Seit fast 30 Jahren – kommendes Jahr feiert es runden Geburtstag –, ist das Schengen-Abkommen in Kraft. Freies Reisen gilt als eine der großen Errungenschaften in der EU und hat zum Zusammenwachsen der Staatengemeinschaft beigetragen. Deshalb dürfen Grenzkontrollen im Schengenraum immer nur das letzte Mittel sein. Geht man fahrlässig und leichtfertig mit dieser Maßnahme um, würde das der Europäischen Union schaden. Nicht umsonst sind die Hürden für die Kontrollen der EU-Binnengrenzen hoch. Sie sind eigentlich nur anlassbezogen, also bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit und für einen begrenzten Zeitraum möglich.
Ein Ende der Kontrollen nach der EM war richtig
Von daher ist es richtig, dass die Bundesinnenministerin die Kontrollen zumindest an den Grenzen zu Belgien, Luxemburg, Dänemark und den Niederlanden am Freitag hat auslaufen lassen, die vor allem wegen der Fußball-Europameisterschaft der Männer eingeführt worden waren.
Jetzt ist es natürlich so, dass auch an diesen Übergängen zum Beispiel Schleuser aufgegriffen werden oder Menschen aus Nicht-EU-Staaten, die kein Asyl beantragen wollen oder eine Wiedereinreisesperre haben und deshalb zurückgewiesen werden können. Aber das in deutlich geringerem Maße an den Übergängen im Süden und Osten Deutschlands, wo die Hauptmigrationsrouten entlanglaufen, sodass es schwer sein dürfte, damit eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit zu begründen.
Im rechtlichen Graubereich
Die Verlängerung an der Grenze zu Frankreich hingegen bis zum 30. September kann mit den Olympischen Spielen im Nachbarland gerechtfertigt werden. Aber wenn man es genau nimmt, sind auch die Kontrollen an den Grenzen zur Schweiz, zu Österreich, Polen und Tschechien im rechtlichen Graubereich. Begründet werden diese vor allem mit dem Bekämpfen von Schleuserkriminalität und der sogenannten Sekundärmigration, also von Menschen, die bereits in einem anderen EU-Staat hätten Asyl beantragen können.
Der Europäische Gerichtshof hat bereits vor zwei Jahren Österreich im Zusammenhang mit dessen Kontrollen an der slowenischen Grenze recht deutlich gemacht, dass dies vielleicht einmal als Begründung ausreicht, aber nicht eine dauerhafte Verlängerung von Kontrollen rechtfertigen kann. Genau das macht Deutschland aber – zuerst Horst Seehofer, jetzt auch Nancy Faeser an der deutsch-österreichischen Grenze.
Bundespolizei hat weder genug Personal noch Mittel
Als temporär werden die stationären Kontrollen dort bezeichnet. Klar, das muss man, um zumindest den Eindruck zu erwecken, das sei EU-rechtskonform. Aber das ist schon eine interessante Auslegung von temporär. Denn faktisch sind diese Kontrollen zur Dauereinrichtung geworden und laufen nun seit mehreren Jahren, also deutlich länger, als der Schengener Grenzkodex vorsieht. Das Regelwerk erlaubt eigentlich maximal sechs Monate, und das eben auch nur anlassbezogen.
Eine solche recht großzügige Interpretation von temporär droht auch an den anderen Grenzübergängen zu Tschechien, Polen und der Schweiz. Aber selbst wenn man zu dem Schluss kommt, ohne geht es nicht, rechtfertigt das noch nicht, wie es vor allem Union und FDP nun fordern, an allen deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren. Und – was vor allem von CDU und CSU kommt – auch Asylbewerber ohne Wiedereinreisesperre verstärkt zurückzuweisen. Unabhängig mal davon, dass die Bundespolizei dafür gar nicht das Personal und die Mittel hätte, kann man Schengen auch gleich aufgeben, wenn man keine Lust mehr hat, sich an die entsprechenden rechtlichen Vorgaben zu halten.
Nicht der Weg: EU-rechtswidrige Zurückweisung
Und noch problematischer wird es, wenn eine Intention dieser Kontrollen sein soll, ein Signal in Richtung der anderen EU-Staaten zu schicken. Denn hinter der Forderung nach Kontrollen an allen deutschen Grenzübergängen steckt natürlich auch, dass das Dublin-Abkommen – also dass Geflüchtete in der Regel in dem Land registriert werden müssen und Asyl beantragen sollen, indem sie zuerst ankommen – nicht mehr wirklich gut funktioniert.
Aber sich selbst nicht mehr ans Recht zu halten, die Grenzen dichtzumachen, Menschen EU-rechtswidrig zurückzuweisen, auch wenn sie keine Wiedereinreisesperren haben, um die anderen Staaten zu zwingen, sich wieder an die Dublin-Regeln zu halten, wie es mancher Unionspolitiker ganz unverhohlen ausspricht, kann und darf nicht der Weg sein. Gerade in der Migrations- und Asylpolitik, in der es sowieso in der EU oft an Solidarität mangelt.