Wo genau verläuft die Seegrenze zwischen Kenia und dem nördlich angrenzenden Somalia? Über diese Frage streiten sich die beiden Nachbarländer bereits seit dem Jahr 2010. Das rund 150.000 Quadratkilometer große Areal weckt Begehrlichkeiten auf Rohstoffe. Da sich die Regierungen der Länder nicht einigen können, wer das Öl bergen darf, hat Somalia bereits im Jahr 2014 Klage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht. Ab Montag soll dieses Organ der Vereinten Nationen über den Grenzverlauf im Indischen Ozean entscheiden.
Zwei mögliche Verläufe kommen infrage. Zum einen könnte die Grenze im Meer parallel zum Breitengrad oder Äquator laufen. Die andere Möglichkeit ist, dass die diagonale Grenze an Land linear verlängert wird. Kenia ist der Ansicht, dass diese Parallele zum Breitengrad gültig ist. In den Augen Somalias hingegen ist der diagonale Grenzverlauf anders. Entsprechend bekommen die Länder jeweils mehr oder weniger Fläche zugeteilt – und damit auch mehr oder weniger an den Erdöl- und Gasreserven.
Weil der jetzige Grenzverlauf mehr zugunsten Kenias verläuft. Kenia hat kein Interesse daran, den Status quo zu verändern, während Somalia sein Meeresterritorium gerne ausdehnen möchte. Der Unterschied wäre erheblich: eine Fläche von 100.000 Quadratkilometern, also etwa so groß wie Island.
Egal, wie das Urteil ausfallen wird: Der Internationale Gerichtshof hat keine Möglichkeit, seine Entscheidung durchzusetzen. Dafür müssten beide beteiligten Staaten zugleich das Urteil anerkennen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die unterlegene Partei dieses tun wird.
Grundsätzlich könnten sich beide Länder auch die Rohstoffgewinne teilen. Doch typischerweise macht ein Gericht keinen Kompromissvorschlag, sondern gibt einer der beiden Parteien Recht. Außerdem befinden sich beide Länder derzeit auf einem sehr nationalistischen Weg. Kompromissbereitschaft könnten die Regierungen als Eingeständnis von Schwäche deuten.
Das Verhältnis zwischen Kenia und Somalia ist auch aus weiteren Gründen angespannt. Einer davon: die Aktivität der Terrormiliz Al-Shabaab in Somalia. Kenia grenzt südlich an Somalia. Den somalischen Bundesstaat in diesem Grenzgebiet – Jubaland – begreift Kenia als eine Art Puffer zu der Shabaab-Miliz. Jubaland gilt als das wirtschaftlich attraktivste Bundesland Somalias – und Kenia hat in seinem Versuch, diese Pufferzone zu sichern, immer wieder Kompetenzen überschritten. Kenia ist Teil einer afrikanischen Militärmission in Somalia und hat Truppen in Jubaland stationiert.
Immer wieder kommen ernstzunehmende Gerüchte auf, nach denen die kenianische Armee in Schmuggel in Jubaland (also in Somalia) verwickelt sei. Die somalische Regierung hat Kenia in der Vergangenheit mehrfach gewarnt. Obendrein kooperiert Kenia mit dem Präsidenten des Bundesstaates Jubaland. Die Zentralregierung Somalias und einige Bundesstaaten liegen also über Kreuz und Kenia mischt sich in Somalias Innenpolitik ein.
Momentan ist die Situation in Somalia so fragil wie lange nicht mehr. Ein Grund dafür sind die längst überfälligen Wahlen von Parlament sowie Präsident. Da sich der Präsident und die Bundesstaaten nicht auf ein Verfahren dafür einigen konnten, führte das zu Unruhe. Hinzu kommen generelle Machtkämpfe zwischen der Zentrale und den einzelnen Regionen sowie die Außeneinwirkung Kenias.