Es ist halb acht am Morgen, als die Frauen auftauchen. Das Rattern und Klappern ihrer Handkarren kündigt sie an, bevor sie wirklich zu sehen sind. Jede zieht so einen Handkarren hinter sich her. Darauf werden später die Waren verstaut.
Es sind harte, teilweise verhärmte Gesichter unter den Kopftüchern. Die Frauen hasten zu den Lagerhallen hier am Rande der Stadt Ceuta. Dort warten die Händler. Kaffee, Kakaopulver, Spülmittel bieten sie massenweise an. Gebrauchte Kleidung oder Schuhe auch, Decken, Handtücher. Der Umgangston ist rau. Die Frauen werden angeblafft, zur Eile gedrängt, manchmal beschimpft.
Hastig werden Waren zusammengerafft, Kartons mit Klebeband irgendwie auf den Handkarren befestigt. 20, 30 oder 40 Kilo schieben, zerren und schleppen die Frauen auf den Handkarren zur Grenze. Erst kontrollieren die spanischen Grenzer, dann Marokkos Beamte.
In Fnideq, auf marokkanischer Seite angekommen, warten schon die Händler, die die Waren dort weiterverkaufen. Die Frauen bekommen etwa 20 Euro für ihre Schlepperei.
"Komme ich nach Ceuta, kann ich 20 Euro am Tag verdienen"
Fatima al-Barudi verdient so ihr Geld. Sie ist 41 Jahre alt, geschieden und arbeitet seit 15 Jahren als "Maultier-Frau". Sie stellt sich abends in die Schlange vor der Grenze und wartet über Nacht darauf, morgens als eine der ersten nach Ceuta eingelassen zu werden.
"Wenn ich nach Ceuta reinkomme, kann ich 20 Euro am Tag verdienen. Aber ich muss 90 Euro Miete pro Monat für meine Wohnung zahlen. Dazu kommen Strom und Wasser. Und ich habe vier Kinder."
Mit ihren vier Kindern lebt sie in zwei kleinen Zimmern, daneben ist eine winzige Küche und eine Dusche. Fatima hat die Grundschule besucht, danach Teppichknüpfen gelernt und dann geheiratet. Nach der Scheidung war sie auf sich gestellt. So kam sie an die Grenze. Dort gab es Geld zu verdienen. Weil Ceuta eine besondere Stadt ist.
Ein Wirrwarr aus der Kolonialzeit
Ceuta gehört zu Spanien, ein Erbe aus der Kolonialzeit. Spanien, Mitglied der Europäischen Union, handelte im Schengen-Abkommen aus, dass die marokkanischen Nachbarn aus der näheren Umgebung von Ceuta ohne Visum jeden Tag für eine begrenzte Zeit in die Stadt kommen können.
Die Waren, die sie dort einkaufen, sind vergleichsweise billig. Erstens, weil Ceuta ein Freihafen ist, also keinen Zoll auf Importwaren erhebt. Zweitens, weil Marokko Ceuta nicht als spanisches Territorium akzeptiert. Ceuta gehört demnach zum Königreich Marokko. Also gibt es, offiziell jedenfalls, keine Grenze und deshalb keinen Zoll. Aus diesem Wirrwarr entstand der wuselige Grenzverkehr zwischen dem spanischen Ceuta und dem marokkanischen Fnideq.
Zugang nach mehreren Unfällen beschränkt
Etwa 3.000 Menschen drängen sich durchschnittlich pro Tag durch die enge Grenzanlage. Das hatte immer wieder schreckliche Konsequenzen: In den vergangenen acht Monaten kamen sechs Lastenträgerinnen ums Leben. Sie wurden totgetrampelt, als sie im dichten Gedränge des schmalen Grenz-Korridors stürzten und unter dem Gewicht ihrer Lasten nicht schnell genug wieder auf Beine kamen.
Nach diesen Tragödien wurde der Zugang nach Ceuta beschränkt. Für Frauen wie Fatima al-Barudi hat das Folgen:
"Früher konnte ich etwa 100 Euro am Tag verdienen. Jetzt ist alles anders: Ich verdiene nur noch etwa 20 Euro und darf nur zwei Mal pro Woche nach Ceuta rein."
"Früher konnte ich etwa 100 Euro am Tag verdienen. Jetzt ist alles anders: Ich verdiene nur noch etwa 20 Euro und darf nur zwei Mal pro Woche nach Ceuta rein."
Das geht nicht nur Fatima so. Vor der Zugangsbeschränkung waren immer mehr Arbeitsuchende in die marokkanische Grenzregion um Ceuta gezogen. Das Gebiet ist strukturschwach: keine Industrie, schlechte Infrastruktur, Jobs sind kaum zu finden.
Deshalb verdingten sich viele als Lastenträger an der Grenze. Experten schätzen, dass der Grenzhandel zwischen Ceuta und Marokko pro Jahr ein Volumen im Wert von etwa 400 Millionen Euro hat.
Sexuelle Belästigung an der Grenze, Gewalt untereinander
Weil aber jetzt immer weniger Lastenträger nach Ceuta hineinkommen, gehen diese informellen Jobs verloren. Gleichzeitig wird der Konkurrenzkampf zwischen denen, die es nach wie vor versuchen, immer härter. Die Lastenträgerinnen fühlen sich als Freiwild an der Grenze. Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will beschreibt ihre Situation:
"Die Hilfskräfte der marokkanischen Polizei belästigen uns sexuell, vor allem die jungen Frauen. Wir werden von anderen Trägern mit dem Messer bedroht."
Eine andere Lastenträgerin sagt:
"Es gibt viel Gewalt untereinander, die Frauen prügeln sich um die Plätze in der Warteschlange, sie schlagen sich mit den Lastkarren."
Andere Jobs? "Gibt es nicht"
Es ist ein Existenzkampf. Hauptsächlich Frauen, aber auch Männer, konkurrieren darum, Lasten nach Marokko schleppen zu können. Andere Jobs? "Die gibt es in dieser Region nicht", sagt Fatima al-Barudi. Deshalb wird sie weiter zur Grenze gehen. Solange sie kann.