Dass Charles Lapicque ein Störenfried war, ein dérangeur, ist schon beim Betreten der Ausstellung unmittelbar einsichtig. Wer seine Mitmenschen mit derart grellen Farben quält, die Bilder mit Gittermustern überzieht und dauernd den Stil wechselt, der möchte offenbar nicht ins Panthéon eingemeindet werden, er möchte Außenseiter bleiben. Die Wahrheit ist, dass Charles Lapicque Wissenschaftler war, Physiker, Elektroingenieur, und als Maler Autodidakt, dass er die Malerei aber als Fortsetzung der Wissenschaft mit anderen Mitteln verstand. Wo andere sich vor allem um Farbwirkung und Komposition sorgen, da kümmerte sich Lapicque um Fotometrie und Physiologie, also um Messverfahren des sichtbaren Lichts und Farbwahrnehmung, um die Lichtdurchlässigkeit von Blau- und Rot-Tönen oder um die Problematik von Nah- und Fernsicht. Das alles findet sich in seinen Bildern wieder. Als er während des zweiten Weltkriegs zum "Centre National de la Recherche Scientifique" einberufen wird, forscht er in der Entwicklung von Nachtsichtgeräten. Vielleicht beschreibt das seine auch seine malerische Methode am besten: Da hält jemand seine Infrarot-Kamera auf die Welt und spürt lauter verborgene Strukturen auf.
Der 1898 geborene Lapicque scheint relativ immun gewesen zu sein gegen die Moden seiner Jugend. Kubismus und Surrealismus sind allenfalls zart zu ahnen in einer Malerei, die sich in Stillleben, Landschaft und Porträt immer wieder an der Figuration abarbeitet, in abstrakte Elemente ausbricht und diese dann nutzt, um auf der Gegenständlichkeit zu beharren.
Die Ausstellung ist chronologisch gehängt, aber man kann nicht sagen, dass Lapicque einen bestimmten Weg verfolgt hat. Im Gegenteil: er hat sich ständig neu erfunden und damit alle verärgert. Kaum war eine Darstellungsweise etabliert, war Lapicque schon unterwegs zur nächsten. Auf altmeisterliche Stillleben, mondriansche Telegrafenmasten, multiperspektivische Landschaften und Beckmannsches voluminöses Figuren-Pathos folgen die abstrakt vergitterten Bilder während des zweiten Weltkriegs, auf diese dann ornamental zerklüftete optimistische Buntheit (schon zu Beginn der 1950er-Jahre) und schließlich, vor allem in den 60er-Jahren, eine Faszination für Körper, die Geschwindigkeit und die in ihre Einzelsegmente zerlegten Bewegung. Lapicque war schon Pop als es das Wort noch gar nicht gab, und er war schon wild als die späteren Neuen Wilden noch pubertierten. Aber er hat das alles nicht weiterverfolgt. Denn er hatte zu tun: Tennis, Segeln, Musik (er spielte Klavier und Geige), Philosophie, Naturwissenschaft - das war sein Leben. Ein großbürgerliches Genie, einer, der Elemente mittelalterlicher Glasmalerei ebenso nutzte wie die Durchblicke, das Bild im Bild der Renaissance-Kunst, der aber auf dieser verstörend grellen Farbpalette bestand. Filtert man das Werk nach Motiven, so sind politische Themen (zum Beispiel Jeanne d’Arc, auch die Passion Christi während des zweiten Weltkriegs) ebenso präsent wie später sportliche Explosivität, Seestücke und Landschaften, Geschichte und Mythen. Zu Lapicques schönsten Werken gehören die abstrakt leuchtenden Darstellungen venezianischer Plätze.
