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Greenpeace-Chefin Morgan vor G20-Gipfel
"Vorangehen ohne die Trump-Regierung"

Vor dem G20-Gipfel in Hamburg fordert Greenpeace von den Staats- und Regierungschefs, beim Klimaschutz auch ohne die US-Regierung voranzuschreiten. Die Chefin der Umweltschutzorganisation, Jennifer Morgan, sagte im Dlf, Bundeskanzlerin Merkel müsse sich zu einem Kohleausstieg bekennen. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands stehe auf dem Spiel.

Jennifer Morgan im Gespräch mit Jule Reimer |
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    Jennifer Morgan, Chefin der Umweltschutzorganisation Greenpeace International. (Deutschlandradio - Matthias Dreier)
    Jule Reimer: Jennifer Morgan, Greenpeace hat rund 2.500 Mitarbeiter, Büros in 50 Ländern, fast 600.000 Fördermitglieder in Deutschland. Das heißt, Sie sind ein weltweit agierendes, größeres mittelständisches Unternehmen, das von Ihnen geführt wird. Wie oft müssen Sie fliegen – wie oft dürfen Sie fliegen als Klimaschützerin?
    Jennifer Morgan: Also, ich und wir fliegen nur wenn es notwendig ist. Das heißt, wenn es unbedingt sein muss, dass wir vor Ort mit Leuten reden müssen. Und wir haben strikte Regeln, wann wir dürfen. Es kommt darauf an: Wenn man mit dem Zug in acht Stunden einen Ort erreichen kann, dann sollen wir mit dem Zug fahren.
    Reimer: Sie sind US-Amerikanerin, mit zumindest zum Teil Wahlheimat Berlin. An dem Morgen, an dem Donald Trump im November gerade die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, da erreichten wir Sie in Kalifornien. Da haben Sie dem Deutschlandfunk erklärt, "Die Wende hin zu den Erneuerbaren Energien stoppt nicht mit Trump". Sind Sie sich da heute noch so sicher?
    Morgan: Absolut. Mehr heute denn je. Wir sehen jetzt noch mehr und mehr amerikanische und andere Städte, Unternehmen, Länder, die 100 Prozent Erneuerbare fordern und umsetzen – keine Frage.
    "Trump keine Chance geben, irgendetwas Neues zu verhandeln"
    Reimer: Aber US-Präsident Trump hat auch angekündigt, er würde Fördersysteme für Erneuerbare Energien zusammenkürzen.
    Morgan: Das kann er nicht. Die Förderungen für Erneuerbare in den USA, das sind Steueranreize für Solar und Wind, die sind bis 2020 und 2021 da. Und – was noch wichtiger ist: Die Hauptbundesländer, wo Erneuerbare boomen, sind republikanische Bundesländer. Das heißt an Texas, Iowa, North Dakota und so weiter kommt er nicht vorbei.
    Reimer: Scott Pruitt, der von Trump ernannte neue Chef der mächtigen US-Umweltbehörde EPA - und er ist auch de facto der Umweltminister der USA -, der sagte sinngemäß nach der Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens durch US-Präsident Trump: "Wir machen einen Neuanfang, weil Paris nicht der einzige Weg ist, um den Umweltschutz weiterzubringen." US-Präsident Trump ist ja sehr gescholten worden. Sollten Sie Trump und Pruitt vielleicht eine Chance geben? Denn diese Vereinbarungen im Pariser Klimaschutzabkommen, das sind alles freiwillige Vereinbarungen, da weiß ja auch gar keiner, ob die anderen Staaten die wirklich umsetzen.
    Morgan: Wir sollten ihnen keine Chance geben. Und es ist sehr klar von Ländern wie Deutschland, von China und anderen Ländern: sie wollen – wie ich auch – ihm keine andere Chance geben, irgendetwas Neues zu verhandeln.
    Reimer: Warum nicht?
    Morgan: Paris wird unterstützt auf höchster Ebene von fast 200 Ländern, es hat einen sehr vernünftigen Mechanismus, die Ambitionen zu erhöhen. Es ist in Kraft und es ist sehr klar, dass Pruitt und Trump nicht etwas Ambitionierteres schaffen möchten. Das ist klar.
