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Migranten an der EU-Außengrenze
Gefangen zwischen Polen und Belarus

Seit der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Migranten zur polnischen EU-Außengrenze schleust, herrscht dort Ausnahmezustand. Hilfsorganisationen und Journalisten wird der Zutritt in das Gebiet verweigert, dennoch gelangen regelmäßig Berichte von harter Gewalt und Pushbacks an die Öffentlichkeit.

Von Jan Pallokat |
Migranten campieren an der polnisch-belarussischen Grenze
Belarus und Polen streiten sich auch darüber, auf welcher Seite der Grenze sich die Migranten-Camps gebildet haben. (picture alliance/dpa)
„Wenn wir das Schlimmste, also den Krieg, vermeiden wollen, dann müssen wir die alte Regel beherzigen: Willst Du den Frieden, so bereite den Krieg vor“, so Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS. Viel ist von „Krieg“ die Rede in Polen, seit Migranten verstärkt versuchen, über Belarus ins Land und damit in die Europäische Union zu kommen.

„Wir haben es mit einem hybriden Krieg zu tun, mit Provokationen der gewaltigen russischen Armee und der viel schwächeren belarussischen Truppen. Militärübungen der russischen Armee, die wir und die NATO beobachten, haben einen deutlich offensiven Charakter, das muss man klar sagen.“

Seitdem Migranten vor allem aus Afghanistan und Syrien, dem Irak und dem Iran in größerer Zahl versuchen, über Belarus nach Polen und damit in die EU zu gelangen, hat das Land aufgerüstet: 15.000 Soldaten verstärken Grenzschutz und Polizei. Entlang eines drei Kilometer breiten Streifens an der Grenze gilt Ausnahmezustand – und damit Zutrittsverbot für Ortsfremde, Journalisten, humanitäre Gruppen oder internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk. Weite Teile der zuvor grünen Grenze wurden durch einen Stacheldrahtzaun verstärkt; im Eilverfahren soll jetzt noch ein fünfeinhalb Meter hoher, mauerartiger Zaun gebaut werden, ohne Anhörungen, Umweltprüfungen, Ausschreibungen. Dutzende sogenannte „Rückweisungen“ an die Grenze vermelden die polnischen Behörden täglich, eine juristisch umstrittene Praxis, für die eigens ein Gesetz verabschiedet wurde.
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Lautsprecherdurchsagen und Handybotschaften sollen Menschen daran hindern, die Grenze zu überschreiten – wie hier eine Ansage am geschlossenen Grenzübergang Kuznica, an dem sich eine vielhundertköpfige Gruppe von Migranten eingefunden hatte, offenbar angeleitet von uniformierten Kräften auf belarussischer Seite. Gerüchte, Busse würden bereitgestellt, um die Menschen nach Deutschland zu bringen, seien falsch, sagt die Stimme.

Der Nordosten Polens ist normalerweise eine dünn besiedelte Gegend, gesäumt von alten Wäldern wie dem Urwald Bialowieza, voller Sümpfe und einsamer Straßen. Belarus, dieses für Polen nahe und doch so ferne Land, für Besucher eine Art autoritäres Freilichtmuseum längst vergangen geglaubter Zeiten, ist für die Menschen hier lange ein Nachbar gewesen, an dessen Eigenarten man sich gewöhnt hatte. Grenzschützer hatten hier einen ruhigen Alltag und erinnern sich noch an Zeiten, als die Sicherung der Grenze ein gemeinsames Anliegen war.

„Wir machen gemeinsame Projekte, zum Beispiel Jugendaustausch. Wobei es bis zum regulären Grenzübergang 40 Kilometer sind“, sagt Marcin Urbanski, Bürgermeister der Grenzgemeinde Mielnik.

