"Wo ist die Platia, der zentrale Platz des Dorfes?", fragt die Lehrerin Maria die Schulkinder.
"Hier!", antwortet Mehmet auf Griechisch und zeigt auf die Bleistiftzeichnung, die das eigene Dorf Arriana von oben zeigt.
"Hier, neben der Moschee ist doch der Platz", fügt er auf Türkisch hinzu.
Hier in der "Minderheiten-Grundschule" – so der offizielle Name - finden für die Kinder der muslimischen Minderheit abseits des regulären Unterrichts Griechisch-Kurse statt. Jedes Wochenende, für drei Stunden.
"Ziel ist es, die Kinder beim Griechisch-Lernen zu unterstützen. Deshalb liegt der Fokus des Unterrichts auch darin, die Kinder vor allem zu motivieren, damit sie von sich aus Griechisch sprechen und schreiben möchten."
Chara Dafermou betreut und koordiniert das Bildungs- und Förderprogramm für die Muslime, das es seit 1997 gibt. Die Professorin der Universität Athen besucht hierfür einmal im Monat die beteiligten Minderheiten-Schulen in Thrakien – im Nordosten Griechenlands. Hier leben etwa 100.000 Muslime.
"Die Menschen hier haben gemerkt: Es gibt ein Interesse dafür, dass sie und ihre Kinder etwas lernen."
Minderheiten blieben lange unter sich
Vor 1997, also noch vor dem Bildungsprogramm, war das nicht so. Der griechische Staat interessierte sich kaum für die Minderheit der Roma, Pomaken und türkischsprachigen Muslime. Die Gemeinschaften blieben unter sich und verloren den Zugang zum Bildungssystem der Mehrheitsbevölkerung, sagt die 64-jährige Wissenschaftlerin:
"Sie kamen mit Griechisch in Berührung, so als wäre es ihre eigene Muttersprache. Es gab die gleichen Bücher wie an anderen Schulen, die Lehrkräfte haben sich den Bedürfnissen der Schüler aber nicht angepasst, sondern wie immer unterrichtet. Wer reinpasst, entwickelt sich weiter. Wer nicht reinpasst, eben nicht. Die Minderheit hier in Thrakien gehörte zu denen, die in das Angebot des Schulsystems nicht passte."
Mittlerweile gibt es unter anderem zweisprachige Bücher und besondere Zulassungsquoten für Universitäten, um die jungen Menschen aus der strukturschwachen Region Thrakien zu fördern.
Die 42-jährige Schuldirektorin Gönül Ouzeir geht die Anwesenheitsliste durch. Fast 50 Kinder sind heute hier – das sei ordentlich.
"Wir versuchen die Eltern in einer angemessenen Weise zu informieren. Viele Eltern kannten es vorher ja gar nicht. Ich habe es manchen erst dieses Jahr zum ersten Mal erklärt und gesagt: 'Das bringt etwas und das hilft euren Kindern.' So viele Jahre gibt es das Programm schon, aber sie kannten es nicht."
Schulbücher kommen aus der Türkei
Im regulären Betrieb gilt für die Grundschüler: Mathe, Naturkunde und Religion werden unter anderem auf Türkisch unterrichtet. Die Schulbücher kommen dafür aus der Türkei – kontrolliert vom griechischen Bildungsministerium. Den Stoff in Fächern wie Geschichte, Geografie und Sozialkunde lernen die Kinder auf Griechisch.
"Ich unterrichte eine sechste Klasse in Türkisch und Mathe. Ich schreibe auf beiden Sprachen an die Tafel, was Wörter bedeuten. Zum Beispiel: Toplamá – Addition. Çıkarma – Subtraktion. Als ich damals nach der Grundschule ein reguläres Gymnasium besuchte, konnte ich nichts. Wir hatten damals zwar einen Lehrer, der auch Griechisch konnte, aber der sprach nur Türkisch mit uns. So haben wir natürlich nichts gelernt."
Während die Kinder der fünften Klasse an diesem Samstag Matheaufgaben lösen und "Die Odyssee" von Homer besprechen, ruft der Muezzin aus der benachbarten Moschee des 5.000-Einwohner-Dorfes zum Mittagsgebet. Zu Hause wird nur Türkisch gesprochen, sagt ein Junge. Ein anderer will versichern: Wir können aber Griechisch, also ein bisschen, sagt er.
"Türkisch. Aber wir können Griechisch. Also ein bisschen."
"Ihr könnt es mehr als nur ein bisschen", ermuntert die Lehrerin Melek die beiden Schüler.
"Manchmal sprechen sie Türkisch und ich helfe dann, wenn sie ein Wort nicht verstehen."
Im Alltag wird kaum Griechisch gesprochen
Die 28-Jährige erklärt Sachen nur auf Türkisch, wenn etwas unklar ist. So wie beim elfjährigen Baran. Er sucht nach dem griechischen Wort für seinen Traumberuf.
"Ähm … Fußballer … Aber Lehrer … - Trainer? Ja, Trainer."
Nicht Fußballer, sondern Fußballtrainer möchte er später werden.
Die drei Stunden mit der griechischen Sprache sind vorbei. Die Kinder rennen aus dem Gebäude und werden von ihren Eltern abgeholt. Es ist nur Türkisch zu hören. Eren spielt mit seinen Freunden noch Fußball auf dem Schulhof. Sein Herz schlägt gleich für zwei Vereine: Besiktas Istanbul und Olympiakos Piräus.
"Besiktas. Olympiakos. In die Türkei will ich aber nicht, da gefällt es mir nicht. Griechenland ist doch sehr schön. Es hat, was du willst: Läden, Parks, Meer. Sehr schön!"
Eren bemüht sich, ganze Sätze zu bilden. Abseits der Schule, in seinem Alltag, innerhalb der Familie spricht er kaum Griechisch. Zudem besucht er wie die meisten mehrmals die Woche die Koranschule und lernt dabei Arabisch.
"Um halb drei gehen wir nach Hause nach der Schule, um zu essen.
Danach gehen wir zur Koranschule für eine Stunde. Wir lernen Arabisch zu lesen und zu schreiben. Wir schreiben zwei bis drei Seiten."
Angesichts der Krise im Land scheint es unsicher, ob Eren und seine Freunde so wie heute über Homer und Mathe auf Griechisch sprechen können: Die weitere Finanzierung könnte der Sanierung des griechischen Haushalts zum Opfer fallen.