    "Sehr wichtig, dass China eine Führungsrolle übernimmt"
    Reimer: Das heißt, es könnte nur ein Rückschritt werden?
    Morgan: Absolut. Und es ist nur ein Land von 200 Ländern. Und es ist klar, dass ...
    Reimer: … aber ein ziemlich großes!
    Morgan: Und deswegen ist es wichtig, dass andere Länder mit den anderen, der Mehrheit der USA arbeiten, die für Klimaschutz sind, die Bundesländer wie Kalifornien und so weiter. Und es ist sehr klar: Es gibt kein Interesse von vielen Ländern, das neu zu verhandeln, und es wäre auch keine gute Idee, wenn man wirklich für Umweltschutz und Klimaschutz ist.
    Reimer: Jetzt hat sich China als führende Macht in Sachen Klimaschutz angeboten. Ist das in jeder Hinsicht eine gute Lösung?
    Morgan: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass China schon eine Führungsrolle übernimmt – aber sie übernehmen das dann mit anderen Ländern. China ist das größte emittierende Land der Welt im Moment und kann das auch nicht alleine machen. Und deswegen arbeitet China jetzt mit Europa, mit Inselstaaten und so weiter zusammen - wir haben so ein Share-Leadership-Modell (Modell der geteilten Führerschaft, Anm. d. Redaktion), dass viele Länder vorangehen. Aber China ist wichtig.
    "G20 ist der nächste Test"
    Reimer: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat gefordert, der G20-Gipfel, der ja Anfang Juli in Hamburg stattfindet, der müsse den Grundstein für die schrittweise Einführung eines CO2-Preises legen. Da käme in Frage der Emissionshandel – also diese Verschmutzungsrechte, die auch in der Europäischen Union für die Industrie gelten – oder auch CO2-Steuern. Offenbar haben das in den USA auch eine Reihe von prominenten Alt-Republikanern gefordert. Wie ernst nehmen Sie diese Aussagen, also auch der deutschen Industrie? Und wie sind die Chancen, dass man sozusagen ein Preisschild an CO2 kleben könnte?
    Morgan: Nummer Eins, es ist total wichtig, dass wir einen Preis auf CO2 haben …
    Reimer: Gut, das sagt man seit 20 Jahren.
    Morgan: Genau. Und Nummer Zwei, dass er hoch genug ist, irgendetwas voranzutreiben. Und das ist die Frage für den BDI.
    Reimer: Das ist jetzt die Anspielung darauf, dass in Europa die Tonne CO2 fünf Euro kostet, obwohl sie eigentlich gemessen an den Schäden 40 Euro kosten müsste.
    Morgan: Genau. Und wir gucken, welche Unternehmen einen hohen CO2-Preis fordern und bereit sind, nicht nur einen CO2-Preis zu fordern, sondern auch eine gute Regulierung für Erneuerbare Energien oder Energieeffizienz. Ich finde es sehr wichtig, dass eine Gruppe von Ländern und Unternehmen mit einem hohen CO2-Preis vorangehen – mit oder ohne die USA. Und G20 ist der nächste Test, ob sie wirklich etwas machen werden, nicht nur sagen.
    "Risiko, dass Länder wirklich ihre Ambitionen senken möchten"
    Reimer: Aber US-Präsident Trump will parallel die Unternehmenssteuern drastisch senken. Wenn man das jetzt mal zusammenrechnet, kombiniert mit lascheren Umweltauflagen, zum Beispiel bei der Kohleförderung, das wird wiederum die Energiepreise absenken. Wie groß ist das Risiko, dass gerade die reicheren Staaten in so eine Abwärtsspirale hineingeraten in Sachen Umweltschutz, Klimaschutz?
    Morgan: Es gibt immer das Risiko und deswegen bleibt Greenpeace sehr wachsam. Im Moment sehe ich wenig das Risiko, dass Länder wirklich ihre Ambitionen senken möchten. Aber wir werden natürlich beobachten, welche Unternehmen aktiv sind, welche sind aktiv in der Politik für Klimaschutz, für einen echten Klimaschutz, welche Unternehmen und Länder setzen etwas um. Und wir werden sie unterstützen, wenn sie 100 Prozent Erneuerbare Energien machen möchten.