„Wir führen hier keinen Krieg. Die Hälfte unserer Einwohner kann Belarussisch sprechen. Aber Lukaschenko gibt es nicht seit gestern, man konnte ahnen, was er vorhat. Wenn jetzt von „neuer Wirklichkeit“ gesprochen wird, sage ich nur: Nein, keine neue Wirklichkeit. Wir hier leben in dieser Wirklichkeit seit langem.“

Lukaschenkos Rache für verhängte Sanktionen

Die Grenzregion und mit ihr die Gemeinde Mielnik wurde nicht über Nacht zum Sperrgebiet. Nachdem der Minsker Machthaber Lukaschenko erklärt hatte, Migranten nicht mehr zurückhalten zu wollen, tauchten zunächst im nordöstlichen EU-Nachbarland Litauen verstärkt Flüchtlinge auf, die unerlaubt die Grenze aus Belarus überquert hatten, gegen Sommerbeginn passierte das auch in den nordostpolnischen Grenzgemeinden – vermutlich als Rache Lukaschenkos für verhängte Sanktionen und westliche Unterstützung für die Opposition gegen ihn. Der Blogger und Grenzlandbewohner Mateusz Wodzinski erinnerte sich dieser Tage im englischsprachigen Podcast „Notes from Poland“ so:

„Ich würde sagen, die ersten Migranten tauchten in meinem Dorf um den 19. oder 20. Juni auf. Erst waren es nur ein paar jede Woche oder alle zwei Wochen. Ende Juli, Anfang August nahm es Fahrt auf. Sie tauchten hier täglich auf, und in größeren Gruppen, 20 bis 30 Mann. Und damals gab es hier praktisch gar keinen Grenzschutz in irgendeiner Form. Sie konnten einfach so von Belarus nach Polen kommen.“

Was sich offenbar herumsprach. Dieser Syrer etwa, er will „Haval“ genannt werden, desertiert von Assads Armee, seit zwölf Jahren lebt er legal in Österreich: Er sah nun die Chance gekommen, endlich seine Familie in die EU zu holen.

„Die einzige Möglichkeit. Seit zwölf Jahren haben wir immer wieder gesucht, gesucht, gesucht, und: Null.“

Frage: „Wer hat das angeboten, diese ‚Möglichkeit'?“

Haval: “Ja, viele Leute. Media, Facebook, Instagram. Freunde von dort, Beispiel Nachbarin. Dass die von diesem Weg gekommen (sic!). Tja und die haben gesagt, wir probieren es.“

Im August aber, als sich immer mehr Familien in den Kurdengebieten Iraks oder Syriens für die Belarus-Route interessierten, muss in Warschau der Entschluss gefallen sein, die Grenze zu schließen. Und nicht nur das: Irgendwo muss auch der Befehl ergangen sein, die Menschen nicht zu registrieren, die doch durchkommen, sie nicht in bestehenden Unterkünften unterzubringen und einen eventuellen Schutzanspruch zu prüfen, sondern sie samt und sonders zurückzuschicken auf die belarussische Seite. Eine Praxis, die unter anderem der Europäischen Menschenrechtskonvention zuwiderläuft und damals auch noch offiziell bestritten wurde, aber gleichwohl mehrfach von Menschenrechtsgruppen dokumentiert wurde – als das überhaupt noch möglich war.
Die Karte zeigt die Verortung der Grenzübergänge Kuznica, Terespol und Bobrowniki an der polnisch-belarussischen Grenze
Die Karte zeigt die Verortung der Grenzübergänge Kuznica, Terespol und Bobrowniki an der polnisch-belarussischen Grenze (dpa)
Herr Mustafa Achmadi möge sich erheben, ruft eine Rechtsanwältin hinüber zu einer Gruppe von Migranten, die dort seit Tagen campiert, umzingelt von Grenzsoldaten beider Länder. Der Mann aus der Gruppe bestätigt deutlich hörbar, dass er Schutz suche.

Zu diesem Zeitpunkt, Ende August, der provisorische Stacheldrahtzaun entlang der Grenze ist noch nicht gezogen, streiten Polen und Belarus darüber, auf welcher Seite der Grenze die Gruppe campiert; Journalisten versuchen durch Geodatenanalyse genaueres zu ermitteln. Die polnische Regierung betont: Die Menschen sind in Belarus, Polen sei nicht zuständig fürs Asylverfahren. Rafal Kostrzynski, polnischer Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks, widerspricht:

„Ob sie auf belarussischer Seite oder auf der polnischen sind, ist ohne Bedeutung angesichts dessen, dass sie sich an der polnischen Grenze befinden, nach Polen wollen und deutlich den Willen bekunden, einen Flüchtlingsstatus zu erlangen.“

Wochenlang tut sich dann nichts im Lager der damals 32 Afghanen, während die Temperaturen sinken. Premier Mateusz Morawiecki erklärt:

„Das ist der Versuch, eine große europäische Migrationskrise auszulösen. Nur hat sich Lukaschenko die falsche Grenze ausgesucht, denn die polnische Grenze wird gut geschützt.“

Bis auf drei Kilometer keinen Zugang mehr für Journalisten und Hilfsorganisationen

Doch Warschau gerät in die Defensive angesichts der im Wald festsitzenden Menschen. Zusehends verwehren Grenzsoldaten Hilfsorganisationen den Zugang, weisen auch das UN-Flüchtlingshilfswerk ab. Erstmals schickt die Warschauer Regierung einen humanitären Transport demonstrativ an einen Grenzübergang, der dort von Belarus aber wie erwartet nicht eingelassen wird: Die Botschaft soll lauten, wir helfen, aber Belarus hindert uns daran. Druck geht aus von den Fernsehbildern vom Camp der Menschen in Wald. Anfang September ruft Polen entlang der Grenze einen Ausnahmezustand aus: Bis auf drei Kilometer keinen Zugang mehr für Journalisten oder andere Beobachter, für humanitäre Organisationen oder Rechtsanwälte. Aus einer grünen Grenze ist ein Sperrgürtel geworden, in dem Panzerfahrzeuge Nachschub bringen. Innenminister Mariusz Kaminski:

„Wir werden nicht zulassen, dass Polen zum nächsten Einfallstor für illegale Migranten in die EU wird.“

Über die Gruppe der 32 Afghanen senkt sich ein Vorhang; per Telefon senden manche von ihnen SOS-Botschaften. Wochen später kommt es zu einem Versuch, die Grenze gewaltsam zu überwinden, einigen gelingt die Flucht in den Wald. Doch auch wenn das Geschehen nun nicht mehr live am Fernseher verfolgt werden kann, ist das Medieninteresse nun erst recht geweckt. In den umliegenden Wäldern tauchen Migranten auf, die teils haarsträubende Geschichten von Gewalt und Misshandlung erzählen und immer wieder von Pushbacks, also illegalen Zurückweisungen. Polen sucht diese Praxis auf dem Verordnungsweg und dann per Gesetz zu legitimieren. Erste tote Migranten werden aus den Sümpfen geborgen; es grassieren wilde Gerüchte, etwa die von einer toten Irakerin, die über die Grenzlinie gebracht worden sei, nur um aufs Konto des anderen Landes zu gehen, belarussische Staatsmedien verbreiten diese Darstellung zuerst. Öffentlichkeitswirksam lässt Minsk Rotkreuz-Helfer zu den Migranten; Staatschef Lukaschenko, dessen Staat Visa an Migrantengruppen ausgibt, präsentiert sich im Staatsfernsehen als Menschenfreund.

„Schwer verletzte, übel zugerichtete Menschen, und davon gibt es immer mehr. Das sehen wir, und das ruft natürlich tiefe Besorgnis hervor bei uns in Belarus und bei allen, die sich auf Menschlichkeit verstehen. Das Wetter ist hart, wir werden viele Tote an der Grenze verzeichnen. Aber wie wir sehen, denen ist es egal. Sie werden diesen Menschen nicht helfen, und wieder einmal werden es die Belarussen richten müssen.“


Polens Regierung und ihr Migranten-Bild


In Warschau versucht die Regierung nun, eigene Lesarten durchzusetzen. Ende September präsentieren Verteidigungs- und Innenminister in Warschau auf einer Leinwand Fotos, die von den Smartphones von Migranten stammen sollen. Es sind Bilder strafbaren Inhalts, man sieht Akte von Pädophilie; auf einem Bild hat ein dunkel beharrter Mann Verkehr mit einer Kuh oder einem Pferd. Innenminister Kaminski erläutert:

„Mit dieser Präsentation wollen wir unseren Bürgern bewusst machen, mit welchen Erscheinungen wir es hier zu tun haben. Es geht nicht um Stigmatisierungen, sondern um Fakten.“

Jeder vierte aufgegriffene Migrant habe Verbindungen zu den Taliban oder einer terroristischen Organisation, behauptet der Minister weiter. Das regierungsnahe Fernsehen TVP berichtet so:

