Eine Tankstelle im Südwesten von Israel. Der Fahrer eines Lastwagens hat gerade große Probleme, mit dem riesigen LKW neben die Zapfsäule zu fahren. Er rangiert hin und her. Aber es klappt einfach nicht. Der Grund für die Platzprobleme steht auf der Ladefläche: Ein großer, schwerer Panzer der israelischen Armee. Bis zum Gazastreifen sind es nur wenige Kilometer. Geht es nach vielen Israelis, dann könnte dieser Panzer bald zum Einsatz kommen. Aus ihrer Sicht ist es nur noch eine Frage der Zeit bis zu einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung mit der Hamas, jener islamistischen Organisation, die den Gazastreifen kontrolliert.
Die Hauptstraße führt in Richtung Süden. Das hier ist eigentlich eine grüne Gegend. Doch neben der Straße kommen immer wieder verbrannte, schwarze Felder zum Vorschein. Seit mehreren Monaten schicken junge Palästinenser Luftballons und Drachen mit Brandsätzen über die Grenze. Auf israelischer Seite ist eine Fläche verbrannt, die so groß ist wie 4000 Fußballfelder.
"Die Kinder fürchten sich"
Sharon Calderon lebt seit 25 Jahren im Kibbuz Sufa. Hier hat sie ihre Kinder großgezogen. Sie steht vor einem Feld innerhalb des Kibbuzes. Vor ein paar Wochen hat es auch hier gebrannt. Bis nach Gaza sind es nur drei Kilometer.
"Die Häuser dort hinten, das ist der Gazastreifen. Wenn es hier bei uns ruhig ist, leben wir im Paradies. Dann ist es angenehm, dann macht es Freude, hier Kinder großzuziehen. Aber mit der Ruhe kann es hier sehr schnell vorbei sein. Dann verwandelt sich dieser Ort für uns in eine Hölle. Die Kinder fürchten sich und wir fürchten uns auch."
Sharon Calderon steht vor einem kleinen Krater, mitten in einer Straße des Kibbuz. Vor ein paar Tagen ist hier eine Mörsergranate eingeschlagen. Abgefeuert wurde sie von militanten Palästinensern im Gazastreifen. Splitter der Granate trafen auch eine Tür in einem der kleinen Häuser der Kibbuzbewohner.
Die Israelin erzählt, dass sie wachsam sei. Dass sie beim Einkaufen immer nach dem nächsten Schutzraum Ausschau halte. Dass sie müde sei und erschöpft. Dann zuckt sie plötzlich zusammen. Eine knarzende Durchsage. Sie erinnert an jene monotone Frauenstimme, die in den Kibbuzim am Gazastreifen den roten Alarm ausruft. Die Bewohner haben dann maximal 15 Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. Die knarzende Stimme stammt von einer nahegelegenen Basis der israelischen Armee. Es war kein Alarm.
"Es gibt eine ganz normale öffentliche Ankündigung und ich springe sofort auf und bin angespannt. Ich habe mich kurz umgeschaut und überlegt, wo wir uns auf den Boden schmeißen können. Das ist unser Leben hier, es dreht sich um sowas."
Sharon Calderons jüngster Sohn ist 14 Jahre alt. Er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er nimmt Medikamente. In den letzten Wochen habe sich sein Zustand verschlechtert, sagt Sharon. Sie selbst habe seit zehn Jahren keine einzige Nacht durchgeschlafen.
Luftballons als neue Taktik
Ein kräftiger Wind weht vom Mittelmeer aus Richtung Westen. Dort liegt der Gazastreifen. Palästinenser nutzen die Brise für eine neue Taktik. Die Ballons und Drachen mit Brand- und Sprengsätzen sind spottbillig. Und bislang haben die israelischen Soldaten keinen Weg gefunden, einen Großteil von ihnen abzufangen. Israel hat eine der modernsten Armeen der Welt. Doch die verzweifelt an Luftballons, auf denen "Happy Birthday" oder "Habibi" steht und an denen ein Brandsatz hängt. Und den Wind kann auch die High-Tech-Armee nicht abschaffen.
Sharon Calderon blickt in Richtung Gaza. Natürlich weiß sie, dass die Zivilbevölkerung dort unter extrem schlechten Bedingungen lebt. Wegen der weitgehenden Blockade durch Israel und Ägypten. Und wegen des Machtkampfes zwischen den palästinischen Parteien Hamas und Fatah.
"Es ist mir wichtig, das zu sagen: Es gibt Tage an denen ich sie bemitleide. Sie haben ein schwieriges Leben. Aber es gibt andere Tage, an denen ich einfach möchte, dass sie verschwinden. Dass sie nicht mehr da sind. Denn wir leiden und unsere Kinder leiden."
Unterwegs mit Eyal Brandeis. Auch er lebt im Kibbuz. Sufa ist von einem Zaun umgeben, davor stehen Bäume - um palästinensischen Schützen die Sicht zu nehmen. Die Ausfahrt wird durch einem schweren Tor gesichert.
"Wir fahren jetzt durch unsere Felder. Gleich kommen wir an die Grenze zum Gazastreifen. Wenn jetzt eine Rakete in unsere Richtung geschossen wird und wir den Alarm nicht hören, dann könnten wir ein Problem haben."
Hoffen, dass die Grenze eines Tages wieder öffnet
Bis vor rund zehn Jahren gab es hier einen Grenzübergang. Im Kibbuz arbeiteten Palästinenser aus dem Gazastreifen. Heute ist zumindest diese Grenze geschlossen. Ein Soldat läuft nervös auf und ab, als er Eyal Brandeis und den Journalisten entdeckt. Der Kibbuzbewohner Brandeis ist Politikwissenschaftler und arbeitet an einer Universität in der Nähe von Tel Aviv. Er hofft, dass die Grenze an seinem Kibbuz eines Tages wieder öffnet.
"Eine bessere Wirtschaft ist die Lösung für alles. Wir müssen der palästinensischen Zivilbevölkerung ohne Umwege helfen. Es ist wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn die Menschen mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden sind, dann streben sie nicht mehr nach Kriegen."
Eyal Brandeis ist nicht naiv. Bis es zwischen Israelis und Palästinensern so etwas wie Freundschaft geben könne, würden 30 bis 40 Jahre vergehen. Ein neuer Krieg mit der Hamas, so sieht es auch Brandeis, sei zunächst unabwendbar. Der Gedanke macht ihm Angst. Es werde Tote geben, auf beiden Seiten, sagt er. Und viele Raketen, die auf seinem Kibbuz niedergingen. Eine Frage wird ihm häufig gestellt: Warum tut er sich das an? Eyal Brandeis gibt dann eine entschiedene Antwort. Wegziehen kommt für ihn nicht in Frage.
"Niemals werde ich das machen. Das ist mein Haus. Ich habe ein Recht, hier zu sein. Ich sehe einfach keinen Grund, diesen Ort zu verlassen. Und deshalb müssen wir mit den Palästinensern einen Weg finden, zusammenzuleben."