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Grenzen des Darstellbaren
Nichts als Theater

Das Theaterkollektiv Futur 3 experimentiert auf der Bühne mit dem "Nichts". Zwischen Eskapismus, Nihilismus und esoterischer Pendelsitzung wird den Besuchern ziemlich viel Nichts vorgesetzt. Die einen applaudieren frenetisch, die anderen haben nichts über Nichts dazugelernt.

Von Peter Backof |
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    "Nichts" - ein theatrales Essay. (Meyer Originals)
    "Wenn nichts kommt, brauchen wir ja auch nicht zu kommen", kommentierte jemand vorab bei Facebook unter der Einladung zum Theaterexperiment "Nichts" von Futur 3. Niemand war da und keiner hat es gesehen? - wie in einem dieser Wortwitze. "Nichts" also, ein theatrales Essay für zwei Schauspieler: André Erlen und Stefan Kraft.
    Stefan Kraft: "Das Nichts schreit schon sehr nach Überforderung und die Kalauer-Ebene ist so naheliegend, wir haben kämpfen müssen, in den Proben. Wir versuchen die zu umgehen, weil die sowieso drin ist."
    Die Besucher als Komplizen
    Die Besucher bekommen eine Toga zum Überziehen, werden zu Komplizen gemacht, zu Mit-Philosophen, die, wie in einem antiken Gemälde durch Hallen des Wissens schreiten. Im Fall der Kölner Orangerie, einer ehemaligen Gebäude der Stadtparkpflege, sitzen sie auf aschgrau getünchten Obstkisten. Ein Design, das "die grauen Zellen" sinnlich anspricht. Der Hallenboden ist komplett ausgeschüttet mit einer Art Schotter. Den fasst man intuitiv an: merkwürdig weich. Es handelt sich um geschredderten Kunststoff. Oder um Sternenstaub, wenn man den Argumentationslinien von "Nichts" folgen möchte.
    "Ein Liter Urknall wiegt jetzt zehn hoch vierundneunzig Kilogramm."
    Zehn hoch vierundneunzig Kilogramm, das Etwas, aus dem Alles besteht, ist genau so plastisch vorstellbar wie die zehn hoch zweiunddreißig Grad Celsius, die Alles heiß gewesen sein soll, als es aus einem ebenfalls abstrakt-astronomischen Nichts entstand. Populärwissenschaftlich aufbereitet ist sie, diese kurze Geschichte von Allem, vom Urknall bis zum Handychat. Dem ausgesetzt, sitzt man da etwas orientierungslos in seiner grauen Toga. Am Anfang stehen Definitionsversuche: Entweder aus naturwissenschaftlicher Sicht oder als Schöpfungsmythos. Der christliche zum Beispiel besagt, dass Gott die Nacht vom Tag trennte und damit Alles vom Nichts.
    Am Ende vom Anfang sah Gott, dass es gut war. Menschen dagegen neigen dazu, zu sagen. "Der Schöpfungsplan war nicht so toll. - Nee, irgendwie ist das alles nichts!" - "Kommst du mir immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?"
    Brüche in unserer Kulturgeschichte
    Futur 3 zitieren querbeet: Goethes Faust, Prolog im Himmel, Charlie Chaplin, der mit der Weltkugel spielt, als großer Diktator, Mathematiker, die die Null, die leere Menge als operative Größe behandeln und sagen: es gibt kein Nichts. André Erlen: "Wir sind im Sein. Das Sein kommt aus dem Sein. Und Feierabend."
    Noch nicht ganz, das Stück muss noch. Eine Goldbergmaschine setzt sich in Gang. Der Comiczeichner Rube Goldberg hatte 1931 einen Professor gezeichnet, der verrückte Maschinen erfindet. Erstmalig diese Klapperatismen mit Domino-Effekt: Eimer füllt sich mit Wasser, kippt, bewegt Reifen, trifft auf Wippe und so weiter. Schwerkraft und Trägheit als Kette von Kausalitäten. Über die ganze Orangerie gestellt, klappt das auch, bei der Premiere. Gemeint ist es als Hingucker und auch im übertragenen Sinn, denn:
    "Da sind ganz viele Brüche in unserer Kulturgeschichte, die schauen wir uns an, um zu verstehen, warum gerade in der abendländischen Kultur, das Sein so gefeiert wird und das Nichts immer codiert war als das Dunkle, Böse, Schreckliche."
    Gespaltenes Publikum
    Eine große Rolle für die Konzeption des Texts spielte der Sprachwissenschaftler Ludger Lütkehaus mit seinem Buch "Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst". Er spricht, ganz anders, vom buddhistischen Nichts als etwas Erstrebenswertem. Stefan Kraft: "Dieses Nichts ist ein Sehnsuchtsbegriff, ganz klar, ein Fluchtort, wo man zur Ruhe kommt."
    Spekulation über ein Nirwana mit alltagspraktischem Bezug. Zwischen Eskapismus, Nihilismus und esoterischer Pendelsitzung werden den Besuchern eine ganze Reihe von Haltungen vorgeführt, die helfen, Alles zu ertragen. "Woran denkst Du?" steht da zum Schluss in einem über den Köpfen der beiden Schauspieler projiziertem Handydialog. An nichts. Konsequent bricht der Dialog dann auch ab. Theater über Nichts? Das geht ja gar nicht. Gespalten sind die Reaktionen des Publikums. Die einen applaudieren frenetisch, möglicherweise aus der Kausalität heraus, dass sie die Schauspieler persönlich kennen, die anderen haben nichts über Nichts dazugelernt. Immerhin mutig sei es, ein solches Experiment überhaupt zu wagen. Von Nichts kommt also doch etwas mehr als nichts.
    Wer beim nächsten "Nichts" dabei sein will: das ist am 23. November 2016 in der Kölner Orangerie. Tuniken werden gestellt.