„Schockierende Informationen über Migranten, die die polnische Grenze stürmen.“

„Zu uns kommen gefährliche Menschen und wir haben sie auch schon identifiziert.“

Doch 2021 ist anders als 2015, als zwar Hunderttausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach Deutschland und Europa kamen, nicht aber nach Polen, die polnische PiS-Partei aber dennoch mit dem Schüren von Fremdenangst die Wahlen gewann. 2021 stehen Migranten leibhaftig im Land. Zeitgleich zur Pressekonferenz mit Handyfotos entstehen die Bilder der Kinder von Michalowo, Kindern von Migrantenfamilien an einem Grenzschutz-Posten hinter einem Zaun. Bald darauf sind die Kinder weg, und eine Schockwelle geht durchs Land und das polnische Internet: #WoSindDieKinder? Grenzschutzsprecherin Anna Michalska erklärt.

„Sie wurden gemäß Verordnung des Innenministeriums an die Grenzlinie geleitet, also an den Ort, wo sie die Grenze überschritten hatten.“

Das Land erlebt eine Welle von Spenden- und Hilfsbereitschaft. Das liberal regierte grenznahe Städtchen Michalowo baut die örtliche Feuerwehr zu einer Wärmestube um. Anwohner in den Grenzregionen bringen Wasser und Suppe in die Wälder oder stellen grüne Lichter in die Fenster als Zeichen: Hier seid ihr sicher. Doch Anwohner, die Migranten einlassen, geraten auch in Konflikte. Dorota aus der Kleinstadt Bialowieza im Sperrgebiet erzählt am Telefon:

„Ich habe meine Strecke gleich am Naturpark und werde zweimal täglich von Polizei und Grenzschutz überprüft, ob ich nicht irgendwelche Flüchtlinge im Koffer habe. Ich lächle dann und sage nein, aber manchmal denke ich, was wäre, wenn. Ich würde am liebsten welche irgendwo hinfahren, ihnen Essen geben und was zum Anziehen.“

Grenzlandbewohner Miroslaw Miniszewski erzählte dem oppositionellen Warschauer Internet-Sender Radio Nowy Swiat:

„Ich benutze das Wort Flüchtling nicht mehr, denn die fliehen nicht, die sind einfach hier. Und wenn ich in den Wald gehe und dort einen Mann im Pullover treffe, der dort seit drei Tagen herumläuft und schreit, als er mich sieht, weil er Angst hat, und der mich, wenn ich ihm sage, dass er bei mir sicher ist, umarmt und 20 Minuten lang weint, dann habe ich so etwas noch nie erlebt.“

Umfragen zeigen aber auch viel Zustimmung zur harten Politik an der Grenze und dazu, die Migranten nicht einfach hereinzulassen, aber auch eine klare Mehrheit dafür, Helfern und Ärzten Zutritt zu gewähren, eine Forderung auch der katholischen Kirche. In seiner Gemeinde seien die meisten aber ganz zufrieden mit dem Ausnahmezustand, berichtet Marcin Urbanski von der Grenzgemeinde Mielnik.

„Die Regierung hat sich als Ziel gesetzt, keinen Schritt zurück. Man soll die Menschen zurück nach Belarus bringen. Ich frage mich aber, wo ist Frontex, wo sind die Vereinten Nationen? Das hier verlangt nach koordiniertem Vorgehen.“

Doch die polnische Regierung will keine Hilfe anfordern, bislang auch nicht von der EU-Grenzschutzagentur Frontex, obwohl sie hierzu auf verschiedenen Wegen gebeten, ja gedrängt wurde. Begründung von Innenminister Kamiski im Parlamentsausschuss:

„Sie haben da gar keine eigenen Kräfte, und unser Grenzschutz ist der beste in Europa.“

Aus der EU kommt diesmal nur wenig Kritik; vielfach wird das Land auch ausdrücklich gelobt für die Sicherung einer Grenze, die zugleich EU-Außengrenze ist. Die meisten Migranten zieht es ohnehin weiter nach Westen, man könnte auch "durchwinken". Vor allem die Informations-Blackbox im Grenzstreifen, aus der nur heraussickert, was die Behörden herauslassen wollen, wird in Brüssel deutlicher kritisiert, etwa von Innenkommissarin Johansson vor einem Warschau-Besuch:

„Die Lage an der Grenze ist schwer zu bewerten, wir brauchen mehr Transparenz. Aber es ist eine europäische Angelegenheit, und wir brauchen an der Grenze mehr europäische Präsenz.”

