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Greifswalder Ukrainicum
Hochschultreffen im Zeichen der Krise

Es ist neben Harvard die einzige ukrainische Sommerschule der Welt: das Greifswalder Ukrainicum. Über 50 Teilnehmer sind dieses Jahr gekommen. Das Ziel: Wissen über die Ukraine und Osteuropa soll aufgebaut und gefördert werden.

Von Gesa Wicke |
    Ein ukrainischer Soldat hat an einem Checkpoint nahe Debalzewo ein Gewehr geschultert.
    Ein ukrainischer Soldat an einem Checkpoint nahe Debalzewo. (picture alliance / dpa / Roman Pilipey)
    Zum 19. Mal schon kommen Ukraine-Experten aus aller Welt im nordöstlichsten Zipfel Deutschlands zusammen. Morgens Sprachkurs, nachmittags Vorträge und Diskussionen – so ist es Tradition. Und doch ist es kein Ukrainicum wie jedes andere. Die aktuelle Krise, sie liegt wie ein Schatten über der Sommerschule. Gleich zur Eröffnung ist das Alfried-Krupp-Kolleg brechend voll. Auch aus der Stadt sind zahlreiche Zuhörer gekommen. So groß war der Andrang noch nie, sagt der Greifswalder Slawistik-Professor Alexander Wöll, Leiter des Ukrainicums:
    "Man spürt halt auch, dass die Situation überhaupt nicht mehr mit dem Wort normal zu fassen ist, weil halt auch so viele Ukrainer selber hier sind. Die auch immer ganz viel erzählen können, was sie erlebt haben und das sind ja teilweise wirklich grauenhaft schlimme Dinge."
    Oft ziehen die Teilnehmer abends vom Hörsaal in die Kneipe, zu groß ist der Redebedarf. Kamil Dvornik ist schon zum zweiten Mal dabei. In Warschau promoviert er über die ukrainische Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. In Greifswald will er mehr über Deutschlands Haltung in der aktuellen Krise erfahren:
    "Warschau ist viel dichter an der Ukraine als Berlin. Natürlich ist die Angst vor einer Ausweitung des Konflikts bei uns größer. Und es ist spannend, sich hier mit den deutschen Kollegen auszutauschen. Polen steht eindeutig aufseiten der Ukraine, da gibt es kein Verständnis für die russischen Separatisten. In Deutschland sind die Positionen vielfältiger und mich interessiert, warum das so ist."
    Wie wirkt sich Konflikt auf Hochschulszene aus?
    Und immer wieder kommt die Frage auf: Wie wirkt sich der Konflikt auf die Hochschulszene aus? Auf Kooperationen, auf Austauschprogramme für Studenten und Dozenten? Anja Lange hat bis vor ein paar Wochen als Sprachassistentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Kiew gearbeitet. Aus der Ostukraine hat der DAAD inzwischen die meisten Mitarbeiter abgezogen. Anja Lange will zurück nach Kiew, ab September wird sie an der Nationalen Technischen Universität als Lektorin arbeiten. Für fünf Jahre, wenn es die politische Lage zulässt:
    "Ich fühle mich in Kiew sehr, sehr wohl. Ich fühle mich in Kiew sehr sicher. Und ich liebe diese Stadt und deshalb war es für mich eigentlich keine Frage, jetzt noch mal dort hinzugehen. Also ich habe da keine Sekunde gezögert. Weil ich jetzt die letzten Monate sozusagen überlebt habe und ich denke, dass ich da sehr gut umgehen kann mit der Situation. Weil ich in der Stadt sehr viele Freunde habe, weil ich da sehr etabliert bin und deshalb war es für mich keine Frage, da wieder zurückzugehen."
    Bedarf nach Kompetenz in Osteuropafragen
    Die Stimmung an den Unis sei sehr unterschiedlich, erzählt Anja Lange. Bei vielen Studenten herrscht ein Gefühl der Ohnmacht, der Machtlosigkeit. Andere hoffen auf mehr Öffnung nach Europa durch den neuen Bildungsminister Kwit. Er war der erste Hochschuldirektor Kiews, der sich den protestierenden Studenten anschloss. Alexander Wöll macht vor allem die hohe Korruption Sorgen. Sie gestaltet einen Ausbau der Hochschulbeziehungen schwierig. Dabei sei der dringend nötig, denn in Deutschland gibt es kaum Experten, die sich mit der Ukraine auskennen, sagt Wöll:
    "Man dachte ja, der kalte Krieg ist ein- für allemal zu Ende. Und dann wurde natürlich sofort die gesamte Osteuropaforschung reduziert. Fast jede Uni hat diese Kompetenz abgebaut, weil man dachte, es geht jetzt mehr um die arabischen Länder. Und jetzt ist Deutschland völlig unvorbereitet für diese Rückkehr des kalten Krieges. Das ist ja die absolute und restlose Rückkehr des kalten Krieges, mit der keiner hier gerechnet hatte. Was wirklich naiv war, weil wenn man da hingefahren ist nach Russland, dann hat man schon seit Jahren bemerkt, in welche Richtung das geht."
    Das Greifswalder Ukrainicum feiert im nächsten Jahr seinen 20. Geburtstag. Das Jubiläumsjahr dann im Frieden feiern zu können, darauf hoffen hier alle.