Stefan Heinlein: Glänzende Karossen im Scheinwerferlicht, aufpolierte Straßenkreuzer mit viel Hubraum – wer sich für Automobile begeistert, für den ist jedes Jahr die IAA in Frankfurt am Main ein Pflichttermin. Dort präsentieren die Konzerne ihre Neuheiten, Feiertage also für alle Auto-Freaks. Doch aktuell ist die Stimmung eher getrübt. Die Spritschlucker werden als Klimakiller gesellschaftlich geächtet. Die Auto-Industrie hat es entsprechend schwer. Immer strengere CO2-Vorgaben, verunsicherte Kunden und lautstarke Proteste, das ist das Umfeld, in dem die IAA eröffnet wurde. Am Telefon ist nun der Verkehrsexperte der Umweltschutz-Organisation Greenpeace, Tobias Austrup. Ich grüße Sie! – Guten Tag, Herr Austrup
Tobias Austrup: Guten Tag! – Ich grüße Sie auch.
Heinlein: Große Proteste am Wochenende, Herr Austrup. Warum ist die Auto-Industrie der neue Dämon der Umweltschützer?
Austrup: Zum einen müssen wir festhalten: Der Verkehrssektor hat in den letzten 20, 30 Jahren nichts zum Klimaschutz beigetragen. Das ist in Deutschland der einzige Sektor, der die Emissionen nicht senkt, wie andere Sektoren das getan haben, sondern wo die Emissionen weiter steigen, und das ist ein riesen Problem. So können wir unsere Klimaziele nicht erreichen und darum gerät diese Branche mehr und mehr in den Fokus.
"Gerade mal ein Viertel sind die nach vorne gestellten Elektroautos"
Heinlein: Nun haben Sie den VDA-Präsidenten soeben gehört: Dialog statt Konfrontation, ein Gesprächsangebot der Auto-Konzerne. Werden Sie als Umweltschützer darauf eingehen?
Austrup: Das werden wir immer tun. Das haben wir auch schon getan. Im Vorfeld der IAA haben wir als Umweltbewegung ein Gespräch, eine Podiumsdiskussion mit dem VDA gehabt. Reden ist super; handeln wäre besser. Wir erwarten von der Auto-Industrie, dass sie sich schneller und radikaler wandelt, als sie das jetzt gerade mit einem bisschen grünen Anstrich zu suggerieren versucht.
Wenn man jetzt über die Messe geht, sieht man: Noch immer drei Viertel ungefähr der Fahrzeuge, die da ausgestellt werden, sind Autos mit Diesel- und Benzin-Motoren. Gerade mal ein Viertel sind die nach vorne gestellten Elektroautos. Da sieht man diese Diskrepanz zwischen dem, was die Auto-Industrie sich auf die Fahnen schreibt, und dem, was sie wirklich in Zukunft auf die Straße bringen will.
Heinlein: Nun, Herr Austrup, wir leben in einer Marktwirtschaft. Das ist ein Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wenn die Kunden nun nach wie vor weiter Diesel oder Benziner fahren und nicht die E-Autos, kann man das den Konzernen vorwerfen?
Austrup: Ja! Gucken wir uns die Werbe-Budgets an. Da sehen wir: Beispielsweise das Drei-Liter-Auto, was VW vor vielen Jahren schon entwickelt hat, das ist praktisch nie beworben worden. Die ganzen Werbe-Budgets gehen in die Werbung für Sprit schluckende SUVs. Da wird auch ein Markt gemacht. Da ist es nicht so, dass der Kunde im luftleeren Raum agiert. Die Auto-Konzerne haben ein großes Interesse daran, diese SUVs zu verkaufen. Damit lassen sich höhere Margen erzielen. Und entsprechend werden sie auch gekauft. Das ist nicht allein der Kundenwille. Dieser Kundenwille ist erzeugt und gelenkt.
"Die kleinen leichten Elektroautos müssen in die Masse reinkommen"
Heinlein: Aber die Auto-Industrie, Herr Austrup, die muss ja Gewinne machen. Sonst gibt es keine Forschung und keine Innovation. Und das Geld verdient man eben mit den großen Autos und nicht mit den E-Autos. Die sind ja für die meisten Verbraucher immer noch schlichtweg zu teuer.
Austrup: Ja, natürlich! Da spielt dann auch die Politik rein. Wir haben riesige Subventionen, die auch gerade in Sprit fressende Autos reingehen. Wenn wir uns anschauen, wie Dienstwagen besteuert werden, dass Diesel deutlich geringer besteuert wird als Benzin – dort sieht man Anreizstrukturen, die von den Verkehrsministern der letzten Jahre geschaffen wurden und erhalten wurden, die dazu führen, dass wir weiterhin Autos haben, die viel zu viel Sprit verbrauchen, dass wir bei der Elektromobilität viel zu langsam vorankommen. Da haben Konzerne und Politik gemeinsam versagt und uns dieses Klimaproblem eingebrockt, und das muss dringend geändert werden. Die kleinen leichten Elektroautos müssen in die Masse reinkommen. Das muss in den großen Markt kommen. Und natürlich ist es Aufgabe der Auto-Konzerne, ein Geschäftsmodell für die Zukunft zu entwickeln, aber das ist, glaube ich, ziemlich klar, dass das nicht mehr allein der Verkauf von Autos sein kann, von Stückzahl, sondern dass sie sich viel mehr in Richtung Mobilitätsdienstleistung weiterentwickeln müssen. Das Modell eines klassischen Industrie-Konzerns lässt sich, glaube ich, nicht in die Zukunft übertragen.
