Jochen Spengler: Schweden führt ab heute Nachmittag Grenzkontrollen für zunächst zehn Tage ein. Betroffen sind vor allem die Öresund-Brücke, die die dänische Hauptstadt Kopenhagen mit dem schwedischen Malmö verbindet, sowie die Fährhäfen in der Region.
Wir bleiben beim Thema. Verbunden sind wir mit dem Schwedischen Rundfunk in Stockholm und dort im Studio sitzt die Kollegin Luise Steinberger. Guten Tag, Frau Steinberger.
Luise Steinberger: Guten Tag.
Spengler: Wir wollen mit Ihnen sprechen über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Zunächst: Schweden ist ja in einer ganz besonderen geografischen Lage. Wer vom Süden nach Schweden will, muss über die Öresund-Brücke oder über Fähren. Das heißt doch, dass Schweden seine Grenzen erfolgreich kontrollieren kann, oder nicht?
Steinberger: Ja. Das geht auf jeden Fall besser als bei Ländern, die eine grüne Grenze haben. Vor einer guten Stunde haben die Grenzkontrollen begonnen und es wird jetzt gemeldet, dass die Polizei Züge in Kopenhagen bestiegen hat und dann auf der Fahrt zwischen Kopenhagen und Malmö sämtliche Passagiere kontrolliert. Auf den Fähren ist es wohl auch so, dass bereits bei Fahrtantritt kontrolliert wird, wer dort auf die Fähren geht. Das organisieren überwiegend die Reedereien. Das war heute Vormittag noch ein bisschen unklar, wie das gehen soll. So ist der Ansatz. Allerdings ist in der Diskussion auch gesagt worden, wir müssen sehen, ob das eigentlich praktikabel ist, ob das rein zeitlich geht während der Überfahrt, oder vor allen Dingen in den Zügen während der Fahrt von Kopenhagen nach Malmö wirklich alle Passagiere zu kontrollieren. Denn man möchte ja natürlich die Unannehmlichkeiten für die Pendler, die nach Kopenhagen zum Arbeiten pendeln und wieder zurück, gering halten.
"Die Stimmung in der Bevölkerung ist zunehmend besorgt"
Spengler: Dann wissen wir zumindest, dass jetzt schon kontrolliert wird, nicht erst, wie wir eben gemeldet haben, ab heute Nachmittag. Was mir noch nicht klar ist: Was wurde denn bislang gemacht? Wurden Flüchtlinge, wurden die Hilfesuchenden gar nicht kontrolliert, gar nicht registriert an der Grenze? Wurden die einfach reingewunken?
Steinberger: Die Flüchtlinge wurden aufgefordert von Helfern, die beispielsweise an den Bahnhöfen standen, sich freiwillig und von selbst bei der Einwanderungsbehörde zu melden. Das Problem dabei ist gewesen bisher, dass nur gut die Hälfte das auch getan hat. Man hatte den Eindruck, sage ich jetzt mal, dass ganz viele einfach verschwunden sind, und das ist eigentlich der Hauptgrund, warum die Einwanderungsbehörde darum gebeten hat, jetzt zu kontrollieren, damit man einfach den Überblick kriegt, wie viele Leute und welche Leute und wo die Leute überhaupt sind.
Spengler: Das heißt, es könnte genauso wie in Deutschland sein, dass die Regierung eigentlich gar nicht weiß, wie viele Flüchtlinge im Land sind, oder?
Steinberger: Das ist so. - Das ist so. Die Zahl 80.000, das sind diejenigen, die sich registriert haben, aber es sind viel mehr gekommen.
Spengler: Dann kann man daraus schließen, dass die Situation doch tatsächlich einigermaßen dramatisch ist, oder?