    US-Klimaschutz-Bewegung zu G20 einladen, nicht Trump
    Reimer: Welche Unternehmen sind aktiv? Wen würden Sie da loben?
    Morgan: Also, es gibt im Moment eine ganz große Gruppe in den USA, das heißt eine neue Bewegung, das ist "We are still in" ("Wir sind nach wie vor dabei", Anm. d. Redaktion). Das ist eine tolle Initiative und zeigt eigentlich, dass Donald Trump nicht für die USA spricht. Das sind 1.200 Unternehmen, glaube ich, von Silicon Valley-IT-Unternehmen bis kleinere Unternehmen, mit Bürgermeistern und Gouverneuren und so weiter. Ich glaube, das ist die Zukunft, wo wir voran gehen müssen. Und ich hoffe, dass sie eine Einladung zum G20 bekommen anstatt Donald Trump.
    Reimer: Na gut, aber der muss dabei sein, damit der Gipfel überhaupt ein ordentliches Abschluss-Kommuniqué erklären kann. Das war nicht so einfach bei den vergangenen Treffen der Minister der G20-Staaten, gemeinsame Kommuniqués herzustellen – beim Thema Handel gab es Differenzen, Klimaschutz sowieso. Welche Strategie steckt beim Klimaschutz hinter Trumps Handeln?
    Morgan: Ich glaube, dass es sehr klar ist im Moment, dass es nicht nur um Klima oder Handel geht, sondern es geht um ein Weltbild. Es geht um den Glauben, dass "America first" wirklich America first sein muss. Und deswegen ist die Strategie, alle Initiativen wirklich zu blockieren, die in Richtung einer globalen Zusammenarbeit gehen. Und das probieren sie bis jetzt. Bei G7 haben sie das nicht geschafft, mal sehen, ob es ein G19 gibt.
    "Viel fossiles Geld in der Politik in der Welt"
    Reimer: Jeffrey Sachs, US-Star-Ökonom und UN-Sonderbeauftragter für die Sustainable Development Goals (SDG) – also die Nachhaltigkeitsziele, die sich die Weltgemeinschaft, bevor US-Präsident Trump sein Amt angetreten hat, bis zum Jahr 2030 gesetzt hat – hat gesagt, die republikanische Partei habe sich zum Handlanger der Öl-Industrie gemacht. Das ist natürlich ein sehr harter Vorwurf. Kann man das belegen?
    Morgan: Man kann das belegen. Man kann auch die Kohle- und Autoindustrie dazu zählen. Ich glaube, es ist klar, dass nicht nur die Republikaner, aber viele und auch einige andere Politiker ...
    Reimer: Es gibt Demokraten, die den Klimawandel in Frage stellen in den USA.
    Morgan: Absolut, nicht sehr viele, und es gibt Republikaner in den USA, die für Klimaschutz sind. Das haben wir auch in den letzten Wochen gesehen. So, das heißt aber die Politik, die durch Geld von der fossilen Industrie wirklich schon total beeinflusst ist, das müssen wir ändern, nicht nur in den USA, sondern in Deutschland, in vielen Ländern. Es gibt viel fossiles Geld in der Politik in der Welt.
    "So viel Macht für Bürger wie für die Unternehmen"
    Reimer: Sie sind seit über 20 Jahren auf den Fluren der UN-Klimakonferenzen unterwegs. Sie haben die US-Umweltverbände in Sachen Klimaschutz vertreten, dann haben Sie auch Politikberatung gemacht als Direktorin für Klimapolitik beim World Resources Institut und sind jetzt Chefin von Greenpeace International. Wie funktioniert das Lobbying von Greenpeace im Vergleich zum Lobbying der Wirtschaftsverbände?
