gesamte Entwicklung des Universums", sagte Frank Ohme vom Albert-Einstein-Institut im Dlf.

Frank Ohme im Gespräch mit Christiane Knoll |
Farbige Computer-Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch
Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch (T. Dietrich (Universität Potsdam und Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), S.V.Chaurasia (Universität Stockholm)
Als in China Corona erstmals Anlauf nahm, streifte noch eine ganz andere Welle die Erde. Sie hatte ihren Ursprung in einer Katastrophe, so weit weg von jeglicher Zivilisation, dass Beobachter sich darüber entspannt freuen konnten:
Ein Schwarzes Loch hatte einen Neutronenstern verschluckt, und dabei eine Gravitationswelle, ein Beben in der Raumzeit auslöst.
Das Signal hat 900 Millionen Lichtjahre zurückgelegt und im Januar 2020 die Erde erreicht. Genau genommen waren es sogar zwei Signale von zwei Schwarzen Löchern und zwei Neutronensternen, denn auf das erste Signal folgte 10 Tage später gleich das nächste.
Die Entdeckungen sind jetzt im Fachblatt Astrophysical Journal Letters erschienen. Federführend beteiligt war Frank Ohme vom Albert-Einstein-Institut in Hannover.

Entstehung seltenener Doppelsysteme

Christiane Knoll: Herr Ohme, kann man sagen, das war das Schmuckstück in Ihrer Gravitationswellensammlung, das Ihnen noch gefehlt hat, was Sie da jetzt entdeckt haben?
Frank Ohme: Oh ja, das kann man absolut sagen. Tatsächlich das Schmuckstück oder das fehlende Puzzleteil, was wir gehofft haben und erwartet, das kann man gar nicht so sagen … Aber es ist eben, wir haben natürlich Gravitationswellen schon entdeckt, aber bisher waren das eben entweder zwei schwarze Löcher oder zwei Neutronensterne. Und was natürlich gefehlt hat, ist die Mischung zwischen beiden, einem schwarzen Loch und einem Neutronenstern. Aber wie häufig das vorkommt, ob das überhaupt vorkommt, das war nicht so klar. Wir haben natürlich alle gehofft, dass wir das sehen, dass wir das auch bald sehen. Und jetzt ist es tatsächlich gleich zweimal passiert, in der Hinsicht auf jeden Fall das Schmuckstück unserer Sammlung.
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Rund 50 andere Gravitationswellen-Signale publiziert

Knoll: Die erste Gravitationswelle haben Sie vor sechs Jahren eingefangen oder besser gesagt veröffentlicht, der Fang war schon ein bisschen früher. Wie viele Signale sind das eigentlich inzwischen?
Ohme: Wir haben mittlerweile mit den zwei neuen jetzt 52 Signale publiziert. Wir müssen jetzt ein bisschen vorsichtig sein, offiziell reden wir von Kandidaten, davon sind wie gesagt zwei schwarze Löcher, die verschmelzen. Zwei davon sind jeweils zwei Neutronensterne, die verschmelzen. Und jetzt haben wir die zwei Signale mit einem Neutronenstern und einem schwarzen Loch jeweils.
Knoll: Was macht diese letzten Fänge so besonders?
Ohme: Es ist ja so, dass wir mit diesen Signalen, die wir messen, immer nur das Ende von einer langen Entwicklung messen. Das sind natürlich … Wir gehen davon aus, dass das, was wir sehen, das waren mal Sterne, massive Sterne, die ausbrennen und dann kollabieren. Und dann sehen wir also deren Überbleibsel, die also in solchen Doppelsystemen dann umeinander kreisen, und weil sie eben umeinander kreisen, aber nicht mehr leuchten, können wir sie durch Gravitationswellen entdecken. Und da ist aber ganz viel noch nicht ganz klar, was da genau passiert, wie die Materie austauschen, wie die möglicherweise durchs Universum gestoßen werden.
Und all diese Prozesse beeinflussen aber, was wir am Ende sehen können, wie viele schwarze Löcher, wie viele Neutronensterne. Es ist immer noch nicht ganz klar, wie kann es passieren, dass sich also zwei so ungleiche Partner finden. Was wir bisher wissen, ist, dass das Universum dazu neigt, gleiche Partner beieinander zu halten. Zwei sehr schwere Sterne werden zu schweren schwarzen Löchern, die beiden verschmelzen miteinander. Das haben wir nun schon häufig gesehen. Aber dass es eben zwei ungleiche Partner gibt, das ist nicht so klar, wie das im Detail passiert, ob das passiert, wie häufig das passiert. Und erst jetzt, das ist das allererste Mal, dass wir so ein Doppelsystem gesehen haben. Bisher war uns nicht klar, ob es die wirklich gibt, jetzt können wir also anfangen, Rückschlüsse aufgrund von Beobachtungen zu ziehen, nicht nur theoretische Modellierung. Das gibt uns viel Aufschluss über die gesamte Entwicklung des Universums.

