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Greenpeace zu UNO-Gipfel
"Klimaschutz braucht mehr Wut und Herz"

Greenpeace-International-Chefin Jennifer Morgan lobte im Dlf die deutlichen und emotionalen Worte der Aktivistin Greta Thunberg beim UNO-Klimagipfel. Morgan forderte Sofortmaßnahmen für den Umweltschutz. Von Deutschlands Klimapaket zeigte sie sich enttäuscht.

Jennifer Morgan im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Das Foto zeigt Jennifer Morgan, Umweltaktivistin und Leiterin der Umweltschutzorganisation Greenpeace International.
Es brauche mehr Härte in der Debatte um den Klimaschutz, meint Jennifer Morgan (picture-alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Jörg Münchenberg: Am Telefon ist jetzt Jennifer Morgan. Sie ist Co-Chefin der Umweltschutz-Organisation Greenpeace International, die den Klimagipfel ebenfalls vor Ort in New York direkt verfolgt. Frau Morgan, ich grüße Sie!
Jennifer Morgan: Ich grüße Sie auch.
Münchenberg: Frau Morgan, wie haben Sie den Auftritt von Greta Thunberg erlebt?
Morgan: Ich habe das so erlebt als einen Schrei für Aktionen, als den Frust, dass die Staatschefs und die CEOs von Unternehmen die Wissenschaft nicht wahrnehmen, dass sie nicht mit neuen verbindlichen Verpflichtungen kommen. Ich glaube, sie versteht das nicht. Sie kann das nicht verstehen. Wenn man die Wissenschaft versteht und was passieren muss, ist es wirklich unfassbar, dass nichts mehr passiert.
Ich fand das sehr deutlich. Ja, das war emotional. Das stimmt. Aber nach so einer Bewegung letzten Freitag mit so vielen jungen Menschen auf der Straße fand ich das akzeptabel und richtig so. Wir brauchen mehr Härte in der Debatte, glaube ich.
Münchenberg: Aber das war ja auch – so interpretieren das manche – eine Wutrede. Braucht Klimaschutz mehr Wut?
Morgan: Ja! Klimaschutz braucht mehr Wut. Klimaschutz braucht mehr Herz. Und ich glaube, es braucht mehr Sofortmaßnahmen, dass Menschen wirklich internalisieren, was das bedeutet für eine Greta, die 16 ist, was das bedeutet in zehn Jahren, wenn wir 1,5 Grad haben, wenn man schon sieht, was das ist. Wir brauchen irgendwie einen Weckruf. Wir brauchen mehr Emotion und Herz, so dass wir gut zusammenarbeiten können, um dieses Problem zu lösen.
"Wir brauchen irgendwie einen Weckruf"
Münchenberg: Nun steht dafür Greta Thunberg. Sie ist letztlich das Gesicht der Bewegung. Frau Morgan, war denn, wenn man jetzt zurückschaut, vielleicht Greenpeace in der Vergangenheit nicht wütend genug?
Morgan: Ich glaube, Greenpeace war von Anfang an sehr wütend und hat über die Jahre probiert, wirklich zu zeigen, was für eine dringende Situation wir haben. Ich glaube, wir sehen heutzutage – und das ist wunderbar und wird gebraucht -, dass es weltweit viele Greta Thunbergs gibt, viele junge Menschen weltweit, die bereit sind, auf die Straße zu gehen, Schulfrei zu machen und so weiter, und das brauchen wir.
Münchenberg: Aber können vielleicht auch Umweltschutz-Organisationen wie Greenpeace zum Beispiel was von den Auftritten von Greta Thunberg lernen?
Morgan: Ja, wir können lernen. Ich glaube, man muss der Bevölkerung die Fakten anvertrauen. Wir haben die Fakten seit langem erzählt. Aber auch, dass man mit Emotionen manchmal mehr bewegen kann und dass junge Menschen verstehen, worum es geht. Sie sollen unterstützt sein und im Moment ist Radikalität, glaube ich, notwendiger als vorher.
Münchenberg: Die Frage ist trotzdem, Frau Morgan: Was kann Thunberg, was kann die Jugend konkret erreichen? Denn die Politik wird ja nun vor allem von Erwachsenen gemacht, und die verweisen dann gerne – siehe das Klimapaket – auf die Realpolitik.
