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Grenzenloser Skandal

Die Kette der Lebensmittelskandale reißt nicht ab. Immer deutlicher wird dabei, wie schwer es ist, den Weg der Waren nachzuvollziehen. Das gilt auch im aktuellen Fall, bei dem ein niederländischer Betrieb 50.000 Tonnen falsch deklariertes Fleisch in ganz Europa verkauft hat.

Von Alois Berger |
    Im Augenblick dreht sich in der EU alles ums Pferdefleisch. Dabei weiß man leider noch nicht einmal, welche Pferde da verarbeitet wurden. Gesunde, kranke oder gedopte. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat nun eine europäische Lebensmittelpolizei vorgeschlagen. Eine schöne und richtige Idee, von der man sich aber nicht all zu viel versprechen sollte. Erstens würde es nach aller Erfahrung viele Jahre dauern, bis so eine Behörde beschlossen und aufgebaut ist. Und dann kann man sich jetzt schon ausmalen, wie diesem Tiger noch vor dem ersten Biss alle Zähne gezogen werden. Keine Regierung gibt gerne Macht ab, und bei Polizeiaufgaben sind die Ängste besonders groß. Da werden die Hauptstädte darauf achten, dass die neue Behörde bloß nicht zu viel darf. Das hat man schon bei Europol gesehen.

    Von daher ist es schwer vorstellbar, dass deutsche Politiker zulassen, dass Brüsseler Lebensmittelpolizisten deutsche Schlachthöfe, Bäckereien und Bauernhöfe unter die Lupe nehmen. In Deutschland ist die Lebensmittelkontrolle noch nicht mal eine nationale Angelegenheit. Die Bundesländer wachen eifersüchtig darüber, dass sich Berlin nicht einmischt. Eine europäische Lebensmittelpolizei, da muss man kein Prophet sein, wird am Ende höchstens ein bisschen koordinieren dürfen. Handy statt Haftbefehl.

    Fürs Erste wäre schon viel erreicht, wenn die EU-Länder die Macht, die sie nicht abgeben wollen, endlich entschlossen nutzten. Mit anderen Worten: wenn sie mehr Geld und mehr Willen in die Lebensmittelkontrollen stecken würden. Doch an dieser Entschlossenheit fehlt es in vielen Ländern, auch und gerade in Deutschland. Der Grund dafür hat mit einem falschen Verständnis von Ernährungspolitik zu tun. Solange sich die Bundeslandwirtschaftsministerin vor allem als Bauernministerin und nur am Rande als Verbraucherschützerin versteht, solange wird sich daran nichts ändern.

    Die regelmäßigen Lebensmittelskandale sind daher so etwas wie das Flackern der Warnleuchten an einem aus der Spur gelaufenen System. Denn schon im Normalbetrieb produziert die europäische Landwirtschaft unnötig belastete Lebensmittel.

    Man muss sich das vorstellen: Rund 50 Milliarden Euro gibt die Europäische Union jedes Jahr für die Bauern aus. Doch statt das Geld dafür einzusetzen, die Erzeugung besonders hochwertiger und gesunder Lebensmittel zu fördern, werden die Mittel vor allem nach der Größe der Höfe verteilt. Wer mehr hat, kriegt mehr. Mit dem Ergebnis, dass zuviele Landwirte mit zuviel Chemie mehr produzieren als wir brauchen. Und dann kostet es noch ein paar Milliarden extra, die Überschüsse loszuwerden.

    Schuld an dem Unsinn ist übrigens nicht Brüssel. Schuld sind vor allem Frankreich und Deutschland. Seit gut 20 Jahren versucht die EU-Kommission, die Agrarpolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ob der irische Agrarkommissar MacSharry, der Österreicher Fischler, die Dänin Fischer-Boel oder jetzt der Rumäne Ciolos, sie alle wollten EU-Gelder für die Bauern an Bedingungen knüpfen, an Verzicht auf Chemie, an Umweltschutz und an Naturschutzmaßnahmen. Doch die Regierungen in Paris und Berlin haben genau dies immer wieder verhindert.

    Derzeit geht es in Brüssel wieder um diese Frage, welche Gegenleistungen die Bauern für die Milliardenunterstützung aus Brüssel erbringen sollen. Und wieder macht sich die Bundesregierung für die Interessen der Bauern stark, oder für das, was der Bauernverband dafür hält: möglichst wenig Auflagen, möglichst wenig Kontrollen. Das ist das Gegenteil von Verbraucherschutz, Frau Aigner. Solange es dabei bleibt, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn bei der Lebensmittelherstellung so vieles schief läuft.