Man mag eine Nähe zu Jean Dubuffet beschwören, man mag Lapicque unter Kitschverdacht stellen oder seine (besonders nach den Leiden des Weltkriegs) sichtbaren Zweifel an der Figuration betonen. Er bleibt ein Künstler, der sich entzieht, der auch das Lob offenbar nicht ertrug. Seine Bekanntschaft mit dem Züricher Sammler und Kunsthändler Peter Nathan verschaffte Lapicque einen gewissen Erfolg im deutschsprachigen Raum, wo viele seiner Bilder in Privatsammlungen hängen. In seinem Heimatland muss ihm erst Geltung verschafft werden. Das Musée Unterlinden in Colmar versucht das mit dieser feinen Schau, und der Kurator Philippe Bouchet hebt sich das Beste für den Schluss auf: Lapicques Zeichnungen sind ein Höhepunkt des Oeuvres, anatomisch verzerrte Kreuzigungen und Totentänze, karikaturistisch verzogene und verknotete Figuren, auseinanderdriftende Knochenapparate. Das schafft eine subtile Verbindung zur mittelalterlichen Kunst und zu Grünewalds Isenheimer Altar, der Ikone des Musée Unterlinden.
Der 1898 geborene Lapicque scheint relativ immun gewesen zu sein gegen die Moden seiner Jugend. Kubismus und Surrealismus sind allenfalls zart zu ahnen in einer Malerei, die sich in Stillleben, Landschaft und Porträt immer wieder an der Figuration abarbeitet, in abstrakte Elemente ausbricht und diese dann nutzt, um auf der Gegenständlichkeit zu beharren.
Die Ausstellung ist chronologisch gehängt, aber man kann nicht sagen, dass Lapicque einen bestimmten Weg verfolgt hat. Im Gegenteil: er hat sich ständig neu erfunden und damit alle verärgert. Kaum war eine Darstellungsweise etabliert, war Lapicque schon unterwegs zur nächsten. Auf altmeisterliche Stillleben, mondriansche Telegrafenmasten, multiperspektivische Landschaften und Beckmannsches voluminöses Figuren-Pathos folgen die abstrakt vergitterten Bilder während des zweiten Weltkriegs, auf diese dann ornamental zerklüftete optimistische Buntheit (schon zu Beginn der 1950er-Jahre) und schließlich, vor allem in den 60er-Jahren, eine Faszination für Körper, die Geschwindigkeit und die in ihre Einzelsegmente zerlegten Bewegung. Lapicque war schon Pop als es das Wort noch gar nicht gab, und er war schon wild als die späteren Neuen Wilden noch pubertierten. Aber er hat das alles nicht weiterverfolgt. Denn er hatte zu tun: Tennis, Segeln, Musik (er spielte Klavier und Geige), Philosophie, Naturwissenschaft - das war sein Leben. Ein großbürgerliches Genie, einer, der Elemente mittelalterlicher Glasmalerei ebenso nutzte wie die Durchblicke, das Bild im Bild der Renaissance-Kunst, der aber auf dieser verstörend grellen Farbpalette bestand. Filtert man das Werk nach Motiven, so sind politische Themen (zum Beispiel Jeanne d’Arc, auch die Passion Christi während des zweiten Weltkriegs) ebenso präsent wie später sportliche Explosivität, Seestücke und Landschaften, Geschichte und Mythen. Zu Lapicques schönsten Werken gehören die abstrakt leuchtenden Darstellungen venezianischer Plätze.
Man mag eine Nähe zu Jean Dubuffet beschwören, man mag Lapicque unter Kitschverdacht stellen oder seine (besonders nach den Leiden des Weltkriegs) sichtbaren Zweifel an der Figuration betonen. Er bleibt ein Künstler, der sich entzieht, der auch das Lob offenbar nicht ertrug. Seine Bekanntschaft mit dem Züricher Sammler und Kunsthändler Peter Nathan verschaffte Lapicque einen gewissen Erfolg im deutschsprachigen Raum, wo viele seiner Bilder in Privatsammlungen hängen. In seinem Heimatland muss ihm erst Geltung verschafft werden. Das Musée Unterlinden in Colmar versucht das mit dieser feinen Schau, und der Kurator Philippe Bouchet hebt sich das Beste für den Schluss auf: Lapicques Zeichnungen sind ein Höhepunkt des Oeuvres, anatomisch verzerrte Kreuzigungen und Totentänze, karikaturistisch verzogene und verknotete Figuren, auseinanderdriftende Knochenapparate. Das schafft eine subtile Verbindung zur mittelalterlichen Kunst und zu Grünewalds Isenheimer Altar, der Ikone des Musée Unterlinden.