Morgan: Ich glaube, was sie machen können ist, was sie machen. Sie erhöhen den Druck. Leider hat Frau Merkel nicht reagiert auf diesen Appell von Greta Thunberg und sie hat nicht reagiert auf die 1,4 Millionen Menschen, die in Deutschland auf die Straße gegangen sind. Aber ich glaube, die Jugendlichen werden weitermachen. Da bin ich sicher. Und ich glaube, Schritt für Schritt werden Menschen, Eltern, andere Politiker verstehen, dass sie nicht weggehen und dass es wirklich so dringend ist, wie sie sagen. Das ist notwendig und ich glaube, sie machen weiter.
"Leider hat Merkel auf den Appell von Greta Thunberg nicht reagiert"
Münchenberg: Aber gehört nicht auch zur Vollständigkeit des Bildes, die Klimademonstranten, die Klimademonstrationen sind ein Teil der Gesellschaft, aber es gibt auch viele, die haben Sorge vor höheren Steuern, vor höheren Abgaben, lehnen Verbote auch ab? Im Klartext oder anders formuliert: Die Gesellschaft ist in dieser Frage weiterhin ziemlich gespalten.
Morgan: Ich glaube, die Gesellschaft ist sehr breit, und ich glaube, es gibt viele Menschen – das sieht man in Umfragen -, die nicht bereit sind, auf Demos zu gehen oder wirklich so klar wie Greta Thunberg zu reden. Aber sie verstehen, dass was los ist. Man sieht das in den verschiedenen Umfragen. Aber ich glaube, es gibt eine Politik und auch Maßnahmen, die man formulieren kann, so dass alle mitmachen können, dass die ärmeren Menschen nicht leiden müssen oder mehr zahlen müssen. Eigentlich haben wir eine Situation, wo es die Reichen sind, die mehr zahlen sollen, aber das passiert nicht. Wir haben ein System, wo Autounternehmen weitergehen und Geld verdienen und Werbung für SUVs machen, und das polarisiert.
Ich glaube, die Politik muss alle Menschen mitnehmen, aber mit Wissen von der Wissenschaft, weil es gibt keine Verhandlung mit der Physik. Das ist unser Problem. Deswegen müssen wir alle vorangehen und das ist die Verantwortung von Frau Merkel und von anderen Politikern.
"Die Menschen erwarten mehr von Deutschland"
Münchenberg: Frau Morgan, Greenpeace hat ja auch das vorgelegte Klimapaket der letzten Woche heftig kritisiert. Jetzt ist ganz interessant: Die Bundeskanzlerin wird in New York ja eher gelobt. Sie ist eine Gute in Sachen Klimapolitik. Zuhause steht sie massiv in der Kritik. Wie passt das zusammen?
Morgan: Ich würde nicht zustimmen, dass sie hier so gelobt wird. Ich habe mit vielen Inselstaaten, Schwellenländern, Entwicklungsländern gesprochen und sie verstehen, was passiert ist. Sie verstehen, dass dieses Paket das 2030-Ziel eigentlich nicht erreicht, nur eine Hälfte wahrscheinlich davon. Vielleicht sagt der Generalsekretär ein Ding, aber wenn man mit den Menschen redet, dann sind sie hoch enttäuscht und sie erwarten mehr. Sie erwarten mehr von Deutschland.
Münchenberg: Gibt es dennoch eine neue Ernsthaftigkeit beim Klimaschutz? Das ist meine abschließende Frage jetzt. Auch Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär hat ja gesagt, ich will hier nur Redner haben, die auch aktiv was für den Klimaschutz tun. Hat sich da doch etwas substanziell verändert, oder bleibt auch New York am Ende nicht nur eine Alibi-Veranstaltung?
Morgan: Ich finde, es hat sich durch diese Forderungen vom Generalsekretär etwas geändert. Es war sehr spezifisch, was er erwartet hat, dass es keine Zeit mehr gibt. Er hat eine sehr klare Rede, eine sehr starke Rede gehalten. Und ich glaube, es ist jetzt anders wegen dieser Bewegung von jungen Menschen, die nicht aufhören wird, und wir müssen von jetzt bis 2020 viel mehr Ambitionen für das Pariser Abkommen dazu schaffen, so dass es noch lebt und eigentlich effektiv ist. Diese Kraft vom Generalsekretär, glaube ich, macht schon einen Unterschied.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.