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Grenzen für die "Exzess-Spekulation" mit Nahrungsmitteln

Derzeit finde ein Großteil der Spekulationen bei Nahrungsmitteln und Rohstoffen außerbörslich statt, sagt Sven Giegold, Finanzmarktexperte der Grünen. Die neuen EU-Gesetze EMIR und MiFID sollen die unbegrenzte Spekulation von Banken und Fonds in diesem Bereich verhindern.

Sven Giegold im Gespräch mit Jule Reimer |
    Jule Reimer: Bei EMIR und MiFID handelt es sich weder um einen arabischen Scheich, noch um die Verballhornung einer britischen Comedy oder von Billy Wilders berühmtem Film. Beide Begriffe stehen für EU-Gesetze, mit denen die Spekulation an den Finanzmärkten gezähmt werden soll. Groß war der Streit, ob die Zockerei auch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais oder Weizen hochgetrieben hat. Tatsache ist, dass im Jahr 2010, als herkömmliche Anlageformen besonders unattraktiv waren, das Volumen offener Termingeschäfte an den US-Rohstoffbörsen in einem Riesensprung auf rund 850 Milliarden US-Dollar anstieg. Aber nur bei einem kleinen Teil der Geschäfte wechselten Waren tatsächlich den Besitzer. Am Telefon in Brüssel ist der Europaabgeordnete und Finanzmarktexperte der Grünen, Sven Giegold. Herr Giegold, die MiFID-Richtlinie soll für Wertpapiere und Waren gelten, die über die Börse zu festen Regeln gehandelt werden, und sie steckt derzeit noch in den Brüsseler Mühlen, und die EMIR-Verordnung gilt für den außerbörslichen, also bislang völlig unregulierten Handel, und die ist auf EU-Ebene bereits durch. Gestern hat die Bundesregierung die Regeln für die Umsetzung in Deutschland vorgelegt. Welche Leitplanken setzen denn jetzt diese beiden Gesetze gegen die <li_1866445>Spekulation mit Mais<li_1866445> und Getreide?

    Sven Giegold: Grundsätzlich erst mal ist das ein weites und komplexes Feld und die Abkürzungen zeigen, es ist unangenehme Detail-Materie. Aber grob gesagt ist es so, dass im Moment der größte Teil der Spekulationen im Bereich Nahrungsmittel wie Rohstoffe außerbörslich stattfindet, und diese Spekulationen müssen in Zukunft in allergrößten Teilen an die Börsen, werden damit erfasst, kontrolliert, man weiß überhaupt, was dort geschieht, wer Positionen einnimmt, und so wie die Vorschläge derzeit zu MiFID stehen, wird es auch dazu kommen, dass Grenzen für die Spekulation eingezogen werden. Das heißt, Banken und Fonds können nicht mehr unbegrenzt in diesem Bereich spekulieren.

    Reimer: Das war früher anders gewesen? Ursprünglich durften nur Landwirte sich betätigen, Händler, und dann wurde liberalisiert. Und jetzt die Rolle rückwärts?

    Giegold: Genau. Es ist in der Tat eine Rolle rückwärts, denn es ist ja sinnvoll, dass die Börsen Absicherungsmöglichkeiten bieten. Ein Landwirt oder auch ein Industrieunternehmen möchte sich gegen Preisschwankungen absichern können. Damit hat keiner ein Problem, da sind Börsen auch sinnvoll. Und damit realwirtschaftliche Akteure das tun können, braucht es auch ein paar Spekulanten. Aber im Moment ist die Situation so, Sie haben die Zahlen ja genannt: Durch die großen Engagements gerade auch deutscher Banken, aber auch anderer Banken in diesem Bereich und entsprechender Fonds schwimmen die Realwirtschaftsakteure in einem See der Spekulation, und dem wird Europa jetzt Grenzen setzen.

    Reimer: Woher weiß man denn, wo diese Grenzen liegen? Der Deutsche Bauernverband hat sich ja sehr lange gewehrt gegen Einschränkungen, weil er gesagt hat, wir brauchen ausreichend Akteure dort, sonst trocknet uns die Börse aus. Wie wollen Sie da die Grenze setzen?

    Giegold: Also es gibt recht gute Studien dazu. Sie brauchen etwa 30 Prozent mehr an Liquidität in dem Markt von Akteuren, die eigentlich mit dem Produkt nichts zu tun haben. Alles darüber ist grob Exzess-Spekulation. Wir als Grüne hatten vorgeschlagen, das auch streng durchzusetzen, so wird es jetzt nicht kommen. Was stattdessen gemacht wird ist, dass für jeden Akteur einzeln für jeden Markt absolute Summen gesetzt werden, und die Finanzaufsichtsbehörde ESMA der EU wird dort die Details ausarbeiten und sich dabei auf genau diese Studien auch letztlich zurückbeziehen. Aber das heißt, die Details, wie hoch die Grenzen genau sind, das wird noch eine Debatte der nächsten Monate.

    Reimer: Wie wollen Sie denn bei Großakteuren wie dem Rohstoffriesen Glencore zum Beispiel die Grenze ziehen, wo er sich als echter Händler der Realwirtschaft betätigt und wo er vielleicht auch selber spekulativ im Markt tätig ist?

    Giegold: Ja man muss da gar nicht so weit weggehen. In Deutschland haben wir ja zum Beispiel Eon, die auf der einen Seite sich gegen bestimmte Preisschwankungen absichern, zum Beispiel für ihre Kohlekraftwerke, auf der anderen Seite aber selber große Spekulationsabteilungen haben. Die wurden auf Druck gerade auch der konservativen Fraktion und der liberalen Fraktion recht weitgehend ausgenommen von den Regeln von EMIR, sodass die jetzt weiterhin auch außerbörslich handeln dürfen. Aber es gibt Größengrenzen und sobald die überschritten werden, müssen auch diese vollständig die Transparenz herstellen. Wir werden das sehr genau beobachten und auch die Zivilgesellschaft sollte das sehr genau beobachten, dass da jetzt nicht durch Ausnahmen für realwirtschaftliche Akteure Scheunentore entstehen.

    Reimer: Die USA wurden wegen ihrer Finanzmarktregeln im Dodd-Frank Act gerne als Vorbild dargestellt, auch insbesondere im Bereich der Nahrungsmittelspekulation. So kann zum Beispiel bei bestimmten Preishöhen der Handel an der Börse in Chicago ausgesetzt werden. Jetzt fällt aber wohl die Umsetzung des Dodd-Frank Acts schwächer aus. Haben die Europäer dadurch Nachteile, ganz kurz noch bitte?

    Giegold: Große Nachteile müssen wir eigentlich nicht befürchten. Man muss ganz ehrlich zugeben, dass der allergrößte Teil des Handels ohnehin in Chicago stattfindet und insofern auch die möglichen Nachteile sich in Grenzen halten, wenn man hier sehr streng kontrolliert. Man muss deshalb darauf achten, dass auch deutsche Banken sich zurückziehen, oder europäische Banken sich zurückziehen aus unethischen Geschäften, egal wo sie die auf der Welt machen.

    Reimer: Neue Regeln sollen die Spekulation mit Rohstoffen, mit Agrarrohstoffen auch zähmen – der Europaabgeordnete und Finanzmarktexperte der Grünen war das, Sven Giegold. Vielen Dank nach Brüssel.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.</li_1866445></li_1866445>
    Die Sonne scheint auf ein Feld mit genmanipuliertem Mais in der Nähe von Strausberg bei Berlin.
    Mais: Vom Rohstoff zum Spekulationsgut (AP)