    Morgan: Ich glaube, wir sind da für unsere Förderer. Also, wir stehen da und vertreten eigentlich unabhängige Personen, die uns Geld geben, also Euros geben für Klimaschutz. Und wir sind auch da, würde ich sagen, für die Tiere und die Natur. Das heißt, wir engagieren für sie direkt in den Klimaverhandlungen. Wir bringen Petitionen. Wir zeigen, dass es Unterstützung in den wichtigen Ländern gibt von Wählern, von Bürgern und Bürgerinnen. Das ist unser Ansatz. Also, wir sind da als Vertretung von dem, was unsere Förderer möchten. Ich glaube, nicht jeder, aber viele von den Industrieverbänden sind da für ihre Shareholder, für ihre Geldgeber. Also, das ist ein ganz, ganz anderer Ansatz.
    Reimer: Sie haben gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" gesagt: "Es geht um Machtdynamik im Verhältnis von Unternehmen und Bürgern". Was meinen Sie damit?
    Morgan: Ich glaube, dass wir in der deutschen und anderen Politik sehen, dass Unternehmen viel, viel Einfluss haben auf Entscheidungen. Das kommt von Vertretern der Industrie, die in der Industrie eines Unternehmens sitzen und ein Jahr später in der Regierung sitzen. Es kommt von der Finanzierung von Wahlkampagnen. Und sie haben viel Macht in der Politik, um mitzuentscheiden. Wir wollen und probieren, dass Bürger und Bürgerinnen so viel Macht, so viel Einfluss haben wie diese Industrie und diese Unternehmen. Und dafür brauchen wir politisches Engagement von Leuten. Das ist so wichtig im Moment! Das haben wir erfahren durch den Brexit, durch Trump. Wir brauchen Leute, die aktiv sind, die bereit sind, sich mit ihren Abgeordneten zusammenzusetzen, und Klima und andere Themen diskutieren.
    "Glaubwürdigkeit seit 40 Jahren"
    Reimer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International.
    "Um 10 Uhr englischer Zeit haben wir heute versucht, mit einem Helikopter und fünf Schlauchbooten Leute auf die Brent Spar zu bringen. Der Helikopter setzte zwei Greenpeace-Aktivisten auf die Plattform Brent Spar ab. Unsere Aktivisten sprangen aus zwei Metern Höhe vom Helikopter auf die Brent Spar herunter. Wir werden alles tun, um unsere Leute so lange wie möglich auf der Brent Spar zu halten."
    Reimer: Der Greenpeace Aktivist Christian Bussau – wir erinnern uns, 1995 –, er schwebte mit dem Helikopter über der Öllagerstation Brent Spar. Greenpeace hatte diese Öllagerstation besetzt. Die BBC, der britische Sender, stellte danach fest, Greenpeace habe 1,3 Millionen Pfund Sterling für Brent Spar aufgewendet, davon ein Viertel für Fernsehtechnik. Die Fernsehstationen aus aller Welt haben Bilder von Ihnen übernommen. Sie liefern auch Bilder. Woher wissen wir, ob diese Bilder – wie jeder gute Marketing-Spezialist weiß – nicht auch manipuliert sind?
    Morgan: Unsere Glaubwürdigkeit ist seit 40 Jahren da. Also, wir haben keinen Grund. Es wäre eigentlich, ich würde sagen, ganz unchic, dass wir Bilder manipulieren. Aber wir haben das Vertrauen unserer Förderer und, ich glaube, einen Ruf von Glaubwürdigkeit und wir liefern aktuelle Fotos, aktuelle Daten, was wichtig für die Debatte ist in dem Moment.
    "Unsere Kassen sind sehr gut gefüllt"
    Reimer: Laut Berichten lagen damals, 1995, auf den Konten von Greenpeace weltweit 150 Millionen US-Dollar. Wie gut sind Ihre Kassen heute gefüllt?
    Morgan: Sie sind sehr gut gefüllt. Wir haben viele Förderer, die uns unterstützen. Also, das ist ein Budget weltweit von ungefähr 300 Millionen Euro. Und wir sehen – was ich ganz toll finde –, dass wir mehr und mehr Förderer aus Entwicklungsländern und Schwellenländern bekommen. Wir wachsen in Ostasien, wir wachsen in Brasilien, wir wachsen auch jetzt wieder in Indien, wo wir eigentlich sehen, das sind die "Frontlines" für unsere Zukunft, da gibt es mehr und mehr Greenpeace-Unterstützer. Und das ist toll.