"Teelöffel von Neutronensternmaterie so schwer wie ein ganzes Gebirge"

Knoll: In dem Fall haben wir es jetzt zu tun mit einem schwarzen Loch, das mal ein Stern war, und einem Neutronenstern. Kann man sich das so in etwa vorstellen wie ein Monster, das eine Kanonenkugel schluckt? Würden Sie dieses Bild durchgehen lassen?
Ohme: Ja, in mancher Hinsicht ja, in anderer Hinsicht vielleicht nicht. Es ist erst mal so, dass höchstwahrscheinlich, ganz genau weiß man das nicht, aber höchstwahrscheinlich waren beides mal größere leuchtende Standardsterne. Beide Sterne sind explodiert, aber in dieser Explosion wurde der eine eben zu einem schwarzen Loch, der andere zu einem kompakten Objekt, der kompakteste Stern, den wir kennen, ein Teelöffel von Neutronensternmaterie wäre so schwer wie ein ganzes Gebirge auf der Erde. Und es stimmt tatsächlich, von den Größenverhältnissen ist das gar nicht so klar, weil das schwarze Loch so unglaublich kompakt ist, dass es eigentlich von der räumlichen Größenordnung fast ähnlich groß ist wie der Neutronenstern. Aber es hat halt natürlich eine größere Anziehungskraft, die Masse ist drei- oder fünf- oder siebenmal größer als der Neutronenstern.
Und damit passt das Bild schon ganz gut, das schwarze Loch ist das Monster, da ist keine Materie mehr da, was zu nahe kommt, wird eben verschluckt. Und das genau passiert mit dem Neutronenstern, der kreist so drum, es wird Energie abgestrahlt in Form von Gravitationswellen. Und irgendwann ist der Neutronenstern so nah dran, dass das schwarze Loch ihn entweder zerreißt – und das, was dann zerrissen ist, verschluckt – oder ihn eben komplett verschluckt, wobei für die Ereignisse, die wir gesehen haben, gehen wir davon aus, dass der Neutronenstern im Wesentlichen komplett verschluckt wurde.
Knoll: Sie hatten jetzt auch schon ein bisschen Zeit zum Analysieren. Haben Sie denn eine Erkenntnis, die Sie hier kommunizieren können über den Neutronenstern oder über das schwarze Loch, das man noch verstehen kann?
Ohme: Tatsächlich, die grundlegendste Erkenntnis, das muss man immer wieder betonen, ist, dass es das überhaupt gibt. Dass es diese Systeme überhaupt gibt im Universum, dass die formen können, dass die stabil sind und nicht der Prozess dieser Explosion, der eine Stern explodiert, wird ein schwarzes Loch, der andere Stern explodiert und wird ein Neutronenstern, dass es eben nicht so ist, dass diese Explosionen so gewaltig sind, dass sie diese Objekte auseinandertreiben. Sondern: Irgendwas in dieser Konstellation führt dazu, dass die weiterhin beieinander bleiben und verschmelzen können.

Kein Licht, nur Wellen

Knoll: Sie haben aber keine Lichterscheinungen dazu entdeckt?
Ohme: Nein, das wäre natürlich toll gewesen, Lichterscheinungen dazu zu sehen. In dem Fall, was wir bisher gesehen haben, also für die zwei Ereignisse, über die wir jetzt reden, wäre es eine Überraschung gewesen, aus zwei Gründe: Die sind also sehr weit weg, fast eine Milliarde Lichtjahre entfernt, die Signale sind auch nicht so stark. Das heißt, unsere Möglichkeit, den Ort festzustellen auf der Himmelskarte, wo jetzt Teleskope beispielsweise hinschauen müssten, ist begrenzt. Das ist ein großer Bereich im Himmel, wo das im Prinzip herkommen könnte, deswegen ist es schwer für Teleskope, das alles abzusuchen. Und hinzukommt, dass wie gesagt für diese Systeme die schwarzen Löcher wahrscheinlich so schwer waren, dass sie den Neutronenstern komplett schlucken. Und dann leuchtet da auch nichts, dann verschwindet der einfach und gibt außer Gravitationswellen nichts mehr ab.

Auf der Entdecker-Wunschliste ganz oben: Pulsare

Knoll: Jetzt haben Sie also Ihr Schmuckstück im Kasten, ein schwarzes Loch schluckt einen Neutronenstern. Was bleibt denn jetzt noch für die Gravitationswellenastronomie? Haben Sie noch Wünsche offen?
Ohme: Unsere Liste an Wünschen ist ganz lang. Natürlich freuen wir uns jetzt erst mal darauf, 2022 werden die Instrumente wieder angestellt, die Laserinterferometer, mit denen wir ja solche Messungen machen, erst mal wird es ganz viel mehr von diesen Doppelsystemen geben, viel mehr schwarze Löcher, da gibt vielleicht noch die eine oder andere Überraschung, wie schwer die sind oder wie die so zusammengesetzt sind. Natürlich auch mehr Neutronensternverschmelzungen und Neutronenstern und schwarze Löcher, wir gehen davon aus, dass wir mehr davon sehen. Aber dann gibt es natürlich Quellen, die wir wissen, die Gravitationswellen abstrahlen, aber die wir noch nicht reflektiert haben, ich denke da an Supernova-Explosionen.
Da muss man ein bisschen Glück haben, dass es nicht zu weit weg von uns passiert. Oder aber einzelne, isolierte Neutronensterne, die einfach rotieren. Wenn die aber nicht ganz kugelförmig sind, sondern nur eine kleine Abweichung, einen kleinen Berg darauf haben und schnell rotieren, auch das strahlt Gravitationswellen ab, ich denke da an Pulsare zum Beispiel. Haben wir noch nicht entdeckt, suchen wir aber ganz fleißig danach, das wäre auch ganz weit oben auf der Wunschliste. Und es geht weiter: Es gibt Hintergrundstrahlung von den frühen Phasen des Universums, die wir hoffen zu messen, und natürlich gibt es auch immer das Unbekannte, was wir vielleicht jetzt nicht erwarten, aber dann doch irgendwann vielleicht gemessen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Anmerkung der Redaktion: Im Vorspann des Textes haben wir eine falsche Zeitangabe entfernt.