Rainer Brandes: 25.000 Menschen werden heute in Bonn erwartet, viele von ihnen kommen übrigens mit extra gecharterten Bussen. Das ist insofern interessant, weil sie nach Bonn kommen, um dort für Klimaschutz zu demonstrieren. Wie klimafreundlich da die Anreise mit gecharterten Bussen ist, darüber kann man zumindest streiten. Egal – das Anliegen ist ja in der Tat relevant. Ab Montag trifft sich quasi die ganze Welt in Bonn zur Weltklimakonferenz. Es geht darum, wie die Klimaziele des Paris-Abkommens umgesetzt werden können. Die Demo heute wird mitorganisiert von Greenpeace.
- Karsten Smid ist Klimaschutzexperte bei der Umweltorganisation und jetzt live am Telefon. Guten Morgen!
Karsten Smid: Guten Morgen!
Brandes: Herr Smid, wie viel CO2 blasen Sie in die Luft für diese Demonstration?
Smid: Ich bin mit dem Zug angereist, aber tatsächlich sind Busse, die voll besetzt sind, die klimafreundlichsten Verkehrsmittel und vor allen Dingen wesentlich besser gegenüber Flugzeugen oder dem Privatverkehr.
Brandes: Alles klar. Kommen wir mal zu den Inhalten. Die Demonstranten fordern einen schnellen Kohleausstieg in Deutschland. Aber gleichzeitig kämpfen Bürgerinitiativen aus der Umweltbewegung gegen neue Stromtrassen für erneuerbare Energien von Nord nach Süd in Deutschland. Wie soll das gehen?
"35 Prozent erneuerbare Energien am Stromnetz"
Smid: Erst mal wurde ja auch in dem Beitrag eben schon klar, dass wir Überkapazitäten haben. Wir haben 35 Prozent erneuerbare Energien am Stromnetz. Wir haben viel zu viele Kohlekraftwerke. Und wenn wir die Kohlekraftwerke nicht abschalten – und da ist tatsächlich von ungefähr der Hälfte der Kraftwerke die Rede -, dann können wir das Klimaziel für 2020 nicht einhalten. Mit dem Abschalten von Kohlekraftwerken schaffen wir den Klimaschutz, schaffen wir dieses Klimaschutzziel. Und das ist jetzt notwendig. Dann gibt es die technischen Fragen der Versorgungssicherheit, neuer Trassen, aber auch diese Trassenpläne sind teilweise viel zu überdimensioniert. Wir bevorzugen dort einen dezentralen Ansatz, Stromlieferung von dezentralen Energieanlagen in der Region. Dann braucht man auch gar nicht so viele Trassen.
Brandes: Aber ist das wirklich innerhalb weniger Jahre zu schaffen? Bis 2020 wollten wir unsere CO2-Emissionen um 40 Prozent reduziert haben. Ist das wirklich noch zu schaffen, selbst, wenn wir jetzt sofort die ältesten Kohlekraftwerke abschalten würden?
"Überkapazitäten von 17 Gigawatt an Kohlekraftwerken"
Smid: Wir haben von Energy Brainpool eine Studie machen lassen, die zeigt, wir haben Überkapazitäten von 17 Gigawatt im Moment an Kohlekraftwerken am Netz. Wir exportieren unseren klimaschädlichen Kohlestrom in das europäische Ausland. Und das alles ist nicht notwendig. Wir können von heute auf morgen Kohlekraftwerke stilllegen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Und das muss die Bundesregierung, die kommende Bundesregierung auch tun. Es ist eine klimapolitische Heuchelei, Ja zum Klimaschutz zu sagen und Kohlekraftwerke nicht abzuschalten.
Brandes: Jetzt haben Sie die kommende Bundesregierung schon angesprochen. Und die Jamaika-Parteien sondieren ja gerade. Und da hakt es vor allem beim Klimaschutz. Die FDP sagt zum Beispiel, der beste Weg zum Kohleausstieg führt über die Marktwirtschaft und nicht über Verbote und Subventionen. Hat sie da nicht eigentlich recht? Wenn wir unseren Industriestandort mit zu hohen Strompreisen kaputt machen, was nützt es dann dem Klima, wenn woanders noch klimaschädlicher Strom produziert wird?
Smid: Wir haben jetzt 20 Jahre auf das Instrument des Emissionshandels gesetzt. Da sollte es der Preis richten.
Brandes: Ja, das war doch eigentlich eine gute Idee, sozusagen einen Anreiz zu schaffen.
Smid: Dieses Instrument war das Kerninstrument zum Umsetzen der Klimaziele. Wir müssen jetzt feststellen, dass es gescheitert ist. Die Politik hat nicht dafür gesorgt, dass dieser Preis auch nur irgendeine Lenkungswirkung entfaltet. Der europäische Markt ist mit CO2-Zertifikaten überschwemmt. Deshalb schaffen wir den Klimaschutz damit auch nicht.
Brandes: Aber das könnte man ja ändern, Herr Smid, wenn ich Sie da kurz unterbrechen darf. Das könnte man ja ändern, indem man eben Zertifikate vom Markt nimmt und somit den Preis wieder steigert.
"Wir brauchen Abschaltplan für Kohlekraftwerke"
Smid: Ja, genau. Aber das wird ja seit Jahren in Europa diskutiert - und geschieht nicht. Was jetzt möglich ist, um das Klimaziel zu erreichen, ist ein gesetzlich verankerter Kohleausstieg. Und den fordern wir. Wir können uns nicht auf der Internationalen Klimakonferenz, wo vor fast zehn Jahren Sigmar Gabriel in Bali unter großem Jubel aller internationalen Delegierten ein ambitioniertes Klimaschutzziel für Deutschland, und zwar die 40 Prozent bis 2020 angekündigt hat, jetzt so krachend verfehlen. Das wird eine Blamage, die wir uns als Industrieland auch nicht leisten können. Die erneuerbaren Energien können das schaffen. Wir haben 35 Prozent erneuerbare Energien am Netz. Die produzieren sauber, zuverlässig CO2-freien Strom. Was wir jetzt noch brauchen, ist ein Abschaltplan für Kohlekraftwerke, damit wir das Klimaziel erreichen.
Brandes: Aber besteht nicht die Gefahr, dass wir uns in den ganzen Wenden, die wir vorhaben, verzetteln? Also wir wollen den Atomausstieg, gleichzeitig den Kohleausstieg und die Verkehrswende schaffen. Da sagen zum Beispiel viele in Kalifornien, die ja selbst sehr für Klimaschutz engagiert sind, die Deutschen werden da scheitern, wenn sie alles auf einmal wollen?
Smid: Es geht ja gar nicht um gleichzeitig. Wir haben den Atomausstieg bis 2020, bis 2030 dann den Kohleausstieg, und die Verkehrswende braucht jetzt auch ihre Zeit. Da gehen wir davon aus, dass 2025 das Ende der Herstellung des Verbrennungsmotors ist. Und wir so dann auf eine Mobilität auf Basis von Erneuerbaren umsteigen können. Dann ist auch genügend Strom aus Erneuerbaren am Netz und die Kohlekraftwerke abgeschaltet. Also, es gibt einen zeitversetzten Plan, der das ermöglicht. Es fehlt der politische Wille zur Umsetzung.
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