    Reimer: Kritiker sagen, unter anderem aus der Industrie, das ist ein hübscher Betrag – 300 Millionen Euro, sagen Sie – weltweit auf den Konten und Sie haben keine demokratische Legitimation und Sie sind gute Marketing-Spezialisten. Sehen Sie Ihre eigene Rolle nicht auch manchmal mit kritischer Distanz?
    Morgan: Also, der demokratische Mechanismus ...
    Reimer: Sie sind nicht gewählt!
    Morgan: Doch. Also, wenn man in der komplizierten Governance von Greenpeace guckt: Unser Aufsichtsrat bei Greenpeace International, aber auch weltweit in den verschiedenen Ländern, ist gewählt. Das heißt, die Aufsichtsräte kommen von der Basis und sie sind dann auch die Entscheidungsträger für das gesamte Greenpeace International.
    Demokratische Strukturen
    Reimer: Wer wählt die? Die Förderer?
    Morgan: Die Förderer wählen die. Ja. Und das ist eine offene Debatte und das passiert in jedem Land. Und das heißt, wir wissen nicht, wer in unseren Aufsichtsrat kommt. Ich habe keine Kontrolle darüber, wer kommt. Und das finde ich wichtig und gut. Unabhängigkeit ist so wichtig für uns, dass wir unabhängig sind. Und das bringt diese Unabhängigkeit rein. Ich glaube, Greenpeace erzählt durch Bilder, durch Geschichten. Also, ich finde, das ist eine Art und Weise, Leute zu erreichen, die viele Informationen jetzt in der Welt bekommen. Und das ist nicht für ein Produkt, das ist für Werte, das ist für Naturschutz, das ist für was Größeres. Und das, glaube ich, ist anders als Marketing, das ist ganz anders als Marketing.
    "Wir müssen uns noch mehr engagieren"
    Reimer: Greenpeace ist 1971 entstanden, also jetzt 46 Jahre alt. Da ist man so kurz vor der Lebensmitte. Das ist ja ein gutes Alter, um mal eine Lebensbilanz zu ziehen. Ist die Erde seither besser geworden?
    Morgan: Leider nicht. Also, es gibt noch unglaublich viel zu tun. Es gab zwischendurch natürlich auch große Ziele, die wir erreicht haben. Wenn man sich zum Beispiel die Atomtests von Frankreich anguckt oder das Walfangmoratorium oder was wir in der Antarktis geschafft haben. Also, man kann sehen, wo Greenpeace wirklich eine Auswirkung hatte. Aber natürlich, also es ist nicht besser geworden, es ist schlimmer geworden. Und das heißt, wir müssen uns noch mehr engagieren und auch mit mehr anderen Organisationen zusammenarbeiten auch.
    Reimer: Schlimmer geworden, warum? Ich meine, immerhin, wir haben die Sustainable Development Goals, die Nachhaltigkeitsziele für 2030 und wir haben zumindest erst mal ein Pariser Klimaschutzabkommen gefeiert.
    Morgan: Das stimmt, aber wir wissen, dass wir schneller und mehr machen müssen zum Beispiel, um die Klimaschäden zu vermeiden. Paris war ein sehr wichtiger historischer erster Schritt. Aber wir wissen, dass es noch eine Lücke gibt zwischen dem, was die Länder jetzt machen und was sie für Verpflichtungen haben und was wir brauchen, um unter diesem 2-Grad- oder 1,5-Grad-Ziel zu bleiben und die schlimmsten Auswirkungen zu vermeiden. Das heißt: mehr und schneller.
    "Kontrolle an Bauern zurückgegeben"
    Reimer: Greenpeace ist sehr kritisch in Sachen Gentechnik in der Landwirtschaft, in Lebensmitteln. 2016 haben mehr als 100 Nobelpreisträger an Greenpeace appelliert, den Widerstand gegen die Gentechnik bei Pflanzen aufzugeben. Gab Ihnen das nicht zu denken?