Heinlein: Aber, Herr Austrup, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann geht Ihr Vorwurf nicht nur an die Adresse der Konzerne, sondern auch vor allem an die Politik, die zu wenig Gas gibt für die E-Mobilität?
Austrup: Ja, absolut! Wir haben seit Jahrzehnten Verkehrsminister, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, der Auto-Industrie solche Leitplanken an die Seite zu stellen, dass sie sich wahrhaftig in Richtung Zukunft aufmacht, sondern dort werden alle möglichen umweltpolitischen Vorhaben verwässert, verzögert. Das macht eine Branche träge und das können wir jetzt auf dieser IAA, glaube ich, sehr eindrucksvoll sehen und das sehen wir leider auch in den Statistiken zum CO2-Ausstoß aus dem Verkehrsbereich.
Heinlein: Was wollen Sie denn auf Verbraucher-, auf Kundenseite ändern? Wollen Sie den Menschen künftig vorschreiben, quasi verordnen, welche Autos sie fahren? SUVs, das geht nicht, das schädigt das Klima. Fahrt bitte einen Tesla.
Austrup: Ich glaube, das Signal, was jetzt von der IAA oder den Protesten rund um die IAA ausgeht, ist auch ein klares Signal an die Politik, eine Verkehrspolitik, so wie wir sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten gesehen haben, führt weder zu Klimaschutz, noch zu einer gesunden Auto-Industrie. Das heißt, es geht weniger um den einzelnen Autofahrer; es geht darum, die Politik und die Hersteller dazu zu bringen, endlich zukunftsfähige Modelle auf die Straße zu bringen, ein anderes Verständnis von Mobilität Einzug halten zu lassen. Das ist im Grunde die Aufgabe. Da ist nicht in erster Linie der Autokäufer angesprochen, sondern es geht um Rahmenbedingungen. Das hat die Kanzlerin, glaube ich, heute auf der IAA auch noch mal deutlich gemacht. Wir brauchen eine radikal andere Verkehrspolitik. Mir fehlt allein der Glaube, dass das mit diesem Verkehrsminister zu tun ist oder zu schaffen ist.
"Es braucht andere finanzielle Anreizstrukturen"
Heinlein: Aber noch einmal die Frage, Herr Austrup. Deutschland ist ja nur ein Markt. Viel wichtiger für die Konzerne sind ja China, Russland oder die USA. Dort ist die Begeisterung für SUVs ungebrochen. Wie schafft man es, dass für die Menschen dort oder auch bei uns in Deutschland nicht ein Porsche Cayenne das Statussymbol, der Traum ist für jeden Autofahrer, sondern ein kleiner Tesla oder ein kleines E-Auto von anderen Konzernen?
Austrup: Zum einen braucht es erst mal andere finanzielle Anreizstrukturen. Diese umweltschädlichen Subventionen, Diesel-Besteuerung, die müssen gestrichen werden. Dann wird das Elektroauto allein schon dadurch wettbewerbsfähig.
Heinlein: Auch in Russland und China?
Austrup: Jedes Land bringt da seine eigenen politischen Vorstellungen rein. Aber schauen wir mal nach China. Dort gibt es inzwischen eine Elektroauto-Quote. Das heißt: Die Idee der deutschen Auto-Industrie, wir verkaufen dann Spritschlucker in China, die ist, glaube ich, sehr, sehr töricht, weil dort haben wir eine jetzt einsetzende und stetig strenger werdende Regulierung in Richtung Elektroautos.
Wir sehen ähnliche Bestrebungen in Kalifornien. Es ist nicht so, dass die Welt sich nicht bewegen würde. Vielmehr ist zu beobachten, dass die Entscheidung über die Verkehrspolitik, über die Zukunft der Automobil-Industrie nicht mehr wie früher auch viel im Kanzleramt gemacht wird, wo man dann Vorhaben aus Brüssel torpediert hat, sondern der Weltmarkt bewegt sich in eine ganz andere Richtung, nämlich in Richtung Elektromobilität. Da haben viele, viele Hersteller erkannt, mit dem Verbrennungsmotor ist in Zukunft kein Geschäft mehr zu machen, und dem wird sich die Auto-Industrie stellen müssen. Das heißt: Die Idee, wir würden in Deutschland voranpreschen, die ist nicht richtig. Wir werden eigentlich eher abgehängt und von daher wäre es auch für die Auto-Industrie sinnvoll, wenn wir auch auf dem Heimatmarkt eine Regulierung haben, die ihnen hilft, in die Zukunft zu schauen und sich darauf vorzubereiten.
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