Wenn aber nicht einmal Brüssel und die meisten Polen wissen, was genau an der Grenze passiert, wie sollen es dann Syrer oder Iraker überblicken, die von einer Zukunft in Europa träumen und denen Schleuser das Blaue vom Himmel versprechen? Haval, der Syrer aus Österreich, der sich seit zwölf Jahren nach seinen Eltern sehnt, hatte zwar gehört, dass es Probleme gibt auf der Route durch Belarus. Aber solche?

„Nach zwölf Jahren, wo Du Deine Familie nicht siehst. Also du konntest nicht negativ denken. In meinem Kopf war nur was Gutes. Bald, vielleicht in einer Woche, vier Tage siehst Du Deine Mutter, Deinen Papa. Du willst das machen, das machen.“

Mitte Oktober bucht die Familie den Flug nach Minsk, gibt etliche tausend Euro aus für eine Fahrt durch Belarus, illegaler Grenzübertritt inklusive, aber wer so viel Geld hinlegt, sollte doch keine Probleme bekommen, dachten sie sich. Doch dann erreicht Haval der Anruf eines Begleiters, dass etwas schiefgegangen ist, die Mutter liege mit gebrochenem Bein im Krankenhaus in Polen. Haval lässt alles stehen und liegen in seinem Friseurgeschäft in Wien, aber als er ankommt, ist sie schon wieder zurück im Wald, zurück in Belarus. Haval mietet sich in einem Hotel ein, in der Nähe, wo er seine Eltern vermutet. Er trifft dort eine Aktivistin, die Hilfsgüter packt, freundet sich an. Beide versuchen, Kontakt zu halten zu den Eltern, die oft tagelang nicht mehr zu erreichen sind; Geodaten zeigen ihre Bewegung an. Magdalena Lukczak hatte damals kaum noch Hoffnung:

„Ab und zu kann er seine Eltern lokalisieren für Bruchteile, wir haben festgestellt, dass es mindestens drei Pushbacks gab. Also, er ist verzweifelt und weiß nicht weiter.“

Nahender Winter senkt die Überlebenschancen in den Wäldern

Hunderte Geschichten wie diese werden nun aufgeschrieben von Reportern aus aller Welt, andere Schicksale bleiben unerzählt. Hilfsorganisationen vermuten, dass zurückgewiesene Menschen gar nicht erst registriert werden: Wer nicht aktenkundig ist, könne einfach verschwinden in den Sümpfen. Ortskundige schlagen Alarm: Wenn jetzt der Winter kommt, dürfte die Lebenserwartung der Menschen im Wald weiter sinken. Sie warnen besonders davor, sich durch den Urwald Bialowieza in den Westen schlagen zu wollen: ein riesiger Naturpark, in dem man sich heillos verlaufen kann. Zugleich keimt eine Hoffnung für eine politische Lösung: Der Irak will Rückflüge aus Belarus akzeptieren, Polen deutet an, mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex nun doch über Abschiebeflüge in den Irak zu diskutieren, Lukaschenko klingt manchmal, als wolle er zurückrudern. PiS-Chef Kaczynski sagt im Radio:

„Einen hybriden Krieg haben wir bereits, aber einen Krieg im eigentlichen Sinne, mit Waffen, ist eher nicht zu sehen am Horizont. Ich sage bewusst „eher“, denn wir haben es mit Lukaschenko mit einem unberechenbaren Gegner zu tun.“

Und selbst der Syrer Haval weiß nun seine Mutter in Sicherheit. Nachdem sie es nach vielen Versuchen nach Polen schaffte, mit angeschlagenem Bein, wurde sie wieder ins Krankenhaus eingeliefert, erzählt seine Begleiterin am Telefon: Und diesmal sei gelungen, was sonst so selten klappt: Die syrische Kurdin als Asylbewerberin in Polen zu registrieren. Noch ein paar Tage muss sie in Quarantäne bleiben, dann aber kann sie ihren Sohn sehen nach zwölf Jahren, von denen die vergangenen Tage die vielleicht längsten waren. Nur vom Vater, der von ihr getrennt wurde, fehlte bis zuletzt jede Spur.