    Morgan: Nee. Also, wir finden, Gentechnik ist immer noch so gefährlich wie vorher, weil ...
    Reimer: Warum?
    Morgan: Es ist eigentlich eine Methode für die industrialisierte Landwirtschaft, die Agrarindustrie, die Kontrolle zu behalten über Monopole, über Pestizide. Also, das geht um Profitmaximierung, nicht eigentlich, um eine nachhaltige Lösung zu finden.
    Reimer: Könnten Sie sich mit Grüner Gentechnik anfreunden, wenn es zum Beispiel ein weniger strenges Patentrecht gäbe? Die Patente stellen die Problematik des Zugangs dar.
    Morgan: Nein, was wir fordern, ist eine ökologische Landwirtschaft. Also, wir finden, dass Gentechnik nicht die Lösung ist. Wir sehen eigentlich durch ökologische Landwirtschaft - und wir fordern hier in Deutschland zum Beispiel eine Landwirtschaft ohne Gift und ohne Gentechnik -, dass das eine viel bessere Lösung wäre. Und es wird auch die Kontrolle an Bauern zurückgegeben und an Leute gegeben statt an diese riesigen Unternehmen. Es gibt sechs Unternehmen in der Welt, die wirklich alles kontrollieren. Also, sie haben den Weltpestizidmarkt, sie haben das kommerzielle Saatgut, sie haben den Privatsektor in Saatgut-, Pestizidforschung dominiert. Monsanto, Dupont – Sie kennen sie alle. Also, das ist klar, worum das geht. Und wir bleiben dabei, dagegen zu kämpfen.
    "Die Lügen in seiner Rede, das ist eine ganz neue Welt"
    Reimer: Kommen wir noch mal auf den anstehenden G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg. Greenpeace hat gerade zum Wochenauftakt die Elbphilharmonie mit einem Klimaherz anstrahlen lassen. Die Aufschrift auf Englisch kann man sinngemäß übersetzen: "Die Erde zuerst". Da ist eine Anspielung auf Trumps "America first" formuliert worden und dazu kann ein jeder Aufkleber, Schablonen und Balkonbeflaggung bei Ihnen bestellen. Und Greenpeace wird präsent sein, aber bei der Demonstration am 2. Juli, das heißt, fünf Tage vor Gipfelbeginn gemeinsam mit den "braven" Nichtregierungsorganisationen auf die Straße gehen. Wo ist der Kampfgeist geblieben?
    Morgan: Oh, ich glaube, auf die Straße zu gehen, ist schon Kampfgeist. Aber ich glaube auch, dass heutzutage Kampfgeist auch positiv ausgedrückt sein kann. Ich finde es so wichtig, dass Leute eigentlich Hoffnung haben, dass sie glauben, sie tun was für etwas Gutes, dass sie sehen, dass wir in einem Moment sind, wo es zwei total andere Weltbilder gibt. Eins ist "America first" mit Trump und all den schrecklichen Werten, die er vorantreibt. Das andere ist der Planet. Und ich finde, dafür zu kämpfen, ist auch sehr wichtig im Moment. Und wir sind auch - wie Sie vielleicht gesehen haben - vor einigen Wochen unterwegs gewesen mit einem Schlauchboot an einem Kohleschiff "Mit Trump-Kohle keine Kohle", das machen wir auch. Aber wir finden, für Bürger und Bürgerinnen ist es sehr wichtig, dass sie auch teilnehmen und auch mitmachen.
    Reimer: Ist es gefährlich, wenn Sie so stark in Gute und Böse teilen?
    Morgan: In diesem Fall nicht – in diesem Fall nicht. Ich finde, was wir jetzt mit Trump sehen, ist wirklich historisch. Wenn man die Rede von Präsident Trump gehört hat, was er über Paris gesagt hat, dieses Weltbild, was er hat, diese Lügen … ich habe das fast nie über einen Politiker gesagt, aber die Lügen in seiner Rede, das ist eine ganz neue Welt. Und da ist es klar. Nicht überall, aber in diesem Fall schon.