Steinberger: Ja, das ist sie insofern, dass die normale vorgesehene Routine dafür, wie die Aufnahme von Asylbewerbern ablaufen soll, völlig überanstrengt ist. Ich meine, Schweden ist ein großes Land. Im Alltag hier in Stockholm auf der Straße merkt man eigentlich wenig von den Flüchtlingen. In meinem Vorort, wo ich wohne, gibt es zwar zwei Asylbewerberheime und da sieht man natürlich auch ein paar Flüchtlinge, aber es ist jetzt nicht so, dass überall die Leute in Zelten herumliegen oder so. Aber die vorgesehenen Strukturen sind völlig überanstrengt.
Spengler: Es gab ja auch in Schweden Anschläge gegen Asylbewerbereinrichtungen. Nun gelten die Schweden eigentlich gemeinhin als sehr liberal, sehr weltoffen. Trifft das noch die Stimmung in der Bevölkerung, oder ist da was im Schwange?
Steinberger: Ich würde sagen, die Stimmung in der Bevölkerung ist schon zunehmend besorgt. Aber es ist jetzt nicht so, dass das am Umschlagen oder Umkippen ist. Den Eindruck habe ich nicht. Leute, die Asylbewerberheime anzünden, sind Extremisten in irgendeiner Form. Allerdings ist hier in Schweden bei keinem einzigen dieser Anschläge klar geworden, wer das war. Es gibt überhaupt keine dingfest gemachten Verdächtigen. Das muss man sagen.
"Konkrete Reaktion auf Bitten von Bürgermeistern"
Spengler: Das sind wie bei uns Extremisten und natürlich vor allen Dingen auch Straftäter. - Handelt der Premierminister jetzt mit den Grenzkontrollen denn im Interesse der Bevölkerung? Trifft das die Stimmung?
Steinberger: Das denke ich schon, denn vor allen Dingen besorgt sind die Kommunen, die ja eigentlich das Problem der Unterbringung, erst mal der schnellen Unterbringung lösen, aber vor allen Dingen auch im Auge haben, wie das weitergehen soll. Denn die richtig große Herausforderung kommt ja erst, wenn die Leute erst mal ein Dach überm Kopf haben. Aber das Schulsystem zum Beispiel: Wo sollen Flüchtlingskinder in die Schule gehen? Oder das Gesundheitswesen in den ländlichen Regionen, das sowieso schon angestrengt war auch ohne Flüchtlinge, das wird jetzt vor ganz große Herausforderungen gestellt und da ist eigentlich jetzt diese Maßnahme durchaus zu sehen als eine ganz konkrete Reaktion auch auf Bitten von Bürgermeistern beispielsweise aus sozialdemokratisch geführten Kommunen, die ihren Ministerpräsidenten gebeten haben, er muss jetzt mal was tun.
Spengler: Frau Steinberger, die Flüchtlingsentwicklung haben wir ja schon einige Jahre. Es gibt sehr viele Einwanderer nach Schweden. Würden Sie sagen, dass die Integration der Fremden im Großen und Ganzen in Schweden gelungen ist?
Steinberger: Das große Problem in Schweden - und das, glaube ich, ist größer als beispielsweise in Deutschland - ist die Integration auf den Arbeitsmarkt. Die Flüchtlinge, die hier herkommen, haben in einer großen Zahl der Fälle geringe Qualifikationen und der schwedische Arbeitsmarkt ist sehr darauf ausgelegt, eigentlich Leute mit Qualifikationen nach dem schwedischen Qualifikationssystem aufzunehmen. Das heißt, es wird sehr viel von den Arbeitgebern verlangt, dass die Leute sich nachqualifizieren. Da ist nicht so viel Flexibilität drin. Es dauert beispielsweise im Durchschnitt für einen Einwanderer acht Jahre, um auf dem schwedischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Da sind auch die eingerechnet, die eine Qualifikation von zuhause mitbringen.
Spengler: Und das ist schon eine Menge. - Danke schön für die Informationen, Luise Steinberger vom Schwedischen Rundfunk in Stockholm.
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