    "Kanada ist wichtiger geworden auf der Weltbühne"
    Reimer: Der Verband der kanadischen Ölproduzenten hat gerade verkündet, die Ölförderung bis zum Jahr 2030 um mehr als ein Fünftel steigern zu wollen, also gegen den Wunsch des Premiers Justin Trudeau. Kanada ist in jeder Hinsicht wirtschaftlich abhängig von den USA. Wie groß ist die Gefahr, dass Trudeau von der Fahne geht?
    Morgan: Zuerst haben wir gerade gesehen, dass Trudeau mitgemacht hat, dass er sich positiv geäußert hat, dass die Welt vorangehen muss. Aber ich glaube, es ist hochwichtig, dass sich Leute in Kanada engagieren, weil es da auch große Interessen gibt, die dagegen kämpfen. Und ich glaube, langfristig aber weiß er, dass es wirtschaftlich in eine andere Richtung gehen muss. Und ich glaube eigentlich, dass er ganz andere Werte und Politik voranbringen will als das, was Trump macht.
    Reimer: Sie waren ein scharfer Gegner des CETA-Freihandelsabkommens, des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada, das jetzt in Teilen vorläufig in Kraft gesetzt worden ist. Wenn man diese Abhängigkeit Kanadas von den USA sieht, ist es dann gerade in diesen Zeiten nicht ein wirklich sinnvolles Abkommen?
    Morgan: Nein. Also, ich glaube, es gibt immer noch Probleme mit diesem Abkommen. Also, dass Unternehmen einen separaten Gerichtshof haben, wo sie ihre Forderungen reinbringen können, unabhängig von nationalen Prozessen, ist immer noch ein Prozess. Und auch glaube ich, wir müssen dann wachsamer sein, weil es jetzt die Chance gibt, dass die amerikanischen Unternehmen natürlich über Kanada Richtung Europa kommen mit ihren Interessen. Das heißt, Kanada ist jetzt noch wichtiger geworden auf der Weltbühne und im Handel, im Klima und in der Friedenspolitik auch.
    "Es muss ein starkes Klima-Kommuniqué mit 19 Ländern geben"
    Reimer: Was muss Bundeskanzlerin Merkel am Ende des G20-Gipfels vorweisen, damit Sie das Gipfelergebnis loben würden?
    Morgan: Nummer eins: Ich glaube, es muss es ein starkes Klima-Kommuniqué mit 19 Ländern geben! Dass sie bereit ist, voranzugehen ohne die Trump-Regierung. Optimal wäre das mit dieser "We-will-move-ahead"-Initiative ("Wir werden vorangehen", Anm. d. Redaktion) aus den USA. Aber G19 mit einem Klima-Kommuniqué mit - natürlich - Umsetzung von Paris, aber weiter. Wir brauchen eigentlich Signale, dass diese Länder in Richtung 100 Prozent Erneuerbare Energien bereit sind. Wir brauchen eigentlich von der Kanzlerin ein Signal, dass sie kämpft für "Keine Kohle in Deutschland", dass es einen Kohleausstieg gibt, und dass die Glaubwürdigkeit von Deutschland als Gastgeber wirklich jetzt vor der Welt steht.
    Reimer: Greenpeace rettet Wale. Ihre bürgerlichere Konkurrenz, der WWF Nashörner und Elefanten. Die wirkliche Artenvielfalt tummelt sich aber im Kleinen, in den Mooren, im Boden. Würden Sie auch mal eine Kampagne zum Erhalt von Regenwürmern und Kellerasseln starten?
    Morgan: Absolut. Ich finde, das hängt alles zusammen.
    Reimer: Kann man aber nicht so gut vermarkten.
    Morgan: Ja, das ist das Problem. Aber ich glaube, durch dieses Geschichtenerzählen kann es klarer sein, wie wir alle abhängig sind, auch von den Würmern. Und ohne die Würmer haben wir echt Probleme. Wir sollten das gesamte Bild zeigen. Und deswegen ist die Natur eigentlich wie wir Menschen. Wir brauchen einander letztendlich.
    Reimer: Vielen Dank für das Gespräch.